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topplus Reportage

An Grenzen gekommen

Lesezeit: 4 Minuten

Durchschlafen? Das klappt schon seit einigen Monaten nicht mehr. Hilfe soll auch eine Therapie bringen. Ein betroffener Bauer (43) aus Niedersachsen berichtet anonym.


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Ich kann nicht mehr durchschlafen. Mitten in der Nacht, so zwischen zwei und vier Uhr, liege ich regelmäßig wach und grübele. Worüber? Das kommt immer darauf an, was gewesen ist, was ich langfristig zu tun habe und welche Entscheidungen anstehen. Lösungen finde ich dabei nicht. Stattdessen kaue ich das Ganze immer wieder durch.


Die Müdigkeit am nächsten Tag stecke ich eigentlich ganz gut weg. Im Gespräch mit anderen merke ich aber häufig, dass ich gereizt und dünnhäutig bin. Manchmal fehlt mir die Energie, Dinge weiterzuverfolgen, die auf Anhieb nicht so funktionieren, wie ich mir das vorgestellt habe. Und, in den letzten drei bis vier Monaten bin ich, der sonst immer improvisiert, gemacht und getan hat, an meine persönlichen Grenzen gekommen. „Jetzt habe ich auch keine Idee mehr“, habe ich häufig gedacht.


Die sorgen halten mich wach


Als Nebenerwerbs-Ackerbauer, der mit seinem GbR-Partner 70 ha bewirtschaftet und eine kleine Mutterkuhherde hält, rauben mir mehrere Aspekte den Schlaf. Allen voran das Wetter. Wir haben jetzt im dritten Jahr in Folge mit Trockenheit zu kämpfen. Das hat sich definitiv auf alle Kulturen ausgewirkt. Nachts überlege ich fieberhaft, wie wir uns noch besser auf dieses unplanbare Element einstellen können. Mehr in Beregnungstechnik investieren? Vielleicht. Aber, lohnt sich das? Wer weiß denn schon, was morgen ist, wie sich die Märkte entwickeln? Die Corona-Pandemie hat alles noch zusätzlich durcheinandergewirbelt.


Dann, auch wenn ich kein Schweinehalter bin, macht mir die Afrikanische Schweinepest Sorgen. Sollte man ein infiziertes Wildschwein in unserem Kreis entdecken, können wir unsere Flächen im Frühjahr womöglich nicht so bestellen wie sonst. Oder, noch schlimmer: Wir bringen die Saat aus, stecken viel Kapital in den Boden, die ASP ist da und wir dürfen nicht ernten.


Auch der Druck auf die Flächen und der Immobilienboom bei uns in der Gegend bereiten mir Kopfzerbrechen. Wie stark sollen die Pachtpreise denn noch steigen? Das geht an die Grundlagen unserer Existenz! Ohne Boden kein Wirtschaften!


Genauso stresst es mich, meinen Beruf außerhalb der Landwirtschaft mit meiner Arbeit auf dem Hof zu vereinbaren. In den letzten Wochen hat zum Beispiel die Produktionskette für Kartoffeln nicht richtig funktioniert. Erntetermine wurden verschoben. Dabei hatte ich alles drum herum geplant. Zwar ist mein Chef verständnisvoll, aber daran hängt ja auch ein enormer logistischer Aufwand für mich.


Mit Schlaflosigkeit umgehen


Nachts, wenn ich aufwache, greife ich zuerst nach meinem Handy und überprüfe, wie spät es ist. Nachrichten sehe ich nicht, weil ich abends den Flugmodus aktiviere. Ich wäge ab: Kann ich bald wieder einschlafen? Wenn ja, bleibe ich liegen und mache Übungen, zum Beispiel von 100 rückwärts zählen oder meine Gedanken bewusst auf den Atem lenken. Wenn nein, gehe ich ins Wohnzimmer, schreibe auf, was mir nicht aus dem Kopf gehen will, oder setze mich mit einem Buch aufs Sofa.


Seit Sommer dieses Jahres mache ich eine Verhaltenstherapie. Ich hatte schon länger darüber nachgedacht, hatte eine gewisse Grundmüdigkeit, eine Überforderung an mir bemerkt. Burn-out-Vorzeichen, wie ich meinte. Und trotzdem: Mich um einen Therapieplatz zu bemühen, erschien mir wie eine unüberwindbare Hürde. Dann erzählte mir ein Freund von seiner Therapeutin: „Ich habe da jemanden, die könnte zu Dir passen.“ Ich rief an und hatte Glück: Es konnte zügig losgehen. Anfangs fuhr ich wöchentlich in die vier Kilometer entfernte Praxis, jetzt etwa alle vierzehn Tage.


Es Bewegt sich etwas


Die Therapie tut unheimlich gut! Nach und nach wird mir klar: Ich muss und kann nicht alle Probleme alleine lösen. Sich Hilfe von außen zu holen, ist eine Option. Und, ich muss auch mal „Nein“ sagen können.


Was das Schlafen angeht: Es gibt immer noch Nächte, in denen ich wach liege. Inzwischen ist für mich aber viel greifbarer, woran das liegt. Das hilft mir, besser mit der Situation umzugehen. Für die nahe Zukunft habe ich mir fest vorgenommen, meinen Schreibtisch aus dem Schlafzimmer zu verbannen. Was anfangs eine provisorische Lösung war, dauert nun schon drei Jahre an. Und: Ich will nicht mehr zwischen den Akten schlafen!


Ob ich im Alltag offen über meine Schlaflosigkeit spreche? Mit meinem privaten Umfeld schon. Mit Berufskollegen eher nicht. Zwar reden wir unter den Nachbarn über das, was uns auf betrieblicher Ebene beschäftigt. Wie tief die Sorgen gehen und wie genau sie sich äußern, klammern wir aber aus.“

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