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Aus dem Heft

Chaos am Morgen

Lesezeit: 10 Minuten

S echs Uhr morgens bei Familie Meyer. Vater Bernd geht in den Stall. Mut-ter Regina weckt die ältesten der drei Kin-der. Anna (11) und Jonas (8) müssen um 7 Uhr zum selben Bus. Mareike (5) darf noch ein bisschen länger schlafen. Sie wird mit dem Auto zum Kindergarten gebracht. Während Jonas schon mal aufsteht und sich ins Badezimmer bewegt, kommt An-na mal wieder nicht aus den Federn: An-na, nun mach schon. Du verpasst noch den Bus, ruft die Mutter schon zum dritten Mal ins Zimmer. Ja, ja, ich komme gleich, tönt es leicht genervt zurück. Igitt, diese Mettwurst will ich nicht... Verschlafen schleicht sie ins Bad. Braucht scheinbar Stunden, um die pas-sende Hose zur Bluse zu finden. Unten in der Küche bestreicht Mutter Meyer die Schulbrote für die Kinder. Igitt, diese Mettwurst will ich nicht, wird sie von ih-rer Tochter angeranzt. Gleichzeitig hält sie ihrer Mutter die Einladung für das Schulfest zwecks Unterschrift unter die Nase. Dann rennt sie noch zweimal nach oben, weil das Musikheft, der Tuschkas-ten und die gepressten Blätter noch nicht im Ranzen sind. Und schließlich kriegt sie sich noch mit ihrem Bruder in die Haare, weil der schon längst fertig ist und ohne sie zur Bushaltestelle gehen will. Vom Lärm ist nun auch Mareike aufgewacht, die erstmal unausgeschlafen rumnölt und nach ihrer Mutter ruft... Als die beiden Großen weg sind und Mareike beruhigt ist, geht Mutter Meyer ins Bad, wo der Waschlappen im kalten Seifenwasser schwimmt und der Spiegel mit Zahnpastaspritzern glänzt. Vor der Garderobe findet sie eine Jacke auf der Erde und auf dem Küchenschrank liegt noch ein vergessenes Heft... Alltag auf den Höfen. Denn so nerven-aufreibend wie bei Familie Meyer geht es morgens in vielen Familien zu. Ich bin förmlich durchgeschwitzt, wenn ich unse-re drei Kinder aus dem Haus habe, be-kennt denn auch eine 40jährige Mutter aus Niedersachsen. Zugegeben: Wie stressig es morgens mit dem Nachwuchs ist, hängt auch von der familiären Situation und dem Naturell der Familienmitglieder ab. Ich habe drei Kinder, und alle sind verschieden. Die er-ste ist verantwortungsbewusst und pünkt-lich. Die zweite liest sich morgens von ei-ner Ecke in die andere. Und der dritte scheint eine Mischung aus beiden zu sein, erzählt eine Mutter. Morgens um sieben ist die Welt nicht in Ordnung Was schon mal zeigt: Das nicht in die Pötte kommen ist auch ein Charakter-zug. Und beispielsweise nicht vom Ge-schlecht abhängig. Da gibt es Mädchen aber genauso gut auch Jungen die mor-gens viel Zeit für die megacoole Föhnfri-sur mit viel Gel brauchen und die sich über die Zahnpasta im Waschbecken är-gern, während ihre Schwestern das nicht die Bohne stört. Abhängig ist der Stress am Morgen auch von den örtlichen Gegebenheiten und der betrieblichen Situation. Müssen die Kinder früh morgens am Bus sein oder werden sie von den Eltern gefahren? Müs-sen morgens beide Elternteile in den Stall? Oder wartet da der Milchwagen oder die Stechuhr in einem Büro in der Stadt? Und natürlich kommt es auch auf uns Eltern an: Wie wichtig sind mir eigentlich Werte wie Pünktlichkeit, Sauberkeit und Ordnung? Was möchte ich diesbezüglich an meine Kinder weitergeben? Wie dem auch sein: Tatsache ist, dass auf vielen Höfen morgens um sieben die Welt nicht unbedingt in Ordnung ist. Morgens ist es einfach chaotisch bei uns, gibt Ulrike Meiß-Schröder aus Schleswig-Holstein offen zu. Ich habe vier Kinder und muss in den Stall. Da wird nicht lange debattiert, und manchmal fah-re ich auch aus der Haut. Wie aber bekommt man das allmor-gentliche Chaos am besten in den Griff? Mutter streicht die Schulbrote... Soviel vorweg: Wenn die Kinder mor-gens in aller Herrgottsfrühe mit dem Schulbus los müssen, sorgen in den meis-ten Familien die Eltern, sprich: die Mütter für den gedeckten Frühstückstisch. Die meisten Eltern haben sich auch die Vor-stellung von einem ernährungsphysiolo-gisch ausgewogenen Frühstück abge-schminkt. Auch wenn alle wissen, dass das Frühstück das Sprungbrett in den Tag ist. Ich habe so früh morgens selber noch keinen Hunger und versuche daher auch nicht, den Kindern ein Brot reinzustop-fen, erzählt ein Vater. Aber vielerorts trinkt der Nachwuchs morgens zumindest Milch oder Kakao. Auch Joghurt oder Cornflakes rutschen gerade noch so. Und in unseren Interview-Familien streichen die Eltern, insbesondere die Mütter, den Kindern die Schulbrote, schä-len Wurzeln oder vierteln Äpfel. Auch wenn sie wissen, dass die Kinder das ei-gentlich auch schon lange selbst könnten. Aber ich möchte einfach, dass unsere Kinder ein gesundes Frühstück mitbe-kommen. Sie würden sich sonst gar nichts einpacken oder jeden Tag nur Nutella-Brote essen oder sich vielleicht beim Kaufmann an der Ecke mit Süßigkeiten versorgen. Und das will ich einfach nicht!, verkündet eine Mutter energisch. Damit es morgens top und nicht flop läuft, ist es zudem wichtig, dass Kinder und auch Eltern abends rechtzei-tig zu Bett gehen, geben viele Gesprächs-partner zu bedenken. Und natürlich steht und fällt vieles auch mit dem eigenen Wohlbefinden. Ich sorge dafür, dass es mir morgens gut geht, indem ich vor den Anderen aufstehe. Ich brauche meine ers-te Tasse Kafe für mich allein. Wenn ich diesen Ruhepunkt morgens nicht habe, geht meistens der ganze Tag schief, er-zählt denn auch eine Mutter. Wie aber reagieren Eltern, wenn gute Worte und Ermahnungen zu Ordnung und Pünktlichkeit nicht wirken? Lassen sie ihre Kinder dann auflaufen, also selbst für ihre Konsequenzen geradestehen? Oder bringen sie den Nachwuchs mit dem Auto in die Schule, wenn der Bus weg ist? Und tragen sie ihm die Turnbeutel, das In-strument oder die Brotdose hinterher? Wenn die Kinder wegen ihrer eigenen Bummelei den Bus verpassen, dann würde ich sie nicht fahren, sagt Ulrike Meiß-Schröder. Und Silke Lindemann (42) aus der Nähe von Bad Segeberg ergänzt: Fe-lix musste in seiner Grundschulzeit schon mal die 5 km mit dem Rad in die Schule fahren, als er den Bus verpasst hatte. Aller-dings gibt es auch einen Radweg bei uns. Anders sieht das eine Mutter, der die erforderliche Konsequenz für solche Schritte fehlt: Ich drohe Christina erst gar nicht damit, dass ich sie nicht fahren werde, weil ich genau weiß, dass ich selbst das gar nicht einhalten könnte, berichtet Monika Kucher (34) aus dem schwäbi-schen Ostalbkreis. Wenn Christina nicht fertig wird, dann schickt sie die Freundin, die Christina morgens oft abholt, einfach weg. Auch wenn ich eigentlich ja beide Mädchen damit bestrafe. Die Kinder auflaufen lassen? Eine andere Mutter berichtet, dass das Problem Morgen-Trödelei auf einem Elternabend in der Grundschule themati-siert wurde. Eltern und Lehrerin trafen dort die Vereinbarung, dass bestimmte Kinder nicht pünktlich gebracht werden sollten, sondern auf eigene Faust not-falls verspätet zum Unterricht kommen sollten und dann die Konsequenzen na-türlich selber zu verantworten hätten. Und dann gibt es da noch die Ge-schichte von einem Kindergartenkind aus der Eifel: Meine Tochter und ich hatten jeden Morgen Zoff, weil sie sich nicht an-ziehen wollte. Irgendwann war das Maß dann voll. Ich habe ihr angedroht, sie beim nächsten Mal im Schlafanzug in den Kin-dergarten zu fahren und ihr die Anziehsa-chen dorthin mitzugeben. Nach Abspra-che mit der Erzieherin hat die Mutter das dann wirklich durchgezogen. Natürlich war ihr die Angelegenheit genauso unan-genehm wie der Tochter. Aber seitdem ist dieser Stress aus der Welt. Und zu dem vergessenen Turnzeug und Co. lautet die Meinung: Im Prinzip wird nichts hinterhergebracht. Aber wenn die Flöte an diesem Tag nun ganz besonders wichtig ist, das Kind sonst immer alle Sa-chen beisammen hat und man selbst guter Stimmung ist, dann wird schon mal die berühmte Ausnahme gemacht. Das, was unsere Gesprächspart-ner im Ernstfall durchziehen, emp-fehlen auch Experten. Kinder müs-sen die unangenehmen Folgen füh-len, die sich aus ihrem Verhalten, wie z. B. der morgendlichen Tröde-lei, ergeben. Wirkliches Begreifen geht über selber erleben und erfah-ren, schreibt Jan-Uwe Rogge in sei-nem Buch Ohne Chaos geht es nicht. In der Erziehung geht es da-rum, den Kindern den Zusammen-hang zwischen Freiheit und Verant-wortung zu vermitteln: Du kannst bummeln, aber dann kommst du vielleicht zu spät. Mama macht schon... Ob Eltern ihre Kinder tatsächlich auflaufen lassen, ist auch abhängig davon, inwieweit sie sich mit den Unzu-länglichkeiten des Nachwuchses identifi-zieren. Viele Eltern machen sich für die Unpünktlichkeit und die schlechten An-gewohnheiten des Kindes selbst verant-wortlich, so als würden sie sich selber ver-späten. So braucht sich das Kind nicht zu verändern, weil es weiß, dass die Eltern schon in letzter Konsequenz die Kasta-nien aus dem Feuer holen, erklärt Jan-Uwe Rogge. Kinder üben so eine indi-rekte, aber äußerst wirksame Macht über die Eltern aus. Auflaufen lassen ist jedoch nicht zu verwechseln mit die Kinder einfach lau-fen lassen, im Sinne von sich nicht küm-mern. Denn schließlich sind Eltern für die Erziehung ihrer Kinder verantwort-lich. Erwachsene sind bei der morali-schen Erziehung unserer Kinder nicht nur Vorbild, an dem sie sich orientieren. Wir sind auch das Messinstrument, das die Kinder darüber informiert, ob sie sich gut oder weniger gut, richtig oder falsch ver-halten, schreibt der Erziehungsexperte Hans Grothe in der Zeitschrift Eltern. Und weiter: Wenn wir Eltern uns als Messlatte, als Seismograph verweigern, verweigern wir unseren Kindern Halt und Orientierung. Es geht nicht darum, auf je-de Verfehlung mit wilden Zeigerausschlä-gen zu reagieren. Wichtig ist aber, klare eindeutige Regeln und Signale zu setzen, damit Kinder wissen, was in Ordnung ist und was nicht. Und wenn dann in einer Familie die Chose überhaupt nicht läuft, dann kann ein Rollentausch oft hilfreich sein. So wie auf einem Hof im Münsterland: Ich gehe jetzt morgens erstmal allein in den Stall und überlasse meinem Mann das Feld. Den stört das Chaos mit der verbundenen Lautstärke nicht, und außerdem hören die Kinder eher auf das, was er sagt, erzählt die 39jährige Bäuerin. Und bei einer Familie in Hessen gehen jetzt beide Eltern direkt zum Melken. Die beiden Kinder (12) und (10) erledigen ih-ren Morgenpart selbst. Ich war jeden Morgen auf 180, weil ich meinen Sohn nicht aus dem Bett bekam. Nach dem Motto Mutter wirds schon richten hat er sich total auf mich verlassen. Von heute auf morgen haben die Eltern daraufhin die volle Verantwortung für das rechtzeitige Aufstehen und die Verpfle-gung auf die Kinder übertragen. Ergebnis? Es klappt reibungslos! Bislang ist noch nie-mand zu spät gekommen. Und nachdem der Sohn in den ersten beiden Tagen Kohl-dampf in der Schule schieben musste, weil er nicht an sein Pausenbrot gedacht hatte, funktioniert auch dieser Bereich. Mehr Verantwortung übertragen! Dieses Beispiel zeigt: Wenn Kinder in einer Eltern-Kind-Beziehung gut aufge-hoben sind und der Verantwortungsbe-reich alters- und entwicklungsgemäß ist, kann man dem Nachwuchs durchaus eine Menge zutrauen. Das erfordert natürlich auch seitens der Eltern Mut und Vertrau-en. Wenn unser Experiment nicht ge-klappt hätte, hätten wir ja immer noch nach einer anderen Möglichkeit suchen können, gibt die Mutter zu bedenken. Auch ein anderes Elternpaar hat sei-nem Jüngsten viel Verantwortung über-tragen, um den Morgenstress zu entzer-ren. Der Fünfjährige wurde nicht mehr je-den Morgen zu den unmöglichsten Zeiten in den Kindergarten gefahren. Statt des-sen fuhr er zusammen mit den Geschwis-terkindern mit dem Schulbus in das Nach-bardorf, wo auch der Kindergarten war. Andere Eltern waren anfänglich entsetzt, was da alles passieren kan... Aber als sie merkten, dass diese Sache reibungslos klappte und die eigenen Kinder die glei-che Selbständigkeit einforderten, fing das Beispiel an, Schule zu machen. Und seit-dem ist es ganz normal in der dörflichen Umgebung, dass einige Kindergartenkin-der den Schulbus benutzen.

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