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„Der Hof tut ihnen gut“

Lesezeit: 5 Minuten

Menschen mit Demenz blühen auf dem Bauernhof auf und können verloren geglaubte Ressourcen mobilisieren. Die Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein hat ein Betreuungsangebot entwickelt.


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Fünf Paar ältere Hände halten einer Ziege Pellets hin, die sie verzückt verschlingt. „Wo sind wir hier“, fragt einer der Herren – und das zum sechsten Mal an diesem Nachmittag. Die Antwort kann er sich partout nicht merken. Er ist an Demenz erkrankt, wie die anderen vier Senioren auch. Auf dem Hof von Urte Meves im schleswig-holsteinischen Eddelak (siehe Reportage, Seite 124) erscheinen die älteren Herrschaften agiler, gesprächiger und fröhlicher als sonst. Dieser Ort tut ihnen gut. Er lässt sie aufblühen und mobilisiert ungeahnte Ressourcen.


Dass der Bauernhof eine positive Wirkung auf Demenz-Erkrankte ausüben kann, ist schon länger bekannt. 2015 tat sich Heiderose Schiller von der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, die 10 Jahre zuvor bereits das Konzept der Bauernhofpädagogik für Kinder etabliert hatte, mit dem Kompetenzzentrum Demenz SH zusammen. Gemeinsam stellten sie das Projekt „Bauernhöfe für Menschen mit Demenz“ auf die Beine.


Ziel war es, die Versorgungslücken für Betroffene im ländlichen Raum zu schließen und ihre pflegenden Angehörigen durch Betreuungs- und Entlastungsangebote à zwei bis drei Stunden zu unterstützen. Landwirtsfamilien sollten dadurch die Möglichkeit erhalten, das Einkommen des Betriebs um eine weitere Quelle zu ergänzen.


In vier Jahren hat sich viel getan: „Aktuell gibt es in Schleswig-Holstein 16 Höfe, auf denen Demenz-Erkrankte betreut werden. Ihre Angebote sind nach §45c SGB XI und der Alltagsförderungsverordnung anerkannt“, berichtet Schiller. Pro Stunde und Gast verdienen die Bäuerinnen und Bauern zwischen 10 und 17 Euro. Ihre Besucher können sich bis zu 125 Euro als Betreuungs- und Entlastungsleistungen von der Pflegekasse rückerstatten lassen.


Die Agraringenieurin und Krankenschwester Maria Nielsen konnte als Fachberaterin gewonnen werden. Sie vernetzt die Landwirtschaft mit dem Gesundheitswesen und berät interessierte Höfe.


Demenzrate steigt


Etwa 1,7 Millionen Menschen sind in Deutschland derzeit an einer Demenz erkrankt. Berechnungen zufolge wird sich diese Zahl bis 2050 auf ca. 3 Millionen erhöhen. Der Grund: „Steigen die Lebenserwartung und das Durchschnittsalter, erhöht sich auch die Demenzrate. Denn das Risiko zu erkranken ist altersabhängig“, erklärt Susanna Saxl von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.


„Demenz“ – dieser Begriff stammt aus dem Lateinischen und bedeutet wörtlich übersetzt „weg vom Geist“. Er nimmt das wesentliche Merkmal dieser Krankheit vorweg: Betroffene müssen eine Verschlechterung bis hin zum Verlust der geistigen Fähigkeiten durchleben. Einzig die Erlebnisfähigkeit und das Gefühlsleben bleiben ihnen erhalten. „Die Krankheit verläuft schleichend und von Mensch zu Mensch verschieden“, fügt Saxl hinzu.


Grundsätzlich differenziert man zwischen primären und sekundären Formen von Demenz. Erstere sind in der Regel irreversibel, also unumkehrbar. Ein Beispiel: Bei Alzheimer-Patienten kommt es im Gehirn zu einem Absterben von Nervenzellen und der Zerstörung ihrer Verbindungen. „Von den ersten Symptomen bis zum Tod dauert es je nach Diagnosestellung zwischen drei und zehn Jahre“, so das Bundesgesundheitsministerium. Sekundäre Formen der Demenz dagegen sind Folgeerscheinungen anderer Grunderkrankungen im Körper. Sie lassen sich behandeln, teilweise sogar heilen, machen aber nur zehn Prozent aller Krankheitsfälle aus.


Weil es für die Mehrzahl der Demenz-Erkrankungen eben keine Therapie gibt, ist man bestrebt, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Unabhängig von der medikamentösen Behandlung diverser Begleitsymptome wie Angst und Schlafstörungen gilt es daher, Erinnerungen gezielt zu wecken, verbliebene Fähigkeiten zu trainieren und das Selbstwertgefühl zu stärken. Fachleute sagen dazu „aktivieren“.


Betreuung auf dem Hof


Um Menschen mit Demenz zu fördern, ist der Bauernhof geradezu prädestiniert. Maria Nielsen erklärt: „Unter den Demenz-Erkrankten gibt es gegenwärtig viele, die in ihrer Kindheit intensiven Kontakt mit der Landwirtschaft hatten. Hier werden Erlebnisse aus der Jugend wach.“ Mehr noch: Den Hof können die Betroffenen mit allen Sinnen erfahren, wenn sie die Tiere beobachten und streicheln, Stallmist riechen oder das Motorengeräusch des Treckers hören. Außerdem können sie hier mitmachen, den Kühen Futter anschieben oder Hochbeete bepflanzen, und sich wieder kompetent fühlen. „Das ist viel wert“, sagt Nielsen.


Die Bäuerinnen und Bauern selbst gehen ganz pragmatisch an den Umgang mit Demenz-Erkrankten heran. Man merkt, dass sie sich zu dieser Aufgabe berufen fühlen und entsprechend geschult worden sind: „Einfach machen, nicht zerdenken“, lautet etwa die Devise von Urte Meves. „Fängt einer meiner Besucher plötzlich an zu schimpfen, dann versuche ich, ihn aus der Situation rauszuholen, ihn abzulenken. Dafür hole ich meist ein Tier zum Kuscheln aus dem Stall.“


Abel Reimer-Ibs aus dem schleswig-holsteinischen Groß Rheide (siehe Reportage, Seite 125) ist überzeugt: „Ganz egal, was der Demente sagt, ob es richtig ist oder falsch, er bekommt immer Recht. Er muss nicht mehr belehrt werden, nichts mehr beweisen, nichts mehr erreichen. Es geht nur darum, dass er die Zeit auf dem Hof schön findet.“


Die Rahmenbedingungen der Betreuung stellen die Landwirtsfamilien jedoch bisweilen vor Herausforderungen: Weil „Demenz“ häufig ein Tabuthema für die Angehörigen zu sein scheint, erweist es sich als schwierig, häuslich gepflegte Personen für die Betreuung zu finden. Auch die Anreise zum Hof ist oftmals problematisch.


Um die Angebote lukrativer zu gestalten, hat die LWK SH für das kommende Jahr einen neuen, umfassenderen Lehrgang konzipiert: „Green Care“ soll Bäuerinnen dazu befähigen, zusätzlich Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen zu betreuen.


melanie.suttarp@topagrar.com

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