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Aus dem Heft

Wie soll es weitergehen?

Liebe Leserinnen, liebe Leser, hier finden Sie die Briefe und E-Mails, die uns zum Thema Milchkrise erreichten. Danke an alle Einsender und Autoren. Wenn auch Sie uns Ihre Situation schildern möchten, bitte mailen Sie uns: landleben@topagrar.com.

Lesezeit: 23 Minuten

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

hier finden Sie die Briefe und E-Mails, die uns zum Thema Milchkrise erreichten.

Danke an alle Einsender und Autoren.

Wenn auch Sie uns Ihre Situation schildern möchten, bitte mailen Sie uns: landleben@topagrar.com.

Ihre top agrar-Redaktion, Ressort Landleben

 

 

Katja Mertens, 19,

Abiturientin, Würselen bei Aachen:

Seit ich denken kann, ist mein Berufswunsch klar: Landwirtin! Ich will den Milchvieh- und Ackerbaubetrieb meiner Eltern übernehmen. Doch jetzt, in der Milchkrise, bewegt sich alles auf sehr dünnem Eis.

Für mich steht eine schwierige Entscheidung an: Ausbildung oder Studium? Landwirtschaft – oder sicherheitshalber doch lieber eine andere Ausrichtung? Wochen und Monate habe ich hin- und herüberlegt. Zurzeit gehe ich davon aus, dass ich im Oktober ein BWL-Studium beginne und danach eine landwirtschaftliche Ausbildung mache. So halte ich mir möglichst viele Wege offen.

Ich bin mir sicher, dass unser Betrieb auf Dauer nicht im Haupterwerb zu führen ist. Leider. Wir bewirtschaften 75 ha Ackerbau und haben 35 Milchkühe inkl. Nachzucht. Ich werde mich darauf einstellen müssen, nach dem Studium einem Beruf nachzugehen und meinen Betrieb zuhause im Nebenerwerb zu führen.

Von allen Seiten, sogar von guten Freunden, höre ich: „Schaff die Kühe ab, dir geht’s dann besser. Tu Dir selbst den Gefallen!“. Ich frage mich: Soll ich denn alles, das die letzten 19 Jahre für mich zählte, einfach so aufgeben, weil es gerade schwierig ist? Ich weiß nicht, ob und wann es besser wird, aber Aufgeben ist die letzte Möglichkeit.

Ich habe wenige Menschen um mich herum, die mich wirklich unterstüzten. Ein Lichtblick für mich ist, zur Beruhigung aus dem Fenster zu gucken und meine Kühe beim Grasen zu beobachten. Das hilft zwar nicht auf die Dauer, aber wenigstens für den Moment.

Ich frage mich oft, wie meine Zukunft aussehen wird. Haben wir in zehn Jahren noch Kühe? Wie sieht es privat aus? Hab ich überhaupt die Möglichkeit auf eine Familie, wenn ich morgens arbeiten gehe und danach meinen Betrieb manage?

Was passiert, wenn sich die finanzielle Lage weiter verschärft? Tausende Fragen, keine Antworten.

Hätte ich nicht die Unterstützung von meinem Freund und meinem Vater, sähe es jetzt wahrscheinlich schon dunkel aus. Es ist nicht nur die Arbeit draußen, sondern auch die Bürokratie drinnen, welche die komplette Familie belastet. Anstatt einfacher wird alles nur schwieriger.

Als größte Bedrohung sehe ich den derzeitigen Milchpreis. Zum Glück haben wir keinen neuen Stall gebaut! Morgens und abends wären es dann zwar keine vier Stunden Stallarbeit mehr, aber ob es unsere Kühe dann noch gäbe, ist fraglich. Wahrscheinlich nicht.

Morgens aufstehen und Angst vor dem Blick aufs Konto zu haben – das ist nicht meine Lebensphilosophie, aber leider Realität. In Zukunft wird es vermutlich aber auch bei uns so kommen, dass wir neue Möglichkeiten schaffen werden. Ob in Form von Direktvermarktung zum Beispiel. Es muss sich etwas ändern!

Wenn ich an meinen Abiturjahrgang denke, und sehe wie alle ihre schulfreie Zeit genießen und billige Milchshakes am Strand von Dubai trinken, dann frage ich mich wirklich, was ich verkehrt mache, wenn ich mich dafür verantwortlich fühle, eine Gesellschaft zu ernähren. Eine Gesellschaft von teils sehr schwierigen Menschen. Manchmal bin ich skeptisch und frage mich wirklich, wie es ist, keine Kühe mehr zu haben. Doch mitten im Satz denke ich dann: Blödsinn! Und gucke wieder nach vorne.

Auch für meinen Vater ist die Situation belastend, sein Lebenswerk droht zu scheitern. Das, womit und wofür er seine ganze Lebenszeit verwendet hat, muss jetzt eine schwierige Zeit überstehen oder aufgegeben werden.

Ich denke, wenn alle zusammenhalten, ist diese Phase zu überstehen. Und dabei lasse ich mich gar nicht ein – auf den Gedanken von einem Leben ohne Milchvieh.

 

 

Anonyme Absenderin:

Vor mittlerweile 20 Jahren habe ich auf diesen Milchviehbetrieb eingeheiratet. Ich habe vorher im öffentlichen Dienst gearbeitet – dann für 12 Jahre pausiert, um mich um unsere zwei Kinder und die Weiterentwicklung des Betriebes zu kümmern.

Wir haben kräftig investiert und auf 250 Kühe aufgestockt.

Meine Stelle im öffentlichen Dienst habe ich kürzlich gekündigt, da sich Wochenenddienst, Nachtschicht und Überstunden nicht mehr mit den Abläufen auf dem Hof vertrugen. Zudem merkte ich, dass die Belastung, arbeitsmäßig und psychisch, meinen Mann immer mehr angriff. Bei mir kamen Ängste auf, dass mein Mann plötzlich ausfallen könnte. Diese Sorgen habe ich weiterhin. Hinzu kommt der finanzielle Druck und das ohnmächtige Gefühl, weitermachen zu müssen.

Momentan hat man wenig Lust, Freunde einzuladen oder auszugehen. Man teilt sich seine Kräfte ein und versucht, in der Freizeit aufzutanken.

Ich persönlich hätte es niemals für möglich gehalten, dass wir in eine derart schwierige Situation geraten würden. Auch mich trifft es tief, wenn ich sehe, wie unsere Milchprodukte im Supermarkt verschleudert werden. Aber die Krise bewirkt auch, dass man sich Gedanken macht – über seine Mitmenschen, unsere Berufsvertretung, den Weltmarkt, die großen Konzerne. Wir machen weiter und hoffen...

 

 

Benjamin Sinn, 27,

Landwirt und Winzer aus Pfedelbach, Hohelohekreis, Baden-Württenberg:

Angst, Verzweiflung, Depression: Sie sind momentan ein großes Thema bei uns Landwirten und bei uns in der Landjugend. Wir haben alle Angst vor der Zukunft und Verzweifeln in der Gegenwart an Aufgaben, die bald unbezwingbar scheinen.

Der Milchpreis ist im Keller. Klar, dass darüber viel diskutiert wird. „Zu viel Menge“ und „zu billig“ sind da nun mal die Schlagworte.

Nun kann ich Euch genau sagen wie die Situation auf den Höfen ist: Die Verzweiflung macht sich in allen Situationen breit! Wir müssen Kosten senken. Alles was uns einfällt, wird eingespart. Überall wird geschraubt, damit wir das Nötigste bezahlen können, die Tiere satt kriegen und alle versorgt sind. Für einen selber bleibt da herzlich wenig über!

Habt Ihr selbst schon mal Geld mit zur Arbeit genommen? Genauso fühlen wir uns nun mal. Die Zukunftsplanung ist momentan eingestampft. Man lebt nur noch so, dass man hofft, das nächste Jahr noch als Betrieb erleben zu können.

Wir wollen kein Mitleid! Das Einzige was uns fehlt, ist die Akzeptanz! Wir kämpfen momentan, damit die Familie zusammenhält und eine wirklich schwere Zeit übersteht. Und dann hört man aus Funk und Fernsehen wieder Schlagzeilen wie "Landwirte sind Umweltverschmutzer, Landwirte sind Tierquäler!" Was glaubt Ihr denn eigentlich, warum wir von morgens bis abends, von 6 bis 20 Uhr, in den Ställen stehen und auf den Feldern arbeiten? Doch wohl nicht, um der Bevölkerung zu schaden!

Wir sind doch schließlich auch nur Menschen. Hinter so einem Betrieb steht eine ganz normale Familie. Eine Familie, die sich wünscht, den Betrieb der Ur-Ur-Urgroßeltern weiterführen zu können! Wir machen unsere Arbeit mit Liebe und Leidenschaft!

Wenn man sich für die Landwirtschaft einsetzt (bin in der Landjugend aktiv, zurzeit Vorsitzender der Kreislandjugend Hohenlohe) und dann deswegen runtergemacht wird, weil es eine Gemeinschaft gibt, die uns wohl für die schlechtesten Menschen der Welt halten, ist das schwer zu verstehen und zu verkraften. Jeder hat seine eigene Meinung! Jeder sollte sich allerdings erst einmal ein Bild zu seiner Meinung machen und sich damit beschäftigen, bevor er ein großes Mundwerk hat und gegen alles wettert, das uns Landwirte betrifft!

Die Landwirtschaft kommt uns momentan vor wie ein sinkendes Schiff. Jeden Tag werden Hoftore geschlossen, der Strukturwandel setzt sich fort bis kein Vollerwerbslandwirt im Dorfe übrig bleibt. Langsam aber sicher geht ein ganzer Berufszweig zugrunde. Wir machen unsere Arbeit doch für die Bevölkerung! Für Euch alle!


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Anonym,

Landwirtsfrau, 47:

Wie es uns geht? Beschissen!

Man sollte nicht so harte Worte verwenden, aber leider ist das der zutreffendste Ausdruck für die aktuelle Situation.

Mein Mann und ich sind beide 47 Jahre alt. Wir haben zwei Kinder (18 und 15), dazu den Altenteiler. Wir bewirtschaften einen Betrieb mit 100 Milchkühen. Nur wenige Hektar können wir unser Eigen nennen, wir müssen viel dazupachten.

Eigentlich sind wir ein ganz normaler, kleiner Familienbetrieb, wie ihn der Verbraucher gerne haben möchte. Wir arbeiten von morgens fünf bis abends sieben. Jeden Tag.

Wir sind keine korrupten Menschen, wir machen nichts Böses. Wir versorgen Tiere, Menschen und die Verwaltung. Wir machen Vorstandsarbeit, helfen dem nächsten Nachbarn und versuchen, unser Leben – so gut es geht – zu gestalten.

Ach ja, und das allein, da unsere Kinder sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, mitzuhelfen und wir keine Fremdarbeitskräfte haben.

Wo hört die Wut auf und wann fängt die Sprachlosigkeit an?

Wir werden krank an dieser Situation. Keine Entlohnung für harte Arbeit, kein Urlaub, kein Wochenende, kein Geld für eine Urlaubsvertretung, keine spontanen Geschenke. Dafür aber spontane Besuche des Gerichtsvollziehers oder spontane Anrufe der Geschäftspartner („Wo bleibt denn das Geld?“).

Worauf können wir uns denn verlassen? Wo sind denn unsere Vertreter, die sich auf der Grünen Woche immer so nett präsentieren?

Leider, leider müssen wir noch viele Jahre arbeiten. Und dann bekommen wir eine Rente, von der wir nicht wissen, ob wir damit später überhaupt leben können.

Wir wollen unseren Kindern im Alter nicht zur Last fallen und daraus weitere Schwierigkeiten entstehen lassen. Einen Generationskonflikt zum Beispiel, der parallel zur finanziellen Not auch noch einmal verschärft auftritt.

Viele Baustellen und keine Bauarbeiter.

Also, wie es uns geht? Beschissen.

 

 

Anonym,

Landwirtsfrau, Ende 40:

Ich finde es sehr schade, dass die Außenwelt die Problematik der momentanen Situation in der Landwirtschaft ignoriert. Sehr schade ist auch, dass nur die Top-Agrar-Abonnenten diese Berichte lesen.

Auch ich leide unter der Situation und unser Leben verändert sich dadurch. Unser Sohn beendet in zwei Wochen die Realschule und wollte mit vollem Elan in eine landwirtschaftliche Lehre starten.

Aufgrund der aktuellen Situation möchte mein Mann dies überhaupt nicht mehr und unser Sohn wird jetzt – auf Drängen seiner Eltern – eine Ausbildung im Handwerk beginnen. Vielleicht geht es in der Landwirtschaft später wieder einmal aufwärts.

Wir bewirtschaften einen Milchviehbetrieb mit 100 Kühen, inkl. Nachzucht, und 100 ha Acker- und Grünland. Wir haben keine Fremdarbeitskräfte, mein Mann, mein Sohn und ich stemmen das allein. Wir haben zudem eine erwachsene Tochter, die ihr Geld mittlerweile selbstständig verdient. Ich arbeite in Teilzeit bei der Bank, seit knapp 30 Jahren. Mein Traum vom eigenen Hofcafé kann ich jetzt auf Eis legen. Unsere Ersparnisse sind komplett aufgebraucht und einen neuen Kredit wollen wir nicht aufnehmen. Ich gehe weiterhin arbeiten und werde meinen Traum nicht erfüllen können. Mein Sohn ist auch nicht sehr zufrieden, weil er durch und durch ein Bauer ist und werden will.

Ich mache mit täglich Sorgen, wie es weitergehen soll. Auch meinen Mann beschäftigt die Sitatuation sehr. Leider reagiert niemand großartig auf die Sorgen der Landwirte. Könnte ich einen Brief an Frau Merkel schreiben, ich würde es sofort tun. Damit sie sich unsere Situation vorstellen kann.

 

 

Georg Haller,

Landwirt, Aschheim bei München:

Ich möchte den Fokus auf den Aspekt legen: „Mir wird unterstellt, ich hätte Spaß am Tierequälen“. Dies legt ein Problem offen, das man zwar nicht in Euro ausdrücken kann, wie etwa den Preisverfall unserer Produkte. Aber man sollte es genauso ernst nehmen.

Bauern-Bashing, unsachliche, mediale Hetze, Diffamierungen durch NGOs, bis hin zu Sachbeschädigung und Einbruch in Stallungen: All das zermürbt und hinterlässt immer mehr ein Gefühl der Ohnmacht.

Was unsere sogenannte „seriösen Medien“ auf diesem Gebiet in den letzten Jahren veranstalten, spottet langsam jeder Beschreibung. Journalisten, die keine Gelegenheit auslassen, politische Populisten zu brandmarken, arbeiten mit exakt den gleichen Methoden gegen die Landwirtschaft. Für sehr komplexe Probleme werden einfache Lösungen angeboten. Zum Beispiel: Artensterben = industrielle Landwirtschaft, Klimaveränderung = Rindermast, Flutkatastrophen = Maisanbau, Antibiotika = Resistenz = industrielle Tiermast, Welthunger = zu billiges Getreide. Oder – je nach Bedarf – Welthunger = zu hohe Getreidepreise.

Ansonsten quälen wir, nach Auffassung der Medien, noch unsere Tiere, verseuchen die Böden, vergiften das Trinkwasser und zu allem Überfluss erhalten wir dafür auch noch Subventionen in Milliardenhöhe.

Es wird meiner Ansicht nach Zeit, aufzustehen und Farbe zu bekennen. Unsere Verbände sind dabei keine große Hilfe. Zu oft neigen sie dazu, jedem Stöckchen nachzulaufen, das ihnen von den Hofreiters, Weigers oder anderer Stimmungsmacher hingeworfen wird.

Die deutsche Landwirtschaft braucht Profis – Profis für Öffentlichkeitsarbeit und Imagepflege. Wir müssen ideologischen Kampfbegriffen wie Massentierhaltung und Vermaisung positive emotionale Begriffe und Bilder entgegensetzen. Und nicht mit unserem 120.000-Euro-Schlepper zur Demo fahren, um den Staat anzubetteln. Wir sind schließlich Unternehmer, keine Arbeitnehmer.

Ordentliche Öffentlichkeitsarbeit kostet Geld. Dazu sollten wir bereit sein.

 

 

Marco Petersen, 26,

angestellter Landwirt, Wulfsen bei Hamburg:

Ich bin gelernter Landwirt und Angestellter auf einem familiengeführten Vollerwerbsbetrieb. „Unser“ Betrieb bewirtschaftet 150 ha LN und ist breit aufgestellt (Kartoffelanbau, Getreide, Saatvermehrung, Zuckerrübenanbau, extensive Rinderhaltung, Schweinemast und Lohnarbeiten.) Wir arbeiten mit 2,5 AK.

Ich bin 26 und seit meinem 15. Lebensjahr beinahe täglich in der Landwirtschaft tätig.

„Prügelknecht der Nation“ – so möchte ich die Landwirte im Allgemeinen nennen. Denn so fühlen wir uns. Aus Erzählungen hört man, dass früher ein Landwirt gegrüßt wurde, wenn er sonntags mit seinem Traktor durch die Feldmark fuhr, um seine Ernte einzufahren oder um die Pflanzen mit Nährstoffen zu versorgen, da sich Regen ankündigte. Nachbarn brachten Kaffee und Kuchen auf das Feld und hielten einen „Klönschnack“ mit den Landwirten oder halfen aus, wenn das Heu geerntet werden musste. Es gibt viele solcher Erzählungen und sie lassen auf eine „gute alte Zeit“ schließen.

Heute vermisst man ein solches Verhalten der Mitbürger nahezu gänzlich. Fährt man am Wochenende mit dem Traktor durch die Feldmark, wird man von auf dem Weg oder am Feldrand stehenden Personen schief angeguckt, oftmals wird der Vogel gezeigt oder man wird von Sportradfahrern beschimpft oder gar an der Weiterfahrt gehindert. Bauer ist kein Berufsstand mehr, der Begriff „Bauer“ wird von vielen als herablassendes Beiwort oder als Beleidigung gesehen.

Es wird immer über die industrielle Landwirtschaft, Umweltverschmutzung, Marktbereinigung usw. debattiert. Doch selten bzw. nie wird über die Menschen, die dahinter stehen, gesprochen. Der größte Teil der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland wird traditionell durch Familienhand geführt, und das seit Generationen.

Als ich vor kurzem einen Artikel über die gesetzliche Arbeitszeitenregelung gelesen habe, musste ich kurz lachen, doch verstummte schnell. Eine 45-Stunden-Woche liegt jenseits jeglicher Realität, da werden mir viele zustimmen können. In einem mittelgroßen landwirtschaftlichen Betrieb, mit zwei Arbeitskräften und breit aufgestelltem Aufgabengebiet, ist es nicht möglich gesetzlich konform, in Bezug auf die Arbeitszeit, zu arbeiten. Natürlich gibt es auch ruhigere Phasen, in denen durchaus weniger Stunden anfallen, doch aus unterschiedlichen Gründen ist dies selten der Fall.

Es gibt für einen Landwirt keinen Feierabend, denn die Gedanken sind jederzeit bei dem Betrieb. Es war einst heroisch, wenn man angeben konnte, was für ein Arbeitstier man ist, wenn die Woche wieder 80 Stunden hatte. Doch wem hat das genützt? Dem Betrieb, der Familie, dem eigenen Ego? Vielleicht dem betrieblichen Erfolg, denn ohne Fleiß kommt man nicht zum Erfolg – doch das war es dann schon.

Will ich es so? Das sollten wir uns fragen. Will ich einen erfolgreichen Betrieb führen, aber zugleich in einer angespannten familiären Lage leben? Nein!

Wir wollen erfolgreich sein, doch der Erfolg bezieht sich nicht nur auf den Betrieb. Ein intaktes Privatleben ist der richtige Weg zum Erfolg. Ohne Rückhalt in der Familie, ohne den Ausgleich durch Hobbies und Urlaub, wird man betriebsblind und verliert oft den Blick für das Wesentliche. Wir Landwirte müssen wegkommen von dem Weg „wir leben um zu arbeiten“, wir müssen „arbeiten um zu leben“.

Ich bin Angestellter, ohne eigenen Hof. Auf einem Betrieb ist es von äußerster Wichtigkeit, dass sich auch ein Mitarbeiter mit dem Betrieb identifizieren kann und stolz auf seine Arbeit ist. Zum Gesamterfolg des Betriebes zählt auch, dass diese Mitarbeiter sich Gedanken machen um die Zukunft des Betriebes und natürlich die eigene, mit dem Wissen, einen großen Beitrag dafür zu leisten, dass der Betrieb auch in folgenden Generationen in Familienhand geführt werden kann.

Die schlechte wirtschaftliche Lage des Betriebes geht nicht nur dem Inhaber an die Substanz. Natürlich machen sich, vor allem in Betrieben mit nur wenigen Mitarbeitern, die Angestellten sorgen um die Zukunft. Denn oft sind diese Teil der Familie und durchleben alle Höhen und Tiefen.

Ich habe mit vielen Angestellten Landwirten gesprochen und die meisten teilen meine Ansicht.

Doch wie gehen Mitarbeiter damit um? Ist es denen egal, weil sie ja nicht die Kapitallast und Verantwortung zu tragen haben? Dass kann ich ganz klar verneinen. Denn wie ich bereits erwähnte, sind viele Mitarbeiter ein Teil der Familie und fühlen sich auch als diesen.

Ich wache morgens auf und mache mir gleich von Beginn an Gedanken.

Doch auf eine Frage habe ich jederzeit eine Antwort. Werde ich den Beruf wechseln? Nein! Es erfüllt mich mit Stolz, wertvolle und gesunde Nahrungsmittel zu produzieren. Auch wenn alle Umstände dagegen sprechen, den Beruf eines Landwirtes auszuüben, mache ich dies aus Überzeugung.

Es ist für uns umso wichtiger, alle Mitmenschen über unsere Arbeit aufzuklären und die Pflicht eines jeden Bürgers, anstatt auf die Landwirtschaft zu schimpfen, das Gespräch mit den Landwirten zu suchen, bevor geurteilt wird. Dann kommen wir vielleicht irgendwann auf die „guten alten Zeiten“ zurück und unterhalten uns, bei einem Kaffee auf dem Feld mit einem Verbraucher über das Leben – und die guten alten Zeiten.

 

 

Mandy Bölck, 25,

Landwirtsfrau, Schmalfeld bei Kaltenkirchen, Schleswig-Holstein:

Was zählt heute noch? Ich bin Mandy Bölck, verheiratet und zweifache Mutter.

2010 beendete ich meine Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin. Ich selbst komme nicht aus der Landwirtschaft, liebe aber unser wunderschönes Leben auf dem Hof.

Doch im Moment ist es eine krisenreiche Zeit.

Wir stehen täglich um fünf Uhr auf und fragen uns jeden Morgen: Was passiert in der nächsten Zeit oder am nächsten Tag? Stehen bald keine Tiere mehr im Stall oder erholen sich endlich die Milch- und Fleischpreise? Wann geht es wieder bergauf? Quälende Fragen – tagein und tagaus. Aber wir machen weiter, weil wir das Landleben so lieben.

Wir führen ein Betrieb mit 150 Milchkühen und Nachzucht in vierter Generation. Mein Mann, meine Schwiegereltern und ich sind mit Leib und Seele dabei. Ich kann nur immer wieder beteuern: „Wir lieben es mit unseren Tieren zu arbeiten und zu leben.“ Ich frage mich jedoch: Wieso denken so viele Leute, dass Landwirtschaft nur Tierquälerei sei, oder dass die Landwirte nur über die Felder fahren, um alles voll zu stinken? Aus Langeweile? Weil man die Dorfbewohner belästigen und stören will?

Vielen Menschen ist einfach nicht klar, dass wir Landwirte nur das Beste für unsere Tiere möchten und alles für unsere Tiere tun, auch nach Feierabend. Viele Verbraucher wollen am besten kein Geld ausgeben und unsere Produkte günstig kaufen.

Da kommt die nächste Frage bei mir auf: Wie kann ein Lebensmittel, z.B. Milch, günstig sein und das Tier dennoch ein glückliches, komfortables Leben führen? Selbstverständlich gilt bei uns das Motto „Nur gesunde und zufriedene Tiere geben auch Milch“ – und so sehen das bestimmt auch viele andere landwirtschaftliche Betriebsleiter.

Um den Betrieb zu entlasten, habe ich mir selbst ein kleines Standbein geschaffen. Ich ziehe je sechzehn Schweine auf, die ich auf Stroh halte. Ohne Gentechnik und ohne Antibiotika, damit die Tiere glücklich und zufrieden groß werden und ich mit einem reinen Gewissen leben kann. Kein langer Anfahrtsweg zur Schlachterei und ganz wichtig: Für meine Schweine gibt es keinen Stress. Und nun frag ich mich: „Wo ist da die Tierquälerei?“ Es ist zu jeder Zeit so gewesen, dass Menschen Fleisch essen und Milch trinken. Dazu müssen die Tiere aufgezogen werden und dabei führen sie auf unserem Hof ein glückliches Leben.

Doch immer wieder rückt das Thema in den Vordergrund: Werden sich die Milch- und Fleischpreise erholen? Oder bleibt es so?

Ändert sich die Situation nicht, werden viele landwirtschaftliche Betriebe aufgeben müssen, was ich persönlich sehr traurig finde. Alles, das seit Jahrhunderten von Jahren mit Liebe, viel Arbeit, Fleiß und Freude aufgebaut wurde, ist dann weg.

Und was dann? Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass Außenstehende es auch wieder besser wissen und sagen werden: „Die Landwirte sind doch selbst Schuld daran. Sie hätten...“ Aber wie es wirklich bei uns aussieht, das möchten sie einfach nicht sehen.

 

 

Gabriele Geppert,

Landwirtsfrau, Rhauderfehn bei Leer/Ostfriesland:

Ich bin Bäuerin. Bin ich wirklich Bäuerin? Wie fühle ich mich eigentlich?

Es gab Zeiten, da fühlte ich mich wirklich so. Als Teil der Jahreszeiten, als Teil des Jahreskreises der Saat, des Wachsens und Reifens, der Ernte, des Winters mit seiner Andersartigkeit des Verlagerns der Arbeit vonaußen nach innen. Als Teil des Geborenwerdens, des Wachsens und des Sterbens im Stall. Ein selbstverständlicher Teil dieser realen Welt in der Landwirtschaft, mit der immer weniger Menschen zu tun haben.

Gottes Verheißung, die er Noah in 1. Mose 8,22 gab, dass „niemals Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht aufhören wird“, war mir bisher jedes Jahr gegenwärtig. Erfüllte mich mit Hoffnung und Freude. Denn immer wieder gab und gibt es Zeiten, wo es zu wenig Regen gibt, zu viel, es im Frühjahr zu kalt ist, im Verlauf des Jahres zu trocken, zu nass oder zu heiß. Die Erfüllung dieser Zusage Gottes immer wieder zu erleben, ist schön.

War schön. Im Moment ist die Arbeit nur eine Qual. Aussaat und Wachsen, das Geborenwerden von Kälbern im Stall, die Melkarbeit, die ich oft als erholsam erlebte, ist nun ein Erleben, das nur so vorbeizieht. Mit wenigen Emotionen.

Mein Mann und ich werden die letzten in unseren Familien sein, die Bauern waren und sind. Ich weiß nicht, wie viele Generationen aus unseren Familien wirklich von und mit der Landwirtschaft gelebt haben. Wir werden diese Tradition beenden. Werden die Stalltüren schließen und das Land nicht mehr selber bebauen und abernten.

Unser Sohn ist 15 und damit noch sehr jung, um eigene Berufswahl zu treffen. Wir werden ihm die Frage: „Landwirtschaft oder nicht?“ abnehmen. Könnten wir ihm etwa mit ruhigem Gewissen in der heutigen Zeit dazu raten, den Hof zu übernehmen? Wir sehen es nicht so. In den Generationen davor war dies gar keine Frage.

Nun werden wir in die Knie gezwungen. Von der Überproduktion an Milch seit dem Wegfall der Quote und der Unfähigkeit der Politik und des Bauernverbandes, eine Lösung des Problems herbeizuführen bzw. „das Kind beim Namen zu nennen“.

Das Zuviel an Milch europaweit und der damit verbundene Preisverfall auf teilweise unter 20 Cent pro Liter Milch setzt ein massives Höfesterben in Gang. Und leider auch ein echtes Bauernsterben. Nämlich von Bauern, die ihrem Leben selbst ein Ende setzen, weil sie mit der gegenwärtigen Situation nicht klarkommen.

Vor 14 Tagen hörte ich es im ZDF, zwei Tage später las ich einen Bericht darüber in der „Unabhängigen Bauernstimme“. Mir blutet das Herz und mir fließen die Tränen wegen der Verzweiflung, die auf den Höfen herrscht.

Kapitulationsstimmung.

Dabei herrschte doch Enthusiasmus. „Mit dem Wegfall der Quote könnt ihr endlich produzieren was ihr wollt!“ Es wurde gebaut, was das Zeug hielt. Ställe schossen aus dem Boden und die Kuhzahl wurde aufgestockt. Alles war auf den 1. April 2015 ausgerichtet.

Sah das wirklich keiner – wollte das niemand sehen, dass das nicht funktionieren konnte? Der Abwärtstrend bei den Milchpreisen war doch schon in den letzten Jahren zu sehen, als die zu beliefernde Milchquote jährlich um ca. 1 %erhöht wurde. „Sanften Quotenausstieg“ nannte man das. Und nun der steile Absturz. Und viele sind noch so blind, diesen Zusammenhang nicht zu sehen. Schieben es auf das Russlandembargo und anderes. Und wenn ich den Bundeslandwirtschaftsminister und den Bauernverband höre, die diesen Zusammenhang leugnen, wird mir übel.

„Warum sehen sie nicht, dass an ihnen das Blut der Bauern klebt?“, frage ich mich. Das Blut der Betrogenen und Verzweifelten. Das Herzblut einer ganzen Zunft, die lieber geopfert wird, als Lösungen zu schaffen, damit die bäuerliche Landwirtschaft überleben kann.

Und die Gesellschaft? Ein Aufschrei? Anteilnahme? Wirkliches Interesse?

Im Moment liest man in großen Tageszeitungen viel über das Thema. Hört es auch mal im Radio bzw. Fernsehen. Das freut mich und gibt mir Mut.

Denn ganz viele Menschen haben doch schon den Bezug zur Landwirtschaft verloren, ertränkt in unserem Wohlstand, haben den Blick auf die verloren, die „unser täglich Brot“ erzeugen. Sehen sie oft nur noch als Tierquäler, Luftverpester, Bodenverunreiniger, Subventionsempfänger und Verkehrsstörer an. Sie haben den Blick dafür verloren, was Menschen leisten, die für unser Essen sorgen und damit unser Überleben sichern. Es ist doch alles da! Soviel Überfluss! Kein Mangel! Seit Jahren und Jahrzehnten nicht mehr in Deutschland. Alles andere ist doch weit weg und betrifft uns nicht.

Welche Anerkennung bekomme ich dafür und für meine Arbeit? Ohne Sonn- und Feiertage. 365 Tage im Jahr – ohne gesetzlichen Urlaubsanspruch, kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld, ohne Mindestlohn oder Tarifabschlüsse.

Keine Anerkennung – wenig Respekt. Alles selbstverständlich…

Wir können ja mit billigen Lebensmitteln gut leben und unseren Wohlstand pflegen. Noch ein Urlaub, noch dieses und jenes kaufen. Was kümmert es mich. Ich kann (oder will) doch eh nichts ändern.

Die Deutschen geben in Europa am meisten Geld für ihre Kücheneinrichtung aus, aber am wenigsten für ihre Lebensmittel. Das ist nur ein Beispiel für unser Denken. Hauptsache nach außen kann ich punkten. Was ich mir selber zuführe, sieht eh keiner.

Anerkennung? Ja, einmal bekam ich die. Letztes Jahr zum Erntedankfest. Wir waren zu Gast in einer anderen Kirchengemeinde. Dort wurde richtig gefeiert. Der Altar war schön geschmückt mit Erntekrone und Erntegaben. Der Pastor ließ alle Landwirte aufstehen, damit die übrigen Besucher sehen konnten, wer ihr „täglich Brot“ erzeugt. Für unsere Arbeit gab es Beifall. Es wurde ein Interview mit einem Landwirt geführt und in der Predigt ging es auch um die Landwirte und ihre Familien. Am Schluss wurden wir Landwirte gesegnet. Das hatte ich noch nie in dieser Form erlebt.

Gestärkt und gesegnet – berührt und ermutigt. Davon zehre ich heute noch. Diese echte Wertschätzung der Bauern, hatte ich in den Jahren zuvor am Erntedankfest noch nicht erfahren.

Durch die Krisenzeit, die wir jetzt als Milchbauern erleben, trägt mich persönlich nur mein Glaube. Ich weiß, dass Jesus mein Versorger ist, mein Trost in schwierigen Zeiten und das er unsere Zukunft kennt und für unser Morgen sorgt.

 

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