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„Ich bin der Gerhard, Du kannst mich duzen!“

Lesezeit: 6 Minuten

Freigeist, Protestler, Weltreisender: Von einem rheinland-pfälzischen Landwirt, der schwarze Tomaten und Urmöhren anbaut. Der auf CETA-Demos gekochte Kartoffeln verschenkt und in Kigali, Ruanda, im Knast saß.


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Nee, gelernt hab ich das nicht. Das hab ich mir abgeguckt“, sagt der Mann, den ich nicht siezen darf. Er langt in einen Kübel, der randvoll mit schwerem, feuchtem Lehm vom hofeigenen Acker befüllt ist. Aufgereiht daneben stehen mehrere Eimer mit verschieden farbigem Sand. Er bedient sich an dem Rohstoff mit gelbem Farbton und verknetet Lehm und Sand in den kräftigen, schwieligen Handinnenflächen. Die Masse schmatzt und knirscht. „Fertig! Total einfach, oder? Weißt Du, genau so haben die hier schon vor 300 Jahren Häuser gebaut. Hier im Ort und im akfrikanischen Runddorf auch.“


Mit Weitsicht und Tatkraft:

Gerhard schmettert das Lehm-Sand-Gemisch an die Wand und putzt es mit einer Wurzelbürste in die Struktur aus Pfeilern, Balken und gehäckseltem Miscanthus ein. Vor zwei Jahren kam ihm die Idee, ein jahrhundertealtes Haus in seinem Heimatdorf zu kaufen. Jetzt saniert er es vom Gewölbekeller bis in die loft-artige Spitze an der Giebel-Westseite.


Seine Tochter wird mitsamt ihrer eigenen, kleinen Familie hier einziehen. Das Haus ist ihr Erbteil. „Ich will, dass alles geregelt ist. Bei der Hofübergabe sollen sie sich nicht streiten“, sagt der selbst ernannte Baumeister. Sandstein-Rund-bögen, Türzargen, Uralt-Fensterrahmen: All das ersteigert er feierabends bei eBay und bringt es peu à peu in die vorhandene Bausubstanz mit ein.


Gerhard Portz. 64 Jahre jung, 1,78 cm groß. Verheiratet mit der Schwedin Åsa Möllerstedt-Portz (53). Drei Kinder (Samuel, Hannah, Noah), von denen Noah (20) in Kürze den Hof weiterführen wird. Wer ist dieser kernige Charakter mit langem, lockigem, grauem Haar?


So überraschend und – für deutsche Verhältnisse – bemerkenswert offen, wie er sich in der Begegnung zeigt, so erstaunlich und außergewöhnlich ist auch sein Lebenslauf: Gerhard Portz wird als fünftes von zehn Kindern in die Bauernfamilie Portz geboren. Eine historische Wasserburg im 800-Seelen-Ort Bekond, 20 km von Trier entfernt, unweit der luxemburgischen Grenze, ist sein Zuhause. Gerhard – obwohl „immer schon ein bisschen wild“, wie er selbst sagt – durchläuft die klassische landwirtschaftliche Lehre und drückt die Schulbank, um den Abschluss zum Techniker zu machen. Der Plan, als Entwicklungshelfer ins Ausland zu gehen, scheitert, da eine Bonner Organisation ihn mit Anfang 20 für „zu unerfahren“ hält. „Mir war das egal. Ich wollte die Welt sehen und zog alleine los.“


Der Mut führt den jungen Mann auf eigene Faust nach Neuseeland, Mexiko, in die USA, nach Afrika und Indien. Knapp 10 Jahre ist er auf Wanderschaft.


Wenn Gerhard – am Wohnzimmertisch, umrahmt von modernen Möbeln und Malereien – vom damaligen Reisen erzählt, glänzen seine Augen: „In Australien hab ich Apfelsinen gepflückt, in San Francisco auf dem Bau gearbeitet. In Afrika saß ich mit 40 Einheimischen auf ’nem rappeligen Lkw. Da kommen Jäger, werfen ihre Beute in Säcken auf die Ladefläche und die Würmer krabbeln raus. In Ruanda sperrten sie mich ein, Verdacht auf Spionage. In Ecuador schlachtete ich für die Dorfleute einen Stier.“


Afrika, Asien, Bayern:

Erst Mitte der 80er-Jahre endet die Reiserei. Gerhard kommt zurück. Allerdings nicht, um nun gleich sesshaft zu werden. Er „landet“ im chinesischen Quanzhou, arbeitet als Statist und Komparse für die Produktion des Kinofilms „Tai-Pan“. Daraufhin zieht er um – nach München! Gerhard wird Requisiteur in der „Unendlichen Geschichte“, begleitet den ersten Tatort-Dreh mit Ulrike Folkerts und assistiert bei der Verfilmung von „Anna“, dem legendären ZDF-Jugendfilm mit Silvia Seidel (1986).


Währenddessen wird in Gerhards Münchener WG ein Zimmer frei. Åsa, frischgebackene Uni-Absolventin, die aus Stockholm anreist, um beim Auswärtigen Amt zu arbeiten, bezieht das Zimmer – und erobert sein Herz. Wie in eigentlich allen Themen, die die Welt von Gerhard Portz bewegen, ist auch hier rasant viel Dynamik drin: Im Oktober zieht Åsa ein, im Dezember ist Verlobung, im Februar Hochzeit. Und tatsächlich: Sie wechseln den Schauplatz. Die beiden wählen Bekond, Gerhards eher konservativen Heimatort, als Hafen. Nun wendet sich das Blatt: Der Weltenbummler – inzwischen 35 Jahre alt – steigt in den elterlichen Betrieb ein, den bislang sein Bruder Michael führte. Er sitzt auf dem Trecker, baut Weizen und Emmer an, beginnt mit Sonderkulturen und der Direktvermarktung.


Die Kinder kommen zur Welt. Åsa hält die Fäden zusammen. Nur gelegentlich ist Gerhard jetzt „immer mal wieder“ in der Welt unterwegs: um für Misereor die Kleinbauern in Paraguay zu beraten, mit dem Bekonder Sportverein in Marrakesch Berge zu besteigen oder einfach aus der fixen Idee heraus, mit einem Hippie-VW-Bus über den Landweg bis nach Neu-Delhi zu tuckern.


Der Gerhard Portz von heute, Herbst/Winter ’16, ist Landwirt, Häuslebauer und scheinbar genauso leidenschaftlich und abenteuerlustig wie all die Jahrzehnte zuvor. Nicht ohne Grund wachsen mehr als ein Dutzend verschiedene Kartoffelsorten auf seinen Feldern, gedeihen rote, gelbe, violette und gar schwarze Tomaten in seinen Gewächshäusern. Einfalt, Eindimensionalität – das ist nicht der Gerhard.


„Wenn Du Bauer bist, musst Du Dich mit Deinem Boden beschäftigen. So viele Berufskollegen tun das einfach nicht. Die nutzen große Technik und setzen Scheuklappen auf. Das geht nicht“, sagt er. Inbrunst schwingt mit, nicht aber Vorwurf. „Wir haben eine Erde. Eine Sonne. Einen Mond. Damit müssen wir zurechtkommen. Und darum müssen wir uns auch sorgen.“


In der grünen Agrarszene ist Gerhard ein Leuchtturm. Seit den 90er-Jahren sitzt er im Vorstand der Interessengemeinschaft Nachbau und zog für das Landwirteprivileg mit seinen Mitstreitern 2007 bis vor den Europäischen Gerichtshof – mit Erfolg.


Das Themenfeld Züchtung ist Gerhards Steckenpferd. „Wir brauchen Vielfalt! Wir brauchen Saatgut, das unsere Vorfahren entwickelt und geprägt haben. Die Welt wird monoton, wenn alle Macht bei wenigen Konzernen liegt. Das war in der Geschichte immer gefährlich.“


Die Vielfalt bewahren:

Im Hofladen, den die Familie seit über 12 Jahren betreibt, wird Vielfalt denn auch großgeschrieben. Gemüse und Kartoffeln, Äpfel, Kräuter, Säfte – es gibt niemals nur eine Variation. Der Verkaufsraum im früheren Kuhstall strahlt schlicht-schöne Klarheit aus. Ein Bio-Siegel sucht man vergeblich. Einzig das „Keine-Gentechnik-Schild“ dekoriert die schwere Eingangstür aus Eichenholz. „Ich bin kein Öko, aber ich bin auch nicht konventionell. Wenn die Tomaten was haben, behandeln wir sie. Wenn ich krank bin, geh ich ja auch zum Arzt.“


Gerhard ist pragmatisch. Er kombiniert, was für ihn stimmig ist: Striegeln, phosphorige Säure, neueste Salatsorten. Und pragmatisch hält er’s eben auch mit der Anrede: „Redakteurin, hör auf mich zu siezen. Das ist ja schrecklich. Ich duze immer – alle die, die ich mag. Denk mal nach: Sogar im Vaterunser sagen wir ’Du’!“Reingard Bröcker

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