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Jugendlich, dynamisch, chronisch krank

Lesezeit: 6 Minuten

Erwachsenwerden ist nicht leicht. Chronisch kranke Jugendliche haben es doppelt schwer. Wie betroffene Eltern und Kinder damit umgehen, erfahren Sie hier.


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Es ist Freitagabend und jeder im Dorf geht zur Landjugendparty. „Nein, kneifen kommt nicht infrage. Die Medizin schlucke ich einfach morgen früh. Beim Gedanken daran ist mir jetzt schon übel.“ Das könnten die Gedanken eines Jugendlichen sein, der neben der Pubertät auch eine schwere Krankheit bewältigen muss.


Krank sein ist mies. Besonders wenn man weiß, dass die Diagnose ein Leben lang besteht. Die Pubertät macht das Leben da nicht unbedingt leichter. Krankheiten wie Rheuma, Diabetes oder Asthma sieht man nicht. Trotzdem schränken sie ein und machen den Alltag kompliziert. Wenn man beim Sport nicht mitmachen darf, auf der Party keine High Heels trägt oder als einziger Cola statt Bier trinkt, erkennt nicht jeder darin eine Krankheit. Man ist aber auffällig genug, um als Zielscheibe für die Sticheleien der Mitschüler herzuhalten oder als „schwach“ zu gelten.


In Deutschland sind etwa 13,7 % der unter 18-Jährigen chronisch krank. Jungen etwas häufiger als Mädchen. Chronisch krank ist man, wenn eine Krankheit mindestens ein Jahr anhält. Sie kann einen Menschen aber auch für den Rest seines Lebens begleiten. „Besonders, wenn Kinder chronisch krank sind, bringt dies das ganze Familiensystem durcheinander“, erklärt Christine Göring, Sozialarbeiterin beim Bundesverband Kinderrheuma. Sie betreut Jugendliche bei der Berufswahl und klärt mit ihnen Fragen wie: Muss ich im Bewerbungsgespräch sagen, dass ich krank bin? Wann ist es sinnvoll, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen?


Herausforderung Pubertät:

Gerade in der Pubertät müssen die Jugendlichen einer Doppelbelastung standhalten. Zum üblichen „Chaos im Kopf“, dem Gefühlsumbruch, den ersten Liebschaften oder dem Kräftemessen mit Gleichaltrigen kommt für sie das Krankheitsmanagement obenauf. Die Jugendlichen sind stärker von den Eltern abhängig, z. B. bei medizinischen Fragen. Das macht das Abnabeln schwieriger. Einerseits ist das gut, weil sie früh lernen, eine ernste Situation mit Blick auf die Zukunft zu beurteilen. Andererseits engt es ihr Bedürfnis, frei und selbst­bestimmt zu sein, enorm ein.


Die Eltern stecken ihrerseits im Zwiespalt aus Sorge um die Gesundheit ihres Kindes und dem Wunsch, dass es ein eigenständiges Leben führen soll. Die Jugendlichen aber möchten selbstständig werden. Deshalb erproben sie ihre Grenzen. „Dieses Rebellieren ist vollkommen normal und auch wichtig“, meint Christine Göring. Bei chronisch kranken Jugendlichen kann es aber zu Problemen und gesundheitlichen Krisen führen. Das können einfache Bauchschmerzen sein, eine Notfalleinweisung oder ein Krankenhausaufenthalt, nachdem sich das Kind sportlich übernommen hat. Die Krankheit verlangt den Jugendlichen weit mehr Eigenverantwortung ab als ihren Altersgenossen. So essen Jugendliche oft außer Haus in Kantinen, im Imbiss oder bei Freunden. Diabetiker müssen hier zeigen, dass sie ihre Krankheit selbst managen und die richtige Insulinmenge berechnen können. Andere dürfen unter Umständen kein Fußball mehr spielen oder nicht alleine ausreiten.


Sehen die Teenager diese Situation als Bürde, ist es normal, die Grenzen der Krankheit auszutesten und die Therapie gegebenenfalls zu verweigern. „Die Jugendlichen müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Wer dazu keine Chance bekommt, kann nicht Erwachsen werden und später eigene Entscheidungen treffen“, meint Arnold Illhardt, Jugend-Psychologe im St. Josef-Stift in Sendenhorst. Je aufmüpfiger die Jugendlichen sind, desto stärker zeigt es, dass sie Eigenverantwortung übernehmen wollen.


Gemeinsam stark:

Eine chronische Krankheit kostet die ganze Familie Zeit und Kraft. Eine Landwirtsfamilie mit mehreren Generationen verfügt dabei aber möglicherweise über einen großen Vorteil. Das weiß auch Dagmar Feugmann, die mit ihrem Sohn Hendrik seit Jahren regelmäßig in eine Spezialklinik fährt. „Meine Eltern und Schwiegereltern vertreten mich für diese Zeit im Hofladen“, berichtet sie. Zudem kann sie sich darauf verlassen, dass immer jemand für ihre drei anderen Kinder zu Hause ist. „Außerdem kann sich mein Mann als Landwirt die Zeit so einteilen, dass er z. B. einen Termin beim Elternsprechtag wahrnimmt“, erzählt sie.


Auch die Geschwister eines chronisch kranken Kindes dürfen nicht in den Hintergrund geraten. Kleine Aufmerksamkeiten und vor allem Zeit, die sie mit ihren Eltern verbringen, stärken ihr Selbstwertgefühl. Ein Eis mit Mama, eine Bastelstunde in der Werkstatt mit Papa oder Urlaub bei Oma und Opa – all das gibt ihnen das Gefühl, ein ebenso wichtiger Teil der Familie zu sein. Dem kranken Familienmitglied sollte man auf der anderen Seite „Freizeit von der Erkrankung“ gönnen. Immer im Mittelpunkt zu stehen, tut niemandem gut. Freunde treffen, Trecker fahren oder im Schützenverein aktiv sein – das schafft Abwechselung, Freude und ein „normales“ Umfeld.


Denn: Eine möglichst gute Balance zwischen Krankheit und Gesundheit ist für die ganze Familie wichtig.


Auszeiten nehmen:

Deshalb, so sagen Experten, sollten auch die Eltern „mal Pause machen“. Ob sie einen Tagesausflug machen, Radfahren oder abends, nach getaner Stallarbeit, die Zeit nutzen, um sich gegenseitig zuzuhören: Eine achtsame, zufriedene Beziehung der Eltern schafft eine ausgeglichene Atmosphäre, in der sich die Kinder sicher und geborgen fühlen.


Trotzdem lassen sich nicht alle Konflikte vermeiden. Streitereien entstehen z. B., weil der eine Ehepartner unter Druck gerät, wenn der andere mitten in der Ernte mit der Tochter ins Krankenhaus muss. Solch angespannte Situationen bedrücken auch die Jugendlichen. Experten berichten, dass Paare aber genauso vor einem Problem stehen, wenn sie ihren Kindern gegenüber eine heile Welt vortäuschen. Hier kann ein Familienrat helfen, bei dem sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und aussprechen. Vielleicht sagt die 13-jährige Tochter ja, dass sie auch gut zwei Tage alleine in der Klinik zurechtkommt, weil es „eh peinlich ist, wenn Mama immer mitkommt“. Bezieht man die Jugendlichen mit ein, haben sie seltener das Gefühl, eine Last für ihre Familie zu sein. Man kann ihnen vielmehr die Chance geben, ihre eigenen Stärken mit in den Familienalltag einzubringen.


Kinder, die die Pubertät mit einer chronischen Erkrankung meistern müssen, lernen daraus fürs Leben. „Wäre ich ein Arbeitgeber, ich würde sofort einen Rheuma-Patienten einstellen“, scherzt Jugend-Psychologe Arnold Illhardt. „Die Betroffenen sind zäh. Wegen eines Schnupfens holen sie sich ganz sicher keinen Krankenschein.“ Schon zu Schulzeiten zeigen die Jugendlichen, dass sie selbstständig z. B. Hausaufgaben aufarbeiten können. Bauernsohn Hendrik Feugmann schrieb sogar ganze Klassenarbeiten in der Klinik-Schule. Aktuell absolviert er sein Fachabitur. „Auf dem Hof helfe ich außerdem im Büro und im Hofladen mit“, berichtet er.


Die Nervenstärke, in belastenden Situationen einen klaren Kopf zu bewahren, kommt Jugendlichen mit einer chronischen Krankheit vor allem bei der Berufswahl zugute. Nicht nur langwierige Bewerbungsverfahren und Einstellungstests kann man so mit einem kühleren Kopf meistern. Dadurch, dass ihnen Dinge verwehrt bleiben, lernen sie, neue Perspektiven zu entwickeln und ihr Glück trotz erschwerter Bedingungen zu finden. K. Meusener

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