Haben Sie in letzter Zeit über Ihre Work-Life-Balance nachgedacht? Ich behaupte: Die meisten Landwirte tun das nicht. Das, worum viele mithilfe von Kursen und Ratgeberliteratur ringen, wird zum Hofleben oftmals gratis mitgeliefert: Das große Glück, ein ausbalanciertes Leben zu führen.
Leben und Arbeiten, das ist auf dem Hof in der Regel eins. Sicher: Landwirte arbeiten viel. Aber der Großteil ihrer Arbeit macht buchstäblich „Sinn“ und die Früchte ihrer Arbeit dürfen sie jedes Jahr aufs Neue ernten. Sie arbeiten überwiegend für sich selbst und lieben, was sie tun. Sie sind geerdet und ihre Familie nimmt teil am Alltag. Es kann Spaß machen, etwas zu bewegen. Und kurzerhand kann man gewisse Arbeiten auch einmal auf später verschieben. So gesehen ist ein Landwirt echt privilegiert.
Das ist jetzt aber ein bisschen rosarot gezeichnet? Sicherlich. Dieses bäuerliche Lebensgefühl ist so manchem Landwirt längst abhanden gekommen. Die moderne Gesellschaft mit all ihrer Hektik, ihrem Erfolgsdruck, ihrer immer währenden Erreichbarkeit – sie macht auch vor den Hoftoren nicht halt.
Nicht mehr zum Fußballtraining gehen, sich aus dem Posaunenchor ausklinken, Liegengebliebenes am Sonntag aufholen – die Versuchung ist groß, dem hohen Arbeitspensum so beizukommen. Doch diese Rechnung geht nicht auf. Denn damit verschwinden ganz unbemerkt die Pausen aus dem Alltag. Und mit ihnen das, was die Landwirtschaft immer ausgemacht hat: Das Miteinander von Leben und Arbeiten.
Wir brauchen Pausen, müssen auch locker lassen, um die Freude an unserer Arbeit zu behalten. Oft, so zeigen es unsere Gespräche, muss es nicht mal der große Wurf sein. Es reicht, an kleinen Stellschrauben zu drehen: Die tägliche Kaffeepause, das Zeitunglesen, der Saunaabend, das Treffen mit Freunden. Denn der Landwirt ist kein kleines Rädchen im Getriebe. Für seine Freiräume ist er selbst verantwortlich. Was für ein Glück! Kathrin Hingst