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Und plötzlich ​ist das Nest leer

Lesezeit: 8 Minuten

Viele Jahre war es laut im Haus, die Frau mit Kindern und Haushalt beschäftigt. Nun sind die Kinder erwachsen, im Betrieb aktiv oder vom Hof gezogen und lassen Ruhe und freie Zeit zurück. Eine Situation, an die sich viele Frauen erstmal gewöhnen müssen.


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Sie seufzt, als sie die Tür aufschließt und die Einkaufstaschen in den Flur stellt. An diese Stille, die seit einiger Zeit im großen Bauernhaus herrscht, wird sie sich erst gewöhnen müssen. Jahrelang hatte sie sich nach Ruhe gesehnt, nach Ordnung im Flur und auf dem Küchentisch. Sie hatte darauf gehofft, nach der Stallarbeit endlich mal wieder einen ruhigen Abend mit ihrem Mann verbringen zu können. Und jetzt?


Jetzt wo einer der Söhne auf einem Ausbildungsbetrieb in Norddeutschland arbeitet, der zweite zum Studieren nach Köln und die Tochter zu ihrem Freund auf dessen Hof im Nachbarort gezogen ist, fühlt sie sich, als hätten die Kinder ihr Leben mitgenommen. 25 Jahre lang hatte sie sich gekümmert, war mit Kindern, Haushalt und Betrieb voll ausgelastet. Nun ist die Familie zum Ehepaar zusammengeschrumpft. Viel Platz, viel Zeit und ganz viel Selbstzweifel bleiben.


Die Situation wird kommen:

So wie dieser Bäuerin geht es vielen Frauen, wenn die Kinder flügge geworden sind und den elterlichen Hof verlassen haben. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sich die Rollen verschieben. Die Rolle als aufopfernde Mutter ist nicht mehr die „Hauptrolle“. Das Gefühl, von den Kindern gebraucht zu werden, schwindet und hinterlässt bei vielen Frauen eine tiefe Unsicherheit.


Hildegard Brändle ist Logotherapeutin und betreut in ihrer Praxis Frauen, Paare und Familien bei Konflikten, Problemen und in Lebenskrisen. Sie erlebt es häufig, dass Frauen in dieser Lebensphase in das umgangssprachliche „Loch“ fallen, teilweise sogar körperlich oder psychisch erkranken, weil sie nicht über ihre Verunsicherung sprechen.


„Ich betreue Frauen, die haben körperliche Beschwerden wie Herzrasen oder Schwindel, für die es keine medizinische Erklärung gibt“, erzählt Hildegard Brändle. „Wenn man tiefer forscht, dann findet man heraus, dass diese Frauen unter dem Weggang oder dem Erwachsenwerden der Kinder leiden, oder eben auch unter der Lücke, die sich im Leben plötzlich auftut.“


Denn jeder „Rollenwechsel“, bringt auch eine Änderung im Tagesablauf mit sich. Da fallen Fahrdienste zum Fußball oder zum Musikunterricht weg, das tägliche gemeinsame Mittagessen oder andere Rituale, die zum gewohnten Ablauf gehören. „Üben kann man für diese Situation nicht“, sagt Hildegard Brändle. „Man ist 20 Jahre lang in dieser Rolle und macht sich keine Gedanken, bis man dann in dem Prozess drin ist. Und er wird sicher kommen, denn es ist schließlich ganz normal, dass die Kinder irgendwann ihr eigenes Leben führen.“ Mit dem Problem haben nicht nur Bäuerinnen zu kämpfen, sondern viele Frauen. Auf den Höfen herrscht, durch die Verknüpfung von Betrieb und Familie, aber eine verschärfte Situation.


Hildegard Brändle kann sich gut in die Frauen hineinversetzen, die unter dem Rollenwechsel leiden. Sie hat selbst drei erwachsene Kinder, die alle nicht mehr auf dem Hof leben. „Wenn ich meine Praxis nicht gehabt hätte, dann wäre es für mich ziemlich hart gewesen“, sagt sie.


Schon mal spüren, wie es ist:

Für den Ernstfall „üben“ konnte Petra Großhans aus Reilingen in Baden-Württemberg vor eineinhalb Jahren. Sie bewirtschaftet mit ihrem Mann einen Gemüsebaubetrieb, managt das Büro und hat viele Jahre ihr Leben größtenteils nach den Kindern ausgerichtet.


Bis die Kinder morgens aus dem Haus waren, ist sie zu Hause gewesen, hat bis mittags im benachbarten Betrieb gearbeitet, um dann mittags zu kochen, bei den Hausaufgaben zu helfen oder die Kinder zu ihren Freizeitaktivitäten zu fahren. Dann zog ihr heute 20-jähriger Sohn nach München zum Studieren und ihr heute 18-jähriger Sohn ging für einen Auslandsaufenthalt nach Australien. Unglücklicherweise starb ausgerechnet zum gleichen Zeitpunkt ihre Hündin, die sie bis dahin auf Schritt und Tritt begleitet hatte.


„Plötzlich waren alle weg. Und mir war einfach das Haus zu leer“, sagt Petra Großhans. „Ich habe die leeren Räume kaum ertragen und habe mich in die Arbeit geflüchtet.“ Bis spät abends hat sie im Büro des Betriebs gearbeitet, um nicht ins Haus zu müssen.


Erschwerend empfand Petra Großhans die Situation, weil auch ihr Mann in der Landwirtschaft sehr eingespannt ist. „In anderen Familien, in denen der Mann abends um 18 Uhr zu Hause ist und man als Paar etwas gemeinsam unternehmen kann, fällt es den Frauen vielleicht nicht so schwer“, sagt sie.


Die 47-Jährige und ihr Mann haben sich in der Zeit, in der „das Nest leer war“, bewusster Zeit füreinander genommen und häufiger etwas unternommen. Als ihr Sohn wieder aus Australien zurückkam, hatte sich Petra Großhans fast an die Situation gewöhnt – und sogar einige Vorteile darin erkannt. „Ich habe jahrelang meine Energie auf die Kinder konzentriert. Nun kann ich meinen Tag so strukturieren, wie es gerade passt“, sagt sie. „Mittags nicht mehr unbedingt kochen zu müssen und die Fahrdienste, die wegfallen, geben mir eine enorme Freiheit.“


Lange „nur“ Mutter gewesen:‌

Doch nicht jeder Frau gelingt der Rollenwechsel gleich gut. Lange Zeit waren die Bäuerinnen „nur“ Mütter, haben für die Kinder und den Betrieb funktioniert und sich selbst nie etwas Gutes getan. „Haben sich die Frauen außerdem nur über die Kinder definiert, wird es noch schwieriger“, sagt Hildegard Brändle.


Für diese Frauen bietet die Therapeutin Hilfe und Beratung. In dieser gilt es, die Defizite der Frauen zu finden und durch Gespräche zu erarbeiten, welche Hobbys es beispielsweise früher gab. „Es ist wichtig, dass die Frauen die Kurve bekommen und wieder das machen, was ihnen Spaß macht. Die Zeit haben sie ja dann meist“, erklärt Hildegard Brändle. „Denn nach der Pflicht kommt in dieser Zeit des Rollenwechsels die Kür.“


Sie betreue Klientinnen, die entweder ganz alleine zu neuen oder alten Hobbies finden, sich selbst mal einen Einkaufsbummel oder einen Nachmittag im Straßencafé gönnen – also alles, für das früher keine Zeit war – oder gemeinsam mit dem Partner ganz neue Aktivitäten finden. „Manche kaufen sich neue E-Bikes, um damit die Runden zu drehen, andere holen das alte Motorrad wieder aus der Garage und manche Paare gehen tanzen“, erzählt Hildegard Brändle. „Wichtig ist, dass in der Situation, in der die Frau häufig mit den eigenen Selbstzweifeln zu kämpfen hat, nicht noch Probleme mit dem Partner dazukommen“, sagt sie.


Jetzt komme ich!

Sich wieder auf sich selbst und die eigenen Interessen besinnen, nachdem die Kinder aus dem Haus oder nicht mehr auf die elterliche Fürsorge angewiesen sind, das hat auch Ute Gruber aus Sulzbach an der Murr im Rems-Murr-Kreis getan.


Bei unserer Umfrage zur Rolle der Frau in Ausgabe 3/18 der Südplus hat die 54-Jährige berichtet, dass sie sich jahrelang um die drei „K“ gekümmert hat. „Kinder, Kühe und Küche waren zwanzig Jahre lang mein Lebensmittelpunkt“, sagt Ute Gruber. „Es war ein Hamsterrad, das keinerlei Platz für mich und meine Interessen ließ.“ Dadurch, dass ihre Kinder nun erwachsen sind und ihre Tochter voll im Betrieb mitarbeitet, hat Ute Gruber Zeit für sich, ihre Bedürfnisse und Begabungen gewonnen.


Als Ansprechpartnerin und „Rettungsanker“ dient sie ihren drei Kindern noch immer, deshalb hatte Ute Gruber auch nie das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden.


Da bleiben ist nicht leicht:

Doch nicht nur ein „leeres Nest“ kann auf dem Hof zu Konflikten führen. Hildegard Brändle beobachtet immer häufiger, dass Frauen, deren Kinder auf dem Hof bleiben und diesen auch übernehmen, einen ähnlichen Rollenwechsel durchmachen, dieser aber andere Auswirkungen hat. „Schwierig wird dann häufig die Rollenverteilung im Betrieb. Eine neue Rolle müssen deshalb auch Frauen finden, deren Kinder auf dem Hof bleiben.“


So ist es bei einer Bäuerin aus Bayern, die lieber nicht namentlich genannt werden möchte. Seit ein paar Jahren managt ihre Tochter den Milchviehbetrieb der Familie, die Hofübergabe steht kurz bevor. „Meine Tochter trägt die Verantwortung gemeinsam mit meinem Mann“, berichtet die 63-Jährige. „Seitdem fühle ich mich in die zweite Reihe zurückversetzt.“ Es fällt ihr schwer zu beschreiben, was das Belastende an der Situation ist. Bei ihr ist es nicht die Lücke, die zwei ihrer Kinder beim Wegzug hinterlassen haben – diese haben die zwei Enkel wieder geschlossen.


Vielmehr ist es das Loslassen im Betrieb, sich der Tochter unterordnen zu müssen und nicht mehr dabei sein zu können. Aber auch der Verlust der Zusammenarbeit mit ihrem Mann macht ihr zu schaffen, da können auch die gemeinsamen Freizeitaktivitäten nichts ändern. „Früher waren wir bei der Arbeit aufeinander angewiesen“, sagt sie. „Und jetzt bin ich nur noch für den Haushalt verantwortlich.“


Deshalb hat sie Angst, dass ihr Mann und sie sich entfremden. „Durch die neue Rollenverteilung habe ich meinen Platz einfach noch nicht gefunden. Und das belastet auch die zwischenmenschlichen Beziehungen“, sagt sie. „Aber ich arbeite an mir.“


Kontakt: anja.rose@topagrar.com

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