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Wir haben uns umgehört

Burn-out-Erkrankungen in der Landwirtschaft rücken in den Fokus

Der eigentlich erfüllende und sinnstiftende Beruf „Landwirt“ ist für viele zum Krafträuber geworden. Wir haben bei Betroffenen, Beratern und einer Psychologin nachgefragt.

Lesezeit: 9 Minuten

Unbeirrbar und beharrlich; daran gewöhnt, Krisen zu wuppen – ob sie nun das Wetter, die kaputte Maschine oder andere Notfälle betreffen. Das ist nicht nur das Selbstbild ­vieler Landwirte, sondern auch die Wahrnehmung anderer.

Studien zeigen zudem: Die Gefahr, im Beruf auszubrennen, ist geringer, wenn die Arbeit als selbstbestimmt und sinnstiftend erlebt wird. Also – eigentlich müsste es den Landwirten und Landwirtinnen gut gehen, bietet ihr Beruf doch viele Aspekte, die vor Burn-out schützen.

Die Zahlen sagen etwas anderes. Psychische Erkrankungen liegen in der Branche auf Platz zwei der Ursachenstatistik zu Krankheitsausfällen. Auch Berater der ländlichen Familienberatungen bestätigen: Bei vielen Konflikten, die sie betreuen, ist mindestens eines der Familienmitglieder an Burn-out ­erkrankt.

Schnell gelesen

  • Burn-out-Erkrankungen in der Landwirtschaft rücken derzeit in den Fokus.
  • Neue Ursachen sind die fehlende ­Anerkennung in der Gesellschaft und die als zunehmend willkürlich empfundene Agrarpolitik.
  • Wer Symptome zeigt, ist oft schon lange im roten Bereich. Der Mensch kann Erschöpfung über mehrere Jahre ­kompensieren.
  • Unterschiedlich anfällig: Menschen mit hoher Leistungsbereitschaft und ­großem Verantwortungsbewusstsein ­erkranken häufiger an Burn-out.
  • Die Bereitschaft, sich bei einer ­psychischen Erkrankung Hilfe zu suchen, ist deutlich gestiegen. Vielen geht es nach einer Therapie bald besser.

Es ist alles zu viel

Gründe für chronischen Stress gibt es in der Landwirtschaft reichlich: Darunter die angespannte finanzielle Situation auf vielen Höfen, verursacht durch schlechte Preise und hohe Verbindlichkeiten. Ein großes Arbeitspensum ist oftmals Standard. Auch die enge Verflechtung von Familie und Betrieb kann in Konfliktsituationen zur Doppelbelastung werden. So weit, so bekannt.

Neu hinzugekommen sind in den letzten Jahren steigende gesellschaft­liche Anforderungen. Eine Beraterin, die anonym bleiben möchte, hat beobachtet, dass die fehlende Wertschätzung ­für ihre Arbeit gerade konven­tionelle Landwirte sehr belastet. „Es grenzt an Feindseligkeit, was ihnen vielfach entgegenschlägt“, meint die Beraterin.

Psychologin Birgitta Thiel, die mit der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) zusammenarbeitet, sieht dieses Phänomen ebenfalls als zentralen Punkt. „Hinter fast jedem Burn-out steckt eine tiefe ‚Gratifikationskrise‘“, sagt die Expertin. Das heißt: Die Sinnfrage, „Was mache ich hier eigentlich – und für wen?“, können sich viele Landwirte und Landwirtinnen nicht mehr zufriedenstellend beantworten. Das Gefühl, sich abzu­rackern und dafür keine Anerkennung zu bekommen, ist für sie ein großer Erschöpfungstreiber. Dabei könne die Missbilligung der Familie ebenso sehr zehren wie die Kritik des weiteren ­Umfeldes.

Willkür statt ­Selbst­bestimmung

Auch die Selbstbestimmung auf der eigenen Scholle, die für die Landwirtschaft immer prägend war, hat abgenommen. Politische Maßnahmen und Regelungen nehmen viele Landwirte zunehmend als „willkürlich“ und als „fern der guten fach­lichen Praxis“ wahr. Dennoch sind die Bauern ihnen ausgeliefert. Das löst bei vielen ein Gefühl der Hilflosigkeit aus. Die Umsetzung der Vorgaben ist ­darüber hinaus oft mit großem büro­kratischen Aufwand verbunden, der Ressourcen bindet und das Zeitkonto zusätzlich ­belastet.

Zudem habe sich der Alltag von Männern und Frauen in den letzten Jahren stark verändert, sagt eine ­Beraterin, die Burn-out-Symptome vor allem bei jungen Betriebsleitern beobachtet. Während es Männern früher reichte, ein guter Betriebsleiter zu sein, ist es vielen heute auch sehr wichtig, viel Qualitäts-Zeit mit der Familie und der Partnerin zu verbringen. Die gleiche Doppelbelastung gelte für Frauen. „Die Angleichung der Rollen hat ohne Frage ihr Gutes. Aber sie führt auch zu großer Erschöpfung auf allen Seiten“, konstatiert Psychologin Thiel.

Wer ist betroffen?

Fest steht: Fast alle Landwirte und Landwirtinnen sind arbeitsmäßig stark belastet. Einen Höhepunkt erreicht die Belastung in den mittleren Lebensjahren, wenn die Kinder klein sind, die ­Eltern hilfsbedürftig und der Betrieb mitten in der Expansion steckt. Dazu kommt eine schier endlose Pandemie. Doch längst nicht alle erkranken an einem Burn-out. Wen trifft es also?

Birgitta Thiel erklärt, dass vor allem Menschen mit hohem Verantwortungsbewusstsein und hoher Leistungsbereitschaft an Burn-out erkranken. Beide Faktoren können sowohl in der Persönlichkeit als auch in der Prägung durch das Elternhaus liegen. Äußere Faktoren wirken sich daher nicht bei allen Menschen gleich belastend aus.

Wann hellhörig werden?

Wenn Landwirte mit Burn-out-Symp­tomen Hilfe suchen, sind sie oftmals schon lange im roten Bereich. Auch für Angehörige ist die Situation sehr ­belastend. Das Gute: Vielen Betroffenen können Fachleute schnell Entlastung bringen (siehe Interview und Reportagen ab Seite 150). Wer sich selbst beo­bachtet, sollte einen Arzt aufsuchen, wenn er Symptome wie Schlafstörungen, Reizbarkeit, Unkonzentriertheit oder Freudlosigkeit bis hin zu Suizid­gedanken feststellt. Auch körperliche Anzeichen, wie Rückenschmerzen oder Engegefühl in der Brust, kommen vor.

Burn-out oder Depression?

Viele Fachärzte sehen ein Burn-out bis heute nicht als eigenständige Krankheit an. Für sie handelt es sich dabei um eine „Depression mit einem starken Leistungsbezug“. Es stimmt: Die Symptome beider Erkrankungen überschneiden sich stark. Ein schweres Burn-out ist von der Depression kaum zu unterscheiden. „Dennoch fällt es den Menschen leichter, sich ein Burn-out einzugestehen als eine Depression. Ein Burn-out ist mit Leistung verbunden“, sagt Birgitta Thiel.

Insgesamt sei es heute akzeptierter, sich mit einer psychischen Erkrankung Hilfe zu suchen und offen damit um­zugehen. „Das ist eine positive Entwicklung“, sagt die Expertin. Viele Betroffene fühlten sich bereits besser, wenn ihre Probleme ernst genommen werden. 

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Reportage

Offen damit umgehen

Düngeverordnung, Insektenschutz, Kritikerstimmen: Selbst im Urlaub konnte Udo Feldmann nicht mehr abschalten. Er hat sich Hilfe gesucht.

Im Skiurlaub vor vier Jahren dachte Udo Feldmann zum ersten Mal, dass etwas anders war. „Ich kam nicht zur Ruhe, war müde und konnte nicht schlafen. Dazu kamen Zitteranfälle“, sagt der Landwirt. An seine Psyche dachte er bei den Symptomen aber nicht. „Ich war überzeugt, Multiple Sklerose oder eine andere körperliche Krankheit zu haben“, sagt er.

Endlich anzukommen, tat mir so gut.“

Die Situation spitzte sich weiter zu. Udo Feldmann war am Ende seiner Kräfte. Er konnte gar nicht mehr schlafen, nahm Termine nicht wahr, zog sich privat mehr und mehr zurück. Ein Besuch beim Hausarzt schaffte Klarheit: Er war an einem Burn-out erkrankt. Der Diagnose folgte aber nicht sogleich eine Therapie. Sechs Monate Warteliste galt es ursprünglich für den dreifachen Familienvater zu überbrücken. „Das war das Schlimmste, alles hat sich noch aussichtsloser angefühlt“, sagt er. Einige Tage nach der Diagnose ließ er sich deshalb in die Notaufnahme einweisen. „Mein Glück war, dass der richtige Arzt Dienst hatte“, sagt er heute. „Nachdem ich stationär aufgenommen wurde, hatte ich wieder Hoffnung. Ich war endlich angekommen, es ging wieder weiter.“

Hilfe von der Partnerin

Von Anfang an sprach der 49-Jährige offen über sein Burn-out. Das war nicht leicht, heute sieht er es aber positiv: „Diejenigen, die die Erkrankung nur mit sich ausgemacht haben, brauchten auch in der Reha länger, um wieder auf die Beine zu kommen“, sagt er. Insgesamt war der Landwirt vier Wochen in der Klinik und danach sechs Wochen in der Reha. Seinen Betrieb mit Rindern, Biogas und gut 1 000 ha Ackerbau in Mecklenburg-Vorpommern managten in der Zeit seine Ehefrau Andrea und ein befreundeter Landwirt und Nachbar.

Rückblickend sieht er mehrere Auslöser für sein Burn-out. Neben der Sorge, die vielfältigen betrieblichen Vorgaben nicht richtig umzusetzen, belastete ihn besonders die geringe Wertschätzung der Verbraucher. Heute geht er damit gelassener um, versucht den Perfektionismus abzulegen. „Ich gehe auch joggen, fahre in die Sauna oder ans Meer“, sagt er.

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Reportage

Die Krankheit bleibt

Renate Müller (Name von der Redaktion geändert) erkrankte mit 52 Jahren an einem Burn-out. Heute, zehn Jahre später, hat sich vieles verändert.

Mit Schwindel ging Renate Müller morgens in den Bullenstall. „Bei der Arbeit zog sich in meiner Brust alles zusammen. Dann konnte ich meine Arme nicht mehr spüren. Ich dachte, jetzt muss ich sterben“, sagt sie. Völlig entkräftet rief sie nach Hilfe, bis ihr Mann den Notarzt informierte. Im Krankenhaus stellte sich heraus: Körperlich ist alles in Ordnung. Der Arzt ging von einer Erschöpfung in der Weihnachtszeit aus. Heute weiß Renate Müller: Das war ihre erste Panikattacke.

Ein Ständiges Auf und ab

Doch auch nach dem Krankenhausaufenthalt kam sie nicht zur Ruhe. „Ich fühlte mich wie in einem engen Käfig und verbrannte innerlich“, sagt sie. Schließlich entschloss Renate Müller sich zu einem Aufenthalt in der Psychiatrie – und fand dort Hilfe.

„Dank der Medikamente konnte ich zum ersten Mal in über einer Woche schlafen. Ich fühlte mich wie neu geboren“, sagt sie. Nach vier Wochen in der Klinik fuhr sie wieder heim. „Ich hatte große Sorge, wie die Nachbarn wohl reagieren würden“, sagt sie. Doch von Freunden und Bekannten erfuhr sie vor allem Mitgefühl und Anteilnahme.

Die Hilfe der Familie kann viel bewegen."

Richtig gut ging es ihr aber noch nicht. Sechs Monate nach der Therapie beantragte die Bäuerin auf Drängen der Kasse schließlich eine Reha. „Dort traf ich viele, denen es genauso erging wie mir. Dieser Austausch war heilsam“, sagt sie. In der Reha habe sie auch gelernt, mit dem Burn-out umzugehen. Ganz weg ging die Krankheit aber nie. Noch heute spüre sie, wie sich die linke Seite des Brustkorbs manchmal zuschnürt. „Dann geht es mir einige Tage schlecht, aber ich weiß, dass auch wieder bessere Zeiten folgen“, sagt sie.

Inzwischen hat sie Strategien entwickelt, um gesund zu bleiben. So macht sie einmal im Jahr Urlaub mit ihrem Ehemann und vier befreundeten Paaren. „Früher haben wir höchstens einen Tag mit den Kindern im Zoo oder in den Bergen verbracht“, sagt sie. Und auch die bemerkten den Unterschied: „Sie meinen, ich sei viel weniger streng und gelassener als vorher“, sagt Renate Müller. Doch ohne Medikamente geht es bis heute nicht.

Das Interview mit Psychologin und Supervisorin Birgitta Thiel, die für die Krisenhotline und das Einzelfallcoaching der SVLFG arbeitet, finden Sie HIER.

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