Das Erntegut-Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) sorgt für Diskussionen. Der Deutsche Bauernverband und die Interessengemeinschaft Nachbau (IG Nachbau) kritisieren, dass die Saatguttreuhand den Handel unter Druck setzt, von den Landwirten eine STV-Erntegutbescheinigung einzufordern. Worum geht es?
RA Jens Beismann: Der BGH hat festgestellt, dass Händler beim Ankauf von z. B. Getreide und Kartoffeln einer Erkundigungspflicht über die Einhaltung des Sortenschutzes unterliegen. In welchem Umfang, hat der BGH aber nicht ausgeführt. Die STV ist nun der Ansicht, dass der Händler eine verschuldensunabhängige Haftung für die Einhaltung des Sortenschutzrechtes hat.
Ich bin der Ansicht, dass es ausreicht, wenn der Handel im Rahmen seiner Erkundigungspflicht mit geeigneten Maßnahmen wie z.B. einer Ernteguterklärung bzw. Lieferantenerklärung sicherstellt, dass angeliefertes Erntegut unter Einhaltung der sortenschutzrechtlichen Vorschriften erzeugt wurde. Weitergehende Pflichten würden die Grenzen des Machbaren überschreiten. Durch freie Sorten, Überlagerung von Saatgut etc. sind die Saatgutströme nur schwer nachvollziehbar, und zwar auch bei legalem Anbau.
Was muss in der Erklärung stehen?
RA Jens Beismann: Zunächst müssen die Händler erkennen, dass der Erkundigungspflicht nachzukommen ist. Einfach einen Passus in die AGB aufzunehmen, könnte m. E. bei einer evtl. gerichtlichen Überprüfung nicht ausreichen, denn AGB werden für eine Vielzahl von Geschäften vereinbart. Der BGH scheint aber von einer individuellen Pflicht für das jeweilige Geschäft auszugehen. Ich habe eine Ernteguterklärung für diverse Raiffeisengenossenschaften, freie Landhändler und die IG Nachbau erstellt. Darin werden diverse Saatgutquellen benannt, die einen legalen Anbau ermöglichen. Der Landwirt versichert dem Händler, dass seine Anlieferung in Übereinstimmung mit den sortenschutzrechtlichen Bestimmungen erzeugt wurde.
Die im letzten Jahr vielfach verwendete Erklärung von Landhändlern, die eine Vertragsstrafe benennt und als zulässigen Anbau nur Z-Saatgut und legalen Nachbau von geschützten Sorten benennt, greift bei der Vertragsstrafe zu weit und bei den zulässigen Saatgutquellen meines Erachtens zu kurz.
Was passiert mit Getreide, für das die Beachtung des Sortenschutzes nicht nachgewiesen werden kann?
RA Jens Beismann: Verweigert der Landwirt die Abgabe einer Ernteguterklärung, hat der Landhändler in Kenntnis der Problematik zu entscheiden, ob er die Ware annimmt oder nicht.
Was gilt, wenn Landwirte untereinander Futtermittel handeln?
RA Jens Beismann: Auch dann sollte der Käufer eine Ernteguterklärung fordern. Käme später heraus, das der Erzeuger eine Sortenschutzverletzung begangen hat, und hat der kaufende Landwirt keine Maßnahmen zur Erkundigung ergriffen, könnte man ihm eine Sortenschutzverletzung vorwerfen.
Wer muss den Sortenschutz garantieren, wenn ein Lohnunternehmer die Flächen bewirtschaftet?
RA Jens Beismann: Die Einhaltung des Sortenschutzes obliegt grundsätzlich demjenigen, der das wirtschaftliche Risiko des Anbaus trägt. Das ist im Fall eines beauftragten Lohnunternehmers der Betriebsinhaber. Wichtig zu wissen ist, dass der Lohnunternehmer kein Nachbausaatgut aus seinem eigenen Betrieb verwenden darf, denn Nachbausaatgut darf man nicht handeln.
Die Einhaltung des Sortenschutzes muss derjenige garantieren, der das wirtschaftliche Risiko trägt.
Anders ist es beim Vertragsanbau, wenn ein Landwirt z. B. für einen anderen Landwirt oder Unternehmer den Anbau in eigener Verantwortung betreibt und für das Erntegut pro Gewichtseinheit im Vorfeld einen Preis vereinbart. Dann trägt der Vertragslandwirt das wirtschaftliche Risiko.
Muss man Vor-Ort-Prüfungen der STV auf dem Hof zulassen?
RA Jens Beismann: Nein, weder Landwirte noch Händler müssen vom Gesetz her Prüfungen der STV auf ihrem Hof akzeptieren. Etwas anderes gilt, wenn eine Vor-Ort-Prüfung vereinbart wurde. Eine Ausnahme bilden Prüfungen von Vermehrern oder Vermehrungsorganisationsfirmen bezüglich der Vermehrungssorten.
Welches Druckmittel hat die STV gegenüber dem Handel in der Hand?
RA Jens Beismann: Sollte die STV einen Landhändler verklagen, der über eine Ernteguterklärung des Lieferanten verfügt, läuft sie Gefahr, zu unterliegen. Verlöre sie den Rechtsstreit, wären ihre Hoffnungen zur Durchsetzung der STV-Erntegutbescheinigung gescheitert, denn die Möglichkeit, Druck auf Landhandel und Landwirte aufzubauen, wäre zerplatzt. Die STV dürfte daher den aktuellen Weg weiterbeschreiten und versuchen, Landhändler mit einem Vertragsstrafenversprechen auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Wehrt sich jener nicht, benötigt die STV den Klageweg nicht. Wehrt sich der Landhändler hingegen, kann die STV entscheiden, ob sie den Klageweg beschreitet.
Gibt es einen rechtlichen Weg, von einem Gericht feststellen zu lassen, wie genau die Händler handeln müssen?
RA Jens Beismann: Der BGH hat den Umfang der Erkundigungspflicht in seinem Urteil nur angedeutet, aber nicht abschließend bestimmt. In dem gefällten Urteil bestand dafür auch kein rechtlicher Anlass, denn das dort verklagte Landhandelsunternehmen hatte keinerlei Maßnahmen zur Einhaltung des Sortenschutzes getroffen. Niemand kann daher abschließend eine Aussage dazu treffen, wie der BGH in einem zukünftigen Fall entscheidet. Die STV hält sämtliche Ernteguterklärungen für nicht ausreichend, die bäuerlichen Verbände DBV, AbL und IG-Nachbau, wie auch die Agrarhandelsverbände drv und Der Agrarhandel haben bisher Ernteguterklärungen als rechtlich ausreichend angesehen. Es bleibt abzuwarten, ob die STV bei vorhandener Ernteguterklärung erneut den Klageweg bestreiten wird.