Im Interview erklärt Maria Nielsen von der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein (LKSH), wie soziale Betreuung auf landwirtschaftlichen Betrieben in der Praxis gelingt. Sie leitet das Projekt „Green Care - Soziale Landwirtschaft“ was im rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP-Agri) gefördert wird. In diesem Projekt geht es um verschiedene Wohn- und Betreuungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen im ländlichen Raum. Maria Nielsen erklärt, was genau dahintersteckt.
Das Projekt "Green Care" wird im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP-Agri) Schleswig-Holstein durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) gefördert. Betreuungsangebote auf Höfen werden in dieser Zeit von der sogenannten operationellen Gruppe erprobt. Diese besteht aus zehn Betrieben in Schleswig-Holstein, der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, Wissenschaftlern der Uni Kassel und dem Maschinenring Mittelholstein. Die unterschiedlichen Modelle könnten für die Landwirte ein stabiles Zusatzeinkommen bieten.
Frau Nielsen, was ist Green Care und an wen richtet sich das Projekt?
Nielsen: Green Care schlägt die Brücke zwischen landwirtschaftlicher Erzeugung und sozialpädagogischer Arbeit und hat das Ziel, Betrieben eine Einkommenskombination zu schaffen und Menschen mit ganz unterschiedlichem Assistenzbedarf sinngebende Angebote im ländlichen Raum zu bieten. Bei der LKSH arbeiten wir in einem Team mit zehn Höfen aus Schleswig-Holstein und dem Maschinenring Mittelholstein an unseren Projektthemen zusammen.
Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt von der Universität Kassel. Dabei haben sich die landwirtschaftlichen Betriebe und der Maschinenring Mittelholstein bereit erklärt, ihre Erfahrungen und ihr Wissen, welches sie im Austausch und bei der Umsetzung auf den Höfen gewonnen haben, allen anderen Landwirten, die Ähnliches in Zukunft planen, transparent weiterzugeben.
Verbindung von Landwirtschaft und Sozialarbeit
Was sind Projektthemen im Einzelnen?
Nielsen: Wir entwickeln einen Leitfaden für Betriebe, die Betreuungs- und Beschäftigungsangebote umsetzen wollen. Diese Betreuungsangebote können beispielsweise stundenweise oder als sogenannte teilstationäre Tagespflegeeinrichtung angeboten werden.
Am stärksten werden Wohnangebote für Senioren und für Menschen mit Beeinträchtigungen nachgefragt. Das sind allerdings auch die Angebote, die die höchsten Investitionen benötigen. Auch die Beschäftigung von Menschen mit Assistenzbedarf, finanziert über Eingliederungshilfeleistungen, ist möglich und ein Gewinn für alle Beteiligten.
Außerdem optimieren wir unseren Green Care-Lehrgang. Zusätzlich erarbeiten wir Qualitätskriterien für eine mögliche spätere Zertifizierung der Green Care-Höfe. In Österreich und in den Niederlanden werden solche Betriebe bereits zertifiziert. Dies Zertifizierung kann für Höfe, ihre Kunden und entsprechende Kostenträger sehr wichtig sein.
Wir entwickeln einen Leitfaden für Betriebe, die Betreuungs- und Beschäftigungsangebote umsetzen wollen.“
Sie haben von einem Lehrgang für Landwirte und Landwirtinnen gesprochen. Wie sieht diese Qualifizierung aus?
Nielsen: Einmal im Jahr gibt es in der Zeit von April bis September einen 14-tägigen Lehrgang mit Präsenzunterricht. Wir bearbeiten dort praktisch alle Themen rund um die Angebotsmöglichkeiten auf Höfen. Das umfasst z. B. die Zielgruppenbetrachtung, den Planungsaufwand und die Frage, wie die Finanzierung abläuft. Theorie und Praxis finden dabei auf verschiedenen Höfen statt, die bereits Angebote in Schleswig-Holstein haben.
Der Lehrgang soll Landwirte und Landwirtinnen sowohl schulen, Unterstützungsangebote für Menschen mit Pflegebedarf anzubieten, als auch Beschäftigungsgeber von Menschen mit Beeinträchtigungen zu sein. Dadurch sollen neue Wohnprojekte und Tagespflegeeinrichtungen entstehen. Zurzeit ist der Kurs kostenlos. Jedoch läuft die Förderung mit Ende des Projekts im Oktober 2026 aus.
Lehrgang zur Qualifizierung von Landwirten
Wenn ich auf meinem Betrieb als Landwirtin oder Landwirt Ähnliches umsetzen möchte, welche Möglichkeiten habe ich dann?
Nielsen: Die Möglichkeiten sind so vielfältig wie die Höfe, die sie anbieten. Ausschlaggebend ist, dass das Angebot stets zum Hof, zur Familie und zum Betriebsablauf passt. So gibt es Wohnprojekte für beeinträchtigte Personen, die auf dem Hof leben und gegebenenfalls auch arbeiten. Auf einem Hof gibt es immer etwas zu tun, besonders in der Tierhaltung und im Gemüsebau werden viele Aufgaben in Handarbeit getätigt.
Landwirtschaft und Gartenbau bieten vielfältige, erlernbare, abstufbare und wiederkehrende Tätigkeiten. Andere Betriebe bieten z. B. Tagespflege oder stundenweise Betreuung an. Hier werden Senioren, Seniorinnen und Menschen mit Beeinträchtigungen betreut. Aber auch Urlaub auf dem Bauernhof für Menschen mit Beeinträchtigung ist eine Möglichkeit, mit der wir uns bei Green Care befassen.
Wir haben in Schleswig-Holstein viele Höfe, die als Einkommenskombination Urlaub auf dem Bauernhof anbieten. Außerhalb der Saison vermieten diese gerne an Gruppen, zum Beispiel an Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen.
Für die Landwirtschaft bietet das Konzept einerseits die Möglichkeit eines zusätzlichen Einkommens. Für den sozialen Bereich entstehen andererseits auf den Höfen sinngebende Beschäftigungs- und Betreuungsplätze.“
Was konnten Sie in diesem Projekt schon erreichen?
Nielsen: Auf einem der Höfe haben wir einem jungen Mann eine Beschäftigungsstelle als Alternativangebot zum Besuch einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen ermöglicht. Der Betrieb bekommt dafür von der Eingliederungshilfe eine Finanzierung für die von ihm erbrachten Assistenzleistungen. Dadurch haben wir ein Beispiel etabliert, an dem sich andere Höfe bereits orientieren. Ähnlichen Erfolg hatten wir durch die sogenannte Anerkennung laut Alltagsförderungsverordnung mehrerer Betriebe beim Amt für soziale Dienste. Diese Höfe dürfen nun für Menschen mit Pflegegrad stundenweise Betreuung anbieten und diese über die Pflegekassen abrechnen.
Zusammenarbeit verbessern
Was wünschen Sie sich zukünftig für Green Care?
Nielsen: Für die Landwirtschaft bietet das Konzept einerseits die Möglichkeit eines zusätzlichen Einkommens. Für den sozialen Bereich entstehen andererseits auf den Höfen sinngebende Beschäftigungs- und Betreuungsplätze. Es wäre also sinnvoll, wenn beide Branchen, die soziale und die landwirtschaftliche, im ländlichen Raum stärker zusammenarbeiten würden. Wir merken, dass dringend Wohnangebote und Tagespflegeangebote für Menschen mit Pflegebedarf auf dem Dorf gebraucht werden. Nach den Erfahrungen der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein haben Landwirte und Landwirtinnen großes Interesse, verschiedene Formen der Betreuung oder Mitarbeit auf dem Hof umzusetzen. Ich wünsche mir sehr, dass Green Care auch nach dem Ende des EIP-Projektes weitergeht.