Das Dröhnen der Melkanlage, der Geruch vom Silo oder ein verspannter Nacken nach einem Nachmittag am Computer: Viele Dinge auf dem Hof können Kopfschmerzen auslösen. Wichtig ist, im Blick zu haben, wie intensiv die Schmerzen sind, ob man sie gut behandeln kann und wie häufig sie auftreten. Das meint Prof. Dr. med. Gudrun Goßrau. Sie ist Leiterin der Kopfschmerzambulanz am Universitäts-Schmerz-Zentrum der TU Dresden sowie Generalsekretärin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG).
Verschiedene Arten von Kopfschmerzen
Die Expertin unterscheidet dabei zunächst sekundäre und primäre Kopfschmerzen. Die deutlich häufiger auftretenden primären Kopfschmerzen umfassen unter anderem die Spannungskopfschmerzen. Unter ihnen leiden schätzungsweise 60 % der Bevölkerung hin und wieder. Auch Migräneattacken, die etwa 15 % der Frauen und 6 % der Männer heimsuchen, sind hier einzuordnen. Zuletzt gibt es sogenannte trigemino-autonome Kopfschmerzen. Hierzu zählen auch Clusterkopfschmerzen, die zwar nur in kurzen Attacken von maximal drei Stunden auftreten, aber extrem heftig sind. „Clusterkopfschmerz ist vergleichsweise selten. Vielen Ärzten ist daher noch nicht bekannt, dass man auch diese Art der Schmerzen gut behandeln kann“, sagt Gudrun Goßrau.
Probleme im Alltag
Mit Spannungskopfschmerzen ist man oft noch gut in der Lage, das Tagesgeschäft zu managen. Sie sind weniger intensiv und gehen häufig auch schnell wieder weg. Chronisch werden sie nur in seltenen Fällen. Die Migräne schränkt die Alltagsfähigkeit dagegen stärker ein. „Betroffene legen sich lieber hin und sind sehr empfindlich gegenüber Umweltreizen“, fasst es Gudrun Goßrau zusammen.
28 Migränetage im Monat
Wie schlimm Migräne werden kann, wenn man sie nicht richtig behandelt, erzählte uns eine Landwirtin am Telefon. Erst kämpfte sie sich durch zwei bis drei Attacken im Monat, ohne eine Pause einzulegen. Ihr Perfektionismus und ein hohes Verantwortungsbewusstsein gegenüber Hof, Pensionspferden und der Familie zwangen sie zum Weitermachen. „Wenn ich im dunklen Zimmer lag, konzentrierte ich mich nur noch stärker auf die Kopfschmerzen und hatte ständig das Gefühl, draußen arbeiten zu müssen“, erklärt sie.
Schließlich wurde die Migräne so stark, dass die Hofgründerin zuletzt bei 28 Migränetagen im Monat war. „Ich habe mich damals komplett runtergewirtschaftet“, sagt sie.
Migräne früh behandeln
Auch Gudrun Goßrau rät dazu, Migräne so früh wie möglich ernst zu nehmen. Die Erkrankung ist zwar genetisch bedingt, durch eigenes Verhalten und die richtigen Medikamente könne man sie jedoch meist in den Griff bekommen. Je früher man damit beginne, desto leichter sei das.
Betroffenen empfiehlt die Medizinerin z. B. die DMKG-Kopfschmerz-App. Darin kann man u. a. Kopfschmerztage, Symptome und eingenommene Medikamente notieren. Der Arzt habe dann die Möglichkeit, die Daten auszuwerten. Nimmt man häufiger als an fünf Tagen pro Monat Schmerzmittel, könne auch ein anderes Medikament hilfreich sein, das den Attacken vorbeugt. „Wir wissen inzwischen, dass die Migräne tendenziell schlimmer wird, wenn die Patienten an mehr als zehn Tagen pro Monat Schmerzmittel nehmen müssen“, sagt sie.
Zu viele Schmerzmittel
Denn dieser hohe Konsum führe ebenfalls zu Kopfschmerzen. Die Expertin spricht dabei von einer Spirale, die chronisch abwärts führt. „Irgendwann schaltet das Gehirn so um, dass es nur noch dann kopfschmerzfrei ist, wenn Schmerzmittel genommen werden“, erklärt sie. Hinzu käme die psychosoziale Komponente: Die Patienten ziehen sich zurück, sind müde und reizbar oder entwickeln sogar depressive Symptome.
Davon berichtete auch die Bäuerin am Telefon. „Der Kundschaft gegenüber musste ich mich zusammenreißen. Privat war ich aber ständig genervt. Ich habe mich unverstanden gefühlt und hatte kaum Geduld. Das hat meine Beziehung und das Familienleben stark belastet“, sagt sie. Auch Freunde und Bekannte besuchte sie kaum. „Eine kurze Strecke mit dem Auto führte sofort wieder zu einer Attacke“, sagt sie.
Ihr Wendepunkt war schließlich der Aufenthalt in einer Schmerzklinik. Die erste echte Linderung brachte eine Botoxbehandlung. „Das hat die Migräne auf elf Tage im Monat runtergefahren“, erklärt sie. Fast komplett migränefrei ist die Landwirtin inzwischen seit zwei Jahren. Ihr half eine Antikörperspritze, die aber recht teuer ist und deshalb nur selten verschrieben wird.
Therapie im Stufensystem
Gudrun Goßrau empfiehlt Migränepatienten, der Erkrankung gezielt zu begegnen. Konsequent umgesetzt seien regelmäßige Pausen, ein gleichbleibender Schlaf-Wach-Rhythmus, gesunde Ernährung und viel Trinken erfolgversprechende Hebel bei geringen Migränebeschwerden. Ebenso zeige die Studienlage, dass leichter Ausdauersport, Nahrungsergänzungsmittel wie Magnesium oder eine Akupunkturbehandlung die Attacken reduzieren können.
Es gibt mittlerweile immer mehr Medikamente speziell für Migränepatienten, die im Alltag nicht ständig müde machen oder zu einer starken Gewichtszunahme führen.“
Zusätzlich sei in der nächsten Stufe ein Blick auf die Medikamente richtig. „Meist hilft es schon, die Dosierung oder Art der Akutmedikamente anzupassen“, erklärt die Expertin. Erst wenn der Kopfschmerz dann weiterhin häufiger als an vier Tagen im Monat auftritt, wäre ein Termin bei einem Experten ratsam.
Außerdem möchte sie Mut machen: „Es gibt mittlerweile immer mehr Medikamente speziell für Migränepatienten, die im Alltag nicht ständig müde machen oder zu einer starken Gewichtszunahme führen“, sagt sie.
Vor allem sei ein Blick auf den gesamten Menschen wichtig. Viele hätten beispielsweise nicht nur Kopf-, sondern auch Rücken- oder Gelenkschmerzen. Diese mitzubehandeln, könne sich auch positiv auf die Migräne auswirken.
Landwirte hätten anderen Berufsgruppen zudem voraus, dass sie Pausenzeiten wie die Mittagsruhe in ihren Tag einplanen können. Außerdem sei es sinnvoll, Aufgaben vor dem Bildschirm mit der Arbeit auf dem Hof oder in Bewegung abzuwechseln.