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Interview “Wir sind Vorreiter der Energiewende“

Der Ausbau der Windenergie und der Stromnetze kommt in Schleswig-Holstein stark voran. Das Land könnte Vorbild auch für andere Bundesländer werden. Wir haben Robert Habeck, Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, nach den Erfolgsrezepten und Herausforderungen gefragt.

Lesezeit: 8 Minuten

top agrar: Schleswig-Holstein hat im Jahr 2015 erstmals mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt, als im Land brutto verbraucht wurde. Ist die Energiewende für Sie damit schon geschafft?

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Habeck: Nein, noch lange nicht. Denn wir müssen die Energiewende auch in anderen Bereichen wie Wärme und Verkehr schaffen. Da gibt es noch viel zu tun.


top agrar: Überall stockt der Netzausbau nicht zuletzt wegen langwieriger Genehmigungsverfahren. Wie haben Sie das beschleunigen können?


Habeck: In der Tat haben wir den Netzausbau schneller vorangebracht als der Übertragungsnetzbetreiber Tennet es ursprünglich geplant hatte. Wir haben dafür auf das vorgeschaltete formale Raumordnungsverfahren verzichtet. Dafür haben wir die Bürger über einen Dialogprozess von Anfang an einbezogen: Statt Pläne einfach auszuhängen, sind wir in den Regionen in Turnhallen oder Gaststätten gegangen, haben die Trassenführung erläutert und Anregungen aufgenommen. Dadurch haben wir die Leitungen so planen können, dass es möglichst wenig Konflikte gab. Das führt an einzelnen Stellen zu kleinen Umwegen größer, aber dafür auch die Zustimmung bei Bürgern und Naturschutzverbänden. Durch die bessere Planung geht es schneller als sonst üblich. Inzwischen ist von den gut 590 Kilometern an neuen Höchstspannungsleitungen nahezu die Hälfte in Bauvorbereitung, ein Teil davon ist schon gebaut. Für die weiteren Strecken sind die Genehmigungsprozesse weit fortgeschritten. Damit sind wir extrem gut davor.“


top agrar Trotzdem sind bei Ihnen im Jahr 2015 rund 3 Mrd. Kilowattstunden Strom nicht produziert worden, weil die Anlagen abgeschaltet wurden.


Habeck: Ja, das war deutlich mehr als im Vergleich zu 2014. Strom aus regenerativen Anlagen abzuschalten ist absurd, wenn stattdessen Kohle- und Atomstrom die Netze verstopfen. Aber die Situation wird sich zumindest für Schleswig-Holstein etwas entspannen, weil wir hier mit dem Netzausbau stark vorankommen und ihn an der Westküste wahrscheinlich Ende 2018 abschließen können. Schon im Jahr 2017 könnte es etwas weniger Abschaltungen geben. Außerdem wollen wir Industrie und Wärmelieferanten unterstützen, dass sie günstigen Strom in Spitzenzeiten nutzen.


top agrar: Wie wollen Sie das erreichen?


Habeck: Hierfür haben wir uns vergangenes Jahr dafür eingesetzt, dass der Gesetzgeber zuschaltbare Lasten in das Erneuerbaren-Energien-Gesetz aufnimmt, z.B. in Form einer Verordnungsermächtigung. Bei dieser Art der Sektorenkopplung könnte der Strom bei drohender Netzüberlastung in Speichern, in Industrieprozessen oder in Wärmenetzen aufgenommen werden. Wir haben gefordert, dass der Gesetzgeber über eine Verordnung ein Anreizsystem für Betreiber von zuschaltbaren Lasten, also beispielsweise von Speicher- oder Power-to-Heat-Anlagen, schafft. Zudem soll die Abregelung von Anlagen erst dann erlaubt sein, wenn sich keine Lasten zuschalten lassen. Leider ist die Bundesregierung unserem Anliegen nur zum Teil gefolgt: Der Strom soll ausschließlich in Wärmenetzen genutzt werden dürfen, die an bestehende KWK-Anlagen angeschlossen sind. Aus unserer Sicht wurde hier eine Chance vertan.


top agrar: Ist das Thema damit passe?


Habeck: Nein. Wir verfolgen diesen Ansatz in dem Forschungsprojekt ‚Norddeutsche Energiewende NEW 4.0’. Das ist eines der Schaufensterprojekte zur Energiewende, das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird und für das wir sogar eine gesetzliche Ausnahmegenehmigung haben, damit Verbraucher bestimmte Strompreis-Umlagen nicht zahlen müssen. Mit NEW 4.0 erproben mehrere Unternehmen und Forschungsinstitute, wie sich Hamburg und Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2035 vollständig mit erneuerbaren Energien versorgen lassen. Zuschaltbare Lasten sind dabei vor allem in der Industrie in Hamburg von Interesse. Wir hoffen, dass die Ergebnisse des Projekts auch für andere Bundesländer interessant werden, die in ein paar Jahren vor den gleichen Herausforderungen stehen wie wir. Die Bundesregierung hat Sorge, mit dem Modell neue Subventionen zu schaffen. Aber das halte ich für falsch. Wir bräuchten einen Marktanreiz, damit jetzt die richtige Technik dafür entwickelt wird.


top agrar: Aber wenn Sie jetzt die Stromtrassen ausbauen, sind dann zuschaltbare Lasten überhaupt noch nötig?


Habeck:. Ja, davon ist auszugehen. Wir legen die Netze ja nicht auf die maximal mögliche Höchstlast aus. Zudem rechnen wir noch mit einem deutlichen Ausbau der Windenergie. An bestimmten Tagen mit wenig Abnahme und viel Wind wird es immer eine zeitweilige Überlast im Netz geben und in diesen Situationen können zuschaltbare Lasten weiterhin dazu beitragen, volkswirtschaftlichen Schaden durch Abregelungen zu vermeiden. Zudem ist ungewiss, wann der Netzausbau wirklich fertig sein wird, da er in den Ländern weiter südlich bisher kaum vorankommt. So haben sich Länder wie Bayern ja lange gegen die Stromleitung „Südlink“, mit der der Strom aus Norddeutschland gen Süden transportiert werden soll, gewehrt. Die Verzögerungen sind die Folge.


top agrar: Wie bewerten Sie dieses? Ein Rückschlag für die Energiewende?


Habeck: Die Länder schaden sich damit in erster Linie selbst. Denn Bayern und Baden-Württemberg haben keine Chance, sich selbst vollständig regenerativ zu versorgen. Südlink ist also eine Hilfe für die Energieversorgung in Süddeutschland. Wenn Bayern nach Abschalten der Atomkraftwerke auf Erdgaskraftwerke setzt, wird es mittelfristig zwei Tarifzonen in Deutschland geben: Günstige Strompreise dank Windenergie im Norden, teure Strompreise im Süden.


top agrar: Die Bundesregierung hat Schleswig-Holstein ungeachtet Ihrer Erfolge beim Trassenbau zum Netzausbaugebiet erklärt mit der Folge, dass deutlich weniger Windparks gebaut werden dürfen als bislang. Ziel ist es, den Ausbau der Stromnetze mit dem Zubau neuer Anlagen gleichzuschalten. Halten Sie das für sinnvoll?


Habeck: Die Netzausbaugebiete sind falsche Antworten auf den fehlenden Netzausbau. Die Antwort muss heißen: Netze ausbauen. Der Strom wird bundesweit für Energiewende und Klimaschutz gebraucht. Deshalb hätten wir uns gewünscht, dass der Strom genutzt wird anstatt die Anlagen abzuregeln. Die Deckelung verlangsamt die Energiewende noch weiter. Dabei ist heute schon klar, dass Deutschland die völkerrechtlichen Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens mit dem jetzigen Ausbautempo und den herabgesetzten Zielen nicht einhalten kann. Den gleichen Denkfehler hat die Bundesregierung bei der EEG-Umlage gemacht: Der Ansatz, mit einer Deckelung des Zubaus den Anstieg der Umlage zu bremsen, ist gescheitert. Wir haben trotz Ausbaubremse einen Anstieg der EEG-Umlage erlebt. Der Zubau neuer Anlagen erhöht die Kosten kaum, wie Studien zeigen, weil die Vergütung nach mehreren Absenkungen vor allem bei PV entsprechend gering ist. Das Problem sind vor allem der nach wie vor niedrige Börsenpreis für konventionelle Strom und die Altkosten – also die Kosten aus den Anfangsjahren der Energiewende. Wir müssen schon dahin kommen, dass die Erneuerbaren günstiger, und die fossilen Energien teurer werden.


top agrar: Aber die Anlagenbetreiber in Schleswig-Holstein haben 2,6 Milliarden Euro an Vergütung bzw. Markterlöse erhalten, im Jahr 2014 waren es noch 1,8 Milliarden Euro. Löst der Anstieg nicht Kritik bezüglich der Kosten aus?


Habeck: Die Zahlungen gehen auf den starken Ausbau der Windenergie auf See und an Land zurück. Und natürlich müssen wir die Kosten im Blick behalten. Aber die Energiewende bringt auch extrem starke Impulse für die ländliche Region, für die Wirtschaft und den Klimaschutz.


top agrar: Das kommt bei den Bürgern aber so nicht als Argument an. Welche weiteren Möglichkeiten gäbe es zur Akzeptanzsteigerung?


Habeck: Es ist ja klar, dass Leute sich ärgern, wenn EEG-Umlage immer weiter steigt. Ich denke, wir sollten einen Energiewendefonds auflegen, aus dem die hohen Altkosten aus den Anfangsjahren der Energiewende bezahlt werden. So könnte die EEG-Umlage sinken und Stromkunden würden entlastet. Damit würden die Erneuerbaren billiger. Die fossilen Energieträger könnten moderat im Preis steigen. Dies soll für die Endverbraucher einkommensneutral geschehen.


top agrar: Eine Besonderheit bei Ihnen ist das Verwaltungsgerichtsurteil, dass die aktuelle Regionalplanung als nichtig erklärt hat. Auch damit stockt der Windenergieausbau. Wie gehen Sie damit um?


Habeck: Das Urteil führte dazu, dass die alte Landesplanung, anhand derer wir die Windenergie ausgebaut haben, nicht mehr gilt. Denn es sei unzulässig, dass wir den Willen der Gemeinden und Bürgerentscheide bei der Landesplanung berücksichtigt haben. Die Bürger dürfen also nicht mitbestimmen, da ein Windpark genauso eine unternehmerische Entscheidung sei wie der Neubau eines Hotels z.B. Das Signal, was von dem Urteil ausgeht, war fatal. Es gibt das Gefühl, dass die Menschen nicht mehr mitreden dürfen.


top agrar: In diesem Jahr sind Bundestagswahlen. Was müsste sich energiepolitisch aus Ihrer Sicht sofort ändern?


Habeck: Wir Grünen fordern, dass die Ausschreibungsmenge bei der Windenergie erhöht wird. Auch müssen wir die Sektorenkopplung stärker voran bringen, damit jede Kilowattstunde Strom, die produziert wird, auch genutzt werden kann. Dafür bedarf es entsprechender Anreize. Außerdem brauchen wir endlich einen klaren Fahrplan für den Kohleausstieg, das sind wir nicht zuletzt den Beschäftigten in diesem Sektor schuldig.


Hinrich Neumann

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