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Welche Kuhzahl ist krisenfester?

Die letzten beiden Jahre waren für Milchviehbetriebe nicht leicht. Viele kämpften mit Liquiditätsproblemen. Ob die Betriebsgröße einen Einfluss darauf hat, dass ein Milchviehbetrieb schneller ins Straucheln kommt, lesen Sie hier.

Lesezeit: 22 Minuten

Die Nachrichtenmeldung aus dem Frühjahr 2017 war zwar nur eine kleine Randnotiz, doch sie wirft auf den Höfen Fragen auf: „Milchsonderbeihilfe geht überwiegend an größere Betriebe“ hieß es da. Gemeint sind Gelder aus dem Hilfspaket der Bundesregierung zur Überbrückung der Milchpreisturbulenzen 2015/2016. Und die Fragen, mit denen viele Landwirte in diesen Tagen an die Beratung herantraten waren etwa: „Soll mein Betrieb etwa wachsen, nur um in der nächsten Krise als erster Hilfsgelder beantragen zu müssen? Sollte ich meine Erweiterungspläne für die nächsten Jahre etwa überdenken?“

In der Tat erzeugen etwa in Niedersachen 57 % der Betriebe, die sich für die Sonderbeihilfen angemeldet haben, eine Milchmenge über eine Million kg jährlich. Der Landesschnitt liegt dagegen bei rund 750.000 kg. Doch die Krisenanfälligkeit von Betrieben nur anhand dieser Zahlen beurteilen zu wollen, greift viel zu kurz.

Um der Frage „Welche Kuhzahl ist krisenfest?“ näher zu kommen, haben wir deshalb insgesamt 497 Jahresabschlüsse aus drei Wirtschaftsjahren (2014-2016) von niedersächsischen Milchviehbetrieben miteinander verglichen und anonymisiert ausgewertet. Die folgenden Zahlen beziehen sich also nicht auf Betriebszweig- oder Vollkostenauswertungen. Vielmehr wird analysiert, was der Gesamtbetrieb am Ende des Jahres abgeworfen hat und nicht nur der Betriebszweig Milch.

Folgende Betriebsgrößen werden miteinander verglichen:

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  • Gruppe 1; bis 120 Kühe:                        klassische Familienbetriebe
  • Gruppe 2; über 120 und bis 200 Kühe:  erweiterte Familienbetriebe
  • Gruppe 3; über 200 bis 350 Kühe:          stark gewachsene Betriebe mit über 50 % Fremdarbeitskräften
  • Gruppe 4; über 350 Kühe:                       Großbetriebe mit über 75 % Fremdarbeitskräften
 

Tab. 1: Betriebsspiegel der einzelnen Gruppen (Mittel aus drei Wirtschaftsjahren)


Gruppe 1;bis 120 KüheGruppe 2;>120-200 KüheGruppe 3;>200-350 KüheGruppe 4;>350 Kühe
Anzahl der Jahresabschlüsse gesamt2311676534
Rinder gesamt153238397674
davon Milchkühe86150256465
Milchleistung8.589 kg8.841 kg9.095 kg9.260 kg
abgelieferte Milchmenge733.000 kg1,32 Mio. kg2,33 Mio. kg4,24 Mio. kg
Anbaufläche90 ha132 ha195 ha382 ha
Arbeitskräfte gesamt1,92,84,47,8
davon Fremd-AK0,51,22,36,4
Je größer die Betriebe, desto höher die Milchleistung der Herde.



 



Wie der „Durchschnittsbetrieb“ der jeweiligen Klassifizierung aussieht, zeigt Tabelle 1. Abgebildet ist der Mittelwert aus drei Wirtschaftsjahren. Auffällig hierbei: Je größer die Betriebseinheit wird, desto höher ist auch die Milchleistung. Der klassische Familienbetrieb mit bis zu 120 Kühen liegt knapp bei 8.600 kg, jede folgende Betriebsgruppe legt dann aber noch rund 200 kg zu.  Das Management bzw. die Professionalität scheinen also mitzuwachsen, wenn mehr Kühe im Stall stehen. Hierzu sei allerdings gesagt, des es in jeder Gruppe Schwankungen zwischen 7.000 kg und über 12.000 je Kuh gibt, Größe allein also noch kein gutes Management garantiert.  Die Bullenmast spielt übrigens in den meisten Betrieben kaum eine Rolle, alles dreht sich um die Kuh! Insofern können nur wenige Betriebe auf weitere Standbeine zurückgreifen, wenn der Milchpreis einmal schwächelt.






Abbildung 1 Das Grünland macht auf niedersächsischen Betrieben fast die Hälfte der bewirtschafteten Fläche aus. Der Anteil des Silomaises und der Anteil an Pachtflächen steigen mit der Betriebsgröße.

Der Anteil des Dauergrünlandes nimmt zwar mit steigenden Kuhzahl ab, während der Silomaisanbau zunimmt.  Dauergrünland macht aber meist noch über die Hälfte der Anbaufläche der niedersächsischen Betriebe aus. Getreideanbau findet dagegen in Vergleichsweise geringem Umfang und meistens auch nur in dem Maße statt, um die Greeningauflagen zu erfüllen. Der Futterbau steht bei diesen Betrieben ganz klar im Vordergrund. Der Trend, dass mit zunehmender Betriebsgröße auch der Pachtanteil an der Fläche steigt, zeigt sich übrigens auch hier: Beträgt dieser bei den Familienbetrieben im Schnitt knapp über 50 %, sind es bei Betrieben mit über 200 Kühen an die 70 %. Betriebliches Wachstum erfolgt also immer auch über Flächenpachten.

Was bedeutet das für die Stabilität des Betriebes? Erst einmal nicht viel, wenn langfristige Pachtverträge vorliegen. Liegen langfristige Pachtverträge vor, steht der Betrieb standfester da. Das Kartenhaus aus Pachtverträgen fällt aber schnell in sich zusammen, wenn ein großer Verpächter deutliche Pachterhöhungen verlangt, die der Betrieb entweder nicht leisten kann oder nicht leisten will. Betriebsleiter, die besser durch Krisen kommen als andere, achten daher eher darauf bei Wachstumsschritten die Pachtfläche langfristig sicher zu haben und sich nicht zu sehr in die Abhängigkeit eines Verpächters zu begeben. In der Vergangenheit wurde das vielerorts nicht immer so gehandhabt mit dem Ergebnis, dass erst der neue Stall stand und sich dann die zusätzlich benötigte Fläche mühsam zusammengesucht werden musste – egal zu welchem Preis. Für die Zukunft gewinnt dieses Thema wegen der neuen Düngeverordnung sogar noch weiter an Brisanz.

Wie zu erwarten war, steigt auch der Mitarbeitereinsatz, je größer die Betriebe werden. Auf den klassischen Familienbetrieben bis 120 Kühe sind es mit durchschnittlich einer halben Arbeitskraft überwiegend Aushilfen und Auszubildende. In großen Herden trifft man aber immer mehr Spezialisten: Herdenmanager, Futtermeister, Melker. 


Welchen Milchpreis braucht der Betrieb?


Die Liquidität war in den letzten beiden Jahren auf vielen Betrieben das entscheidende Thema, weshalb auch Hilfsprogramme wie die oben erwähnte Milchsonderbeihilfe von der Politik angeschoben wurden. Die Liquidität lässt sich gut durch die Kennzahl des Break-Even-Preises greifen, zu Deutsch: Mindestmilchpreis. Dies ist jener Preis, der nötig wäre, damit alle betrieblichen Ausgaben, Privatentnahmen und der Kapitaldienst gedeckt werden können - unterm Strich am Ende des Jahres also eine schwarze Null steht (oder wie die Betriebswirte sagen: Der Cash-Flow III ist gleich null; vgl. Kasten). Wichtig zu wissen: Der Mindestmilchpreis ersetzt keine Betriebszweigauswertung! Er sagt nur aus, ob Geld verdient wurde, nicht aber wo im Betrieb. Er beinhaltet außerdem Einlagen, beispielsweise aus Sparguthaben, aber auch die Flächenprämien. 

Im Durchschnitt der Jahre benötigen niedersächsische Betriebe bis 200 Kühe etwa 37,5 ct/kg brutto (=33,5 ct/ kg netto inkl. aller Zuschläge), damit sie alle Ihre Kosten decken können (Abbildung 1). Bei Betrieben über 200 Kühen waren es etwa 0,6 ct/kg brutto mehr.

Schaut man sich die Unterschiede zwischen den Jahren an wird allerdings deutlich, wie groß die Schwankungen sind. Wie kann es beispielsweise sein, dass die Mindestmilchpreise im Jahr 2015/2016 durchweg um 4-5 ct/kg im Vergleich zum Vorjahr gesunken sind? Zweierlei spielt hier eine Rolle: Zum einen sind die Kosten für Quotenpacht und Superabgabe in diesem Jahr aus den Jahresabschlüssen verschwunden – vielerorts war das ein nicht unerheblicher Kostenfaktor. Zum anderen wird hieran deutlich, dass die Betriebe mit Blick auf den fallenden Milchpreis, der sich ja bereits seit 2015 angekündigte, deutlich gespart haben, um flüssig zu bleiben.

Nur um ein Gefühl für die Zahlen zu bekommen: Legt man die Milchmengen und die Mindestmilchpreise des Wirtschaftsjahres 2015/2016 einem Brutto-Auszahlungspreis von 30 ct/kg zugrunde, betrug die Liquiditätslücke auf den Familienbetrieben bis 120 Kühen im Durchschnitt 32.000 €. Der Fehlbetrag niedersächsische Milcherzeuger bis 200 Kühe war mit 63.000 € fast doppelt so hoch, bis zu 350 Kühe mussten eine Lücke von durchschnittlich über 160.000 € stopfen und bei den noch größeren Betrieben war es noch einmal doppelt so viel, nämlich 320.000 €! Hier wird die Hebelwirkung einer hohen Milchmenge deutlich, die natürlich auch in die andere Richtung wirkt, wenn die Preise steigen.




 



Abbildung 2 Der Mindestmilchpreis schwankt von Jahr zu Jahr. Im Schnitt über drei Jahre brauchten Betriebe bis 200 Kühe um die 37,5 ct/kg zur Kostendeckung, über 200 Kühe waren es knapp über 38 ct/kg. In den letzten beiden Jahren wurde weniger ausgezahlt, als die Betriebe gebraucht hätten.


Familienbetriebe sind flexibel


In dieser Phase zeigt sich die Stärke der „kleineren“ Betriebe im Vergleich zu denen mit über 200 Tieren. Neben den oben beschriebenen Maßnahmen können viele Familienbetriebe in Tiefpreisphasen zusätzlich versuchen, durch Mehrarbeit Kosten zu sparen, beispielsweise indem weniger Aushilfen beschäftigt werden und einige Arbeiten der Außenwirtschaft – soweit es geht –  wieder selber erledigt werden statt auf den Lohnunternehmer zu setzen. Die größeren Betriebe haben diese Möglichkeit oft nicht. Kostenreserven liegen in solchen Zeiten außerdem bei den Futterkosten, aber auch der Aufschub von Investitionen und größeren Reparaturen und Instandsetzungsarbeiten – was freilich nur bei kurzfristigen Preisrutschen funktioniert.

Und natürlich wird dann auch bei den Privatentnahmen gespart, wo es geht. Diese machen bei kleineren Betrieben im Dreijahresschnitt rund 7 ct/kg aus. In der Klasse bis 200 Kühe sind es noch knapp 6 ct/kg. Und bei Herdengrößen über 200 Tiere sind es unter 5 ct/kg. Das heißt im Umkehrschluss, dass sich kurzfristige Einsparungen in diesem Bereich bei kleineren Betrieben deutlich stärker in einem Rückgang des Mindestmilchpreises auswirken als bei größeren Betrieben. Es darf allerdings auch nicht zur Gewohnheit werden, Verluste dadurch ausgleichen zu wollen, indem die Familie ihren Lebensstandard reduziert.  


Personalkosten nehmen zu


Immer wieder ist vom Festkostenblock die Rede, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit von Betriebsgrößen in Krisen geht. Auf den ersten Blick haben Großbetriebe hier offenbar eindeutige Vorteile: Während es in der Gruppe 1 um die 15 ct/kg sind, sinkt der Festkostenanteil bei den großen Betrieben auf durchschnittlich rund 4 ct/kg (Abbildung 3). Auch an dieser Stelle macht sich die höhere Milchleistung zwar stark kostensenkend bemerkbar.   






Abbildung 3 Gesamtbetrieblich gesehen haben Großbetriebe wegen ihrer hohen Milchmenge nur noch knapp ein Drittel der Festkosten kleinerer Betriebe




Bezogen auf die Kuh sind die Unterschiede bei den Festkosten zwischen den Betrieben allerdings gar nicht aber nicht mehr so groß; sie liegen bei fast allen Gruppen bei rund 1.400 € je Kuh, bei dieser Betrachtungsweise haben die größeren Betriebe über 350 Kühe mit etwa 1.500 € sogar die höchsten Festkosten je Tier. Das sagt zwei Dinge aus:

  1. Sollen bei einem arbeitsintensiven Produktionsverfahren wie der Milchviehhaltung Kostenvorteile über die Größe entstehen, muss die Milchleistung bzw. die Produktivität mit der Kuhzahl in der Regel steigen.
  2. Gelingt dies nicht oder wird eine höhere Leistung z.B. durch enorm hohe Kraftfutter- oder Tierarztkosten „erkauft“, ist der Größenvorteil schnell dahin.  
Zudem machen bei den untersuchten niedersächsischen Familienbetrieben die Personalkosten 12 % aus, während es bei den Großen fast ein Drittel sind – Tendenz steigend. Folglich gewinnt auch die Sicherung der Löhne in Preistälern mit steigender Betriebsgröße eine immer größere Bedeutung.

Der Familienbetrieb hat bei niedrigen Milchpreisen also kurzfristig Vorteile, aber man muss auch die Schattenseiten sehen: Viele Betriebsleiter sind an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gelangt. Zudem geht die Zeit, die mehr fürs Güllefahren oder Melken aufgebracht werden, meistens auf Kosten wichtiger Managementaufgaben in Stall und Büro, was sich mittelfristig negativ auf die Betriebsentwicklung auswirken kann.

Zwischenfazit: Der Mindestmilchpreis liegt im Schnitt aller Betriebsgrößen bei etwa 38 ct/kg brutto (=33,9 ct/kg netto), wiederum mit erheblichen einzelbetrieblichen Spannen zwischen 24 bis deutlich über 40 ct/kg in allen Gruppen. Mit dieser Zahl lässt sich die Liquidität in einer Momentaufnahme zwar gut beurteilen, eine Aussage zur Krisenfestigkeit eines Betriebes gibt er aber nur bedingt.


Gut und genug investiert?


Hier lohnt sich ein Blick auf den Kapitaldienst und die Investitionstätigkeit auf den Betrieben. Der Kapitaldienst beeinflusst den Mindestmilchpreis ganz erheblich. Er beträgt in der Gruppe bis 350 Kühe zwischen 5,7 und 6,5 ct/kg (Tab.2). Bei den großen Betrieben liegt er sogar über 7 ct/kg Milch – verbunden mit den sehr hohen Verbindlichkeiten je Kuh, mit denen das Wachstum finanziert wurde, ist das schon ein schwerer Rucksack, der mit durch die nächsten „Krisen“ geschleppt werden muss. Interessanterweise ist der Kapitaldienst bei den norddeutschen Familienbetrieben im Vergleich der zweithöchste, obwohl die Verbindlichkeiten relativ gesehen die niedrigsten sind. Wie kann das sein?


Tab. 2: Kapitaldienst (Mittel aus drei Wirtschaftsjahren)


Gruppe 1;bis 120 KüheGruppe 2;>120-200 KüheGruppe 3;>200-350 KüheGruppe 4;>350 Kühe
Kapitaldienst je kg Milch6,5 ct/kg6,2 ct/kg5,7 ct/kg7,4 ct/kg
Kapitaldienst je Kuh557 €/Kuh541 €/Kuh520 €/Kuh700 €/Kuh
Verbindlichkeiten je Kuh4.019 €/Kuh4.301 €/Kuh4.665 €/Kuh4.769 €/Kuh
Eigenkapitalquote58 %50 %45 %41 %
Nettoinvestitionen je Kuh538 €/Kuh316 €/Kuh762 €/Kuh157 €/Kuh
Veralterungsgrad Anlagevermögen38 %44 %46 %45 %



 

Tabelle 2 Den höchsten Kapitaldienst haben die Großbetriebe zu schultern, weil hier in der Vergangenheit für Aufstockungen viel Fremdkapital aufgenommen wurden. Besonders stark in ihr Wachstum haben Betriebe mit über 200 


Die abgelieferte Milchmenge bzw. Kuhzahl ist deutlich niedriger, Zins und Tilgungen verteilen sich also auf weniger Einheiten. Zudem sind kleinere Stalleinheiten umgerechnet aufs einzelne Tier teurer als große Ställe. So kommt es, dass die kleineren Betriebe nominell zwar recht hohe Investitionen getätigt haben, die über reine Ersatzinvestitionen sogar hinausgehen (=Nettoinvestitionen). Wichtig ist aber auch, dass in rentables Vermögen investiert wird, das den Betrieb produktiver macht. Genau das ist offenbar auf den Familienbetrieben nicht immer gelungen, vergleicht man die Milchleistungen in Tab. 1.

Hierzu Beispiele aus der Praxis: Ein Hightech-Schlepper, der auf einem Futterbaubetrieb weniger als 1.000 Std. jährlich läuft, oder ein selbstfahrender Mischwagen, mit dem 150 Kühe nur mit Gras- und Maissilage gefüttert werden, steigern zwar mitunter den Spaß an der Arbeit, verbessern aber nicht unbedingt die Rentabilität des Betriebes. Ein Wellnessabteil für Trockensteher und Frischabkalber oder zusätzliche Fress- und Liegeplätze, um Überbelegungen zu vermeiden, sind dagegen oft günstig herzustellen und bewirken manchmal reale Leistungssprünge!

Zudem ist das Anlagevermögen wie Gebäude und Technik bei klassischen Familienbetrieben steuerlich schon deutlich weiter abgeschrieben als in denen mit über 120 Kühe, da hier Neubauten oder Erweiterungen umgesetzt worden sind. Dies zeigt der Veralterungsgrad. Je niedriger diese Kennzahl ist, desto älter ist die Produktionstechnik. Das soll nicht heißen, dass ältere Ställe und Maschinen automatisch schlecht sind – bei guter Pflege und Instandhaltung können auch in Altgebäuden mit der Fütterung durch den Siloblockschneider noch Top-Leistungen erzielt werden, wie viele Beispiele zeigen-, aber die tendenziell weiter fortgeschrittenen Abschreibungen deuten zumindest darauf hin, dass in den kleineren Betrieben in der Vergangenheit verhaltener investiert wurde, hier also im Umkehrschluss Nachholbedarf bestehen könnte.


Banker sitzen mit im Boot


Die neuen Ställe und Melkstände stehen dagegen auf den Höfen mit über 120 Kühen, besonders eifrig haben die Wachstumsbetriebe mit über 200 Kühen investiert. Das drückt sich bereits jetzt in den Verbindlichkeiten von über 4.600 €/Kuh aus (600 € mehr als bei den Familienbetrieben), allerdings noch nicht im Kapitaldienst aus. „Noch“ deshalb, weil gerade in den Jahren 2014 und 2015 viele neue Ställe gebaut wurden. Weil Baudarlehen in der Regel mit ein bis zwei tilgungsfreien Jahren ausgestattet sind, sind die Tilgungen oft noch nicht in vollem Umfang angelaufen bzw. wurden mit dem Verfall des Milchpreises noch einmal ausgesetzt, soweit dies in Absprache mit den Banken möglich war. Folgerichtig fällt die Eigenkapitalquote, je größer die Betriebe sind. So liegt diese mit 41 % um fast ein Drittel niedriger als bei den klassischen Familienbetrieben mit 58 %! In der Praxis muss das nicht zwangsläufig ein Nachteil bei neuen Kreditvergaben sein, wenn der Betrieb sonst gute Zahlen liefert und seinen Kapitaldienst immer zuverlässig leisten kann. Wenn man allerdings wieder in der Kategorie „Krisenfestigkeit“ denkt, kann dies bei der Aufnahme von neuen Liquiditätskrediten durchaus eine Rolle spielen, zumindest was die Höhe der Zinssätze und der Stabilität der Betriebe angeht.

Das Thema Kapitaldienst wird künftig auf vielen Betrieben weiter in den Fokus rücken. Denn mit den bereits erwähnten 6 – 7 ct/kg macht dieser bei allen Betriebsgrößen mittlerweile einen beachtlichen Posten aus. In den nächsten zwei Jahren werden auf vielen Höfen zusätzlich die ersten Raten für die in den letzten beiden Jahren aufgenommen Liquiditätsdarlehen fällig, was erwarten lässt, dass der Kapitaldienst steigt.

Was können die Betriebe also tun, um ihren Mindestmilchpreis zu drücken und gleichzeitig kapitaldienstfähig zu bleiben? Kann man sich keine weiteren Standbeine wie z.B. in der Direktvermarktung oder im Energiebereich aufbauen, sind die Möglichkeiten begrenzt: Mehr melken, besseres Management bei gleichzeitiger Kostensenkung! Das klingt wie ein Märchen, aber gerade das Krisenjahr 2015/2016 hat gezeigt, dass es möglich ist.  Erhebliche Reserven liegen nach wie vor bei der Fütterung, denn sie macht laut Vollkostenauswertungen niedersächsischer Betriebe fast die Hälfte der Produktionskosten aus. Zwischen den erfolgreichen und weniger erfolgreichen Betrieben liegen etwa 2 ct/kg Milch – wiederum mit einer sehr großen Schwankungsbreite zwischen den Betrieben. Können die Fütterungskosten beispielsweise durch schärferes Controlling und gezieltere Rationsoptimierung um 1 ct/kg reduziert werden, ohne das die Milchleistung sinkt, spart ein durchschnittlicher Familienbetrieb bereits knapp 8.000 € pro Jahr, bei bis zu 200 Kühen sind es fast 14.000 € Futterkosten und die großen Betriebe sparen sogar über 45.000 € pro Jahr! Steigerung der Milchmenge bei gleichbleibenden Kosten wirken sich zudem immer positiv auf den Mindestmilchpreis aus. Das ist sicher leichter gesagt als getan, aber die Möglichkeit ist da.


Arbeiten zum Mindestlohn?


„Für welchen Stundenlohn arbeitet ihr auf eurem Betrieb eigentlich?“ Auf diese Frage erntet man vom Betriebsleiter oft nur ein Schulterzucken. „Zu wenig“, ist dann meistens die zögerliche Antwort. Aber wie hoch ist der eigentliche Stundenlohn? Die Vermutung des Betriebsleiters ist nicht ganz falsch, wie Tabelle 3 zeigt. Eine Antwort gibt der Arbeitsertrag für nicht entlohnte Familienarbeitskräfte.  Diese Zahl ergibt sich, indem vom Gewinn der Pachtansatz und ein Zinsansatz für das Eigenkapital (ohne Boden) abgezogen werden. Damit ist bereits berücksichtigt, dass der Betriebsleiter seine Eigentumsfläche alternativ auch hätte verpachten und sein Eigenkapital zur Bank bringen können.

 

Tab. 3: Was verdient ein Betriebsleiter? (Mittel aus drei Wirtschaftsjahren)


bis 120 Kühe>120-200 Kühe>200-350 Kühe>350 Kühe
Milchpreis (brutto)36,1 ct/kg35,8 ct/kg36,2 ct/kg36,0 ct/kg
Arbeitsertrag je nicht entlohnter Familien-AK19.723 €/Fam.-AK21.216 €/Fam.-AK32.970 €/Fam.-AK44.203 €/Fam.-AK
Stundenlohn je nicht entlohnter Familien-AK* 7,0 €/Std.7,6 €/Std.11,8 €/Std.15,8 €/Std.
Arbeitsertrag je AK gesamt15.904 €/AK13.819 €/AK14.927 €/AK4.506 €/AK
Eigenkapitalveränderung Unternehmer je Kuh-129 €/Kuh-163 €/Kuh-226 €/Kuh-66 €/Kuh
* brutto; berechnet mit 2.800 Arbeitsstunden für eine Familien-Arbeitskraft



 

Tabelle 3 Die Arbeitserträge machen das Einkommen der Landwirte mit Bruttolöhnen vergleichbar. Im Schnitt der letzten drei Jahre war diese deutlich zu niedrig, teilweise sogar unter dem Mindestlohn!


Im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre bei einem Bruttomilchpreis von 36 ct/kg (≈32 ct/kg netto) hatte eine niedersächsische Familienarbeitskraft auf Betrieben bis 200 Kühe einen Arbeitsertrag (=Bruttolohn) von knapp 21.000 €. Das ist deutlich zu wenig (!) und bewegt sich eher auf dem Niveau einer ungelernten Arbeitskraft als auf dem angemessenen Niveau eines gut ausgebildeten Betriebsleiters, die neben kaufmännischer Verantwortung auch noch Personalverantwortung sowie das gesamte Risiko tragen! Nicht besser wird das Bild, wenn man das Ganze noch auf den Stundenlohn herunterbricht: Um die 7,5 €/Std. brutto sind sogar noch unter dem Mindestlohn!   

Mit steigender Betriebsgröße über 200 Kühen steigt dann auch der Arbeitsertrag auf knapp 33.000 € bzw. 44.000 € je Familienarbeitskraft. Das muss allerdings auch so sein, damit das größere unternehmerische Risiko zumindest ansatzweise entlohnt wird. Schließlich tragen diese Betriebsleiter auch das bereits erwähnte Risiko einer deutlich höheren Verschuldung, eines tendenziell steigenden Kapitaldienstes und eines großen Festkostenblocks, vor allem durch die höheren Personalkosten.

Apropos Personalkosten: Bringen die zusätzlichen Arbeitskräfte, die große Betriebe nun einmal brauchen, eigentlich auch mehr Arbeitsertrag? Nein, sagt die Zahl Arbeitsertrag je AK gesamt, die sich aus sämtlichen Arbeitskräften des Betriebes ergibt. Im Gegenteil, sie fällt sogar ab! Erwirtschaftet jede Arbeitskraft auf einem Familienbetrieb (also Familien-AK + Fremd-AK) auf einem Familienbetrieb noch rund 16.000 €, sind es auf den Großbetrieben wegen ihrer höheren Lohnkosten nur noch knapp 4.500 €. Das heißt, dass der große Anteil an entlohnten Arbeitskräften auf großen Betrieben nicht zwangsläufig auch mit höheren Gewinnen einhergeht. Anders ausgedrückt: Großbetriebe können auf entlohnte Arbeitskräfte nicht verzichten, aber daran gemessen fahren sie nicht deutlich höhere Gewinne ein. Das kann oft durch Verbesserung in den Arbeitsabläufen und der Arbeitsorganisation optimiert werden.

Unterm Strich haben im Durchschnitt der vergangenen drei Wirtschaftsjahre allen Betriebsgrößen Eigenkapitalverluste eingefahren. Natürlich konnte auch im sehr guten Wirtschaftsjahr 2013/14 bei einem Auszahlungspreis von über 40 ct/kg Milch auch einmal Speck angesetzt werden, dieser wurde jedoch im Verlauf der beiden folgenden Jahre wieder aufgezehrt, es ging sogar an die Reserven.


„Hohe Milchleistung + viele Kühe = Krisenfest“ – stimmt die Gleichung?


Wie sieht ein krisenfester bzw. stabiler Betrieb nun aus? Solch ein Betrieb

  • hat – und das ist die Grundvoraussetzung für alles Weitere – seine Produktionstechnik im Griff. Er erzielt also gute Milchleistungen und nutzt seine Fläche effektiv, indem er gutes Grundfutter erzeugt.
  • kennt seine Kosten (BZA!) und kann daraus ableiten, wo Stärken und Schwächen liegen.
  • kommt auch mittelfristig mit niedrigen Milchpreisen klar, ohne gleich Liquiditätsprobleme zu haben (zumindest kurzfristig); sein Mindestmilchpreis ist also niedrig und er kann im Normalfall Reserven bilden.
  • investiert laufend und das so, dass seine Produktivität (in Milchleistung und je Arbeitskraft) durch die Investitionen steigen; einen Investitionstau muss er nicht befürchten.
  • kann seinen Kapitaldienst deswegen immer zuverlässig leisten, weil sich seine Investitionen schneller rentieren als bei anderen.
  • hat einen schlanken Festkostenblock, der ihn in Tiefpreisphasen nicht gleich erdrückt und ihm zusätzlich noch eine gewisse Flexibilität gibt, um auf Preiskrisen reagieren zu können.
  • schafft es, seine Familienarbeitskräfte nicht nur für einen Mindestlohn arbeiten zu lassen, sondern über die Jahre eine angemessene Entlohnung für die Unternehmertätigkeit zu realisieren.
Eine Gleichung, die alle diese Variablen miteinander verbindet und an deren Ende eine bestimmte Kuhzahl steht, gibt es also nicht! Dafür sind die Betriebe in der Praxis und die regionalen Besonderheiten, unter denen sie wirtschaften, einfach zu unterschiedlich. Das zeigt alleine schon die enorme Schwankungsbreite zwischen den Betrieben innerhalb der einzelnen Gruppen.

Zudem geben die genannten Zahlen nur einen Ausschnitt der niedersächsischen Betriebe wieder, die nicht zwangsläufig auch für Bayern, Hessen oder Mecklenburg-Vorpommern zutreffen müssen. Selbst zwischen den Landkreisen innerhalb Niedersachsens gibt es mitunter deutliche Unterschiede.

Fest steht, dass jede Betriebsgröße ihre Vor- und Nachteile hat. Viele Familienbetriebe sind zwar finanziell stabil aufgestellt, ihr wunder Punkt ist aber die Arbeitswirtschaft. Sie können wohl auch Tiefpreisphasen überstehen, fällt aber nur eine Familienarbeitskraft aus, kommt der ganze Laden ins straucheln – krisenfest ist auch das nicht. Und letztere Fälle werden leider immer mehr.

Viele Großbetriebe mit 200 Kühen plus haben durch das Personal die Arbeitswirtschaft zwar gut am Laufen, bei fallenden Preisen stehen sie aber vor ganz anderen Herausforderungen: Bankengespräche führen, die Löhne für die Mitarbeiter sichern, Verhandlungen mit Pächtern führen, den Betrieb auf Kostentreiber durchleuchten, effektiver werden….

Und natürlich gibt es auch die Fälle, in denen Betriebe mit 100 Kühen (rein mit der Milcherzeugung!) mehr verdienen als ihr Kollege aus dem Nachbardorf mit 300 Kühen, einfach weil der „kleinere“ Landwirt alles optimal eingestellt hat.

Bevor Sie sich also die Frage stellen, ob Sie denn genug Kühe melken, um auf die nächste Krise vorbereitet zu sein, sollten Sie daher zuerst prüfen, ob die oben genannten Charakterisierungen eines stabilen Betriebes auch auf ihren Hof zutreffen. Ist dies nicht überall der Fall, sollte geprüft werden, warum das so ist und was dagegen zu tun ist – und zwar bevor investiert wird!

Sehr hilfreich dafür ist ein Vergleich der Zahlen des eigenen Betriebes mit denen anderer Milcherzeuger. Sind diese auch noch aus derselben Region und wirtschaften unter ähnlichen Bedingungen, kommen die eigenen Stärken und Schwächen sehr schnell zum Vorschein – bei Gruppendiskussionen sogar mitunter schonungslos.    

Frühestens jetzt sollten Sie sich noch einmal überlegen, ob Wachstum die richtige Strategie für ihren Betrieb ist, oder ob Sie vielleicht stabiler aufstellen können, indem Sie gezielte Optimierungen vornehmen statt den ganz großen Wachstumssprung zu machen. Das unternehmerische Risiko ist dadurch meistens überschaubarer und statt im wahrsten Sinne des Wortes neue Baustellen aufzumachen, werden erst einmal die bestehenden fertiggestellt.  Patentrezepte taugen dagegen nichts, insbesondere nicht, wenn es um die Kuhzahl geht!


Arbeiten große Betriebe effektiver?


Großen Betrieben sagt man oft nach, dass die vorhandenen Arbeitskräfte auf den großen Betrieben auch mehr schaffen. Ist das wirklich so? Das verdeutlicht Abbildung 4. Diese unterstellt, dass sämtliche auf dem Betrieb anfallenden Arbeiten der Milcherzeugung dienen, was für den allergrößten Teil der Betriebe aber auch zutrifft, da es kaum andere Betriebszweige gibt – und wenn doch, nur in sehr untergeordneter Rolle. Zwar betreut eine Arbeitskraft auf einem großen Betrieb mit knapp 60 Kühen immerhin 13 Kühe mehr als auf einem Familienbetrieb, bei 60 Kühen je Arbeitskraft ist aber in vielen Fällen auch bei den „Großen“ Schluss. Zwar gibt es hier einzelbetrieblich wieder krasse Unterschiede, beispielsweise bei Roboter-Betrieben. So reicht die Palette bei Betrieben von 120 Kühen aufwärts rechnerisch von 30 bis 170 Kühen je AK. Bei Betrieben mit Melkrobotern und/oder kompletter Auslagerung der Außenwirtschaft ist die Produktivität natürlich höher. Zwei Dinge stellt man im Beratungsalltag jedoch immer wieder fest:

1.Selbst in arbeitswirtschaftlich sehr gut organisierten Familienbetrieben bis 120 Kühen schafft eine Arbeitskraft selten über 100 Kühe.

2.Zahlen um 60 Kühen je Arbeitskraft findet sich in der Praxis immer wieder. Liegen Sie deutlich darüber – gut! Liegen Sie aber deutlich darunter, gibt es offenbar in der Arbeitswirtschaft noch größere Reserven.




 



Abbildung 4 Auf den großen Betrieben betreut eine Arbeitskraft mehr Kühe, zumindest im Durchschnitt stoßen aber viele Betriebe bei 60 Kühen je Arbeitskraft an eine Grenze.

Durch die höheren Milchleistungen erzeugt eine Person jedoch deutlich mehr Milch. Und noch einen Effekt hat die höhere Milchleistung: Bezogen auf die insgesamt verfügbare Futterbaufläche wirtschaften die größeren Betriebe über 200 Kühe deutlich intensiver. Hier werden – wiederum begünstigt durch den etwas höheren Maisanteil -  rund 15.000 kg Milch je ha erzeugt, während es bei den Betrieben bis 120 Kühen nur rund 10.500 kg Milch sind. Das ist ein Drittel mehr!

Man darf diese Zahlen auch künftig nicht unterschätzen. Zwar werden durch die neue Düngeverordnung die Karten völlig neu gemischt, wodurch die Betriebe oftmals mehr Düngefläche vorhalten müssen als sie zur Grundfuttererzeugung wirklich brauchen, dennoch sollte man sich deutlich machen, dass allein für die Arbeitserledigung für die Grundfuttererzeugung je nach Feld-Hof-Entfernungen zwischen 1.200 € und 1.800 € pro ha anfallen – ohne Pacht und Prämie! Fläche ist knapp und teuer, eine intensive Nutzung wird deswegen immer wichtiger, möchte man seine Kosten im Griff behalten.

Hier ist dann wieder die Produktionstechnik gefragt: Bestes Grundfutter erzeugen, Neuansaaten anlegen, die Grundfutterleistung steigern.

Tjade Gronau, LWK Niedersachsen, Bezirksstelle OL-Nord



 

 

 

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