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Blindes Wachstum

Lesezeit: 5 Minuten

Die Ein- und Verkaufsgenossenschaft E.V.G. Erkheim im Allgäu mit 16 Standorten und 10450 Mitgliedern ist pleite. Was sind die Gründe? Welche Folgen hat das für die Bauern?


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Nach den Allgäuland Käsereien und der Trocknung Ruderatshofen ist das die dritte Genossenschaft, bei der ich Mitglied war und die untergegangen ist. Langsam habe ich die Schnauze voll von dieser Unternehmensform“, macht Landwirt Georg Klein (Name geändert) seinem Ärger Luft.


Wie 10450 weitere Berufskollegen ist Klein Teilhaber bei der Ein- und Verkaufsgenossenschaft eG Erkheim (E.V.G.), deren Ende nun besiegelt ist. Nachdem sich während des zwei Monate dauernden Insolvenzvorverfahrens kein Investor für das schwer angeschlagene Unternehmen finden ließ, gab Insolvenzverwalter Thomas Karg Ende Oktober die Schließung aller 16 Filialen, die Entlassung der 193 Mitarbeiter sowie die Zerschlagung des bäuerlich geführten Landhandel- und Landtechnikunternehmens bekannt. „Die einzelnen Filialen sollen an Einzelinteressenten veräußert werden“, teilte Karg mit.


Geschäftsanteil verdreifacht:

Dass die E.V.G. in großen Schwierigkeiten steckte, merkten die Anteilseigner spätestens im April 2016. Damals erfuhren sie per Rundschreiben vom Beschluss der Delegiertenversammlung, den Geschäftsanteil von 255,65 auf 750 € zu erhöhen. Mit dem zusätzlichen Kapital sollte die E.V.G. saniert und „wieder in eine stabile Lage“ gebracht werden.


Doch der Plan scheiterte. Denn rund 60% der Mitglieder machten von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch und kehrten der Genossenschaft den Rücken. Zum einen haben viele Anteilseigner ihren Hof bereits aufgegeben und nutzten die Genossenschaft nur noch für Einkäufe in deren Haus- und Gartenmärkten. Zudem bescheinigen auch wohlmeinende Mitglieder der E.V.G.-Spitze ein miserables Krisenmanagement.


Ihr Vorwurf: Nach dem Beschluss zur Erhöhung der Geschäftsanteile führten Vorstand und Geschäftsführung keine Regionalversammlungen durch, um den Anteilseignern die Ursachen für die Schieflage und die geplanten Lösungsansätze zu erläutern.


Ein schlüssiges Sanierungskonzept wurde den Mitgliedern auch in den diversen Rundschreiben nicht vorgestellt. „Man wollte offenbar so weitermachen wie bisher“, kritisiert ein langjähriges Mitglied, das sich gewünscht hätte, dass die E.V.G. bestehen bleibt.


Starker Expansionsdrang:

Letztlich hat wohl der zu starke Expansionsdrang der E.V.G. das Genick gebrochen. In den letzten zehn Jahren erweiterte die Genossenschaft die Zahl ihrer Standorte von 11 auf 16. Zudem übernahm sie 2010 die Agritelma GmbH mit zwei Standorten in Nord- und Südwürttemberg zu 100%. Das Landtechnikunternehmen hatte für fast ganz Baden-Württemberg die Alleinvertriebsrechte für Schlepper, Mähdrescher, Häcksler und Pressen des Herstellers Case New Holland.


Der Umsatz der Agritelma GmbH wuchs zwar bis 2014 auf 17,7 Mio. €,allerdings auf Kosten der Rentabilität und Stabilität des Unternehmens. Das Tochterunternehmen der E.V.G. erwirtschaftete 2014 ein Minus von 275000 €. Das Eigenkapital schmolz um 20% und die Eigenkapitalquote sank auf mickrige 11,5%. Im Herbst 2016 war die Agritelma schließlich pleite.


Die Bilanzprüfer machten für das Katastrophenjahr 2014 kaufmännische Fehler verantwortlich. Konkret nannten sie den Abverkauf von Fehleinkäufen wie Kleinballenpressen, zu geringe Erlöse beim Verkauf von Traktoren und zu hohe Preise für die Rücknahme von Gebrauchtmaschinen.


Doch anstatt den bestehenden Betrieb angesichts der verheerenden Bilanzzahlen zu konsolidieren, strebte die Agritelma noch 2015 den Aufbau eines weiteren Standorts in Baden-Württemberg an.


Eigenkapitalquote sank:

Dieses Prinzip verfolgte offenbar auch das Mutterunternehmen E.V.G. Durch die fortlaufenden Übernahmen wuchs zwar der Umsatz der Genossenschaft von 2007 bis 2014 um 20 Mio.€ auf 49 Mio.€. Im gleichen Zeitraum sank jedoch die Eigenkapitalquote von 34,9% auf 26,4%.


Nach Ansicht von Martina Hengartner, die als Sanierungsvorstand das vorläufige Insolvenzverfahren der E.V.G. betreute, sind die Fehlinvestitionen der vergangenen Jahre die Kernursache für die Insolvenz. „Es gab eine Reihe von Investitionen, die nicht durchfinanziert waren oder Projekte, bei denen die ursprüngliche Finanzplanung nicht eingehalten wurde“, erläutert die Saniererin gegenüber top agrar-Südplus.


Konkrete Beispiele seien der Kauf von Gesellschaften oder der Bau einer Werkstatt. Hengartner kritisiert zudem, dass die Erweiterung des Filialnetzes ohne Anpassung der internen Betriebsabläufe stattfand.


Durch die Übernahmen dehnte die E.V.G. ihr Geschäftsgebiet weit über die ursprüngliche Kernregion Allgäu auf Baden-Württemberg und Oberbayern aus (siehe Übersicht). Insolvenzverwalter Thomas Karg macht diese räumliche Ausbreitung und die immer größer werdende Produktvielfalt für die Insolvenz verantwortlich.


Zuletzt umfasste das Sortiment der E.V.G. neben dem klassischen Landhandel auch Agrartechnik, Futtermittel und Baustoffe. Zudem verkaufte die Genossenschaft Melktechnik und engagierte sich im Stallbau. Sie war Spezialistin für Arbeits- und Schutzkleidung und betrieb Haus-, Garten- und Getränkemärkte.


Schmerzhafter Verlust:

So sehr die Mitglieder die fehlerhafte Geschäftspolitik der letzten Jahre kritisieren, so sehr schmerzt sie, dass ihre Genossenschaft nicht weiter existiert. Denn das Unternehmen genoss hohes Ansehen bei seinen Mitgliedern. „Die E.V.G. war immer ein korrekter Partner und hat auch mit landwirtschaftlichen Erzeugergemeinschaften gut zusammengearbeitet“, lobt ein Landwirt.


Anerkennung gibt es auch für die Mitarbeiter. „Die Fachmärkte und die Werkstätten hatten gutes Personal“, bestätigt ein Mitglied aus dem Ostallgäu. Ein großes Plus war schließlich die räumliche Nähe, die die vielen Standorte mit sich brachten.


Die Zerschlagung der E.V.G. bedeutet deshalb für die Landwirte in der Region einen herben Verlust. Die Gesellschafter verlieren voraussichtlich ihre Geschäftsanteile. Sie können zwar an der Gläubigerversammlung am 19. Januar 2017 teilnehmen. Eine Rückzahlung ihrer Anteile kommt aber erst in Betracht, wenn alle Gläubiger befriedigt sind.


Noch schwerer wiegt der Wegfall eines wichtigen Marktpartners in der Region. „Wenn die E.V.G. weg ist, haben wir keinen Gegenspieler zur BayWa mehr, und das wird zu höheren Preisen bei den Betriebsmitteln führen“, befürchtet ein Bauer aus dem Oberallgäu.


Ob es so kommt, hängt auch davon ab, wer die einzelnen Standorte der E.V.G. übernimmt.Klaus Dorsch

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