Der Ökolandbau kommt in Deutschland nicht aus der Nische. Bio ist vielen Verbrauchern zu teuer und die Umstellung für die Landwirte wirtschaftlich nicht attraktiv genug. Wenn sich die Branche nicht öffnet, bleibt das auch so, meint Prof. Dr. Urs Niggli.
Der deutsche Biomarkt wächst kräftig und kaum ein Betrieb stellt um. Warum nicht?
Niggli: Die Kriterien des Ökolandbaus erhöhen den Arbeitsaufwand und begrenzen die Erträge und tierischen Leistungen. Die Direktzahlungen und die Ökoprämien decken diese Kosten nicht vollständig ab. Hinzu kommt, dass sich Ökobetriebe nicht im gleichen Maße spezialisieren können wie konventionelle Betriebe. Eine vielfältige Fruchtfolge und dazu Viehhaltung sind im Ökolandbau häufig das Rückgrat des wirtschaftlichen Erfolgs.
Sind Bioprodukte zu teuer, um aus der Feinkostecke herauszukommen?
Niggli: Die Preise spielen eine große Rolle, sonst wäre der Unterschied zwischen der geäußerten Bereitschaft, Bio zu kaufen und dem tatsächlichen Kaufverhalten nicht so riesig. Inzwischen sind Ökoprodukte aber durchweg verfügbar, in Dänemark, Österreich und der Schweiz sogar sehr breit.
Ein weiteres Wachstum würde logistische Vorteile bringen und die Ökoprodukte noch etwas günstiger machen. Das Kernproblem ist allerdings, dass konventionelle Lebensmittel im Vergleich zu billig sind.
Wie kann die Biobranche reagieren?
Niggli: Sie kann stärker kooperieren. Im Biomarkt herrscht ein harter Wettbewerb zwischen Verbänden, Verarbeitern und im Handel. Mehr Zusammenarbeit hätte wirtschaftliche Vorteile. Zudem sollte die Biobranche realitätsnäher werden. Die Werbung für Bio weckt hohe Erwartungen beim Verbraucher – mit fatalen Folgen. Bei einem Skandal ist der Vertrauensverlust groß.
Neue kostenträchtige Anforderungen und Kontrollen sind die Folge – nicht immer zum Nutzen von Umwelt- und Tierschutz oder Gesundheit.
Wohin führt das? Brauchen wir in Zukunft Basis-Bio und Premium-Bio?
Niggli: Wir sollten tatsächlich darüber nachdenken, ob Bio im Feinkostladen andere Mindestanforderungen haben muss als Bio im Supermarkt. Wir haben diesen Unterschied bereits bei der Verarbeitung von Produkten, nicht aber beim Anbau.
Dann brauchen die Ökolandwirte aber auch mehr „Beinfreiheit“, um leistungsfähiger und rentabler zu werden?
Niggli: Daran arbeiten wir. Im Pflanzenbau fehlen zum Beispiel leistungsstarke Biofungizide und weitere Nützlinge für den Gemüsebau. In der Tierhaltung brauchen wir hochwertige Futtereiweiße und neue organische Futtermittelzusätze, die Wiederkäuer und Monogastrier entwurmen.
Des Weiteren muss es künftig gelingen, wertvolle Nährstoffe umweltgerecht und schadstofffrei z. B. aus Klärschlamm zu gewinnen. Das sind nur einige Beispiele. Bei Praxisreife wäre ein Teil der neuen Lösungen sofort umsetzbar. Andere würden Diskussionen über Richtlinienanpassungen auslösen. Auch aus der konventionellen molekular-biologischen Grundlagenforschung werden neue Ansätze kommen. Diese können wir uns kritisch anschauen oder grundsätzlich ablehnen. Ich bin für Ersteres.
Ist die Biobranche dazu bereit?
Niggli: Jeder hat eine andere Vorstellung davon, wie der Ökolandbau der Zukunft aussehen könnte. Leider fehlt uns dafür zurzeit eine passende Diskussionsplattform. Dabei gehören Praktiker, Wissenschaftler, Umweltschützer und Verbraucher dringend an einen Tisch.
Aus meiner Sicht sollte die Nachhaltigkeit und der ganzheitliche Systemansatz stark im Vordergrund stehen und weniger die historischen Konzepte und Verbote. Die IFOAM, der Weltdachverband der Bioorganisationen, hat eine umfassende Definition von Nachhaltigkeit mit zahlreichen Indikatoren erarbeitet, welche eine Modernisierung begleiten könnte.
Ist die Diskussion über die neue EU-Ökoverordnung dafür kein guter Rahmen (siehe Seite 52)?
Niggli: Dass die EU die Anforderungen für die ökologische Landwirtschaft vereinheitlicht, Ausnahmeregelungen aufhebt und die Kontrollsicherheit erhöht, ist richtig. Im Prinzip macht die Kommission genau das, was die Verbände immer an der Verordnung mit der Aussage „Wir sind besser!“ kritisiert haben.
Auch im Rahmen der neuen Ökoverordnung muss über die generelle Richtung der Modernisierung diskutiert werden. Dabei sollte man offen sein für neue Ansätze. Für einiges, was in den letzten 90 Jahren in den Richtlinien und Anhängen entwickelt wurde, gibt es heute oder morgen bessere Lösungen.
Wie lassen sich die Rahmenbedingungen für den Ökolandbau nachhaltig verbessern?
Niggli: Grundsätzlich halte ich es für nicht zielführend, dass die EU versucht, weltweit gleiche Anforderungen für den Ökolandbau zu definieren. Wir brauchen regionale Anpassungsspielräume. Ökolandbau in den Tropen sieht anders aus als der Bioanbau bei uns.
Daher begrüße ich die Initiative der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA) zur Weiterentwicklung des Ökolandbaus. Wenn es gelingt, Produzenten, Verbände, Umweltorganisationen und kritische Verbraucher einzubeziehen, kann das eine echte Plattform für neue Ideen werden.
Die Bundesländer können zusammen mit den Verbänden ihren Part leisten, wenn sie mehr Beratungsangebote für den Ökolandbau schaffen. Nur durch ein Bündel verschiedener Maßnahmen wird es gelingen, mehr unternehmerische Landwirte für den Ökolandbau zu interessieren. Das Potenzial und die Perspektiven für innovative Ideen sind groß.
Dr. Ludger Schulze Pals
Prof. Dr.Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick, Schweiz.