Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Aus dem Heft

Dauerhafte Subventionen für mehr Tierwohl?

Lesezeit: 6 Minuten

Darum geht’s: Die Borchert-Kommission empfiehlt, die Nutztierhaltung mit staatlichen Mitteln grundlegend umzubauen. Nur so hätten die Tierhalter in Deutschland eine Zukunft. Unter Landwirten gehen die Meinungen zu dem Konzept weit auseinander.


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

In den letzten zehn Jahren haben wir in Deutschland fast 40% der schweinehaltenden Betriebe verloren. Laut einer Umfrage der ISN plant jeder dritte Mäster in den nächsten Jahren den Ausstieg. In der Ferkelerzeugung ist die Perspektive noch düsterer: Über die Hälfte der Ferkelerzeuger gibt an, in den nächsten zehn Jahren den Betrieb aufgeben zu wollen. Als Hauptgrund hierfür nennen Dreiviertel der Befragten die Summe der Auflagen. Spanien baut seinen Bestand hingegen seit Jahren aus und hat uns mittlerweile überholt.


Marktanteile sind Ausdruck von Wettbewerbsfähigkeit in offenen globalen Märkten. Angesichts unseres aktuellen Ordnungsrahmens kann heute kaum noch ein Schweinehalter wirklich glauben, um die europäische oder gar die globale Kostenführerschaft wetteifern zu können. Und vor uns liegen noch die Änderung der Tierschutznutztierhaltungsverordnung, unbeantwortete K-Fragen, die anhängige Normenkontrollklage, die Novelle der TA Luft, die Verschärfung der Düngeverordnung, die NEC-Richtlinie, Klimaschutzziele usw.


Natürlich können wir so weitermachen wie bisher. Wir können versuchen, über unsere Interessenvertretungen jede Einzelbaustelle irgendwie noch einigermaßen vorm fachlichen Absaufen zu retten. Wir können auf die Straße gehen. Und wir können darauf hoffen, dass der Verbraucher irgendwann nicht nur mehr Tierwohl fordert, sondern es auch an der Theke bezahlt. Wahrscheinlich aber führt diese Strategie dazu, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit schleichend weiter sinkt und wir einen dramatischen Strukturwandel in der Tierhaltung erleben. Und damit noch mehr Produktion ins Ausland verlagert wird. Und am Ende werden die Verbraucher ohne einheimische Tierhaltung genauso gut leben können, wie sie ohne einheimische Textilproduktion zu leben gelernt haben.


Was wir stattdessen brauchen, ist ein Konzept, dass es uns Tierhaltern ermöglicht, den Verbraucher weiterhin mit hochwertigen tierischen Produkten „Made in Germany“ zu versorgen und gleichzeitig dem Bürger unserer von Knappheiten entwöhnten Gesellschaft ein Tierwohlniveau in unseren Ställen zu bieten, dass weit über europäischem bzw. globalem Niveau liegt. Und genau in diese Richtung gehen die Empfehlungen des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung. Dieses Konzept ist nicht die Abkehr vom Markt und die Hinwendung zu Plan und Staat. Nein, es lässt uns Landwirten den Markt, wo er funktioniert, nämlich im Anbieten von qualitativ hochwertigem Fleisch, das der Verbraucher an der Ladentheke bezahlt. Dort aber, wo der Markt versagt, z.B. wenn es um das Bezahlen von hohen Tierwohlstandards in offenen, globalen Märkten geht, muss die Gesellschaft bzw. der Staat einspringen! Genauso machen wir es z.B. auch beim Klimaschutz. Und jedem dürfte klar sein, dass sich bis heute kaum ein Windrad drehen würde, wenn wir Verbraucher durch unsere individuelle Nachfrage noch Ökostrom die Umstellung auf regenerative Energieerzeugung hätten verantworten müssen.


Natürlich stehen uns noch viele Herausforderungen in dem vom Kompetenznetzwerk beschriebenen Umbauprozess bevor. Wir müssen insbesondere die Hemmnisse bei der bau- und umweltrechtlichen Genehmigung beseitigen. Trotzdem sollten wir uns diese vielleicht letzte Chance nicht entgehen lassen, im gesellschaftlichen Konsens die Zukunft unserer Nutztierhaltung selbst aktiv zu gestalten.


Ich bin gegen die Borchert-Pläne, denn sie machen uns Tierhalter zu reinen „Transfereinkommensempfängern“.


Das kann nicht der Ausweg aus der aktuellen Krise sein. Wir Tierhalter wollen von und mit unseren Tieren leben. Wir stellen uns einem fairen Markt, aber brauchen Produktionsstandards, die europaweit gelten. Als überzeugter Europäer spreche ich mich deshalb gegen deutsche Alleingänge aus. Anstatt neue Subventionstatbestände zu schaffen, sollte die Politik besser sämtliche Subventionen streichen. Denn diese werden ohnehin direkt zum Verpächter durchgereicht.


Ich glaube auch nicht, dass das Borchert-Konzept funktioniert. Der deutsche Binnenmarkt kann nicht für Agrarprodukte aus anderen EU- oder Drittländern gesperrt werden. Ausländische Milch- und Fleischlieferanten werden aufgrund ihrer Kostenvorteile ihre Marktanteile ausbauen.


Außerdem bezweifele ich die Akzeptanz einer flächendeckenden Verbraucherabgabe. Eine Fleisch- und Milchsteuer belastet die deutschen Bürger jährlich mit 3 bis 4 Mrd. €. Diese Steuer tritt die Konsumentensouveränität mit Füßen. Sie ist ein Instrument einer planwirtschaftlichen Umerziehung unter dem Deckmantel des Tierwohls.


Ein Hartz IV-Empfänger erhält monatlich 432 € für Ernährung, Kleidung, Strom etc. Ihn, die kinderreichen Familien, Studenten und Rentner würde diese Steuer unverhältnismäßig hart treffen. Wie will die Politik erklären, dass jeder der gut 80000 Tierhalter vom Staat rechnerisch monatlich rund 3600 € im Schnitt an Transferleistungen erhalten?


Abgesehen davon befürchte ich, dass das Geld gar nicht bei uns Landwirten ankommt. Das Gros der Gelder wird im Sumpf der Prüfungs-, Beratungs-, Tierschutz- und Agrarlobby versickern. Wenn schon in der Landwirtschaft kein Geld verdient wird, dann wenigstens an der Landwirtschaft?


Ein Blick über die Grenze zeigt zudem, wie kompliziert eine Verbrauchersteuer umzusetzen ist. In Dänemark ist das Experiment „Fettsteuer“ krachend gescheitert. Es stellte sich heraus, dass der bürokratische Aufwand viel zu hoch war. Ähnliches droht bei einer Fleisch- und Milchsteuer.


Außerdem dürfen Steuereinnahmen grundsätzlich nicht zweckgebunden erhoben werden. Sie fließen direkt in den Bundeshaushalt und können je nach Haushaltslage für alles Mögliche verwendet werden. So wurde 1902 vom Reichstag die „Schaumweinsteuer“ zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt. Die Flotte ist zweimal untergegangen, doch die „Schaumweinsteuer“ gibt es noch heute. Und so wird es die „Tierwohlsteuer“ vermutlich auch dann noch geben, wenn der letzte Landwirt seine Stalltüren für immer geschlossen hat.


Wenn der Verbraucher Tierwohlfleisch haben möchte, soll er dafür auch voll bezahlen. Leider ist es für uns kaum möglich, ein entsprechendes Angebot zu schaffen. Denn es fehlen die rechtlichen Voraussetzungen, um Tierwohlställe bauen zu können. Die Novellierung des Baugesetzbuches und des Bundesimmissionsschutzgesetzes ist seit Jahren mehr als überfällig.


Es geht um die Grundsatzfrage, ob Deutschland überhaupt noch eine Nutztierhaltung haben will oder nicht. Und wenn wir Tierhalter nicht mehr willkommen sind, dann sollte die Politik wenigstens ehrlich sein und uns rauskaufen, so wie in den Niederlanden! Die Tierwohlsteuer ist für mich nur ein sozial abgefederter „Ausstieg auf Raten“.


Mehr Details zu den Empfehlungen der Borchert-Kommission lesen sie in der top agrar 3/2020 ab Seite 36.

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.