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Die LPG war die gute Seele im Dorf

Lesezeit: 6 Minuten

30 Jahre nach der Wende ist die Agrarprodukte Kitzen mit 800 Kühen, 450 Sauen und 3200 ha Ackerbau breit aufgestellt. Der Wettstreit um Flächen und Mitarbeiter bleibt eine große Herausforderung.


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Wenn eine Straße gebaut werden musste oder der Kindergarten kein Mittagessen hatte, sind die Dorfbewohner auf uns zugekommen. Unsere LPG war die gute Seele im Dorf“, erinnert sich der 88-jährige Eberhard Heilmann aus dem sächsischen Kitzen bei Leipzig, der auf ein bewegtes Leben zurückblickt.


Nach dem Krieg machte auch die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Betriebe vor Heilmanns Hof nicht halt. Ab 1958 mussten zunächst sechs Höfe in Kitzen ihren Ackerbau bündeln. Nach und nach kamen mehr Betriebe dazu und auch die Viehwirtschaft lief seit 1968 zentralisiert. Immerhin: Eberhard Heilmann wurde Leiter der LPG Kitzen. Kurz vor der Wende bewirtschaftet der Betrieb um die 6500 ha, davon 700 ha Gemüse. In den Ställen standen 20000 Schweine und 2500 Kühe.


BREIT AUFGESTELLT FÜR DIE ZUKUNFT


Nach der Wende konnte Heilmann wieder über sein Eigentum verfügen. Aber nur, weil der ursprüngliche Betrieb kleiner als 100 ha groß war. Ansonsten hätte er von seinem Land keinen Quadratmeter zurückerhalten. Bis 1995 war er Geschäftsführer der Agrarprodukte Kitzen e.G., die aus der LPG Kitzen, drei weiteren LPG aus der Umgebung, einem volkseigenen Gut und zwei kooperativen Pflanzenbauabteilungen hervorging. Die Leitung der Genossenschaft hat er an seinen Sohn Hans-Uwe abgegeben. Zu der Genossenschaft gehören heute außerdem noch die Agrargenossenschaft Großdalzig e.G. und eine Kfz-Werkstatt mit Tankstelle, die sich um die Maschinen kümmert. Rund 3200 ha bewirtschaftet der Betrieb, dazu kommen rund 800 Kühe mit Nachzucht sowie 450 Sauen und 2200 Mastschweine.


DIREKTVERMARKTUNG VONMILCH UND FLEISCH


Die Zukunft der Agrarprodukte Kitzen sieht Hans-Uwe Heilmann in einer breiten Diversifizierung. Seit drei Jahren steigt die Genossenschaft nach und nach in die Direktvermarktung ein. „Aktuell schreiben wir damit noch keine schwarzen Zahlen. Für die Zukunft erhoffen wir uns durch die Nähe zu Leipzig aber ein lukratives Standbein“, sagt Heilmann. Zwei Rohmilchautomaten an den beiden Milchviehställen und acht Frischmilchautomaten in Supermärkten rund um Leipzig betreibt die Genossenschaft schon. 500 kg Milch setzen sie täglich ab – 2% ihrer täglichen Milchmenge – zu einem Preis von 1 €/l. Darüber hinaus verkaufen sie neben der Milch noch Würste und weitere Produkte aus ihren Schweinen und Rindern.


Außerdem wollen sie im nächsten Jahr eine eigene spezialisierte Hofkäserei für Joghurt, Quark und arabischen Weichkäse errichten. Neben der Landwirtschaft ist die Genossenschaft auch in der Immobilienbranche tätig und vermietet 60 Wohnungen sowie verschiedene Gewerbegebäude.


Bereits im Bau befindet sich außerdem der neue gläserne Kuhstall für 400 Tiere, der an den aktuellen Stall in mit 500 Kühen in Großzschochern angrenzt. In Summe halten sie nicht mehr Tiere, da sie den alten Standort 15 km entfernt abreißen. Heilmann erhofft sich dadurch eine Einsparung von Ressourcen. Außerdem will er mit dem neuen Stall werben. „Wir planen eine Besucherplattform über dem Melkzentrum und einen offenen Stall, sodass unsere Kunden hautnah erfahren, wo die Milch herkommt“, sagt der Landwirt.


Er entschied sich für ein Melkzentrum mit 17 Melkrobotern. Ein Melkstand kam für ihn nicht infrage, weil er den anhaltenden Fachkräftemangel als große Herausforderung wahrnimmt. Aktuell arbeiten 75 Festangestellte und neun Auszubildende im Betrieb. Besonders unter den Melkern herrscht eine hohe Fluktuation. „Gerade die jungen Leute ziehen vom Land in die großen Städte im Westen. Zurück bleiben die älteren Leute. In unserem Dorf gibt es mittlerweile weder Schule noch Kindergarten“, bringt es sein Vater Eberhard Heilmann auf den Punkt.


WENIGER GENOSSEN UND MITARBEITER


Vor 1990 zählten die Betriebe 800 Beschäftigte. Viele haben nach der Wende ihre Arbeit verloren. „Am schlimmsten war es für mich, die Frauen zu entlassen, auch wenn die meisten unserer Mitglieder verstanden haben, warum wir so gehandelt haben“, erinnert sich Heilmann. Über 400 Arbeitskräfte, meist Frauen, waren auf den Gemüsefeldern oder in den Schälwerken der LPG im Einsatz. Nach der Wende lohnten sich diese Bereiche nicht mehr. Der Lebensmitteleinzelhandel aus dem Westen hatte schon feste Lieferanten, die billiger produzieren konnten als die ansässigen ostdeutschen Betriebe.


Ebenfalls reduzierte sich die Zahl der Genossenschaftsmitglieder. Von den ursprünglich 1000 LPG-Mitgliedern schrumpfte die Zahl bis heute auf 130. „Wir wussten damals nicht, wie wir scheidende Mitglieder auszahlen sollten“, blickt der alte Landwirt zurück. 1990 hat der Vorstand den Mitgliedern, die sich als Landwirte selbstständig machen wollten, den kompletten Anteil an der Genossenschaft ausgezahlt. Mitgliedern, die nicht in die Landwirtschaft einsteigen wollten, haben sie die Wahl gelassen: Wer direkt ausstieg, bekam 20% des Genossenschaftsanteils. Wer noch fünf Jahre in der neuen Genossenschaft blieb und dann erst kündigte, bekam 100% seines Anteils. „Hätten wir alle direkt auszahlen müssen, wäre die neue Genossenschaft wirtschaftlich sofort am Boden gewesen“, erklärt Heilmann die Regelung.


Er und seine Vorstandskollegen haben sich entschieden, die LPG in eine Genossenschaft umzuwandeln. „Uns haben die Berater vom Genossenschaftsverband in Chemnitz kompetent unterstützt“, sagt Heilmann. Mit der Rechtsform sind die Mitglieder bis heute zufrieden. Gerade bei den Älteren ist der Genossenschaftsgedanke stark verankert. „Die jüngeren Angestellten sind meist keine Mitglieder mehr“, sagt Hans-Uwe Heilmann.


FLÄCHE BLEIBT KNAPP


Von den Mitgliedern, die damals in der LPG waren, haben zwei gegen die Genossenschaft geklagt: Die Agrarprodukte Kitzen hätte sie nicht gerecht ausgezahlt. Bis 2003 lief der letzte Prozess beim Bundesgerichtshof. Beide Klageverfahren sind zu Gunsten der Genossenschaft entschieden worden. „Die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) hat uns daher gesperrt und wir durften kein Land kaufen. Deshalb waren schon viele Flächen weg, die wir eigentlich kaufen wollten“, berichtet Heilmann. Von den 3200 ha, die die Genossenschaft bewirtschaftet, sind daher 2400 ha gepachtet.


„Heute sind die Preise für Ackerland für landwirtschaftliche Betriebe nicht zu erwirtschaften“, sagt Hans-Uwe Heilmann. Das liegt vor allem an der Nähe zu Leipzig, die auf dem Bodenmarkt sehr aktiv ist, um mehr Wohnraum zu schaffen, sowie an landwirtschaftsfremden Investoren, die immer mehr Grundstücke erwerben. Er wünscht sich, dass gerade die BVVG als staatliche Stelle die Flächen an die Landwirte vor Ort verkaufen sollte (lesen Sie hierzu mehr ab S. 38).


Um seine Nachfolge macht sich der 62 Jahre alte Hans-Uwe Heilmann keine Sorgen. Sein Sohn Stefan ist mittlerweile Leiter im Ackerbau. „Er kann sich vorstellen, in meine Fußstapfen zu treten“, freut er sich. maike.schulze-harling@topagrar.com


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