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Eine Region mit dem Rücken an der Wand

Lesezeit: 7 Minuten

W ir wollen hier keine Süd-Ol-denburger Verhältnisse!, Keine Mas-sentierhaltung im Wendland!, Stoppt den Wahnsinn!: So prangt es derzeit auf vielen Plakaten in der Gemeinde Göhrde im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Ähn-lich massiv, wie man es sonst nur von Protesten gegen Castortransporte kennt, macht eine Bürgerinitiative damit gegen den Bau von zwei Schweinemastställen mobil. Ein Einzelfall? Nein, in Lüchow-Dan-nenberg gibt es eine sehr protestfreudige Bevölkerung. Egal, ob gegen Atomkraft,Ställe, Autobahn oder Behindertenwerk-statt: Gegen jede Art von Veränderung gründet sich sofort eine Bürgerinitiative, berichtet ein betroffener Landwirt. Grund dafür scheinen einerseits die Castortrans-porte zu sein, durch die die Bevölkerung stark sensibilisiert ist. Ein anderer Grund ist aber auch die große Zahl von Zugezo-genen. So galt der Landkreis zu DDR-Zeiten als Zonenrandgebiet als ein be-liebtes Urlaubs- und Erholungsgebiet für Stadtbewohner. Früher haben wir sehr viele Gäste aus Hamburg oder Berlin ge-habt, weil Lüchow-Dannenberg dünn be-siedelt und landschaftlich reizvoll ist. Ei-nige von ihnen sind aus diesem Grund heute hierher gezogen, während die regelmäßigen Gäste fast ganz ausblei-ben, so Sauenhalter Christof Göbel aus Schmessau, der seit über zehn Jahren Gäs-tezimmer anbietet. In der Tat gehört Lü-chowDannenberg mit 52 000 Einwoh-nern auf 122 000 ha Fläche zu den dünn-besiedelsten Regionen Deutschlands. Veredelung oft die einzige Alternative Trotzdem haben Landwirte, vor allem Schweinehalter, einen schweren Stand. Milchviehhalter mit ihren einsehbaren Ställen und der Grünlandwirtschaft ste-hen traditionell nicht so in der Kritik wie Schweinehalter, weiß Klaus Grünhagen, Geschäftsführer des Kreislandvolkver-bandes. Dabei bietet die Verdelung auf den ertragsschwachen und beregnungs-würdigen Böden mit unter 30 Boden-punkten in dem marktfernen Gebiet oft-mals die einzige Alternative für die Be-triebe. Bauland lässt sich hier schlecht verkaufen. Im Ackerbau sind Zucker-oder Stärkekartoffelquoten der begren-zende Faktor. Wer hier wachsen will, kann es fast nur in der Schweinemast tun, so der Geschäftsführer. Doch bei fast jeder Stallbauplanung führen Kritiker die angeblich zunehmen-de Massentierhaltung und die Angst vor Oldenburger Verhältnissen ins Feld. Gemeint ist damit die Veredelungskon-zentration, wie sie in den Landkrei-sen Vechta und Cloppenburg anzutreffen ist. Dabei wird im Landkreis Lüchow-Dannenberg nicht einmal ein Schwein pro ha LF gehalten, während es in Vechta-Cloppenburg zehn Schweine pro ha sein sollen. Der einzige Schlachthof im Land-kreis, die Versandschlachterei Vogler, kann daher seine Kapa-zitäten bei weitem nicht aus dem Landkreis de-cken. Von den 13 000 Schlachtschweinen in der Woche erhalten wir nur etwa 10 % aus dem Land-kreis, der Rest kommt von außerhalb, bestätigt Seniorchef Karl Vogler. Daran wird sich so schnell auch nichts än-dern: 1996 wurden hier noch 85 000 Schweine ge-halten, 1999 waren es nur noch knapp 47 000. Nur in sechs Schweine-mastbetrieben stehen da-bei mehr als 600 Schwei-ne. Im Jahr 2000 wurden zehn Bauanträge für insgesamt weniger als 10 000 Mastplätze gestellt. Bei der Landkreisverwaltung in Cloppenburg gingen dagegen im letzten Jahr 110 Anträge für fast 60 000 Mastplätze ein. Zu behaupten, wir kriegen hier Oldenburger Verhältnisse, entbehrt jeder Sachkenntnis, kritisiert daher auch Klaus Wojahn, Schweinemäster und CDU- Landtagsabgeordneter aus Gusborn. Standortsuche treibt Planungskosten nach oben Die Bevölkerung unterscheidet dabei auch nicht nach der Tierart oder Haltungsform, wie der Fall von Jochen Kulow aus Luckau zeigt. Kulow produziert seit 20 Jahren nach Bioland- Richtlinien und wollte in die Freiland- Legehennenhaltung einsteigen. Angedacht war ein Stall mit insgesamt 12 000 Hennen. Drei vergebliche Anläufe hat der Landwirt gestartet, um einen geeigneten Standort zu finden. Beim ersten Mal wurde die Genehmigung wegen der Nähe zu einer Gemüse verarbeitenden Fabrik versagt. Der zweite Standort hätte Erschließungskosten von über 250 000 DM verursacht. Der letzte geeignete Bauplatz hätte zwar dem Landwirt und der Genehmigungsbehörde gepasst. Aber im letzten Augenblick setzten protestierende Bürger den Gemeinderat so unter Druck, dass dieser mir das Wegerecht auf einem der Öffentlichkeit nicht gewidmeten Weg versagte. Daraufhin musste der Landkreis den Bauantrag ablehnen, blickt Kulow kopfschüttelnd zurück. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren haben ihn insgesamt 50 000 DM gekostet. Letzte Möglichkeit, das Geld wiederzusehen, wäre jetzt eine Klage vor dem Verwaltungsgericht. Die ist dem Landwirt aber zu langwierig. Frustriert hat er seine Pläne deshalb an den Nagel gehängt. Derartige Beispiele halten Landwirte immer mehr davon ab zu investieren, kommentiert Wilhelm Hilliges vom Beratungsring Dannenberg. Denn im Wirtschaftsjahr 1999/ 2000 haben die Landwirte hier einen durchschnittlichen Gewinn von 51 000 DM erwirtschaftet. Viele halten daher die unkalkulierbaren Planungskosten für ein zu großes Risiko, so der Berater. Neben Protesten gegen geplante Anlagen gehen die Bürger zunehmend auch gegen bestehende Betriebe in Dorflagen vor. In unserer Gemeinde gibt es etwa ein Dutzend Nachbarschaftsklagen, in de-nen sich die Dorfbewohner über Geruch, Lärm oder Erscheinungsbild von landwirtschaftlichen Anlagen beschweren, so Heinrich Busse aus Bredenbock, Schweinemäster und Mitglied im örtlichen Gemeinderat. Wer daher die Tierhaltung ausdehnen will, strebt eine Aussiedlung möglichst weit von der nächsten Wohnbebauung an um hier auf die nächsten Hindernisse zu stoßen. Denn von den 122 000 ha Landkreisfläche gibt es über 51 000 ha Landschaftsschutz- und 6 600 ha Naturschutzgebiete. Teilweise überlagert werden diese noch von vier EU- Vogelschutz- und sechs Fauna- Flora- Habitat (FFH)- Gebieten, die für das europäische Natura- 2000- System vorgeschlagen wurden. Damit ist bereits mehr als die Hälfte der Landkreisfläche mit Naturschutzauflagen versehen. Entlang der Elbe setzt das geplante Biosphärenreservat Elbetal dem ganzen die Krone auf: Hier kommt es teilweise zur vierfachen Überplanung der Gebiete (siehe Kasten). Zwar werden die genauen Auflagen der Natura- 2000- Gebiete erst dann bekannt sein, wenn diese Gebiete in Brüssel in das europäische Netz aufgenommen und landesrechtlich unter Schutz gestellt worden sind. Doch schon heute wirken sich die Ausweisungen nachteilig auf die Landwirtschaft aus. Mit dem so genannten Verschlechterungsverbot besteht heute vorläufig ein stärkerer Schutzstatus, als ihn die Gebiete vielleicht hinterher haben werden, erläutert der Baudezernatsleiter der Landkreisverwaltung, Jürgen Weinhold. Für Stallbauten in diesen Gebieten bedeutet das bis zur Verträglichkeitsprüfung vollkommenen Stillstand. Auch regionale Raumordnung hemmt Betriebe Damit nicht genug: Die Standortwahl für wachstumswillige Betriebe wird zusätzlich durch das regionale Raumordnungsprogramm des Landkreises eingeschränkt. In diesem sind neben Vorranggebieten für Natur und Landschaft mehr als 20 % der Landkreisfläche als Vorranggebiete für ruhige Erholung ausgewiesen. In diesen Gebieten sind lärmemittierende Maßnahmen verboten. Dazu zählen Ställe genauso wie Kartoffelscheunen usw. Da hiervon im Gegensatz zu anderen Landkreisen nicht nur größere Waldgebiete, sondern verstärkt auch landwirtschaftliche Flächen betroffen sind, werden viele Baumaßnahmen im Außenbereich verhindert, erläutert Jürgen von Haaren von der Bezirksstelle Uelzen der Landwirtschaftskammer Hannover. Denn wer aussiedeln will, gerät im Außenbereich nicht selten in Konflikt mit diesen Erholungsgebieten oder muss durch die weite Entfernung zu Ortschaften hohe Erschließungskosten in Kauf nehmen, so von Haaren. In Stellungnahmen zu Bauanträgen weist der Landkreis immer wieder auf die hohe Bedeutung des Tourismus hin. Dabei ist der Tourismus hier insgesamt rückläufig. Was fehlt, sind eine Tourismusstrategie und ein Marketingkonzept. Beides wird jetzt aber mit den Samtgemeinden und dem Hotelgewerbe entwickelt, wobei auch die Landwirtschaft einbezogen wird, argumentiert Hartmut Berg, Geschäftsführer der Gesellschaft für Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Lüchow- Dannenberg mbH. Denn moderne Stallbauten ständen einem naturnahen Tourismus nicht im Wege. Das bestätigt auch Sabine Schöning von der Elbtalaue Wendland Touristik GmbH: Die meisten Gäste sind Familienurlauber oder Wanderer. Doch von ihnen hat sich bei uns noch keiner über Tierställe, Güllegeruch o. ä. beschwert. Daher hält auch Landtagsabgeordneter Wojahn das Problem für hochgespielt: Es gibt doch kaum Nutzungskonflikte zwischen Stallbauten und Tourismus. Der Landkreis müsste hier einfach stärker abwägen, anstatt starr zu entscheiden! Für den neuen Raumordnungsplan, der Ende des Jahres erstellt werden soll, fordert er daher mehr Freiräume für Landwirte. Fazit Bürgerinitiativen, Naturschutz und Raumordnung drücken die Landwirte in Lüchow- Dannenberg an die Wand. Bereits heute geht auf vielen Betrieben durch Auflagen oder versagte Baugenehmigungen nichts mehr. Nur mit mehr Weitsicht in der Regionalplanung, mehr Rückgrat der Kommunen bei Baugenehmigungen sowie moderaten Naturschutzauflagen wird in diesem Landkreis die Landwirtschaft existenzfähig bleiben! Hinrich Neuman

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