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Erdkabel: Jetzt geht es los!

Lesezeit: 7 Minuten

Die Energiewende kommt in der Praxis an: Im westfälischen Raesfeld wird das bundesweit erste Hochspannungs-Erdkabel verlegt. Die betroffenen Bauern haben hart verhandelt und neue Regelungen zur Entschädigung durchgesetzt.


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Als Landwirt möchte ich die Erdkabel eigentlich nicht in meinem Acker – doch für den dörflichen Frieden und das Gemeinwohl sehe ich keine andere Möglichkeit“, so schildert Landwirt Bernd Nienhaus seine gespaltenen Gefühle, wenn er an das Bauprojekt denkt, das ihn nun schon seit drei Jahren beschäftigt. Das, was im nordrhein-westfälischen Kreis Borken passiert, ist schlicht absolutes Neuland in Deutschland. Hier soll im Frühjahr 2014 der bundesweit erste Bau eines Erdkabels für 380 kV-Wechselstrom starten. Ein Pilotprojekt, das es in sich hat:


  • Die 3,4 km lange Erdkabel-Trasse benötigt 41,5 m Arbeitsstreifen.
  • Für 380 kV sind 12 armdicke Kabel nötig. Sie liegen in zwei Kabelgräben, jeweils 5 bis 6 m breit, rund 2 m tief, mit Spezialmaterial unterfüttert. Die Gräben mit Baustraße in der Mitte sind zusammen 22,60 m breit.
  • Die Kabel erwärmen sich an der Oberfläche auf bis zu 70 Grad.


Für Bernd Nienhaus, der in unmittelbarer Nähe der Trasse einen Sauenbetrieb mit Ackerbau bewirtschaftet, sind vor allem die erheblichen Erdarbeiten problematisch: „Wir haben bereits in den sechziger Jahren Gas- und Ölleitungen in den Acker bekommen – die Spuren sind bis heute sichtbar.“ Dazu kommt, dass es mit Leitungen dieser Größe bislang keinerlei Praxiserfahrungen gibt und nur wenige, kaum belastbare wissenschaftliche Untersuchungen. Nienhaus befürchtet wie die anderen betroffenen Landwirte vor allem die langfristigen Beeinträchtigungen:


  • Veränderungen des Wasserhaushalts, weil die Trassenunterlage die Kapillarkräfte unterbricht.
  • Die Erwärmung der Erdkabel im Trassenstreifen.


Dazu kommt die Sorge, dass schnell weitere Kabel hinzukommen, wenn erstmal eines verlegt ist. Um ihre Interessen besser zu vertreten, schlossen sich deshalb fast alle Grundstückseigentümer vor zwei Jahren zu einer Interessengemeinschaft für die Verhandlungen mit dem Netzbetreiber Amprion zusammen. „Weil eine starke örtliche Bürgerinitiative in Raesfeld für ein Erdkabel kämpfte, haben wir als Landwirte beschlossen, diesen Wunsch mitzutragen und gemeinsam etwas vernünftiges für alle auf die Beine zustellen“, erklärt Nienhaus.


Im Laufe der Zeit entstand eine ständige Verhandlungskommission aus Landwirt Nienhaus, zwei weiteren Landwirten, einer Grundstückseigentümerin und zwei Mitarbeitern des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) für die Verhandlungen mit Amprion. Rückblickend genau richtig, findet Nienhaus: „Nur gemeinsam war es möglich, ein so umfassendes und auf unsere Sorgen zugeschnittenes Entschädigungsmodell auszuhandeln.“


Baustopp jederzeit:

Erstmals kilometerweit Erdkabel im Boden – da ist es kein Wunder, dass der Bodenschutz bei den Verhandlungen im Fokus stand. Denn die Auswirkungen auf den Boden- und Wasserhaushalt sowie die langfristige Ackerfähigkeit sind unklar. „Der Vertrag beinhaltet nicht nur Regeln zur schonenden Bauausführung, sondern setzt ein Langzeitmonitoring in Gang“, erklärt Hubertus Schmitte, Jurist beim WLV in Münster. Gemeinsam mit Jörg Sümpelmann vom WLV in Borken und den Landwirten hat er ganz neue Bodenschutzkonzepte durchgesetzt:


  • Ein sachverständiger Bodenkundler dokumentiert den Zustand des Bodens vor Inanspruchnahme, erstellt Konzepte für den Bodenschutz und die Rekultivierung. Neu und wichtig dabei: Vor Umsetzung dieser Konzepte muss ein bodenkundlicher Wissenschaftler einer Hochschule grünes Licht für die Pläne geben. Amprion übernimmt sämtliche Gutachterkosten.
  • Vor jedem Bauabschnitt gibt es eine Bauablaufbesprechung mit Eigentümer, Bewirtschafter und den Bauausführenden. „Wenn der Baggerfahrer weiß, dass der Eigentümer zuguckt, wird er sich noch mehr bemühen, Bodenschäden zu vermeiden,“ ist Hubertus Schmitte überzeugt.
  • Die Bauzeit ist grundsätzlich auf März bis Oktober beschränkt, um Flur- und Aufwuchsschäden gering zu halten. Bagger heben den Mutterboden ab, was schonender ist, als das Abschieben mit einer Raupe. Ober- und Unterboden bleiben dabei getrennt. Grundsätzlich sind nur Kettenfahrzeuge mit maximal 8 N/qm Bodendruck erlaubt.
  • Der Sachverständige kann z. B. bei zu feuchtem Boden jederzeit einen Bau­stopp anordnen.
  • Nach Abschluss der Bauarbeiten hält ein Sachverständiger den Bodenzustand fest und gibt die Fläche zur Bewirtschaftung frei.
  • Amprion verpflichtet sich zu einem 5-jährigen Folgeschaden-Monitoring: Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen legt dazu vor Ort mehrere Versuche an und ermittelt die Ertragsentwicklung. Die Uni Freiburg untersucht die Temperaturauswirkung des Erdkabels.


Für Justiziar Schmitte sind die jetzt ausgehandelten Bedingungen das Mindestmaß: „In Zukunft muss bei Erdkabeltrassen dieser Art die bodenschonende Art der Verlegung Standard werden, um Bodenschäden zu vermeiden,“ so der Experte.


Welche Entschädigung?

Die zu erwartenden Dauerschäden gleicht Amprion durch drei Bausteine aus:


  • Dienstbarkeitsentschädigung: Wie bei allen Leitungsbauprojekten verpflichtet sich der Eigentümer der Fläche zum Eintrag einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit im Grundbuch. Normalerweise beschränkt sich der Eintrag auf den tatsächlich bebauten technischen Schutzstreifen: Das wären hier 22,60 m für 12 Erdkabel nebeneinander. Aufgrund des Pilotcharakters erhält aber auch der gesamte Arbeitsstreifen von 41,50 m Breite einen Eintrag im Grundbuch. Die Entschädigung ist nach Bodenwerten gestaffelt, siehe Übersicht 2. Bei Bodenwerten bis 7,50 € liegt die Gesamtentschädigung somit bei 143,50 €/lfd. Meter Leitung.
  • Flurschadenentschädigung: Eine große Sorge der Landwirte ist, dass der schwere Bodeneingriff langfristig erhebliche Ertragsminderungen zur Folge haben könnte. Auch nach Abschluss der Baumaßnahmen ist deshalb ein von Amprion bezahlter Gutachter im Einsatz, um Schäden zu dokumentieren und zu begutachten. Jeglicher Flur-, Aufwuchs- und Folgeschaden wird ersetzt – entweder individuell ermittelt oder als Pauschale.


Die Pauschale sieht im Baujahr 100 %, im ersten Jahr danach 50 %, im zweiten 30 %, im dritten 20 % und vom vierten bis zum zehnten Jahr dann 10 % als Ertragschaden nach den Richtsätzen der LWK vor. Während der ganzen zehn Jahre können die betroffenen Landwirte jederzeit die individuelle Taxierung verlangen. Ist die Bodenstruktur so zerstört, dass der Gutachter die Nutzung sogar untersagt, sind Ertragsschäden zu 100 % zu entschädigen. Das kann am Anfang dann in Betracht kommen, wenn der Bodenkundler eine komplette Bodenruhe anordnet, um langfristige Schäden zu vermeiden.


Nach Ablauf der 10 Jahre wird über eine finanzielle abschließende Regelung verhandelt. Die Landwirte können dabei wählen zwischen Einmal- und wiederkehrender Dauerzahlung. Amprion muss auf Verlangen aber auch eine weitere sachverständige Schadenschätzung und die festgestellten Schäden bezahlen – was insbesondere auch für bis dahin unerkannt gebliebene Schäden gilt. Gesonderte Entschädigungen gibt es für Wirtschaftserschwernisse, Umwege und ­Behelfsmaßnahmen sowie unwirtschaftliche Restflächen.


  • Aufwandsentschädigung: Um den Zeit­aufwand abzugelten, erhält der Grundstückseigentümer 1 000 €, der Bewirtschafter 1 500 €, der selbstbewirtschaftende Grundstückseigentümer beide Pauschalen, also 2 500 €.


Mit Blick nach vorn:

Die ausgehandelte Rahmenvereinbarung berücksichtigt auch die Zukunft:


  • Haftung: Für Schäden durch Bau, Betrieb und Unterhaltung haftet Amprion. Wird der Grundstückseigentümer oder Nutzungsberechtigte selbst von Dritten in Anspruch genommen, stellt Amprion ihn frei. Beschädigt ein Landwirt die Leitung, muss er bei leichter Fahrlässigkeit nur dann den Schaden bezahlen, wenn er eine Haftpflichtversicherung hat.
  • Baulandklausel: Werden innerhalb von 20 Jahren Bauland oder Ausbeutungsrechte an Bodenschätzen wie Sand, Kies, Lehm oder Ton ausgewiesen, ist eine Nachentschädigung zu leisten.
  • Beseitigung: Bei Stilllegung beseitigt Amprion alle Kabelreste bis zu 1,20 m Tiefe. Eine vollständige Entfernung gibt es, wenn der Eigentümer ein berechtigtes Interesse daran nachweist.
  • Bei Schäden an Drainagen gilt: 10 Jahre lang muss Amprion nachweisen, dass nicht die Erdkabelarbeiten die Ursache sind.
  • Nachentschädigung: Trifft der Gesetzgeber bis zur endgültigen Fertigstellung der 380 kV Höchstspannungsleitung Niederrhein-Meppen eine anderweitige Regelung zur Entschädigung, z. B. in Form der vom Bauernverband geforderten jährlichen Nutzungsvergütung, erfolgt eine dementsprechende Nachzahlung. Gesa Harms

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