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Frust statt Artenschutz

Lesezeit: 5 Minuten

Die Bundesregierung will den Pflanzenschutzmitteleinsatz beschränken und mehr Flächen zu Biotopen erklären. 2,3 Mio. ha könnte das laut DBV treffen. Wir zeigen, welche Auswirkungen tatsächlich drohen.


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Bauern demonstrieren, rammen Kreuze in die Äcker, der Bauernverband spricht von Enteignung im großen Stile. Und Ministerin Klöckner? Tut alles als halb so wild ab. Das Aktionsprogramm „Insektenschutz“ sorgt für Aufregung. Dabei ist es kein Gesetz, sondern formuliert den Auftrag der Bundesregierung an das Umwelt- (BMU) und Landwirtschaftsministerium (BMEL), bestehende Gesetze und Verordnungen bis spätestens Ende 2021 zu ändern. Diese Pläne könnten viele Landwirte hart treffen:


1. Pflanzenschutzverbote


In FFH- und Naturschutzgebieten, Nationalparks, Nationalen Naturmonumenten, Naturdenkmälern und gesetzlich geschützten Biotopen sollen Herbizide und „biodiversitätsschädigende“ Insektizide verboten werden. Welche Insektizide als biodiversitätsschädigend gelten, muss das BMEL in der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung noch festlegen. Die Einstufung müsse EU-konform sein, also auf wissenschaftlichen Aussagen zur Wirkung der Mittel basieren, die auch für die EU-Zulassung entscheidend sind, so das BMEL.


Was würden die Verbote bedeuten? „Betroffene müssten ihre Fruchtfolge überdenken. Das stärkt den Abwärtstrend bei Raps und begünstigt Hackfrüchte und Mais, die einfacher mechanisch gesundzuhalten sind“, meint Dr. Jörn Krämer vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband (WLV). Beim Obst-, Gemüse- und Weinbau wird es noch schwieriger. „Der Obstbau liegt in Rheinland-Pfalz zum großen Teil in Schutzgebieten, insbesondere in Rheinhessen und der Pfalz, den Frühgebieten Deutschlands. Ein Herbizidverbot wäre das Ende des konventionellen Anbaus dort“, warnt Ralph Gockel, Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz. Auf Grünland wäre z.B. die Bekämpfung des Ampfers problematisch, so Krämer.


Vor allem FFH- und Naturschutzgebiete umfassen viel Acker. Zu Naturschutzgebieten fehlen genaue Daten, vielfach liegen sie in FFH-Gebieten. Dr. Norbert Röder vom Thünen-Institut (TI) geht von max. 165000 ha Acker, 660000 ha Wirtschafts- und 180000 ha sonstigem Grünland wie Mooren und Heiden in FFH-Gebieten aus. Die Angaben basieren auf Daten der Vermessungsämter. Laut Deutschem Bauernverband (DBV) liegt die Ackerfläche in FFH-Gebieten bei 690000 ha. Der DBV habe den Umfang nicht-landwirtschaftlich genutzter Fläche deutlich unterschätzt, so Dr. Röder.


In Naturschutz- und FFH-Gebieten dürfen Sie bisher weitgehend nach guter fachlicher Praxis, also mit Herbiziden ackern, bestätigt das BMU. „Das wurde den Landwirten bei Ausweisung der Gebiete zugesichert“, erinnert sich Steffen Pingen vom DBV. Ein weitgehendes Verbot des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes führe zu einer deutlichen Einschränkung der Bewirtschaftungsfähigkeit und zu Einkommensverlusten. „Auch der Verkehrswert der Flächen sinkt hierdurch“, macht Pingen deutlich.


In Vogelschutzgebieten, die die Länder für wichtig halten für den Insektenschutz, sollen die Verbote auch gelten. Welche das sein werden, ist kaum abzuschätzen. Zumindest NRW hat sich im Landtag bereits mit dem Insektenschutzprogramm beschäftigt und scheint vorsichtig vorgehen und keinesfalls alle Vogelschutzgebiete unter Herbizid-Verbot stellen zu wollen.


Auf Gewässerrandstreifen plant das Programm jeden Pflanzenschutz zu verbieten. Ist der Randstreifen begrünt, gilt das Verbot auf 5 m, sonst auf 10 m. Bisher regeln die Länder das unterschiedlich. Unterstellt man pauschal 10 m, betrifft das Verbot ca. 150000 ha Acker zusätzlich, schätzt der DBV. Das hält auch Dr. Burkhard Golla vom Julius Kühn-Institut für realistisch.


2. Grünland und Streuobst


Artenreiches Grünland und Streuobstwiesen sollen nicht mehr nur in einigen, sondern künftig in allen Bundesländern als geschützte Biotope gelten. Wann Grünland artenreich und eine Obstplantage eine Streuobstwiese ist, wird noch definiert. „Wir werden uns an bestehenden Definitionen der Länder orientieren“, so Josef Tumbrinck vom BMU.


Ohne geltende Definition ist die Abschätzung betroffener Flächen beim Grünland schwierig. Der DBV rechnet mit 868000 ha. Das halten sowohl BMEL als auch BMU für viel zu hoch. Auch zu Streuobstwiesen fehlen verlässliche Daten. Der DBV schätzt, dass ca. 100000 ha zusätzlich zu Biotopen würden. „Ich gehe tendenziell von weniger Flächen aus“, so Dr. Röder vom TI.


Umnutzung und Intensivierung von Grünland sind unter Biotopschutz untersagt, wie auch z.B. der Umbau von Hoch- zu Niedrigstamm bei Obst, meint Dr. Jürgen Metzner vom Deutschen Verband für Landschaftspflege.


3. Verbot von Glyphosat


Mit Auslaufen der EU-Wirkstoffgenehmigung am 31.12.2023 darf gemäß des Insektenschutzprogramms kein Glyphosat mehr angewendet werden. Zudem ist geplant, schon vorher den Einsatz im wachsenden Bestand zu verbieten und ihn vor der Aussaat und auf der Stoppel deutlich einzuschränken. An Details arbeitet das BMEL noch.


4. Rückzugsflächen?


Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln an eine Stilllegung von Flächen zu binden, halten das Verwaltungsgericht Braunschweig und das BMEL für rechtswidrig. Trotzdem heißt es im Insektenschutzprogramm, die Bundesregierung erachte genau das für sinnvoll. Die Regierung prüfe derzeit, wie sie nach dem Urteil weiter vorgeht, so das BMU.


Welche Förderung?


Förderrechtlich ist es schwer, Landwirte für Verbote zu entschädigen. Mit der Natura 2000-Ausgleichszulage könnte es teils gehen. Auch eine Investitionsförderung bestimmter Techniken wie Hacken wäre möglich.


Besonders bitter: Die Pflanzenschutzverbote könnten viele Fördersätze von Agrarumwelt- und Vertragsnaturschutzmaßnahmen wie z.B. die der Ökoprämie sogar sinken lassen. Andere Fördermaßnahmen könnten ganz entfallen.


„Statt weniger, brauchen die Landwirte mehr Geld, um Natura 2000-Ziele umzusetzen“, kritisiert Dr. Metzner vom Landschaftspflegeverband. „Insgesamt benötigt Deutschland zur Erreichung der Natura 2000-Ziele ca. 1,4 Mrd. €/Jahr, wovon ca. 326 Mio. € zur Verfügung stehen.“ Da erscheinen die 50 Mio. €, die das Insektenschutzprogramm nach Abzug von Forschungsgeldern zusätzlich für den Insektenschutz bereitstellt, nicht allzu üppig.


So geht es weiter


BMU und BMEL haben das Programm geschrieben, ohne die Bauernverbände anzuhören. Dies gilt es nachzuholen. Die Gesetzesentwürfe gehen vor der Beratung in Bundestag und -rat an die Verbände. Das gibt Spielraum für Verbesserungen. Tatsächlich hat nicht nur der DBV Widerstand angekündigt, sondern auch die CDU. Ministerin Klöckner verspricht öffentlich „bei Herbiziden und betroffenen Insektiziden weitere Ausnahmen zu ermöglichen, wenn eine Bewirtschaftung sonst nicht möglich ist.“


johanna.garbert@topagrar.com

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