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Gülleansäuerung im Stall – Wunder gegen Ammoniak?

Lesezeit: 9 Minuten

Klingt genial: Wer den pH-Wert in der Gülle schon im Stall absenkt, verringert die Ammoniakemissionen und rettet mehr Stickstoff für den Acker. Doch was kostet die Technik, die in Dänemark schon seit zwanzig Jahren im Einsatz ist?


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Milchviehhalter kennen das Problem: Bei der Genehmigung von Offenställen wie Boxenlaufställen spielen die Ammoniak (NH3)-Emissionen eine große Rolle. Denn durch die offene Bauweise kann viel des umweltschädlichen Gases aus der Gülle entweichen. Oft sind deshalb große Abstände zu Wäldern einzuhalten oder großflächige Ausgleichsmaßnahmen umzusetzen. Für alle Landwirte kommt aber auch Druck von der EU: Schon allein die Emissionen aus der Landwirtschaft sorgen jedes Jahr dafür, dass Deutschland die zulässige Höchstmenge überschreitet. Ein Viertel der landwirtschaftlichen NH3-Emissionen kommt aus der Rinderhaltung, dabei sind die Emissionen der Gülleausbringung noch gar nicht eingerechnet. Die machen für alle Tierarten zusammen ein Drittel der NH3-Emissionen der Landwirtschaft aus.


Um ein neues Vertragsverletzungsverfahren zu verhindern, setzt die Politik auf Abdeckung von Güllebehältern, schnelles Einarbeiten von Gülle und emissionsarme Ausbringtechniken. Effektiver wäre es, die NH3-Emissionen gleich dort zu deckeln, wo sie entstehen, nämlich im Stall. Dass das geht, machen unsere Nachbarn in Dänemark vor: Viele Landwirte verschieben dort seit zwanzig Jahren durch die Zugabe von Schwefelsäure den pH-Wert der Gülle. So bleibt mehr Stickstoff in der Gülle, die Emissionen aus Haltung, Lagerung und Ausbringung reduzieren sich direkt um über 60% bei Schweinen und 50% und mehr bei Rindern. Schöner Nebeneffekt: Es kommt mehr Stickstoff aus der Gülle auf den Acker.


Dass die Technik in Deutschland bisher nicht verbreitet ist, liegt nicht nur daran, dass sie teuer ist, sondern auch z.B. daran, dass Landwirte Schäden am Beton der Güllebehälter durch die Säurezufuhr befürchten (s. Kasten S. 39).


Wir zeigen, was die Ausstattung von Rinderställen mit einer Gülleansäuerungsanlage kostet und wie sie in der Praxis funktioniert (siehe Seite 39/40).


Das Prinzip


Zurzeit bietet europaweit nur die Firma JH Agro Anlagentechnik zur Versäuerung von Gülle an. In Europa wurden bisher mehr als 300 Anlagen gebaut, über 200 davon in Dänemark und rund 40 in England. In Deutschland ging auf dem Milchviehbetrieb von Heinz-Hermann Hemme im niedersächsischen Landkreis Celle gerade die erste Anlage überhaupt in Betrieb (siehe Seite 40).


Das Prinzip dahinter: Zwischen flüssigem Ammonium und gasförmigem Ammoniak der Gülle besteht ein pH-Wert-abhängiges Gleichgewicht. Säure verschiebt dieses zugunsten des Ammoniums. Die Folge: Es gast kaum noch Ammoniak aus, sobald die Ausscheidungen auf die angesäuerte Gülle im Güllekanal fallen. Emissionen gehen dann nur noch von den verschmutzten Laufflächen selbst aus. Im Mastschweinestall verringern sich die Ammoniak-Emissionen so laut VERA um 64%. VERA ist eine Kooperation zwischen Dänemark, den Niederlanden und Deutschland zur Prüfung von Umwelttechnologien der Landwirtschaft. Im Rinderstall kommt es laut dänischem Umweltministerium zu rund 50% weniger Emissionen. Die geringere Reduktion erklärt sich dadurch, dass in Laufställen in der Regel mehr Exkremente auf den Laufflächen bleiben als in Schweineställen. Die Versäuerung verringert nicht nur die Emissionen. Auch das Stallklima verbessert sich.


Dafür wird beim am Markt verfügbaren System Schwefelsäure aus einem geschlossenen Tank über Leitungen zum Stall transportiert und mit der Gülle aus dem Stall vermischt. Mit Hilfe von Sensoren wird so viel Säure zudosiert, bis der pH-Wert von etwa 7 auf 5,5 sinkt. Dafür sind nach Versuchen der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) rund 3,3 l/m³ Rindergülle nötig. Messsonden im Güllekanal kontrollieren den pH-Wert, sodass nachdosiert wird, sollte der Wert von 5,5 abweichen. Der Landwirt kommt dabei nie mit der Säure in Kontakt, auch nicht zum kontrollieren, wie viel noch im Säuretank ist. Unterschreitet der Füllstand ein gewisses Niveau, meldet sich das System automatisch. Reparatur und Wartung der Ansäuerungsanlage übernimmt bei dem einzigen am Markt verfügbaren System die Firma JH Agro.


Damit die Versäuerung funktioniert, muss der Güllekeller unter Rinderställen mit Ringkanälen ausgestattet und mindestens 1,30 bis 1,50 m tief sein, was auf einen Großteil der bestehenden Ställe zutreffen dürfte, so Vertriebsleiter Holger Schulz von der Firma JH Agro. Allerdings müsse die Gülle ständig homogenisiert werden, um eine gleichmäßige Säurekonzentration in der Gülle zu gewährleisten, was den Einbau eines elektrischen Rührwerks nötig mache. Zudem werden solch hohe Reduktionen der Ammoniakemissionen nur bei Spaltenböden erreicht. Bei planbefestigten Böden verbleiben die Exkremente länger auf den Flächen und gasen aus, bevor sie im Güllekeller landen.


Die Kosten


Die Kosten einer Ansäuerungsanlage zeigen zwei Beispiele: Hendrik Meese hält 130, Ingrid Berger 400 Kühe. Beide investieren in eine Ansäuerungsanlage: Zu den Investitionskosten von rund 116500 € für eine Anlage, die die Gülle von bis zu 1000 Kühen ansäuern kann, kommen die jährlichen Kosten für Strom und Säure hinzu. Wartung und Pflege laufen für rund 1000 €/Jahr über einen Wartungsvertrag.


Beide halten ihre Jungrinder und Kälber in separaten Ställen ohne Ansäuerung, reduzieren also nur die Emissionen der Milchkühe. Würde Meese zusätzlich den Jungviehstall mit 120 und Berger den mit 360 Jungrindern an die Gülleansäuerungsanlage anschließen, bräuchten sie einen zweiten Injektionspunkt. Dadurch stiegen die Investitionskosten je nach Entfernung des Stalles zur Anlage um rund 20000 € bis 30000 € und die Betriebskosten um rund 1500 € für Hendrik Meese bzw. 4500 € für Ingrid Berger.


Rührt z.B. Landwirt Meese bisher die Gülle mit einem mobilen Mixer für die Heckhydraulik des Schleppers auf, hat also kein elektrisches Rührwerk, addieren sich zu den Kosten der eigentlichen Anlage die Kosten für ein fest installiertes elektrisches Rührwerk von ca. 10000 € Investitions- und rund 1000 €/Jahr Stromkosten.


Mehr Stickstoff verfügbar


Da weniger Stickstoff ausgast, bleibt mehr in der Gülle und ist pflanzenverfügbar. Dänische Studien gehen von 20% mehr pflanzenverfügbarem N in der im Stall angesäuerten Rindergülle im Vergleich zur normalen Gülle aus. Meese unterstellt vorsichtshalber nur 15% und rechnet für sich mit folgender Ersparnis: Bringt er mit der Gülle seiner 130 Kühe plus Nachzucht im Durchschnitt 100 kg N/ha auf seinen 145 ha aus, kommen so bei Ansäuerung der Gülle ca. 15 kg N/ha und damit insgesamt 2175 kg mehr bei den Pflanzen an. Bei einem Preis von 60 ct/kg N bringt ihm das eine jährliche Ersparnis von ca. 1300 €. Ingrid Berger mit ihren 400 Kühen spart auf ihren 450ha nach dieser Rechnung rund 4000 €. Nicht berücksichtigt haben beide den Mehraufwand für die Kalkung, um die versauernde Wirkung der Schwefelsäure auszugleichen, da sie davon ausgehen, dass dieser Mehraufwand der Einsparung an Schwefeldüngung entspricht.


26 bis 67 € pro Kuh und Jahr


Insgesamt kostet die Ansäuerungsanlage den Betrieb Meese mit 130 Kühen jährliche knapp 9000 € und den Betrieb Berger mit 400 Kühen gut 10000 €. Pro Kuh und Jahr sind das im 130er Stall rund 67 € und im 400er Stall nur 26 € – eine riesige Kostendegression, die dadurch entsteht, dass die Investitionssumme für den 130er und den 400er Stall gleich hoch ist.


Wird auch die Gülle des Jungviehs angesäuert, erhöhen sich die jährlichen Kosten auf knapp 12000 € bei 130 Kühen und gut 16000 € bei 400 Kühen. Müssen die Betriebe zudem ein Rührwerk installieren, das sonst nicht nötig wäre, kommen z.B. für Hendrik Meese mit seinen 130 Kühen jährliche Kosten von ca. 1600 € für ein Rührwerk im Milchviehstall und nochmal 1600 € für ein weiteres im Jungviehstall hinzu.


5 bis 11 € pro kg NH3


Je nachdem, ob Meese oder Berger neben der Gülle der Milchkühe, auch die des Jungviehs ansäuern und ob sie zusätzlich in ein Rührwerk investieren müssen, unterscheiden sich die Kosten pro vermiedenem kg NH3. So kostet die Vermeidung für Meese, wenn er nur die Gülle seiner 130 Kühe versäuert und dafür extra ein Rührwerk anschaffen muss, rund 11 €/kg NH3. Die Ammoniakemissionen reduzieren sich von rund 1900 kg auf ca. 950 kg NH3 pro Jahr. Säuert Berger die Gülle der 400 Kühe und die der 360 Jungrinder an und hat bereits Rührwerke, kostet die Vermeidung hingegen nur rund 5 €/kg NH3. Dabei werden rund 3200 kg NH3-Emissionen vermieden.


Eine Ansäuerung erst bei der Feldausbringung kostet nach Berechnungen der Universität Kiel nur 1,46 €/kg NH3 bei der Ansäuerung von Gülle und 2,71 €/kg NH3 bei der Ansäuerung von Gärresten. Rechnet man auch noch den Vorteilsausgleich durch den eingesparten N-Dünger ein, ergeben sich noch geringere Vermeidungskosten von 0,88 €/kg NH3 für Gülle und 2,14 €/kg NH3 für Gärreste. Die Kosten einer gasdichten Abdeckung von Güllebehältern liegen bei ca. 0,50 €/kg vermiedenes Ammoniak, der Einsatz emissionsarmer Technik bei der Gülleausbringung bei ca. 4 €/kg. Nach dänischen Untersuchungen kostet die Vermeidung von einem Kilogramm Ammoniak durch chemische Abluftreinigung in Schweinemastställen zwischen 3 und 5 €, die Vermeidung von Ammoniakemissionen durch emissionsarme Laufflächen in Rinderställen nach Untersuchungen der Uni Kiel zwischen 14 und 18 €/kg NH3.


Effektiv und „erschwinglich“


Die Gülleansäuerung im Stall liegt also hinsichtlich der Vermeidungskosten im mittleren Bereich. Aber: Kostengünstigere Technologien, wie z.B. die emissionsarme Ausbringung und die Güllelagerabdeckung, reichen möglicherweise nicht aus, um die von der EU geforderte Ammoniakreduktion zu erreichen. Dazu werden wahrscheinlich teurere Maßnahmen, die schon bei der Haltung ansetzen, nötig sein.


Da wird die Gülleansäuerung erst richtig interessant. Denn sie verringert als einzige der möglichen Maßnahmen sowohl Emissionen im Stall, als auch bei der Lagerung und der Ausbringung. Damit ist sie zwar nicht am günstigsten, aber am effektivsten verglichen mit den anderen Reduktionsmaßnahmen.


Baldige Gesetzesänderung?


Zurzeit wird ein Gemisch aus Gülle und Säure rechtlich als stark wassergefährdend eingestuft und müsste deshalb doppelwandig gelagert werden. Die Vorgabe hat der Betrieb Hemme als deutschlandweit bisher einziger Betreiber einer Versäuerungsanlage am Stall durch eine spezielle säurefeste Folie im Güllekeller eingehalten, was ihn viel Geld gekostet hat (s. Reportage S. 40).


Allerdings schlägt das Bundesumweltministerium (BMU) vor, die entsprechende Verordnung so zu ändern, dass Landwirte angesäuerte Gülle künftig normal im Güllekeller oder -lager lagern dürfen. Der Gesetzesentwurf befindet sich nach Angaben des BMU derzeit in der Endabstimmung und wird bald in den Bundesrat eingebracht. Mit Verabschiedung der Änderung rechnet das BMU im Frühling 2021.


Fazit: Diese Änderung sowie ein Ausgleich der höheren Investitions- und Betriebskosten über z.B. das Agrarinvestitionsförderungsprogramm (AFP) oder die „Bauernmilliarde“ könnten die Gülleansäuerung im Stall für viele Landwirte attraktiv machen und viele Ammoniakemissionen vermeiden.


johanna.garbert@topagrar.com

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