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Hand in Hand mit Tierschützern?

Lesezeit: 9 Minuten

Provieh und der Deutsche Tierschutzbund wagen den Schulterschluss mit Landwirten und wollen so zu Veränderungen in den Ställen beitragen. Ob solch eine Allianz funktionieren kann, entscheidet sich derzeit bei der Initiative Tierwohl.


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Alle Welt redet davon: Die deutschen Fleisch- und Milchproduzenten können sich auf Dauer nur dann gegen die billige Konkurrenz aus dem Rest der Welt verteidigen, wenn sie dem Verbraucher das gewisse Extra an Qualität bieten. Neben regionalen und besonders gesunden Produkten gehört dazu auch: Mehr Tierschutz im Stall. Vor allem in der Schlachtbranche mehren sich in den letzten Monaten diese Stimmen.


Und die Viehhalter sind bereit, den Schritt mitzugehen, wie Johannes Röring, Veredelungs-Präsident des Deutschen Bauernverbandes, feststellt: „In den Köpfen der Landwirte ist in den letzten Jahren viel passiert“, sagt er.


Doch das Engagement der Landwirte droht an einem fast unüberwindbaren Hindernis zu scheitern: Der Macht der Supermarktketten. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) scheint kein Interesse daran zu haben, dass sich die Nutztierhaltung verändert. Denn Fleisch, Milch und Butter sind noch immer die besten Lockprodukte. Mit günstigem Schnitzel holt man die Leute in den Markt. Sind sie erst mal da, bezahlen sie für andere Produkte auch etwas mehr. 70% des Fleisches gehen in deutschen Supermärkten als Sonderangebot über die Theke. Produkte mit Tierschutz- oder Biolabel stellt man möglichst nah neben das günstigste Angebot. So kommen die Verbraucher nicht auf die Idee, zu viel davon zu kaufen. Aus der Branche ist zu hören: „Der Handel will nur sagen können, er habe das Tierwohl-Fleisch ja angeboten, aber keiner wollte es kaufen. In Wirklichkeit hält er die Sonderangebots-Kultur aktiv am Leben.“


LEH bremst Tierwohl aus:

Das bestätigen auch Studien. Den mündigen Verbraucher, der für mehr Tierwohl tiefer in die Tasche greift, gibt es noch nicht.


Der Schlachtkonzern Vion, der mit der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) jährlich den Vion Consumer Monitor durchführt, fand heraus: Weil Tierwohl-Artikel in deutschen Supermärkten kaum verfügbar sind, lässt sich die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher bislang schwer messen.


Die Wissenschaft stellt fest, dass der Verbraucher solche Produkte auch nicht vermisst. Die Universitäten Hohenheim und Göttingen vermeldeten 2013: Eine Vermarktung von besonders qualitativem Fleisch nach dem Motto „weniger ist mehr“ kann funktionieren. Die Verbraucher lassen sich dabei aber vor allem davon leiten, für wie gesund sie das Fleisch halten. „Der Einfluss von Tierschutz-Motiven ist dagegen erstaunlicherweise eher gering“, stellten die Professoren Spiller und Grethe fest. Das liegt auch daran, dass die Marketing-Strategen des LEH nie wirklich für Tierwohl-Produkte getrommelt haben.


Für die Bauern ist das schmerzhaft. Härtere Tierschutz-Verordnungen von Bund und Ländern hängen wie ein Damoklesschwert über der Branche. „Diese würden die wirtschaftliche Situation der Tierhalter verschärfen“, schätzt Dr. Heinz Schweer, Direktor Landwirtschaft bei Vion, die Situation ein. „Label bezahlen die Verbraucher, Ordnungspolitik bezahlen die Bauern“, sagt er. Und orakelt: „Gelingt es uns nicht, in Tierschutzfragen einen Konsens mit der Gesellschaft zu finden, wird die Mast in Deutschland schwer zu halten sein.“ Fast scheint es, als müssen sich die deutschen Landwirte damit abfinden, dass sie mit Auflagen überzogen werden, während günstige Waren aus dem Ausland auf unseren Markt drängen.


Lösung von den Tierschützern:

Der bislang beste Lösungsansatz für dieses Problem kommt von einer Seite, der man es vielleicht nicht zugetraut hätte. Der Tierschutzverein Provieh ging 2011 auf die Schlachter Tönnies, Thönes Natur und Goldschmaus zu. Man wollte gemeinsam ein System erarbeiten, um Landwirte für besonders tiergerechte Haltung besser zu bezahlen. Bald darauf schloss sich mit Rewe die erste Supermarktkette an.


Provieh ist ein eher unbekannter Verein aus Kiel. Er hat wenige tausend Mitglieder und ein Jahresbudget von 350000 €. Zum Vergleich: Der Deutsche Tierschutzbund erhält durchschnittlich ca. 10 Mio. € pro Jahr, PETA Deutschland rund 4 Mio. €. Als die Stiftung Warentest 2013 insgesamt 44 Tier- und Umweltschutzorganisationen unter die Lupe nahm, erhielten nur sechs davon die Auszeichnung „transparent und gut organisiert“. Provieh war eine davon. Mit seinem Leitbild hat sich der Verein aus finanzieller Sicht jedoch keinen Gefallen getan. Seit 40 Jahren engagieren sich die Kieler für eine artgemäße und wertschätzende Tierhaltung in der Landwirtschaft.


Wer im Spendengeschäft groß rauskommen will, der muss eigentlich auf Tiere setzen, die man streicheln kann oder die süß aussehen, wie Kaninchen oder Robben. Wer sich dennoch mit Nutztieren beschäftigt, der sollte sich wenigstens auf Skandale in der Landwirtschaft einschießen. Nur auf diese Weise lassen sich Menschen so schockieren, dass sie bereitwillig spenden.


Provieh geht bewusst einen anderen Weg. Angela Dinter, Fachreferentin für Schlachtung und Tiertransporte, weiß: Nachhaltige Veränderungen sind nur zu erreichen, wenn die Tierschützer mit den Landwirten an einem Strang ziehen. „Es wäre falsch, den Landwirten z.B. die betäubungslose Kastration einfach zu verbieten und zu sagen: Guckt, wie ihr klarkommt“, so ihr Credo.


Poker um die ITW:

Der Verein hatte mit seiner Idee einer Brancheninitiative Erfolg. Bis 2014 schlossen sich fast alle Supermarktketten sowie der Berufsstand mit ISN und dem Bauernverband an. Fortan koordinierte die Qualität und Sicherheit GmbH (QS) die Initiative. Man schuf neue Strukturen und gründete Projektgruppen, die die genauen Kriterien für die Schweine- und Geflügelhaltung aushandelten. Provieh war dazu nicht eingeladen. Tierschützer und Wissenschaftler sollten fortan im Beraterausschuss mitwirken (siehe Übers. links). Dort dürfen Sie Vorschläge machen, wie die Haltungskriterien der Initiative Tierwohl (ITW) aussehen sollten. Bindend für die Entscheidungen der Projektgruppen ist das aber nicht.


Stefanie Pöpken, Agraringenieurin und Fachreferentin für Rind und Geflügel bei Provieh, hat dafür kein Verständnis: „Dass wir bei den Entscheidungen nicht mehr mit am Tisch sitzen, ist ein Armutszeugnis!“, sagt sie und fordert: „Die ITW sollte den Mumm haben, uns wieder mitentscheiden zu lassen.“


Möglicherweise war der Verein den neuen Verantwortlichen bei der Initiative zu unbedeutend. Schließlich will man nach außen kommunizieren, dass Tierschützer an der ITW mitarbeiten. Da zählt das Wort des Deutschen Tierschutzbundes mit seinen ca. 800000 Mitgliedern schon mehr als das von Provieh. 2015 holte die ITW den Tierschutzbund in den Beraterausschuss. Der Verein hatte gemeinsam mit Vion das Tierschutzlabel aufgelegt und so demonstriert, dass er konstruktive Lösungen sucht. Auch er ist laut Stiftung Warentest transparent und gut organisiert.


In den 140 Jahren seiner Geschichte beschäftigte der Tierschutzbund sich vor allem mit Haus- und Versuchstieren. Durch diese emotional aufgeladenen Geschäftsfelder steht er finanziell gut da. Präsident Thomas Schröder roch die Chance, die für ihn unzureichenden Haltungskriterien der ITW über den Beraterausschuss zu verbessern.


Dass er diese Aufgabe durchaus ernst nimmt, musste die ITW im August leidvoll erfahren. Schröder drohte öffentlich mit dem Ausstieg. „Unsere Vorschläge zur Schweine- und Geflügelhaltung hat die ITW bislang nicht einmal zur Kenntnis genommen!“, beklagte er. Zuvor hatte er sich extra mit dem Bauernverband zusammengesetzt. Mit diesem wollte er – so seine Version der Dinge – Kriterien für die Tierhaltung erarbeiten, um diese bei der Initiative gemeinsam durchzusetzen. Doch dann stellte die ITW im Juni 2016 ohne weitere Rücksprache Eckpunkte für die Kriterien ab 2018 vor.


Dabei gehen die Eckpunkte in die Richtung, die auch Schröder sich wünscht: Der LEH stockt das Budget für Schweinehalter auf 100 Mio. € jährlich auf. So könnte man die Warteliste räumen und den Bauern 6,25 ct/kg statt bislang 4 ct/kg auszahlen. Gleichzeitig schafft die ITW die Wahlfreiheit zwischen Wahlpflichtkriterien ab. Künftig sollen alle Teilnehmer ihren Tieren mindestens 10% mehr Platz sowie organisches Beschäftigungsmaterial bieten.


Nur 5 € pro Schwein.

Doch das ist nicht alles: Damit so viele Tierhalter wie möglich an der ITW teilnehmen können, will die Initiative den maximalen Bonus pro Schwein von bisher 9 auf nun knapp über 5 € senken. Hier setzt Schröders Kritik an (siehe Kasten links).


Beim Bauernverband punktete Schröder mit seiner Kritik nicht. Röring sitzt bei der ITW in der Projektgruppe Schwein. Man könne nur Kriterien umsetzen, für die auch die Finanzierung steht. „Und Schröder hat sich nie ernsthaft bemüht, mehr Geld vom Handel oder mehr Handelsunternehmen für die ITW einzuwerben“, sagt Röring und fordert mehr Unterstützung von ihm.


Mitte September reagierte die Projektgruppe Schwein dennoch auf Schröders Kritik. Man wolle den Beraterausschuss stärker einbinden, „innovative Kriterienkombinationen“ fördern und „darauf hinarbeiten“, dass Raufutter zur Verfügung gestellt wird. Gleiches gelte beim Tageslicht. Ob Schröder das reicht, war bei Drucklegung dieses Beitrags (15.9.) noch offen. Sie lesen es auf Seite 108.


Während die ITW also noch auf wackligen Beinen steht, zeigt das Beter Leven-Programm in den Niederlanden, wie eine Kooperation zwischen Landwirten und Tierschützern funktionieren kann. Dort litten die Schweinehalter nach der Schweinepest von 1997 unter einem schlechten Image. Zusammen mit der führenden Supermarktkette Alber Heijn, der Tierschutzorganisaton Dierenbescherming und Vion legten sie ein Label auf. Dass Heijn mitzog, ist vor allem dem unermüdlichen Druck der Tierschützer zu verdanken. Die Schweinehalter profitieren heute von einem guten Image und stabilen Preisen.


Staatliches Label kommt:

In Deutschland könnte der Umbau der Nutztierhaltung weiter Fahrt aufnehmen. Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt (CSU) arbeitet an einem staatlichen Tierwohl-Label. Die Kriterien diskutiert er auch mit Bauernverband und Tierschutzbund. 2018, ein Jahr nach der Bundestagswahl, könnte das Label starten, ist zu hören. Vom Bauernverband heißt es dazu, man sei für die Diskussion offen, habe aber noch einige grundsätzliche Fragen zur Konzeption des Labels. „Es darf die ITW aber nicht gefährden,“ so der Verband. Röring ergänzt: „Wenn es Chancen gibt, die höhere Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für entsprechend gekennzeichnetes Fleisch abzuschöpfen, wie uns die Wissenschaftler immer wieder sagen, sollten wir sie nutzen.“ Claus Mayer


In Deutschland könnte der Umbau der Nutztierhaltung weiter Fahrt aufnehmen. Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt (CSU) arbeitet an einem staatlichen Tierwohl-Label. Die Kriterien diskutiert er auch mit Bauernverband und Tierschutzbund. 2018, ein Jahr nach der Bundestagswahl, könnte das Label starten, ist zu hören. Vom Bauernverband heißt es dazu, man sei für die Diskussion offen, habe aber noch einige grundsätzliche Fragen zur Konzeption des Labels. „Es darf die ITW aber nicht gefährden,“ so der Verband. Röring ergänzt: „Wenn es Chancen gibt, die höhere Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für entsprechend gekennzeichnetes Fleisch abzuschöpfen, wie uns die Wissenschaftler immer wieder sagen, sollten wir sie nutzen.“ Claus Mayer


In Teil 3 des Tierschutz-Checks beschäftigen wir uns mit den Querverbindungen und Netzwerken in der Tierschutz- und Tierrechts-Szene.


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