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Im Windrausch

Lesezeit: 9 Minuten

Im niedersächsischen Kreis Diepholz verklagt der Kreisbauernverband seine ehemalige Führungsmannschaft. Angeblich sind bei krummen Geschäften mit Windparks rund 10 Mio. € verschwunden.


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Lange Zeit waren die Landwirte in der Grafschaft Diepholz mächtig stolz auf ihren Landvolkverband: Es gab von Landwirten mitfinanzierte Windkraftanlagen, eine volle „Vereinskasse“, entsprechend niedrige Mitgliedsbeiträge und einen überaus umtriebigen und mit hohen Auszeichnungen geehrten Vorsitzenden. Lothar Lampe war eine große Nummer im niedersächsischen Landvolk.


Doch die einträchtige Beschaulichkeit ist längst Geschichte. Was als kleiner Verdacht Anfang 2013 ins Rollen geriet, weitete sich zu einem der größten Veruntreuungs-Skandale der Agrar­szene aus: Im Geschäft mit Windparks sind Millionen-Beträge aus den Töpfen von Landvolk-Tochtergesellschaften verschwunden. Zudem hat es Riesen-­spenden an bauernverbandsnahe Stiftungen gegeben.


Jetzt fragen sich über 700 Anteilseigner von 10 Windparks, ob die Verzin­sung ihrer Anteile vielleicht hätte höher ausfallen können. Und viele Landwirte vor Ort wissen mittlerweile gar nicht mehr, wem sie überhaupt noch trauen sollen. Jürgen Bolte aus dem niedersächsischen Ehrenburg bringt es so auf den Punkt: „Wir haben gutgläubig investiert und auf das Landvolk vertraut – vieles löst sich nun in Luft auf.“


Verdacht der Untreue:

Der erste öffentliche Paukenschlag erfolgte im Juni 2013, als das Diepholzer Landvolk den Plan aufgab, die dubiosen Windkraft- Machenschaften „intern“ regeln zu wollen. Nach einer anonymen Strafanzeige ließen sich die Vorwürfe nicht mehr unter der Decke halten. Der Landvolkkreisverband beauftragte zunächst einen Wirtschaftsprüfer und später den auf Wirtschaftsrecht spezialisierten Rechtsanwalt Andre Große Vorholt aus München.


Im Oktober 2013 nimmt der Jurist nach Prüfung der Unterlagen drastische Worte in den Mund: „Hier geht es um Untreue, die sich gewaschen hat!“ Besonders Lothar Lampe, bis Dezember 2011 langjähriger Landvolk-Vorsitzender in Diepholz, steht im Zentrum der Ermittlungen. Er soll u. a. als Geschäftsführer von zwei Landvolk-Tochtergesellschaften viel Geld aus den Windgeschäften abgezweigt und sich selbst per Briefkastenfirma über seinen Schwiegersohn Geld zugeschanzt haben.


Spezi-Wirtschaft:

Mit Lampe im Boot sitzen aber nicht nur Familienangehörige, sondern offenbar auch drei weitere, mittlerweile gekündigte Angestellte des Landvolks: Ex-Geschäftsführer Wilhelm Bergmann, Steuerberater Johann Gerdes und seiner im Laufe der Jahre zur Windparkexpertin aufgestiegenen Frau Algrid Hagen-Gerdes wird vorgeworfen, von den sprudelnden Windgeldquellen profitiert zu haben. Hier einige der dubiosen Vorgänge:


  • Lampe spendete 1 Mio. € aus dem Vermögen der Landvolk-Dienstleistungs-GmbH an die Deutsche Stiftung Kulturlandschaft, bis November 2013 war er Vorsitzender des Stiftungsrates.
  • Als Spende flossen auf Lampes Geheiß 100 000 € an die Edmund Rehwinkel-Stiftung der Rentenbank.
  • 90 000 € überwies Lampe für ein Konzept zur Beschäftigung osteuropäischer Arbeitskräfte an die SinD GmbH, eine Tochterfirma des Gesamtverbandes der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände, dessen Präsident Lampe lange war.
  • Gleich mehrere hochgradig fragliche Geschäfte gibt es mit der Firma WestWind: Bereits 2001 gab es exklusive Rahmenvereinbarungen zwischen WestWind und Landvolk über den Bau von Windparks auf „Landvolk-Flächen“. In den gemeinsam realisierten Windparks galt: Ein Drittel der Anlagen betreibt das Landvolk über Beteiligungsgesellschaften, für zwei Drittel erhält WestWind die Betreiberrechte.
  • WestWind soll 2,4 Mio. € als Beraterhonorar an Lampe gezahlt haben, der den Rahmenvertrag dann offenbar eigenmächtig verlängerte, nachdem er 2009 auslief. Ab 2010 soll Lampe dann gemeinsam mit Ex-Landvolk-Geschäftsführer Wilhelm Bergmann endgültig auf beiden Seiten des Verhandlungstisches gesessen haben, so der Vorwurf: Offenbar beteiligten sie sich über Lampes Schwiegersohn selbst an der Firma WestWind und gewährten ihr ab 2011 beim Bau der Landvolk-Windparks einen Gewinnzuschlag von 13 %.
  • Ex-Geschäftsführer Wilhelm Bergmann und das Ehepaar Gerdes waren beim Landvolk angestellt, sollen aber zusätzlich noch Sondervergütungen in Höhe von 1,83 Mio. € kassiert haben. Bei den Arbeiten handelte es sich aber zumindest teilweise um Pflichten im Rahmen der Anstellung.
  • Ihr „wahres Potenzial“ zeigten Lampe, Bergmann und Gerdes bei der Gründung einer Briefkastengesellschaft: Die Hamburger Rotstein GmbH mit Lampes Schwiegersohn als Geschäftsführer ermöglichte ihnen, über Rechnungen an WestWind Gelder „zurückzuholen“. So berechnete der Rotstein-Geschäftsführer rund 2,8 Mio. € für „Vorträge“. Was der Lampe-Schwiegersohn für dieses Honorar vortrug, fiel wohl unter das Betriebsgeheimnis. Aufzeichnungen sind jedenfalls Mangelware.


Auch bei der Vergabe der heißumkämpften Windparkanteile wurde offenkundig gemauschelt. Vor allem bei den im Nachhinein besonders profitablen Windparks zeichnete die Großfamilie Gerdes insgesamt Anteile von 1,5 Mio. €, die Familie Lampe 850 000 €.


Die Zeit läuft …

Die Enthüllungen schockieren viele – in der Region macht das böse Wort vom „Landvolk-Watergate“ die Runde. Das Problem für die Rechtsanwälte: Die dubiosen Geschäfte laufen bereits seit fast zehn Jahren, Schadenersatzansprüche verjähren aber bereits nach drei bzw. fünf Jahren. Wann die Verjährung beginnt, muss wohl das Gericht klären.


Rechtsanwalt Große Vorholt versucht nun, für die neuen Verantwortlichen im Landvolk in mehreren Teilklagen zu retten, was noch zu retten ist. Parallel hatte zunächst die Staatsanwaltschaft Verden ermittelt, das Verfahren aber ohne Ergebnis im Oktober 2013 an die Staatsanwaltschaft Stade abgegeben. Diese ermittelt nun wegen „Untreue in einem besonders schweren Fall“ und versucht, das kleinteilige Puzzle zusammenzusetzen.


„Geheimkasse“:

Auch für die neuen Verantwortlichen im Landvolk ist die Aufarbeitung der Hinterlassenschaft des ehemaligen Führungstrios schwierig. Vor allem bei der hauptgeschä­digten Landvolk-Tochtergesellschaft „Landvolk Dienstleistungsgesellschaft mbH“. Hier fehlten sogar Kontoauszüge und andere Buchführungsunterlagen. Diese GmbH war den meisten Mitgliedern nach ihrer Gründung im Jahr 1997 wohl aus dem Blick geraten. Ideal für Lampe: Er nutzte sie als „schwarze Kriegskasse“.


Die Dienstleistungsgesellschaft mbH projektierte die Windparks, kaufte die Anlagen und baute sie auf. Darauf folgte der Verkauf an die „sauberen“ Windpark-KGs. Hier übernimmt eine zweite Landvolk-Tochtergesellschaft, die „Landvolk-Betriebs-GmbH“, als Komplementärin die Geschäftsführung und das Risiko. Beim internen Verkauf blieben dann offenbar mehr als genügend Mittel hängen, die Lampe unkontrolliert als Spenden und Sondervergütungen verschieben konnte. Bis heute sind 10 Windparks in 21 KGs entstanden, siehe Übersicht Seite 42. In jeder Gesellschaft fungierte per Vertrag bislang der jeweils aktuelle Landvolk-Vorsitzende als Geschäftsführer, bis 2011 also Lampe selbst. Das nötige Eigenkapital mit mehr als 30 Mio. € brachten als Kommanditisten über 700 Kapitalanleger ein, darunter viele Landwirte aus der Region.


Sorge um Windanteile:

Während der neue Landvolk-Vorstand dafür kämpfen muss, die verschwundenen Gelder des Verbandes wieder zurückzuholen, machen sich einige Landwirte, die sich privat als Kapitalanleger an den Windparks beteiligt haben, ganz andere Sorgen: Sie fragen sich, wie sich die zugesagten Ausschüttungen der Parks weiter entwickeln bzw. ob nicht in der Vergangenheit deutlich höhere Ausschüttungen möglich gewesen wären.


Zwar hat der aktuelle Vorsitzende des Landvolkes, Theo Runge, in einem Rundschreiben im Juni 2013 bereits beteuert, dass „kein Kommanditist (…) einen Schaden erleidet“. Einige Landwirte bezweifeln jedoch, dass der Schaden wirklich nur auf die Dienstleistungsgesellschaft mbH begrenzt ist. Besonders zwei Windparks werfen deutlich weniger ab, als in den Prospekten angepriesen. Als mögliche „Stellschraube“ zwischen Gewinnmaximierung der Landvolk Betriebs GmbH und Ausschüttung für die Anleger sieht Karl-Heinz Gerwin (53) aus dem westfälischen Enniger die Baukosten der Windparks: „Je nachdem, ob sich Lampe und Co. an den Windparks selbst beteiligen wollten oder nicht, haben sie die Anlagenpreise beeinflusst“, so sein Verdacht. Seine Kapitalanlage von 50 000 € in den Windpark Scholen hat jedenfalls bislang die im Prospekt in Aussicht gestellte Ausschüttung bei Weitem nicht erreicht.


Vertrauen verspielt:

Wie vielen anderen macht Gerwin der Vertrauensverlust zu schaffen. „Ich habe vor allem deshalb investiert, weil ich darauf vertraut habe, dass mein Geld beim Bauernverband gut und sicher angelegt ist.“ Sein Steuerberater Reinhard Pöhler aus Warendorf ist ebenfalls mehr als verwundert: „Die Bilanzen weisen allein für diesen einen Windpark mit nur drei Windrädern satte 45 000 € bzw. 4 % des Nettojahresumsatzes jährlich für die Geschäftsführung aus, wobei Kosten für Abschlüsse und Steuerberatung noch gar nicht enthalten sind.“


Skeptisch macht den Steuerexperten aus dem westfälischen Warendorf aber auch die wirtschaftliche Lage speziell des Windparks Scholen: „ Hier wurden teilweise Gelder ausgezahlt, obwohl die Gesellschaft das nicht voll erwirtschaftet hatte – das geht nur, wenn die Ausschüttung aus dem zuvor eingezahlten Kommanditkapital stammt.“ Er fragt sich, warum der Windpark so handelt, ohne die Gesellschafter deutlich auf die Folgen hinzuweisen. „Fatal ist, dass die Gesellschafter im Zweifel verpflichtet sind, diese Gelder wieder einzuzahlen. Die Bilanzen weisen im Übrigen erhebliche Kapitalverluste aus.“


Zu den kritischen Geistern gehört auch Landwirt Jürgen Bolte. Auch er fragt sich, ob er als Kommanditist nicht doch vom „System Lampe“ betroffen war: „Da die Dienstleistungsgesellschaft keine eigenen Einnahmequellen hatte, muss das von Lampe ausgegebene Geld aus den Windparks kommen und damit dann vielleicht doch indirekt zulasten der Kommanditisten geflossen sein.“ Rückblickend denkt Bolte, dass z. B. ein selbst organisierter Bürgerwindpark die bessere Lösung gewesen wäre.


Er setzt sich für die lückenlose anwaltliche Prüfung der Gesellschaftsverträge ein und will ausloten, welche Rechte die Kommanditisten haben. Allerdings sind viele Landwirte mit Flächen­pachten und Ausschüttungen auch zufrieden, wollen die Verträge gar nicht aufrollen. Das ist für Jürgen Bolte wenig erstaunlich: „Ich vermute, dass ein ganzes Netz von Mitwissern entstand, das sich durch wirtschaftliche Vorteile zum Schweigen verpflichtete.“


Wirklich nichts gemerkt?

Die Misere beim kleinen Landvolkkreisverband wirft aber auch einen Schatten auf die vielfältigen unternehmerischen Aktivitäten des Bauernverbands mit seinen Töchtern und Beteiligungen. Viele fragen sich: Haben die Verantwortlichen noch den Überblick? Werden die Unternehmen des Bauernverbands hinreichend und vor allem unabhängig kontrolliert? Schlummern weitere Fälle unter der Decke?


Fakt ist: Die Machenschaften in Diep­holz blieben mehr als 10 Jahre unentdeckt und obendrein erhielt Lothar Lampe in dieser Zeit auch noch die höchsten Ehrungen des Bauernverbands: So bekam er im Dezember 2011 die „Goldene Ehrennadel mit Brillant“. Eine Auszeichnung, die nur 10 lebende Personen gleichzeitig tragen dürfen. Damals hieß es: Lampe sei zwar „durchaus streitbar“, stehe aber für „Werte wie Gerechtigkeit, Fairness, Freiheit“. Schon ein Jahr zu-vor durfte er die „Andreas-Hermes-Medaille“ entgegennehmen.


Diskussionen ranken sich auch um die Spende an die Deutsche Stiftung Kulturlandschaft. Viele Landwirte fragen sich: Muss eine Stiftung nicht misstrauisch werden, wenn ein kleiner Kreisverband eine Spende in Höhe von 1 Mio. € macht? Zum Tagesgeschäft gehören Spenden dieser Dimension jedenfalls nicht. Mit im dreiköpfigen Stiftungsvorstand sitzt unter anderem Dr. Helmut Born, der ehemalige Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Zumindest er kennt die Strukturen und finanziellen Möglichkeiten der Bauernverbände wie kaum ein Zweiter in Deutschland. „Wir prüfen immer die Bilanzen von Spendern und Zustiftern, so wie sie im Bundesanzeiger veröffentlicht werden und auch die Befugnis der handelnden Personen“, so Born gegenüber top agrar. Dabei habe es keine Auffälligkeiten gegeben. Gesa Harms

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