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„In der Gemeinschaft liegt die Kraft“

Lesezeit: 10 Minuten

Vor zehn Jahren haben der Bayerische Bauernverband und der Maschinen- und Betriebshilfsring Rhön-Grabfeld die Agrokraft gegründet. Wir sprachen mit Geschäftsführer Michael Diestel über die Höhen und Tiefen nach einem Jahrzehnt.


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Im Jahr 2006 haben Sie die Agrokraft mitgegründet. Was waren damals die Ziele?


Diestel: Wir hatten uns schon im Jahr 2004 mit erneuerbaren Energien in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum beschäftigt. Wir mussten feststellen, dass häufig nicht die Landbewirtschafter und die Landbevölkerung davon profitierten, sondern externe Investoren. Bei uns in Nordbayern hatten diese beispielsweise begonnen, Flächen für Solarparks von einzelnen Landwirten zu pachten. Wir wollten den ortsansässigen Bewohnern eine Unternehmensstruktur geben, um ihnen die Chance zu geben, sich daran zu beteiligen. Und dann begann der Biogasboom, was wir auch sehr kritisch gesehen haben.


Warum das?


Diestel: Mit Einführung des Nawaro-Bonus im Erneuerbare-Ener-gien-Gesetz (EEG) ab 2004 sind überall in Deutschland große Biogasanlagen entstanden. Grundsätzlich lehnen wir das Engagement von Energieversorgern und externen Investoren in diesem Bereich ab. Die Landwirtschaft muss an dieser Wertschöpfungskette teilhaben und damit davon profitieren – ganz einfach, weil sie es kann! Anders als beim Stallbau haben die Landwirte nicht selten auf Anraten der Berater und Hersteller sehr große Anlagen gebaut, die weder zur Tierzahl noch zur Fläche des Betriebes passten. In der Tierproduktion hätte man von gewerblicher, industrieller Produk-tion gesprochen. Unser Ansatz war dagegen größere Projekte mit einem nachhaltigen Wärmenutzungskonzept gemeinsam umzusetzen und damit das Risiko aus Investition und Rohstoffverfügbarkeit nachhaltig zu reduzieren.


Wie sind Sie dabei vorgegangen?


Diestel: Unser Motto war und ist bis heute: so viele Menschen beteiligen wie möglich, so wenig wie nötig. Außerdem haben wir Biogasanlagen gezielt dort gebaut, wo wir auch einen größeren Wärmeabnehmer haben, also z.B. in der Nähe einer Mälzerei, von Schwimmbädern usw. Es hat Jahre gedauert, bis wir das Konzept aufgestellt hatten, aber es hat funktioniert. Unser erstes Projekt war dabei die Biogasanlage der Bioenergie Bad Königshofen: 35 Landwirte liefern gemeinsam mit der auf 2 MW ausgebauten Biogasanlage Wärme an die ortsansässige Kurbetriebsgesellschaft und einen Nahwärmenetzbetreiber. Und im Photovoltaikbereich ein 8 ha großer Solarpark mit 2 MW Leistung in Großbardorf. Die Agrokraft hat dabei den Landwirten die nötige Struktur gegeben, eine Art Hilfe zur Selbsthilfe, sich aber nie finanziell an den Projekten beteiligt.


Haben sich Ihre Ziele jetzt, zehn Jahre später, erfüllt?


Diestel: Ja, sowohl bei Freiflächen-Solaranlagen, solange sie noch über das EEG gefördert wurden, als auch bei Biogasanlagen. Bei uns im Landkreis sind jetzt 160 Bauern an fünf Biogasanlagen beteiligt. Es gab bei uns weit weniger Pachtpreissteigerungen als in anderen Regionen, wo beispielsweise in einem Landkreis 160 einzelne Biogasanlagen entstanden sind. Auch liegt der Maisanteil an der Ackerfläche bei uns nur bei 7%, ist also eine Auflockerung der Fruchtfolge und nicht das Gegenteil.


Die Agrokraft hat zudem etliche Energiegenossenschaften initiiert. Wie kam es dazu?


Diestel: Wir haben festgestellt, dass es viele Landwirte, aber auch Gewerbetreibende oder Kommunen gibt, die große Dachflächen haben. Auf der anderen Seite würden viele Bürger gern Solarstrom erzeugen oder ihr Geld umweltbewusst vor Ort anlegen, haben aber kein geeignetes Dach dafür. Wir haben dafür gesorgt, dass Dachbesitzer und Anleger aus den Dörfern zusammenkommen. Da man nicht für jedes Dach eine eigene GbR oder GmbH gründen kann, sind wir auf die Genossenschaft als geeignete Rechtsform gestoßen. In der ersten Energiegenossenschaft haben wir 24 Photovoltaikanlagen auf Dächern von Landwirten, Vereinen, Kommunen und Unternehmen mit einer Gesamtleistung von ca. 2,3 MW in der Friedrich Wilhelm Raiffeisen Energie eG zusammengefasst. Daraus entstanden ist dann die Idee der Ortsenergie-Genossenschaften, als Pool für erneuerbare Energien-Projekte auf Ortsebene. Beispielhaft zu nennen ist hier die FWR Energie eG Großbardorf mit Ortswärmenetz und PV-Anlagen. Im Laufe der Zeit haben wir über 40 Energiegenossenschaften bei der Gründung geholfen – immer als Dienstleister, der sich über den Verkauf von Fachwissen finanziert. Dafür hatten wir ein komplettes Gründungspaket einschließlich Abrechnungssoftware und Verwaltungstipps usw. geschaffen.


Seit rund zwei Jahren melden Verbände einen massiven Rückgang der Neugründungen von Energiegenossenschaften. Wie ist das bei Ihnen gelaufen?


Diestel: Die Entwicklung hat auch bei uns nicht haltgemacht. Nach dem Atomunfall in Fukushima im Jahr 2011 standen die Zeichen auf Energiewende, wir und andere Regionen hatten einen richtigen Lauf. Dann hat die Politik aber die Wende der Wende eingeleitet und die erneuerbaren Energien viel zu früh abgewürgt. Ab dem Jahr 2012 haben das Aus für Solarparks in der Landwirtschaft oder die Kürzung der Einspeisevergütung bei Biogasanlagen viele Projekte zunichtegemacht. Unser aller Pech war, dass das EEG zu Fehlentwicklungen geführt hat, und damit die öffentliche und politische Akzeptanz angesichts von Großprojekten wie die Riesenbiogasanlage im ostdeutschen Penkun oder einem Solarpark auf 80 ha bestem Gäuboden bei Straubing gekippt ist. Bei unseren PV-Freianlagen gab es dagegen nie ein Akzeptanz- und damit Genehmigungsproblem. In Großbardorf produzieren wir seit 2006 auf 8 ha Fläche, die schwer für den Ackerbau zu nutzen ist, 2 MW Leistung. Beteiligt sind 100 Personen, die meisten davon aus dem Dorf. Die Gemeinde bekommt im Jahr ca. 20000 € Gewerbesteuer, ohne dass sie etwas investieren musste. Doch diese Projekte sind für die Politik leider nicht die Leitlinie geworden.


Wie sehen Sie in dem Zusammen-hang die ab 2017 beginnenden Ausschreibungen?


Diestel: Sie machen regionale Projekte, wie wir sie in den vergangenen zehn Jahren umgesetzt haben, unmöglich. Denn keine Energiegenossenschaft kann bei den Ausschreibungen um die Förderhöhe mit größeren Projektgesellschaften konkurrieren. Diese sind über die Vielzahl von Alternativprojekten abgesichert, wenn eine scheitert, wird das beim nächsten Projekt eingepreist. Eine Dorfgenossenschaft bliebe auf den Verlusten sitzen. Damit entfällt der lokale Ansatz und die Akzeptanz bei der Bevölkerung. Das ist das Ende der Bürgergemeinschaftsprojekte.


Was sehen Sie rückblickend als Ihren größten Rückschlag?


Diestel: Wir hatten massive Probleme mit der Windenergie. Es hat sich für uns als das komplexeste Thema herausgestellt, vor allem wegen des Gegenwindes von Windenergiegegnern und aufgrund unzuverlässiger Regionalpolitik. Wir sind davon ausgegangen, dass in den Windvorranggebieten in unserem Regierungsbezirk Windenergie auch Vorrang hat vor anderen Interessen – und damit auch vor dem Naturschutz. Genauso, wie der Naturschutz in der Rhön Vorrang hat, wo kein einziges Windrad gebaut werden darf. Aber die Politik hat die Energiewende und allen voran die Windenergie nur als Problem, weniger als Chance begriffen. Gefolgt ist sie dabei den Gegnern der Windenergie, die meiner Überzeugung nach bis heute nicht die Mehrheit der Bevölkerung abbilden.


Was ist konkret bei Ihnen passiert?


Diestel: Wir hatten mehrere Windparks auf genossenschaftlicher Basis geplant. Dann hat uns nach mehrjähriger Planung die unselige Abstandsregelung 10H in Bayern überrollt, wonach wir einen Abstand zur Wohnbebauung einhalten müssen, der der zehnfachen Höhe eines Windrades entspricht. Auch hat der Windmessmast bei uns nach einem Jahr ein deutlich schlechteres Ergebnis gebracht als zwei im Ergebnis identische Windgutachten. Größtes Problem waren aber die naturschutzfachlichen Auflagen im Genehmigungsbescheid zu unserem wichtigsten Projekt, dem Raiffeisen Windpark Streu und Saale, der Abstände zu Horsten von Rotmilanen oder Schwarzstörchen forderte. Von mehreren geplanten Windparks ist nach Widerspruchsverfahren und Umgenehmigungen nur dieser eine übrig geblieben, mit nur 10 von ursprünglich 18 geplanten Windrädern. Wir versuchen immer noch, diesen gemeinsam mit einem Investor zu realisieren, um Verluste für die Anleger zu vermeiden.


Wie geht es der Agrokraft nach so vielen Tiefschlägen heute?


Diestel: Die Gesellschaft existiert noch, aber die Kehrtwende der Politik hat wesentliche Geschäftsfelder wegbrechen lassen: Solarparks, Gemeinschaftsbiogasanlagen, Beratung zu Energiegenossenschaften. Wir mussten in den vergangenen zwei Jahren rund die Hälfte von ehemals 16 Mitarbeitern entlassen. Jetzt betreuen wir u.a. acht Biogasanlagen hinsichtlich Prozessoptimierung oder Wirtschaftlichkeit. Daneben helfen wir, Gemeinschaftsprojekte im Bereich Landwirtschaft und Regionalentwicklung auf den Weg zu bringen. Ein wesentlicher Bereich ist aber die Unterstützung von Energiegenossenschaften und Biogasbetrieben in Verwaltung und Betriebsführung. So haben wir die vergangenen drei Jahre genutzt, um uns wieder auf gesunde Füße zu stellen.


Ist eine Organisation wie die Ihre auch für andere Regionen geeignet?


Diestel: Ja, auf jeden Fall. Wir haben festgestellt, dass nicht die Technologie oder das Kapital der limitierende Faktor für die Energiewende vor Ort sind, sondern immer die Struktur: Die Menschen brauchen eine Idee, wie sie zusammenarbeiten und gemeinsam ihre Stärken nutzen können. Dafür ist eine Selbsthilfeeinrichtung wie die Agrokraft der Schlüssel.


Sie haben ja schon beschrieben, wie die kurzfristige Sichtweise der Politik die Energiewende abgebremst hat. Was müsste sich aus Ihrer Sicht jetzt ändern?


Diestel: Die Energiewende wird nur Erfolg haben, wenn die Menschen vor Ort eingebunden werden. Sie sind bereit dazu und haben auch das nötige Kapital. Aber sie brauchen dafür geeignete Rahmenbedingungen, um das vor Ort zu gestalten. Es gibt keinen Grund, warum die Politik es den Menschen immer schwerer macht, die Energiewende eigenverantwortlich umzusetzen. Wenn jede Gemarkung nur 0,3 bis 0,5% der Fläche für Wind-energie und Photovoltaik nutzen würde, könnte sie mehr Energie erzeugen, als vor Ort benötigt wird. Dafür wäre auch die Zusammenarbeit mit regionalen Energieversorgern hilfreich, um gemeinsam die Themen wie Wärmeversorgung, Mobilität und Stromnetzoptimierung anzupacken. Doch stattdessen setzt die Politik auf Offshore-Windparks, die Großkonzernen gehören. Die Flächen, die für den nötigen Stromtransport von Nord nach Süd benötigt werden, fallen zusammen mit den geforderten Ausgleichsmaßnahmen unproduktiv aus der Landwirtschaft heraus.


Welche Chancen geben Sie noch der landwirtschaftlichen Biogasproduktion?


Diestel: Ich halte die Biogastechnik weiterhin für sinnvoll und notwendig. Eine größere Gemeinschaftsbiogasanlage nach unserem Modell ist nicht nur sehr effizient und wirtschaftlich, sondern könnte auch den restlichen Strombedarf in zehn bis fünfzehn Ortschaften decken, wenn Wind- und Solarenergie nicht zur Verfügung stehen. Die Anlagen müssen aber so geplant sein, dass sie die Wärme komplett verwerten können und Rohstoffe aus maximal zehn Kilometer Entfernung beziehen. Dann kann eine Biogasanlage, die Blühpflanzen zur Energieerzeugung nutzt, künftig nicht nur Naturschutzmaterial verwerten, sondern auch den landwirtschaftlichen Markt entlasten, weil auf den Flächen weniger Marktfrüchte angebaut würden. Doch wegen der Perspektivlosigkeit kommt die Züchtung von Alternativpflanzen nicht weiter voran.


Auf welchen Feldern können sich Bauern heute überhaupt noch für die Energiewende engagieren?


Diestel: Der Klimawandel wird die Landwirtschaft künftig stark beschäftigen, die zunehmende Trockenheit spüren wir in den vergangenen Jahren bei uns schon sehr deutlich. Daher werden Landbausysteme wie der Agroforstanbau wichtiger werden. Damit wird sich die Agrarstruktur verändern. Es wird eine Kombination geben aus Nahrungsmittelproduktion, Hecken und Bäumen für die Energienutzung. Sie kann Erosion verhindern und den Wasserhaushalt verbessern. Wichtig ist dabei, dass das Holz nicht ideologisch nur als „Biotop“ unantastbar bleibt, sondern gezielt z.B. in Holzgasanlagen zur Wärme- und Stromproduktion genutzt wird. Das Gleiche betrifft langfristig die Produktion von Biokohle, z.B. mithilfe der hydrothermalen Carbonisierung (HTC). Landwirtschaft kann einen wesentlichen Anteil zum CO2-Abbau beitragen z.B. über Humusaufbau. Entscheidend wird sein, dass wir diese Potenziale rechtzeitig erkennen und für uns entwickeln – um nicht einmal mehr zum reinen Rohstofflieferanten degradiert zu sein. Hinrich Neumann

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