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Kroatien: Landwirtschaft der extremen Gegensätze

Lesezeit: 8 Minuten

Riesige Agrarkonzerne und traditionelle Kleinbetriebe, die regionale Spezialitäten herstellen. Kroatiens Landwirtschaft ist voller Gegensätze. Petra Jacob hat das Land für top agrar besucht.


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Kroatien ist seit 2013 Teil der EU und damit deren jüngstes Mitglied. Die Landwirtschaft des Landes ist vorwiegend kleinstrukturiert. Es gibt noch rund 160000 landwirtschaftliche Betriebe. Davon sind fast 90% kleiner als 10 ha. Daneben haben sich große Agrarholdings entwickelt, die seit dem Zerfall Jugoslawiens in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts extrem gewachsen sind.


Wir wollten wissen, wie es zu dieser Entwicklung kam und wie stabil diese so unterschiedliche Agrarstruktur in Kroatien ist.


Vom Kleinbetrieb zum Konzern


Die Region Slawonien im Osten Kroatiens ist die Milchregion des Landes. Hier startete Mirko Ervacˇi´c (54) aus Semeljci vor 26 Jahren mit „einer kleinen Landwirtschaft und drei Mitarbeitern“. Heute macht seine Osatina-Gruppe mit 1100 Beschäftigten rund 120 Mio. € Umsatz.


Längst ist Osatina kein reiner Milchviehbetrieb mehr. Zur Gruppe gehören Schweinezuchtbetriebe, eine Fleischverarbeitung, Obst- und Gemüseanbau sowie Energieproduktion. Das Unternehmen hat 15000 Rinder, davon 5500 laktierende Milchkühe und 9500 Trockensteher, Färsen, Bullen und Kälber. Nach Ansicht von Ervacˇi´c ist Osatina damit der größte Milchviehbetrieb in der EU.


Die Rinder sind auf vier Standorte verteilt. Auf zwei Betrieben werden die Kühe, reine Holstein-Frisian, gemolken, auf zwei weiteren das Jungvieh aufgezogen und die Bullen gemästet. „Auf jedem Betrieb gibt es einen Produktionsleiter, sechs Produktionstechnologen, einen Veterinär und acht Veterinärassistenten sowie je nach Saison zwischen 70 und 90 Beschäftigte“, beschreibt Ervacˇi´c die Arbeitskräfteausstattung.


150000 kg Milch pro Tag


Jeder der beiden Milchbetriebe hat zwei Melkkarusselle, in denen bis zu 240 Kühe in der Stunde gemolken werden. In der Regel gibt es zwei Melkzeiten, in der Hauptlaktationsphase auch drei. Die Melkstände sind daher bis zu 20 Stunden in Betrieb.


„Unsere Durchschnittsleistung liegt bei 9700 kg/Kuh bei 3,9% Fett und 3,45% Protein. Insgesamt melken wir jeden Tag rund 150000 l Milch“, erzählt der Firmenchef stolz. „Die Milch geht an eine Molkerei in der Region. Der Milchpreis liegt in Kroatien bei durchschnittlich 0,30 € pro Liter. Wir bekommen mehr, weil wir eine gute Milchqualität haben.“ Die Nachfrage ist stabil, weil Kroatien bei Weitem nicht genug Milch produziert, um den Inlandsbedarf zu decken.


Zur Osatina-Gruppe gehören 5000 ha eigene landwirtschaftliche Fläche. Davon werden 3000 ha mit Silomais, 500 ha mit Feldgras und weitere 500 ha mit Weizen bestellt, viertwichtigste Frucht sind Sojabohnen, die auf 300 ha angebaut werden.


„Im Moment reichen die Flächen bei Weitem nicht, um genug Futter für unser Vieh zu produzieren“, stellt Ervacˇi´c klar. Deshalb werden weitere 10000 ha von Landwirten bewirtschaftet, die für die Osatina-Gruppe Vertragsanbau machen. Das Kraftfutter kommt aus dem eigenen Futtermittelwerk mit einer Produktionskapazität von 100 t Futter täglich bzw. 25000 t jährlich.


Ziel sind geschlossene Kreisläufe


Die Gülle geht in konzerneigene Biogasanlagen, die aktuell eine Kapazität von 19,2 MW (9 MW elektrisch, 10,2 MW Wärme) haben. Geplant ist ein Ausbau auf künftig 33 MW (15 MW Elektrizität, 18 MW Wärme). Strom und Wärme gehen in die eigenen Betriebe (Gewächshäuser, Schweineställe).


„Die aufbereiteten Gärreste kommen als Einstreu in die Ställe oder werden als Kompost für die Gemüseproduktion genutzt“, so Mirko Ervacˇi´c. Ziel ist es, in einem „geschlossenen Produktionszyklus“ zu wirtschaften. Um dahin zu kommen, baut der Konzern im Moment eine Kompostierungsanlage in Verbindung mit Pilzproduktion mit einer Kapazität von 40000 t. „Wir wollen zeigen, dass man auch im großen Stil mit einer ausgeglichenen Energiebilanz arbeiten kann. Das ist ein einmaliges Konzept in Europa“, ist Mirko Ervacˇi´c überzeugt.


Alte Familientradition


Das Gegenteil vom Agrarkonzern Osatina ist das Familienunternehmen Sirana Gligora in Kolan auf der Insel Pag. Auf Pag dominiert die Schafhaltung. 40% der kroatischen Schafsmilch werden in dieser Region produziert und verarbeitet. Auf der Insel gibt es 35000 Schafe und 500 Halter. „Wir haben dreimal so viele Schafe wie Einwohner“, beschreibt Ružica Gligora die Strukturen.


Seit 100 Jahren produzieren die Gligoras den berühmten Pager Schafskäse. Der Großvater von Ružicas Ehemann Ivan startete 1918, seine Eltern führten die Tradition weiter. Ivan selbst lernte das Handwerk auf der Schule für Milchwirtschaft im heutigen Slowenien. Danach arbeitete er 20 Jahre für die Molkerei Zadar, unter anderem als Produktionsleiter. Nach dem Jugoslawienkrieg kehrte er zurück in die Heimat nach Pag.


1995, bereits im Alter von 45 Jahren, entschied er sich mit Ehefrau Marija in der Kellergarage seines Hauses in Kolan eine Käserei einzurichten. Der Anfang war hart. „Mein Schwiegervater arbeitete 24 Stunden am Tag“, beschreibt Ružica Gligora die ersten Jahre, „aber im Jugoslawienkrieg hatte er sich in den Kopf gesetzt, den besten Käse der Welt herzustellen. Deshalb sind wir sehr stolz auf das, was wir erreicht haben“, sagt sie.


In der Tat ist der Käse hochdekoriert. 2002 kam die erste internationale Auszeichnung. Viele weitere folgten über die Jahre. Heute sind die Wände und Schränke im Besucherzentrum von Kolan voll mit kroatischen und internationalen Prämierungen. Der „Gligora“ ist für viele Einheimische mindestens der beste Käse Kroatiens.


Betrieb entwickelt sich kontinuierlich weiter


Längst ist auch die nächste Generation im Geschäft. Schon 2005 stieg Ivans Sohn Šime ein. 2009 wurde eine neue Produktionsstätte gebaut, mit heute 50 Mitarbeitern und einem Output von 500 t Käse jährlich, der sich auf 30 verschiedene Käsesorten verteilt. 50 t entfallen auf den Pager Käse (kroatisch: Paški sir). Damit produziert Gligora fast 20% der gesamten Jahresproduktion dieser regionalen Spezialität.


Im Keller reift der Käse bei hoher Luftfeuchtigkeit zwischen zwei Monaten und zwei Jahren. „Ein Käselaib ist zwischen 2,5 und 2,6 kg schwer, dafür braucht es an die 20 l Milch.“


Die Milch für den Paški sir liefern 200 Schafhalter aus Pag und anderen Regionen (für die anderen Käsesorten). Die Insel ist karg. Wer vom grünen, fruchtbaren Hauptland in Prizna mit der Fähre nach Pag übersetzt, hat den Eindruck, in der Savanne anzukommen, so ausgedörrt ist die Landschaft.


„Das hat seine Gründe“, so Ružica, „im Winter preschen hier Stürme mit bis zu 250 Stundenkilometern über das Land.“ Der berüchtigte Fallwind entsteht im Velebit Gebirge auf dem kroatischen Festland und stürzt auf das offene Meer. Dort nimmt er salzhaltige Luft auf, und die setzt sich in Form von feinstem Salzstaub auf der Insel Pag ab. Das lässt nur besonders robuste Gräser und Kräuter überleben.


Genügsame Landschafe


Die Pager Schafe, die „Paška Ovca“, sind sehr genügsam und bestens an die rauen Verhältnisse der Insel angepasst. Weil sie sich vorwiegend von den sehr salzhaltigen Wildkräutern – weit verbreitet sind Salbei und Thymian – ernähren, hat ihre Milch ein ganz besonderes Aroma. Das ist die Grundlage für den Pager Käse mit einem ganz eigenen Geschmack.


Große Leistungen darf man von den Paška Ovca nicht erwarten. Sie sind kleinwüchsige Schafe, die kaum schwerer als 24 kg werden. Jedes Mutterschaf bekommt nur ein Lamm pro Jahr. Mehr als 200 g Tageszunahmen sind nicht drin. Die Laktation ist mit 165 Tagen vergleichsweise kurz. Gemolken werden die Tiere in der Regel 130 Tage. „Sie geben nicht sehr viel Milch“, so Ružica, „nur einen Liter pro Tag, und das bei zweimaligem Melken – natürlich mit der Hand.“ Am Ende der Laktation kommen in der Regel 100 kg Milch, mit 5,9 kg Protein und 7,0 kg Fett pro Mutterschaf zusammen. Pro Liter Milch gibt es 1,75 €. Fleisch wird kaum vermarktet, es wird in der Regel im eigenen Haushalt gegessen.


Erst die Schafe, dann die Touristen


Jeder Schafhalter bringt seine Milch zu Sammelstellen. Von dort wird sie von den Molkereien – wie zum Beispiel Sirana Gligora – abgeholt.


Weil die Schafe nicht ganzjährig gemolken werden, ist der Paški sir ein Saisonprodukt. Er wird nur während der Zeit von Ende Dezember bis Juni hergestellt, solange wie die Pager Schafe gemolken werden.


Für die meisten Schafhalter auf Pag ist dieses Saisongeschäft ideal, denn nur von der Landwirtschaft können die wenigsten leben. Viele arbeiten noch im Tourismus. Beide Bereiche ergänzen sich gut. Wenn die Milch- und Käsesaison im Juni zu Ende ist, beginnt die Tourismus-Saison.


Landwirtschaft: Ein Sektor mit Potenzial?


Kroatien importiert zurzeit 86% seiner Nahrungsmittel und landwirtschaftlichen Produkte aus anderen EU-Staaten, vor allem Fleisch und Milchprodukte.


Die Regierung möchte die Selbstversorgung stärken und vergibt günstige Kredite für den Stallbau (Zinssatz 0,1%), um zum Beispiel die Milchproduktion anzukurbeln. Aber auch für die Kleinbetriebe gibt es lukrative Mikrokredite (Zinssatz 0,5%), die Anreize schaffen sollen, in die Landwirtschaft zu investieren.


Vor allem hat die kroatische Landwirtschaft ein akutes Nachwuchsproblem. Nur 5,6% der Höfe werden von Junglandwirten bis 35 Jahre geführt. Mit Beitritt in die EU sind viele junge Menschen zum Arbeiten ins Ausland abgewandert.


„Allein in den letzten vier Jahren haben 80000 junge Menschen das Land verlassen“, so Marijana Petir. Sie war bis Mai 2019 kroatische Abgeordnete im Europäischen Parlament und dort Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung.


„Wir müssen die Arbeit in der Landwirtschaft für junge Menschen wieder attraktiv machen, sonst haben wir in den ländlichen Räumen Kroatiens ein Problem“, fordert Petir. Wie wichtig das ist, wird deutlich, wenn man weiß, dass 80% des Landes ländlich geprägt sind.“ Der Agrarkonzern Osatina und das Familienunternehmen Sirana Gligora sind zwei völlig unterschiedliche Beispiele, wie es gelingen kann, den ländlichen Räumen eine Perspektive zu geben.


ludger.schulzepals@topagrar.com

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