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Masterplan für den Umbau der Tierhaltung

Lesezeit: 9 Minuten

Die Borchert-Kommission hält die Nutztierhaltung in ihrer jetzigen Form für nicht zukunftsfähig. Sie empfiehlt einen grundlegenden, langfristigen Umbau zu mehr Tierwohl und Umweltschutz. Dieser würde Milliarden kosten. Finanziert durch eine Steuer auf tierische Produkte?


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Noch handelt es sich um Vorschläge, aber sie beinhalten die Sprengkraft, dass in der deutschen Nutztierhaltung kein Stein auf dem anderen bleiben könnte. Geht es nach dem Kompetenznetzwerk für Nutztierhaltung, das am 11. Februar seinen Bericht an Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner überreichte, dann ist die Tierhaltung in ihrer jetzigen Form nicht mehr zukunftsfähig. Die vom ehemaligen Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) geleitete Kommission aus Branchenexperten macht insbesondere drei Herausforderungen aus:


  • Die teilweise starke regionale Konzentration der Tierhaltung, die zu hohen Nährstoffausträgen in die Umwelt führt.
  • Der höhere Ressourcenverbrauch und die Treibhausgasemissionen, die im Zuge einer fleischreichen Ernährung zu Buche schlagen.
  • Die veränderte Einstellung der Gesellschaft zum Tier und die damit verbundene Kritik an der Tierhaltung. Im Bereich der Haltungsverfahren stehen Vollspaltenböden bei Schweinen und Mastbullen genauso in der Kritik wie die Anbindehaltung bei Kühen und die Fixierung von Sauen im Kastenstand. Auch nicht-kurative Eingriffe wie die betäubungslose Ferkelkastration, das Kupieren von Schnäbeln bei Geflügel und das Veröden der Hörner bei Rindern hält die Kommission für ein Auslaufmodell. Im Bereich der Züchtung erscheinen zu einseitig auf Leistung gesetzte Zuchtziele (niedrige Nutzungsdauer von Milchkühen, …) nicht mehr vermittelbar.


Ringen um Akzeptanz


Das Beratergremium kommt zu dem Schluss, dass die gesellschaftliche Akzeptanz der Nutztierhaltung in den vergangenen Jahren stark gelitten hat und weiter abnehmen wird. Bislang schlägt sich die veränderte gesellschaftliche Bewertung der Nutztierhaltung erst in geringem Umfang in verschärften rechtlichen Rahmenbedingungen auf EU-, Bundes- und Länderebene nieder, so analysiert es der Kompetenzkreis. Die Politik werde aber immer stärker zum Getriebenen, das Ordnungsrecht weiter zu verschärfen. Zum einen, weil Gerichte den Gesetzgeber durch eigene Rechtsprechung unter Druck setzen (Magdeburger Urteil zum Kastenstand bei Sauen, Münsteraner Urteil zur Anbindehaltung bei Kühen, Normenkon- trollklage des Landes Berlin gegen die Mindeststandards in der Schweinehaltung). Zum anderen, weil ähnlich der Volksbegehren in Bayern und Baden-Württemberg zum Artenschutz, zukünftig auch verstärkt Volksentscheide im Bereich der Tierhaltung zu erwarten sind („Massentierhaltung in Brandenburg“).


Mehr Platz, Auslauf, strukturierte Buchten


Schärfere gesetzliche Standards sind aus Sicht des Kompetenzkreises zwar erforderlich, um ein höheres Tierwohlniveau zu ermöglichen. Damit die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Betriebe aber auch bei Standards, die über dem EU-Niveau liegen, erhalten bleibt, müssen die Mehrkosten für die Betriebe durch höhere Preise und zusätzliche Fördergelder ausgeglichen werden. Konkret plädiert der Borchert-Kreis für „eine langfristige Transformation der Nutztierhaltung“ innerhalb von 20 Jahren mit langfristigen Zielbildern, Zeitplänen und einer Finanzierungsstrategie für die entstehenden Mehrkosten (siehe Zeitstrahl). Außerdem sollen auch die genehmigungsrechtlichen Vo- raussetzungen für den Neubau und den Umbau entsprechender Tierhaltungsanlagen geschaffen werden.


Als Zielvorgabe dienen die drei Stufen der geplanten Tierwohlkennzeichnung des Agrarministeriums bzw. die Stufen 2 bis 4 der Haltungsform-Kennzeichnung des Lebensmitteleinzelhandels: ▶


  • Stufe 1/Stall plus: Mehr Platz, mehr Beschäftigungsmaterialien u.a.
  • Stufe 2/verbesserte Ställe: Zusätzlicher Platz, Strukturierung, Klimazonen möglichst mit Kontakt zu Außenklima, teilweise Planbefestigung.
  • Stufe 3/Premium: Mehr Platz, Auslauf bzw. Weidehaltung (Rinder, Geflügel).


Als langfristiges Ziel (Jahr 2040) empfiehlt das Kompetenznetzwerk die vollständige Überführung der deutschen Nutztierhaltung in Stufe 2. Darüber hinaus solle auch in Stufe 3 ein „hinreichend großer Marktanteil“ (mindestens 10%) erreicht werden, wie es im Bericht heißt.


Milliarden für den Umbau


Das alles wird Geld kosten – viel Geld. Bereits im Jahr 2015 hatte der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik berechnet, dass ein grundlegender Umbau der Tierhaltung Kosten von drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr verursachen würde, die als Investitionskosten für Umbauten und den Neubau von Ställen, aber insbesondere auch als laufende Kosten für den höheren Betreuungsaufwand zu Buche schlagen.


Auch die Experten des Kompetenzkreises bestätigen die massiven Mehrkosten. Und sie betonen, dass diese nicht allein durch zusätzliche Zahlungsbereitschaften der Verbraucher abgedeckt werden können (Kennzeichnung und Labels). Sie schlagen vor, dass den Erzeugern 80 bis 90% der entstehenden Mehrkosten, die durch tiergerechtere und umweltfreundlichere Haltungsverfahren entstehen, ausgeglichen werden sollen. Aus diesem Grund soll es Prämien für die Abdeckung der laufenden Kosten für alle drei Stufen geben und eine Investitionsförderung für Um- und Neubauten für die Stufen 2 und 3. Zudem schlagen die Experten Strategien für eine stärkere Markt- und Preisdifferenzierung vor (Premiumprodukte, Weidemilch, ...).


Unter den Annahme, dass 90% der Tierwohlkosten der Stufen 1 und 2 sowie 80% der Tierwohlkosten der Stufe 3 dauerhaft staatlich finanziert werden müssen, ergeben sich insgesamt für alle Tierarten jährliche Kosten von 1,2 Mrd. € ab 2025, 2,4 Mrd. € ab 2030 und 3,6 Mrd. € ab 2040 (siehe Zeitstrahl). Bei den Werten handelt es sich um Berechnungen auf der Basis von Kalkulationen für die Mastschweinehaltung, Erfahrungen aus bereits bestehenden Labels sowie Experteneinschätzungen.


Und die Planungssicherheit?


Damit sich viele Landwirte auf den Umbau ihrer Tierhaltung einlassen, ist das erforderlich, was Betriebsleiter und Verbände bereits in der Vergangenheit energisch eingefordert haben: Planungssicherheit. Deshalb erkennt der Borchert-Bericht an, dass „eine langfristige Verlässlichkeit der laufenden Tierwohlzahlungen über die Abschreibungsdauer eines Stalles“ hinweg sicherzustellen ist. Im Bericht heißt es wörtlich: „Für eine langfristig verlässliche Förderung ist vor allem eine von einer breiten politischen Mehrheit getragene Finanzierungsvereinbarung wichtig. Außerdem ist es anzustreben, die Gewährung von Tierwohlprämien in langfristigen Verträgen zwischen den durchführenden staatlichen Stellen und den landwirtschaftlichen Betrieben über eine Laufzeit von z.B. 20 Jahren festzulegen.“ An dieser Stelle wird es wieder einmal kompliziert:


  • Soll die Gegenfinanzierung der Tierwohlkosten durch Steuermittel erfolgen, ist zu beachten, dass diese grundsätzlich nicht zweckgebunden sind.
  • EU-Genehmigungen beschränken sich zeitlich grundsätzlich auf die jeweilige Förderperiode (meist sieben Jahre). Deutschland müsste sich entsprechend auf EU-Ebene für eine weitere Genehmigung der Zahlungen einsetzen.
  • Und gegenwärtig können Tierwohlprämien nur für Leistungen gezahlt werden, die über die nationalen Mindeststandards hinausgehen.


Woher stammen die Mittel?


Letzteres würde spätestens im Jahr 2030 zu einem Problem werden, wenn der Mindeststandard für alle Tierarten deutlich oberhalb des EU-Niveaus liegen könnte. Um Verlässlichkeit über die Dauer von Wahlperioden und die Förderzeiträume der EU zu bekommen, schlägt die Kommission einen Dreiklang vor:


  • Ein transparentes Vorgehen, bei dem die Verschärfung der gesetzlichen Standards frühzeitig angekündigt und stufenweise umgesetzt wird.
  • Eine Weiterentwicklung der Standards auf EU-Ebene, beispielsweise im Rahmen der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020.
  • Das Einverständnis darüber, dass eine deutliche Anhebung der Standards über das EU-Niveau hinaus nur dann erfolgen kann, wenn die zusätzlichen Kosten auch weiterhin gefördert werden.


Der Hauptstreitpunkt wird am Ende die Frage nach dem Geld sein. Also die Frage, aus welchen Quellen die Milliarden für den Umbau der Tierhaltung finanziert werden können. Der Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministeriums wird für ein Jahrhundertprojekt wie dieses nicht ausreichen. So viel ist sicher. Aber welche Möglichkeiten gibt es stattdessen?


Die Mitglieder des Kompetenznetzwerks haben eine Reihe von Optionen diskutiert. Zunächst bietet sich der Rückgriff auf allgemeine Steuermittel an: Dies wäre leicht umzusetzen. Es entstünde aber keine Lenkungswirkung durch höhere Preise. Außerdem würden auch Menschen zur Kasse gebeten, die keine tierischen Produkte konsumieren. Auch die Umwandlung der EU-Direktzahlungen wäre eine Option. Dieses Geld wird aber bereits an anderer Stelle in der Landwirtschaft gebraucht, um die ebenfalls ehrgeizigen Ziele beim Klimaschutz und im Bereich der Biodiversität umzusetzen.


Entsprechend entbrennt nun eine neue Diskussion um Steuern und Abgaben auf tierische Produkte. Drei Optionen kommen grundsätzlich in Betracht:


  • Sonderabgabe Tierwohl: Diese wäre streng zweckgebunden, allerdings auch verwaltungsaufwendig und schwer zu begründen.
  • Verbrauchssteuer auf tierische Produkte: Auch hierbei wäre sichergestellt, dass das Geld in Tierwohlmaßnahmen fließt, aber der Aufwand der Erhebung wäre durchaus erheblich.
  • Eine Anhebung des ermäßigen Umsatzsteuersatzes auf tierische Produkte von 7 auf 19%: Dieser Schritt wäre mit wenig Verwaltungsaufwand verbunden. Das Geld wäre aber nicht zweckgebunden an Tierwohlmaßnahmen und könnte im Zuge anderer politischer Mehrheiten verloren gehen. Außerdem fließen die Einnahmen der Umsatzsteuer zur Hälfte in den Bundeshaushalt und zur anderen Hälfte in die Landeshaushalte. Damit hätten beispielsweise Stadtstaaten wie Bremen und Hamburg überproportional große Einnahmen bei einer im Verhältnis kleinen Nutztierhaltung.


40 Cent pro kg Fleisch


Unter Abwägung der Vor- und Nachteile plädieren die Mitglieder des Kompetenzkreises für die zügige Umsetzung einer mengenbezogenen Verbrauchssteuer auf tierische Produkte. Die Aufschläge könnten wie folgt aussehen:


  • 40 Cent pro kg Fleisch und Fleischverarbeitungsprodukte,
  • 2 Cent pro kg Milch und Frischmilchprodukte sowie Eier
  • und 15 Cent pro kg Käse, Butter und Milchpulver.
  • Verarbeitungsprodukte mit hohen Anteilen von tierischen Produkten wären ab einem festzusetzenden Schwellenwert zu berücksichtigen.


Hierdurch ergäben sich Steuereinnahmen von ca. 3,6 Mrd. €, rechnet der Kompetenzkreis vor. Und dies entspricht ziemlich genau der Höhe des prognostizierten Finanzierungsbedarfs. Um einkommensschwache Haushalte nicht zusätzlich zu belasten, macht sich die Runde gleichzeitig für eine sozialpolitische Flankierung höherer Lebensmittelpreise stark. Klar ist bereits jetzt, dass unter Begriffen wie „Fleischsteuer“ und „Tierschutzcent“ eine Diskussion um höhere Lebensmittelpreise und die heutige Landwirtschaft hochkochen wird.


Stolperstein Kennzeichnung?


Zu einem Stolperstein im politischen Prozess könnte sich dabei noch die vorgeschlagene, zunächst freiwillige, staatliche Tierwohlkennzeichnung erweisen. Diese stößt bei SPD, Grünen und Teilen der Unionsfraktion auf Kritik. Hier könnte womöglich eine befristete Übergangsregelung für eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung eine Möglichkeit sein, die Kuh vom Eis zu bekommen, bis EU-weit der Rahmen für eine einheitliche Regelung geschaffen wäre. Vorbild dafür könnten Frankreich und Italien sein, wo für viele im Inland hergestellte Produkte (Milch, Milchprodukte, Fleischwaren) eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung gilt.


Die nächsten Wochen werden in jeder Hinsicht spannend. Wen wundert es? Es geht um nichts weniger, als einen Masterplan für den Umbau der Tierhaltung.


matthias.schulze-steinmann@topagrar.com

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