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Mindestlohn: Sozial, aber teuer und bürokratisch

Lesezeit: 9 Minuten

Wie kommen Landwirte und Gartenbauer mit dem Mindestlohn klar? Das Thünen-Institut hat über 330 betroffene Betriebe befragt. Hildegard Garming stellt die wichtigsten Ergebnisse vor.


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Seit Anfang 2015 gilt in Deutschland ein Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde, der für die Landwirtschaft und den Gartenbau über tariflich festgelegte Anpassungsschritte bis Anfang 2018 erreicht wird (Übersicht 1). Davon sind vor allem die arbeitsintensiven Sonderkulturbetriebe betroffen. Wie haben sie sich an die neuen Regeln angepasst? Dazu hat das Thünen-Institut Ende vergangenen Jahres eine Online-Umfrage durchgeführt. 334 Betriebsleiter, viele davon mit den Schwerpunkten Äpfel, Spargel und Erdbeeren, haben daran teilgenommen. Wir stellen Ihnen die wichtigsten Ergebnisse vor.


Über Mindestlohn:

Mit der Einführung des Mindestlohns sind die Entgelte für saisonale Arbeitskräfte in den befragten Betrieben deutlich gestiegen. In den alten Bundesländern bekamen die Erntehelfer im Schnitt knapp 12% (+0,8 €/Std.) mehr, im Osten sogar fast 24% (+1,54 €/Std.) mehr als 2014 (Übersicht 2). Insgesamt lagen die gezahlten Stundenlöhne im Durchschnitt deutlich über dem für 2015 geltenden Mindestlohn.


Auch die ständigen Arbeitskräfte, die schon in der Ausgangslage 2014 über dem Mindestlohnniveau verdienten, profitierten von den Lohnsteigerungen. Um ein leistungsgerechtes Lohngefüge zu erhalten, haben die Betriebsleiter auch ihre Stundenlöhne angehoben, in der Produktion um mehr als 5% und in der Verwaltung sogar um mehr als 14% (Übersicht 2).


In vielen Betrieben gibt es für gute Saisonarbeitskräfte Leistungsprämien oder Akkordlöhne. Das war auch in den befragten Betrieben so. Dort hatten die besten Mitarbeiter im Schnitt 1,65 €/Std. (+23%) mehr in der Lohntüte.


Geringere Spreizung:

Der Mindestlohn begrenzt nun diese Möglichkeit der Lohnspreizung nach unten. Dadurch verringerte sich die Differenz zwischen dem niedrigsten und höchsten Stundenlohn 2015 sowohl bei den saisonalen als auch bei den fest angestellten Mitarbeitern. Konsequenz: Die Betriebe müssen nun andere Leistungsanreize bzw. Sanktionsmöglichkeiten für unzureichende Arbeitsleistungen finden.


Deshalb legt jetzt mehr als die Hälfte der Betriebsleiter schon bei der Anwerbung und Einstellung von befristeten Arbeitskräften strengere Maßstäbe an (Übersicht 3, Seite 34). Außerdem geben mehr als 40% der Betriebsleiter an, dass sie bei unzureichenden Leistungen häufiger als früher vorzeitig kündigen. Die zeitige Ankündigung, dass nur die guten Mitarbeiter auch im nächsten Jahr wiederkommen dürfen, wirkt ebenfalls positiv auf die Arbeitsleistung.


Einige Betriebsleiter haben aber auch die Zahl der Mitarbeiter reduziert, und zwar die der saisonalen (16%) und die der ständigen Mitarbeiter (25%). Sie ersetzen die steigenden Lohnkosten durch eine zunehmende Mechanisierung der Produktion.


Dass 2015 mehr als 40% der befragten Betriebe mehr Saisonarbeitskräfte eingestellt haben, ist auf den ersten Blick nicht plausibel. Hintergrund ist hier aber nicht der Mindestlohn, sondern das Arbeitszeitgesetz. Danach darf eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten werden bzw. muss innerhalb von sechs Monaten ausgeglichen werden.


Mit der Einführung des Mindestlohns müssen die Arbeitszeiten mit Anfangs-, Pausen- und Endzeiten und der Angabe der Uhrzeit exakt aufgezeichnet werden. Damit können die Behörden nun auch ganz einfach die Regeln des Arbeitszeitgesetzes überprüfen. Wer diese bislang nicht exakt eingehalten hat, muss jetzt mehr Saisonarbeitskräfte einstellen.


Weniger Fläche:

Durch den Mindestlohn steigt der Druck auf die Betriebe, den Arbeitsaufwand zu verringern bzw. die Produktivität zu erhöhen. Viele Betriebe geben an, bereits die Anbauflächen arbeitsintensiver Kulturen reduziert zu haben oder dies für die nächsten Jahre zu beabsichtigen. Das gilt insbesondere für die Erdbeererzeuger. 50% der befragten Betriebsleiter haben oder wollen weniger Erdbeeren an-bauen (Übersicht 4, Seite 35). Allerdings könnte der Rückgang in der Erdbeerfläche durch eine intensivere Produktion teilweise wieder ausgeglichen werden, da gut 20% der Erdbeerbetriebe in den geschützten Anbau (Folientunnel) einsteigen wollen.


Mehr Technik:

Während die Erdbeeranbauer nur wenig Spielraum sehen, die Mechanisierung weiter voranzutreiben, wollen über 40% der Obstanbauer hier ansetzen. Potenziale bieten eine ver-besserte Erntetechnik mit Arbeitsbühnen, selbstfahrenden Erntezügen oder Transportbändern sowie eine stärkere Mechanisierung von Obstbaumschnitt, Blüten- und Fruchtausdünnung.


Auch ein knappes Drittel der Anbauer von Freilandgemüse will in Technik investieren. Besonders häufig wird der Einsatz von Erntehilfen im Spargel-anbau genannt (z.B. Spargelspinnen), aber auch die Anschaffung von automatisierten Wasch- und Sortieranlagen.


Im Obstbau hat die Sortenwahl einen großen Einfluss auf die Ernteleistung. Je größer und druckunempfindlicher die Früchte sind, desto schneller kann gepflückt werden. Zudem verringern guter Ertrag und gleichmäßige Reife den Suchaufwand. Daher werden die Obsterzeuger zukünftig die Pflückleistung stärker bei der Sortenwahl berücksichtigen. Allerdings kann dies auch dazu führen, dass dabei besonders schmackhafte und aromatische Sorten auf der Strecke bleiben.


Erdbeererzeuger, die über den Handel vermarkten, machen sich darüber offenbar kaum Sorgen. „Für die Supermärkte ist der Geschmack der Erdbeeren egal, da wird nur auf den Preis und das Aussehen geachtet“, hieß es in den Kommentaren zur Umfrage. Zumindest für die Direktvermarkter dürfte diese Einschätzung aber nicht gelten. Deshalb könnte es sein, dass sich das Sortenspektrum in Zukunft je nach Vermarktung stärker differenziert.


Weitere Möglichkeiten, die Produk-tionssysteme arbeitswirtschaftlich zu optimieren, liegen bei Erdbeeren in der Umstellung auf einjährige Anbauweise, beim Spargel in einer Verkürzung der Nutzungsdauer sowie in der Auswahl von Sorten mit geringerem Pflegeaufwand. Ziel ist es, die Produktion auf die Hochertragsphasen zu beschränken, um einen möglichst hohen Ernteertrag pro Arbeitsaufwand zu erzielen.


Wo drückt der Schuh?

Bei der Umsetzung des Mindestlohns ärgern sich die befragten Betriebsleiter zuallererst über den enormen bürokratischen Aufwand bei der Umsetzung des Mindestlohns. Dies machen die folgenden drei Beispiele deutlich:


  • Die Arbeitszeiten müssen detailliert erfasst und weitere Nachweise für die gesetzeskonforme Auszahlung des Mindestlohns erbracht werden.
  • Für die Unterkünfte gibt es jetzt gesonderte Mietverträge, da die Kosten nicht direkt auf den Mindestlohn anrechenbar sind.
  • Wenn die Saisonarbeitskräfte erst am letzten Tag ihres Aufenthaltes eine Lohnauszahlung wünschen, was oft der Fall ist, muss ein eigener Vertrag über die Aufbewahrung des Lohns bis zu diesem Termin abgeschlossen werden. Das ist zwingend, weil der Auszahlungstermin gesetzlich festgelegt ist.


Es trifft die Kleinen.

Besonders die kleineren Betriebe leiden unter dem zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Rund 70% der Betriebe mit bis zu 20 saisonalen und festen Mitarbeitern hält die Bürokratie für das größte Problem des Mindestlohns. Die größeren Betriebe haben es da oft etwas leichter, weil sie in der Regel spezialisierte Bürokräfte und formalisierte Arbeitsabläufe haben, sodass sie die neuen Anforderungen besser bewältigen können. Aber auch unter den Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern hält auch noch die Hälfte der Befragten die Bürokratie für die größte Schwäche des Mindestlohns.


Zweites großes Ärgernis sind die starren Regelungen des Arbeitszeitgesetzes, durch die sich die Betriebsleiter in ihrer betrieblichen Arbeitsorganisation beeinträchtigt sehen. Während der Erntezeit bestimmen das Wetter und die Marktnachfrage, wann und wie viel geerntet werden muss. Das gilt für die kleinen und großen Betriebe. Festgeschriebene ununterbrochene Ruhezeiten oder Ruhetage können da nicht immer eingehalten werden, ohne Ernteverluste zu riskieren.


Das Arbeitszeitgesetz sieht dafür zwar Ausnahmeregelungen vor. Diese müssen jedoch einzeln beantragt werden. Das ist aufwendig. Hier wäre zu prüfen, ob die Verbände mit den zuständigen Stellen der Bundesländer einfachere und praktikablere Regelungen finden können.


Das wäre im Übrigen auch im Sinne der Saisonarbeitskräfte. Gerade die ausländischen Arbeitskräfte möchten während des kurzen Aufenthaltes in Deutschland viel arbeiten, um möglichst viel zu verdienen. Dass dies durch die maximal erlaubte Arbeitszeit pro Woche so stark begrenzt wird, macht viele unzufrieden.


Dritter großer Reibungspunkt ist für die Betriebe die Höhe des Mindestlohns. Hier gibt es deutliche Unterschiede je nach Betriebsgröße: Bei den Betrieben mit bis zu fünf Saisonarbeitskräften nennen knapp 60% die Lohnhöhe als eines der drei wichtigsten Probleme, während nur etwa 40% der Betriebe mit über 100 Saisonarbeitskräften diese Einschätzung teilen.


Genau umgekehrt sieht es bei der Lohndifferenzierung aus. Durch den Mindestlohn wird die Zahlung von differenzierten Akkordlöhnen erschwert. Die Hälfte der Betriebe mit über 100 Saisonarbeitskräften sieht dies als eines der wichtigsten Probleme an.


Bei den Kleinbetrieben mit bis zu fünf Saisonarbeitskräften sind dies nur gut 10%. Hier gilt: Je kleiner der Betrieb, desto direkter die Beziehung zu den Arbeitskräften, sodass Leistungsanforderungen im persönlichen Gespräch geklärt werden können.


Die in den kommenden Jahren deutlich steigenden Lohnkosten werden merklich auf die Produktionskosten durchschlagen. Das zeigen die Modellrechnungen des Thünen-Institutes mit den bis 2018 für Landwirtschaft und Gartenbau tariflich vereinbarten Mindestlöhnen. Die Effekte sind je nach Kultur allerdings sehr unterschiedlich.


Produktion wird teurer.

Beim Apfel steigen aufgrund der höheren Löhne die Produktionskosten in den westlichen Bundesländern bis 2018 um knapp 7% (Übersicht 5). Hier machen die Löhne in der Ausgangssituation nur rund ein Viertel der Gesamtkosten aus. Im Osten (Anbaugebiet Sachsen) verändern sich die Produktionskosten deutlich stärker (+16%). Zum einen ist der prozentuale Lohnanstieg dort höher, zum zweiten war der Lohnkostenanteil schon in der Ausgangslage (33,4%) höher als im Westen.


Im Erdbeeranbau ist die Handernte der wichtigste Kostentreiber. Im Freilandanbau steigt daher der Lohnkostenanteil aufgrund der steigenden Mindestlöhne von rund 50% (2014) auf über 66% im Jahr 2018. Dies führt zu Gesamtkosten, die 2018 um knapp 17% über denen von 2014 liegen.


Im Tunnelanbau ist der Lohnkostenanteil aufgrund der investitionsbedingten höheren Gesamtproduktionskosten geringer (Übersicht 5). Dies führt im Vergleich zum Freiland zu einem geringeren durch den Mindestlohn bedingten Gesamtkostenanstieg bis 2018 (+12%). Vor diesem Hintergrund ist das wachsende Interesse der Anbauer an Folientunneln nachvollziehbar. Allerdings wären erst bei einem Lohnniveau von 11 €/Stunde die Kosten im Tunnelanbau niedriger als im Freiland.


Beim Spargel machen die Lohnkosten vor der Einführung des Mindestlohns etwa ein Drittel der Gesamtkosten aus. Wenn die Ernte über Spargelspinnen mechanisiert wird und dadurch auch die Ernteleistung steigt, werden die Gesamtkosten je nach Region um etwa 11 bis 19% steigen, bei Fortführung der bisherigen Handarbeit wären es sogar 16 bis 24%.


Gelingt es den Betriebsleitern nicht, die höheren Kosten an den Handel weiterzugeben, wird der Mindestlohn die Wirtschaftlichkeit insbesondere der arbeitsintensiven Sonderkulturen schmälern. Wenn Importe nicht mit ähnlichen Zusatzkosten belastet sind, könnte dies die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Anbauer beeinträchtigen.-sp-

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