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Mit Mut in die Mitte der Gesellschaft!

Lesezeit: 8 Minuten

Die Landwirtschaft muss selbstkritisch und offensiv auf die Gesellschaft zugehen. Nur so sichert sie sich ihre unternehmerische Freiheit. Diese Bilanz zieht Carl-Albrecht Bartmer nach zwölf Jahren als Präsident der DLG.


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Die Landwirtschaft steht wie nie zuvor unter gesellschaftlicher Beobachtung. Und Sie treten ab. Warum jetzt?


Bartmer: Eine Organisation darf nie an einzelnen Personen hängen. Die DLG ist personell breit aufgestellt. Deshalb ist ein Wechsel an der Spitze für uns kein Problem. Ich habe es immer als meine Aufgabe angesehen, dies sicher zu stellen. Mein Nachfolger, Hubertus Paetow, kann auf eine junge und hoch qualifizierte Führungsmannschaft vertrauen.


Was hat Sie in den vergangenen zwölf Jahren besonders geprägt?


Bartmer: Dass wir den Wechsel von einer hoch protektionistischen Agrarpolitik zum freien Markt geschafft haben. Heute erwirtschaftet die deutsche Agrarwirtschaft 25% ihres Umsatzes auf globalen Märkten. Das hätte uns vor 15 Jahren niemand zugetraut.


Wie hat die DLG diesen Prozess begleitet?


Bartmer: Mit einem klaren Bekenntnis zum Unternehmertum, mit der konsequenten Ausrichtung auf Innovationen und mit der Bereitschaft zur Kommunikation mit der Gesellschaft.


Was heißt das konkret?


Bartmer: Der Landwirt als Unternehmer darf niemals auf den Staat warten, sondern muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und schauen, wie er z.B. die Globalisierung und aktuell die Digitalisierung für seinen Betrieb nutzt. Innovativ zu sein, heißt morgen bessere Antworten auf die Probleme zu haben als gestern. Deshalb ist es grundfalsch, die Vergangenheit zu idealisieren.


Die heutige Landwirtschaft ist nicht nur wettbewerbsfähiger, sie ist auch nachhaltiger als je zuvor. Das heißt aber nicht, dass wir alle Herausforderungen gemeistert haben. Deshalb hat die Landwirtschaft eine kommunikative Bringschuld. Sie muss der Gesellschaft erklären, was sie tut. Das Forum Moderne Landwirtschaft ist in diesem Sinn ein Leuchtturm.


Sind Sie in diesem Punkt soweit gekommen, wie Sie wollten?


Bartmer: Noch nicht. Die Notwendigkeit zu kommunizieren, war noch nie so groß wie heute. Das zeigen die Debatten über Glyphosat, Tierwohl und über die neuen Züchtungstechnologien.


Ist das bei den Landwirten angekommen?


Bartmer: Die Notwendigkeit schon, aber sie mündet nicht zwangsläufig in der Bereitschaft, dafür auch die notwendigen Mittel bereitzustellen. Wenn das Forum Moderne Landwirtschaft auf Augenhöhe mit den Umwelt- und Tierschutzorganisationen arbeiten soll, brauchen wir ganz andere finanzielle Möglichkeiten. Wir geben viel Geld für Ställe, Technik, Futter, Dünger und Pflanzenschutz aus, wir engagieren uns aber noch zu wenig für die Rahmenbedingungen, innerhalb derer wir wirtschaften dürfen. Das ist unternehmerisch unlogisch.


Wie lässt sich mehr Bewusstsein schaffen?


Bartmer: Unsere Sensibilität für das Thema würde steigen, wenn es in der Bilanz eine Position „gesellschaftliche Akzeptanz“ und in der Gewinn- und Verlustrechnung eine entsprechende Aufwandsposition gäbe. Dann könnte jeder Betriebsleiter Jahr für Jahr verfolgen, wo er steht. Davon sind wir im Moment noch ein Stück weit entfernt. Aber wir sollten uns ambitionierte Ziele setzen. Letztlich geht es um die „Lizenz zum Wirtschaften“.


Wo hätten Sie in der Rückschau die Akzente der DLG-Arbeit anders gesetzt?


Bartmer: Angesichts der heutigen Erkenntnisse über die Stabilität unserer Produktionssysteme und die Dynamik der agrarkritischen Debatte hätten wir uns noch konsequenter mit Nachhaltigkeit und Kommunikation befassen müssen.


Vor einem Jahr haben Sie uns im Interview gesagt, die deutsche Landwirtschaft arbeite zum Teil im Grenzbereich. Hat Ihre schonungslose Bilanz die deutschen Landwirte erreicht?


Bartmer: Da bin ich sicher. Wir haben problematische Punkte, wie Resistenzen gegen Pflanzenschutzmittel oder Defizite in der Tierzucht und Tierhaltung, mit denen viele Landwirte täglich konfrontiert sind, in die öffentliche Diskussion gebracht. Und wir haben in vielen internen und externen Veranstaltungen Lösungspfade für mehr Nachhaltigkeit aufgezeigt.


Nach der Veröffentlichung Ihrer zehn Thesen gab es eine heftige Debatte innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft. War diese zielführend?


Bartmer: Ich gebe zu, dass uns die Wucht der Diskussion zunächst überrascht hat. Aber es hat sich eine sehr konstruktive Debatte entwickelt und ich habe bei vielen Auftritten vor Landwirten großen Zuspruch erfahren und nur ganz selten Widerspruch. Das Verständnis, dass Selbstkritik und Selbstkorrektur uns neue Gestaltungs- und Handlungsfreiheit bringen, ist viel verbreiteter als wir denken.


Gilt das auch für die Spitzen der Bauernverbände?


Bartmer: Ich habe persönlich viel Zustimmung aus den Bauernverbänden bekommen. Ich kann verstehen, dass der Bauernverband als politischer Vertreter des Berufsstands das Tempo der Debatte gerne selber vorgegeben hätte. Für mich ist es aber ein Zeichen der Stärke, dass wir beides gleichzeitig können, im Bauernverband politische Interessenvertretung sind und zugleich innerhalb einer Fachorganisation die zukünftige Entwicklung der Branche diskutieren. Diese Rollen darf und kann man parallel spielen. Andere Wirtschaftsbranchen beneiden uns um solche Strukturen. Vielleicht stünde die Automobilbranche heute anders da, wenn sie eine Organisation wie die DLG hätte?


Wie gut ist der Berufsstand heute darin, Probleme pro aktiv anzugehen?


Bartmer: Das problembewusste und vorausschauende Denken hat zugenommen. In vielen Beratungsringen wird heute ganz selbstverständlich darüber diskutiert, wo sich etablierte Produktionsverfahren ändern müssen. Wir sind wieder ein ernst zu nehmender Gesprächspartner für unsere Kritiker, weil wir den Mut zur Selbstkritik haben. Das ist der eigentliche Gewinn der Debatte der vergangenen zwölf Monate. Diesen Mut sollten wir uns erhalten.


DBV-Präsident Joachim Rukwied fordert einen ehrlicheren, konstruktiveren und wissenschaftlicheren Diskurs mit den Bauern. Stimmen Sie dem zu?


Bartmer: Unbedingt. Wir haben es mit einem gesellschaftlichen Phänomen zu tun. Jeder glaubt dank Google in jedem Fachgebiet als Experte mitreden zu können. Das hat zu einer tiefen Vertrauenskrise gegenüber seriösen wissenschaftlichen Institutionen geführt, wie man am Beispiel der Glyphosat-Bewertung durch das Bundesamt für Risikobewertung und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit verfolgen konnte. Wenn die Politik in einer solchen Situation noch hingeht und allen wissenschaftlichen Einschätzungen zum Trotz politische Deals macht, die nichts mit der Sachlage zu tun haben, verspielt sie ihr wichtigstes Kapital: Vertrauen in Institutionen.


Hat die Wissenschaft diese Situation nicht selbst befördert, weil sie für jede gewünschte Antwort heute eine „wissenschaftliche“ Expertise anbietet?


Bartmer: Das hat es immer schon gegeben. Bislang wurden aber nur methodisch nachvollziehbare und zweifelsfreie Arbeiten akzeptiert. Dahin müssen wir zurückkommen. Hier haben auch die Medien große Verantwortung. Sie dürfen nicht mit jeder neuen Studie eine neue Sau durchs Dorf treiben.


Wie kann die landwirtschaftliche Branche diesen Prozess begleiten?


Bartmer: Indem wir selber wahrhaftig bleiben und nicht auch dazu beitragen, Fake-News zu verbreiten. Wenn schon Maßnahmen wie die Anlage von Blühstreifen, Zwischenfrüchten, Brachen oder der Verzicht auf Glyphosat und Neonicotinoide als nachhaltiges Wirtschaften gelten und gleichzeitig Nährstoffüberhänge, Erosionsprobleme und Insektensterben vorliegen, für die bestimmt nicht die Landwirtschaft allein ursächlich ist, macht uns das nicht besonders glaubwürdig.


Was wäre alternativ notwendig?


Bartmer: Auf der gesamtbetrieblichen Ebene die Nachhaltigkeit an Indikatoren zu messen. Wie steht es um die Nährstoff- und Energiebilanz des Betriebs? Wie sieht die Pflanzenschutzintensität aus? Wie werden die Mitarbeiter bezahlt und wie viel Eigenkapital wird gebildet?


Offenbar denkt Agrarkommissar Phil Hogan auch in diese Richtung. Jedenfalls will er in Zukunft weniger maßnahmen- und mehr zielorientiert fördern.


Bartmer: Das ist der richtige Ansatz. Man kann nicht mit dem gleichen Greeningpaket von Finnland bis Sizilien arbeiten.


Wie könnte man Hogans Idee umsetzen?


Bartmer: Indem man konsequent und nachvollziehbar die Nachhaltigkeit im Einzelbetrieb anhand von Indikatoren misst. Wer z.B. Nährstoffbilanzen kleiner 50 kg N/ha nachweist, könnte von den umfangreichen Kalkulations- und Berichtspflichten der neuen Düngeverordnung befreit werden. Das würde Unternehmer und Verwaltung entlasten.


Den DLG-Nachhaltigkeitsstandard oder ähnliche Zertifizierungssysteme halten viele Kritiker für zu komplex.


Bartmer: Auch die Nachhaltigkeit ist komplex. Deshalb brauchen wir wissenschaftlich fundierte Systeme. Aber man kann in einer Übergangsphase mit einfacheren Zertifizierungen arbeiten. Daran arbeiten wir mit Vertretern des ökologischen Landbaus.


Was soll aus der Einkommenskomponente der Direktzahlungen werden?


Bartmer: Durch den Brexit fehlen der EU bis zu 12 Mrd. € jährlich. Das zwingt zu Anpassungen. Dennoch sollten wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die Einkommenskomponente ist weiterhin wichtig. Wenn wir diese von heute auf morgen aufgeben würden, gäbe es Strukturbrüche.


Welche Rolle wird die deutsche Landwirtschaft in Zukunft in Europa spielen?


Bartmer: Wir sind ein Gunststandort und haben damit eine produktionstechnische Schlüsselrolle für die Agrarwirtschaft in Europa. Und weil die gesellschaftliche Diskussion über die Ausrichtung der Landwirtschaft im dicht besiedelten Deutschland so intensiv geführt wird, können wir Vorreiter bei der Suche nach Lösungen werden, wie man gesellschaftliche Erwartungen und unternehmerische Landwirtschaft miteinander versöhnt.


Wird die Politik da mitziehen 


Bartmer: Ich wünsche mir in Deutschland und anderswo überzeugendere Antworten auf die aktuellen Herausforderungen – v.a. weniger nationale Egoismen. Ich bin dennoch verhalten optimistisch, dass sich etwas bewegt, weil immer mehr Menschen sagen: Damit sind wir nicht zufrieden. Diese Stimmung müssen wir vonseiten der Landwirtschaft konstruktiv begleiten und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen, die Wissenschaft und den Markt stärken.


Dass sich Carl-Albrecht Bartmer auf den eigenen Betrieb oder ins Privatleben zurückzieht, ist für uns schwer vorstellbar.


Bartmer: Das wird auch nicht passieren. Ich bleibe natürlich in der DLG aktiv und werde mich stärker in meinem heimatlichen Umfeld engagieren.


Werden Sie auch in die Wirtschaft wechseln wie Ihr Vorgänger oder in die Politik?


Bartmer: Meine Aufsichtsratsfunktionen führe ich weiter. Ein operatives Amt in der Wirtschaft schließe ich aber aus. Und in der Politik sehe ich mich auch nicht.


Interview: Dr. Ludger Schulze Pals

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