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Neue TA Luft verhindert mehr Tierwohl

Lesezeit: 6 Minuten

Die neue Technische Anleitung (TA) Luft könnte den Um- und Neubau für mehr Tierwohl häufig blockieren. Das zeigt das Planspiel von NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser.


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Wenn die neue TA Luft so bleibt, wie sie das Bundesumweltministerium vorgelegt hat (siehe Seite 36), droht das Tierwohl auf der Strecke zu bleiben. In den meisten Fällen dürfte es nicht gelingen, eine Baugenehmigung zu bekommen, mit der die bestehenden Ställe für mehr Tierwohl umgebaut werden können. Das ist das ernüchternde Ergebnis eines Planspiels, dass das nordrhein-westfälische Umwelt- und Landwirtschaftsministerium gemeinsam mit Fachleuten durchgeführt hat.


Die Agrar-, Bau- und Umweltexperten prüften dabei folgende sechs Kernfragen:


1. Vorsorgeanforderungen


Bei welcher Immissionsbelastung wäre eine Privilegierung aus Gründen des Tierwohls noch möglich?


Ergebnis:


  • Die Behörden haben keine Spielräume für eine Privilegierung des Tierwohls, wenn eine Gesundheitsgefahr vorliegt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Bioaerosole die Grenzwerte überschreiten (siehe Seite 36).
  • Bei Ställen, die nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSch) genehmigt werden müssen (z.B. mehr als 1500 Mastschweine, 560 Sauen oder 30000 Hähnchen), gelten die strengen Schutzanforderungen der TA Luft uneingeschränkt. Hier gibt es keine Ermessensspielräume. Zusätzlich müssen ab diesen Stallgrößen Vorsorgeanforderungen wie z.B. die Abluftfilterung eingehalten werden. Für besonders tierwohlgerechte Haltungsverfahren sind hier gewisse Ausnahmen möglich.
  • Auch bei Ställen, die nicht unter das BImSch-Gesetz fallen und nur nach Baurecht genehmigt werden müssen, gelten die strengen Schutzanforderungen der TA Luft als Maßstab. Nur unvermeidbare schädliche Umweltauswirkungen können toleriert werden. Beispiel: Wenn in der Tierschutznutztierhaltungsverordnung Haltungsverfahren vorgeschrieben wären, die zu mehr Emissionen führen würden, wäre das eine unvermeidbare Umweltauswirkung. Gegenwärtig ist das aber nicht der Fall.


Derzeit ist auch nicht klar, was der Gesetzgeber unter „vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen“ versteht. Hier müsste unbedingt definiert werden, welche Maßnahmen ggf. zu ergreifen sind und was der Stand der Technik beim „Tierwohl“ ist.


Die Experten waren sich einig: Hier fehlt in der TA Luft eine klare Definition und Privilegierung für bestimmte tierwohlorientierte Haltungsverfahren, die möglichst genau zu beschreiben sind.


  • Einzig bei der Geruchsbeurteilung im Außenbereich wäre es denkbar, die laut Geruchs-Immissionsrichtlinie (GIRL) in Ausnahmefällen mögliche, maximal 25%ige Geruchshäufigkeit gerade bei Tierwohlställen anzuwenden.


2. Mindestvorgaben Tierschutz


Inwieweit werden neue Mindestvorgaben aus dem Tierschutzrecht vorrangig in der TA Luft berücksichtigt?


Ergebnis:


  • Die vorgesehenen Spielräume für BImSch-Ställe (keine Abluftreinigung bei Haltungsverfahren, die dem Tierwohl dienen bzw. generelle Ausnahmen für Ökobetriebe) gelten für Tierwohlmaßnahmen, die über den gesetzlichen Standard hinausgehen. Beim Beispiel der Sauenhaltung also nur noch in der für den Umbau der Kastenstände vorgesehenen Übergangsfrist.
  • Bei nach Baurecht genehmigten Ställen gelten die unter Frage 1 beschriebenen Maßstäbe. Wird der Stand der Technik eingehalten, sind die Umweltauswirkungen als unvermeidbar anzusehen, solange sie die Gesundheit nicht gefährden.
  • Insgesamt folgt daraus, dass neue Mindestvorgaben des Tierschutzrechts nicht vorrangig berücksichtigt werden. Vorrang haben Tierwohlmaßnahmen, die über den gesetzlichen Standard hinausgehen, zum Beispiel freiwillige Labelprogramme wie das geplante Staatliche Tierwohlkennzeichen.


3. Verbesserungsregelung


Gilt die immissionsschutzrechtliche Verbesserungsregelung auch für Baurechtsanlagen?


Ergebnis:


  • Die Regelung besagt, dass bei BImSch- Ställen eine Genehmigung nicht versagt werden darf, wenn die Maßnahme zu einer Verbesserung der Gesamtsituation führt. Demnach wäre ein tierwohlorientierter Stallumbau genehmigungsfähig, wenn sich die vorhandenen Immissionen zumindest verbessern, selbst wenn die Grenzwerte nicht eingehalten werden.
  • Im Baurecht gibt es diese Regelung nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber entschieden, dass die Verbesserungsregelung sinngemäß auch in diesem Bereich anwendbar ist.
  • Die Experten bezweifeln allerdings, dass die Verbesserungsregelung in der Praxis überhaupt zur Anwendung kommt, weil die Ausgangslage auf den Betrieben und in deren Umfeld sehr unterschiedlich ist und somit schnell eine erneute Prüfung notwendig wird. Bei Tierwohlställen erhöhen sich zum Beispiel in der Regel die Emissionen – insbesondere im Nahbereich des Stallgebäudes. Das liegt an den Festflächen und am Außenauslauf, die zu Emissionen führen, die sich bodennah ausbreiten.


4. Ausnahmeregelung


Welche Kriterien müssen tierwohlgerechte Haltungsverfahren erfüllen, um von der Ausnahmeregelung profitieren zu können?


Ergebnis:


  • Die Ausnahmeregelung gilt nur für BImSch-Ställe, denn nur für diese gelten die Vorsorgekriterien.
  • Bisher sind nur für Ökobetriebe hinsichtlich der Vorsorgeanforderungen (u.a. nährstoffreduzierte Fütterung, Abluftreinigung) abweichende Regelungen möglich.
  • Die Experten sind sich einig, dass die Ausnahmen auch für vergleichbare tierwohlgerechte konventionelle Haltungsverfahren gelten sollten. Gegenwärtig ist das nicht der Fall. Dafür müsste die TA Luft konkretisiert werden.


5. Neue Haltungsverfahren


Wie werden alternative Haltungsverfahren bewertet, solange noch keine belastbaren Emissionsfaktoren vorliegen?


Ergebnis:


  • Für frei gelüftete Ställe oder Ställe mit Auslauf gibt es derzeit keine belastbaren Emissionsfaktoren als Basis für die Genehmigung.
  • Es wird noch mindestens ein bis zwei Jahre dauern, bis diese Werte vorliegen.
  • Bis dahin sollten Bund und Länder definieren, wie mit diesen Ställen genehmigungstechnisch umzugehen ist. Sonst besteht die Gefahr, dass durch die alternativ erfolgenden Einzelfallprüfungen eine völlig unterschiedliche Genehmigungspraxis in Deutschland entsteht. In einem Kreis werden solche Ställe genehmigt, im nächsten nicht.


6. Sanierungsgebiete


Ist es über sogenannte „Sanierungsgebiete“ möglich, die Interessenkonflikte zwischen Luftreinhaltung und Tierwohl aufzulösen?


Ergebnis:


  • Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hat vorgeschlagen, sogenannte „Sanierungsgebiete“ einzurichten, in denen bestimmte Immissionsschutzwerte erst fünf Jahre später erreicht werden müssen. Diese Übergangszeit könnte dann genutzt werden, Umbauten für Tierwohlmaßnahmen umzusetzen.
  • Die Experten halten dieses Konzept für nicht geeignet, weil es keine einheitliche Umsetzung im Land sicherstellt und die Verfahren zur Abgrenzung der Sanierungsgebiete planungsrechtlich sehr aufwändig sind. Verzögerungen und eine unterschiedliche Rechtslage in Deutschland wären die Folgen.
  • Zudem ist derzeit nicht erkennbar, welche Maßnahmen im Anschluss an die Genehmigung bei Tierwohlställen ergriffen werden könnten, um nach fünf Jahren dann die Immissionswerte tatsächlich einzuhalten.


Das ernüchternde Fazit


Der Entwurf der neuen TA Luft verhindert in der gegenwärtigen Fassung viele Umbauten für mehr Tierwohl. Dazu wäre es notwendig im Rechtstext an vielen Stellen eine privilegierte Vorrangstellung für tierwohlbedingte Um- und Neubauten einzufügen. Nur so könnte der Gesetzgeber dem gesellschaftlichen Wunsch nach mehr Tierwohl Rechnung tragen.


ludger.schulze-pals@topagrar.com

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