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Straßenbau & Co.: Mehr Geld bei Entschädigung

Lesezeit: 9 Minuten

Die neue Entschädigungsrichtlinie Landwirtschaft, die LandR19, enthält Verbesserungen. Sie schöpft den gesetzlichen Rahmen für die Entschädigung aber nicht aus. Deshalb sollten Betroffene stets prüfen, ob sie sich mit individuellen Berechnungen der Entschädigung besser stellen.


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Wer Fläche für den Straßenbau u.ä. hergeben muss, hat Anspruch auf Entschädigung. Für deren Berechnung wollen die Behörden sowohl bei Verhandlungslösungen als auch bei Enteignungen die Entschädigungsrichtlinie Landwirtschaft (LandR) zugrunde legen.


Seit dem 16. Juni gilt die neue Richtlinie, die LandR19. Sie wurde von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, im Auftrag des Bundesfinanzministeriums entwickelt und hat die bisherige LandR78 abgelöst. Die LandR19 berücksichtigt vor allem die seit langem anhaltende Niedrigzinsphase. Allein das lässt die Einmalentschädigung von Erwerbsverlusten deutlich höher ausfallen. Sie regelt auch erstmals ausdrücklich den Entschädigungsanspruch des Pächters bei An- und Durchschneidungen. Außerdem sieht sie für Landwirte mit Ersatzlandanspruch erstmals ausdrücklich eine Entschädigung für Um- bzw. Mehrwege vor.


Kein zwingendes Recht


Die LandR19 spiegelt insoweit im Ansatz endlich wider, was schon im Gesetz steht. Dabei bleibt sie aber in einzelnen Punkten hinter dem gesetzlichen Entschädigungsanspruch zurück. Juristen und Sachverständige kritisieren daher Teile der Richtlinie unverändert.


Deshalb sollten Sie wissen: Zwar ist die LandR19 für alle Bundesbehörden verbindlich und auch Landesbehörden und andere Bedarfsträger wenden sie an. Dennoch ist die LandR19 lediglich eine Richtlinie. Sie ist kein zwingendes Recht, an das sich Enteignungsbehörden oder Gerichte halten müssen.


Landwirte und Betriebsberater sollten also stets genau hinschauen, ob die Berechnungen nach der neuen Entschädigungsrichtlinie zum Betrieb passen oder ob eine betriebsindividuelle Berechnung sinnvoll ist.


Höhere Entschädigung


Flächenverluste führen zu Deckungsbeitragsverlusten beim selbstwirtschaftenden Eigentümer oder Pächter, oft über viele Jahre. Für diese Erwerbsverluste bekommt der Bewirtschafter eine kapitalisierte Einmalentschädigung. Diese fällt nach der LandR19 u.U. doppelt so hoch aus wie nach der LandR78. Das beruht auf der Senkung des Rechnungszinses von 4 auf 2% pro Jahr. Dazu ein Beispiel:


Landwirt Gruber muss 0,8 ha eigene Ackerfläche hergeben und erleidet (auch nach Anrechnung eines Zinsvorteils aus seiner Verkehrswertentschädigung) einen jährlichen Deckungsbeitragsverlust von 1000 €. Die Schadensdauer wird sachverständig auf 20 Jahre geschätzt. Mit der Einmalentschädigung soll Gruber nun durch die Verwendung der Entschädigung als Geldanlage seine jährlichen Erwerbsverluste ausgleichen können. Nach der LandR78 mit dem Zins von 4% pro Jahr für die Geldanlage hätte Gruber dafür 5980 € bekommen. Gemäß der LandR19 mit dem jährlichen Zins von 2% steht ihm dagegen eine Entschädigung von 10590 € für seine Erwerbsverluste zu.


Würde im Fall Gruber die Schadensdauer mit 25 Jahren angenommen, so ergeben sich im System der LandR für Gruber 11890 €, also 1300 € mehr als bei einer Schadensdauer von 20 Jahren.


Kritikpunkte


Fachleute kritisieren allerdings, dass die LandR19 bei den Erwerbsverlusten eine generelle Begrenzung der Schadensdauer (25 Jahre) vorsieht. Es gibt weder einschlägige Rechtsprechung noch gesichertes Erfahrungswissen dazu, dass sich ein Schaden automatisch nach 25 Jahren „auswächst“. Besonders bei fehlendem Ersatzland und/oder fehlenden Umstellungsoptionen könnten selbstwirtschaftende Eigentümer eine längere Schadensdauer beanspruchen.


Ebenso umstritten ist, dass die LandR pauschal annimmt, dass Erwerbsverluste auch innerhalb der auf 25 Jahre „gedeckelten“ Entschädigungsdauer von Jahr zur Jahr geringer werden. Beträgt z.B. der Deckungsbeitragsverlust 1000 € pro Jahr wird im zweiten Schadensjahr nur noch ein Verlust von 930 € (93%) unterstellt, im dritten 870 € (87%) und im 25. Jahr 390 € (39%).


Angesichts steigender Produktionskosten passt diese pauschale Bewertung oft nicht. Auch hier gibt es weder eine dies rechtfertigende Rechtsprechung noch nachvollziehbare sachverständige bzw. wissenschaftliche Belege für solche generalisierenden Festsetzungen.


Es kann also auch hier lohnen, eine individuelle Rechnung aufzumachen. In dem Beispielsfall würde das für Gruber z.B. bei 20 Jahren Schadensdauer bedeuten: Ohne die Annahme eines „sinkenden Schadens“ werden aus den 10590 € nach der LandR19 16351 €, also immerhin 5761 € mehr.


Berechnungen prüfen


Beim selbstwirtschaftenden Eigentümer reduziert sich – vereinfacht gesagt – die Entschädigung für den Erwerbsverlust um die (theoretischen) Zinsen auf die Verkehrswertentschädigung. Folgendes Beispiel zeigt, wie gemäß LandR und Rechtsprechung gerechnet wird:


Landwirt Roth erhält für 1 ha Acker eine Verkehrswertentschädigung von3 €/m², also 30000 €. Er muss sich nun so behandeln lassen, als ob er diese 30000 € zur Bank trüge und diese ihm 2 % pro Jahr Zinsen zahlt. Das sind 600 € pro Jahr. Wenn Roth nun auf dem 1 ha einen Deckungsbetragsverlust von 1300 € erleidet, so wird davon der theoretische Zinsertrag von 600 € abgesetzt. Ihm verbleibt so ein zu entschädigender Deckungsbeitragsverlust von 700 € pro Jahr. Aber Achtung: Gegengerechnet werden dürfen nur Zinsen auf Substanzentschädigungen, also z.B. keine Zinsen auf Entschädigungen für An- und Durchschneidungen.


Für Pächter gilt bei der Berechnung der Erwerbsverluste dasselbe wie für Eigentümer, jedoch nur für die rechtlich gesicherte Restlaufzeit. Deshalb sollten Pächter, die künftig von einer Enteignung betroffen sein könnten, ihre Verträge frühzeitig, schriftlich und mit langen Laufzeiten schließen bzw. anpassen.


Übrigens: Bei der Berechnung der Deckungsbeitragsverluste zählt die Betriebsprämie als Einkommen. Entsprechend müssen die Behörden dann aber auch etwaige, durch den Flächenentzug bedingte Rückforderungen von bereits gewährten Prämien berücksichtigen!


An- und Durchschneidungen


Erstmals findet sich in der LandR eine ausdrückliche Regelung, wonach der Pächter einen eigenständigen Anspruch auf Entschädigung bei An- und Durchschneidungen hat. Diese Entschädigung soll nun auch beim Pächter Bewirtschaftungsnachteile durch die Verkleinerung/Deformierung ausgleichen; sie wird ebenfalls als Einmalbetrag gezahlt. Bislang zahlten die Behörden die Entschädigung grundsätzlich an den Eigentümer aus. Nur bei Einvernehmen zwischen Eigentümer und Pächter wurde der Betrag aufgeteilt.


Ebenfalls neu ist, dass die Entschädigung für An- und Durchschneidungen nicht nur für das betroffene Grundstück, sondern für den ganzen Schlag berechnet wird. Dies dürfte vielfach zu deutlich höheren Entschädigungen führen. Allerdings ist das Berechnungsverfahren gerade bei Pachtschlägen mitunter kompliziert – egal ob ein Pachtgrundstück zum Eigentum hinzugepachtet ist oder der Schlag insgesamt aus Pachtgrundstücken besteht. Denn bei Schlägen mit mehreren Pachtflächen müssen die einzelnen Flurstücke mit den jeweiligen (u.U. unterschiedlichen) Restpachtzeiten berücksichtigt werden. Wie das geht, zeigt folgendes Beispiel:


Strasse durch Pachtschlag


Landwirt Henseler bewirtschaftet einen Schlag, der aus drei Pachtgrundstücken besteht und von einer neuen Straße durchschnitten wird (Übersicht 1). Die „Schlagentschädigung“ steht Henseler für den gesamten Schlag zu und berechnet sich unter Ansatz der im jeweiligen Schadensjahr rechtlich gesicherten Pachtfläche (Übersicht 2). So berechnet sich die Entschädigung im Jahr 1 und 2 nach dem Eingriff für die komplette Schlagfläche von 10 ha, im Jahr 3 für noch 7 ha und im Jahr 4 und 5 nur noch für die Restfläche von 5 ha.


Für die Berechnung der Bewirtschaftungsnachteile bei An- und Durchschneidungsschäden gibt die LandR19 in ihrer Anlage 3 gerade auch für den Schlag ein Verfahren vor. Es beruht maßgeblich auf Vorarbeiten des landwirtschaftlichen Sachverständigen Dr. Heinrich Karg. Gesetzlich vorgeschrieben ist dieses Verfahren allerdings nicht. Deshalb können auch ebenso gängige Verfahren, wie z.B. die vom HLBS entwickelte Deformations-Tax, genutzt werden. Betroffene Landwirte sollten deshalb prüfen, welche Berechnung besser zu ihrem Fall passt.


Für die Ermittlung der Schlagentschädigung müssen Landwirte Informationen über Größe, Zuschnitt, Eigentumsverhältnisse und Restpachtzeiten der Schlagflächen bereitstellen – auch wenn diese als Einzelflächen nicht unmittelbar vom Eingriff betroffen sind.


Ersatzland


Landwirte, denen Ersatzland zusteht, haben einen Anspruch auf Um- und Mehrwegeentschädigung, sei es als Eigentümer oder Pächter. Das berücksichtig nun erstmals auch die LandR19. Dabei sieht die LandR19 die Entschädigung aber nur dann vor, wenn der Ersatzlandanspruch durch die Behörde erfüllt wurde, also die Behörde das Ersatzland beschafft hat. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 21.10.2010 (III ZR 237/09) steht die Entschädigung auch demjenigen zu, der einen Ersatzlandanspruch hat und sich selbst Ersatzland besorgt hat. In einem solchen Fall können Sie also mit Hinweis auf das BGH-Urteil eine Um- bzw. Mehrwegeentschädigung verlangen.


Verkehrswertentschädigung


Für einen Flächenverlust steht dem Eigentümer eine Verkehrswertentschädigung zu – egal, ob er eine Fläche selbst bewirtschaftet oder nicht. Bei der Verkehrswertermittlung (ganzer) Betriebe, sieht die LandR eine Wertermittlung nach dem Vergleichswertverfahren vor, das aber in der Praxis wegen fehlender Vergleichsbetriebe oft kaum anzuwenden ist. Die gemäß LandR19 alternative Bewertung nach Liquidationswert ergibt aber tendenziell zu niedrige Bewertungen. Landwirte sollten daher auf der Bewertung nach der Zusammensetzungstaxe (Sachwertverfahren) bestehen. Denn die Entschädigung dient dazu, zumindest fiktiv einen gleichwertigen Betrieb erwerben zu können.


Auch bei der Wertminderung von Restflächen bzw. eines Restbetriebes scheitern die gemäß LandR vorgesehenen (oben genannten) Verfahren, weil es an Vergleichsfällen mangelt und die Bewertung nach Liquidationswerten zu unangemessenen Ergebnissen führt.


Auch dem Pächter kann eine Verkehrswertentschädigung wegen zukünftig höherer Pachtaufwendungen für eine Ersatzfläche zustehen. Dieser Anspruch ist jedoch auf die rechtlich gesicherte Restpachtzeit beschränkt. In der Praxis ist es dabei oft schwierig, die  Differenz zwischen der derzeit gezahlten Pacht (für das genommene Grundstück) und der höheren Pacht für eine Ersatzfläche zuverlässig zu ermitteln.


Bauerwartungsland


Immer wieder kommt es vor, dass ein Landwirt eine Fläche verliert, die noch landwirtschaftlich genutzt wird, aber einen höheren Verkehrswert hat (z.B. Bauerwartungsland). Nach der neuen LandR19 bekommt der Bewirtschafter für solche Flächen keine Entschädigung für An- und Durchschneidungen oder Um- und Mehrwege. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu gibt es allerdings nicht. Deshalb sollten betroffene Landwirte entsprechende Entschädigungen verlangen – allerdings nur für die (sachverständig geschätzte) Zeit, in der das Bauerwartungsland noch nicht zum Bauland erstarkt sein wird.


Auch für Altfälle?


Aus der LandR19 ergibt sich keine neue Rechtslage, vielmehr ist die LandR19 nur eine geänderte Richtlinie für die Interpretation des (unveränderten) Gesetzes. Somit sollten die teilweise besseren, vor allem realitätsnäheren Ansätze für die Entschädigungsermittlung, selbstverständlich auch für alle noch nicht abgeschlossenen „Alt“-Fälle genutzt werden können und müssen.


In schwierigen Entschädigungsfragen sollten Landwirte ggf. Rechtsberatung und/oder einen Sachverständigen hinzuziehen. Letztere finden Sie beim Hauptverband der Landwirtschaftlichen Buchstellen und Sachverständi-gen e.V. (HLBS) unter www.hlbs.de


anne.schulzevohren@topagrar.com

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