Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Aus dem Heft

Stromtrassen: Was bringt das neue Gesetz?

Lesezeit: 8 Minuten

Der Bund will den Stromtrassenbau beschleunigen. Deshalb gibt es jetzt mehr Geld für die Betroffenen. Flächeneigentümer mit Erdkabeln finden die neuen Regeln trotzdem unfair.


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Mit der Entscheidung hin zum Erdkabel hat sich die Politik dem Druck der Bürgerinitiativen gebeugt – das neue Gesetz verlagert das Risiko der neuen Technik aber voll und ganz auf die Bauern!“ Über diesen Teil des neuen Gesetzes zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus kann Rechtsanwältin Katrin Hucke nur den Kopf schütteln. Sie weiß, wovon sie spricht: Sie ist Hauptgeschäftsführerin des Bauernverbandes in Thüringen, wo gleich zwei Höchstspannungserdkabel den Bauern Kopfzerbrechen bereiten: Der Südlink und der Südostlink.


Ob das im Mai von der Bundesregierung neu beschlossene Gesetz wirklich zu einer Beschleunigung führt, ist vor allem im Bereich der Gleichstromerdkabel (HGÜ) zu bezweifeln. Dabei sollte genau das passieren, denn die Zeit drängt: Immer noch fehlen 5600 km Höchstspannungsleitungen (s. Übersicht 3, S. 40), die Windstrom in den Süden Deutschlands transportieren und den internationalen Stromhandel erleichtern. 2022 geht dann das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz, bis 2030 gibt der Koalitionsvertrag 65% der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vor, bis 2050 sogar 80%.


Was bringt das neue Gesetz?


Ob das neue Gesetz neuen Schwung in den Ausbau bringt, fragt sich auch Rechtsanwalt Hubertus Schmitte, Justiziar beim Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband. Denn obwohl die Regelungen teils in die richtige Richtung gehen, produzierten die neuen Entschädigungssätze auch gewaltige Schieflagen. „Das neue Gesetz ist vor allem ein Freileitungs-Beschleunigungsgesetz“, meint der Rechtsexperte und stellt fest: „Für die Erdkabel-Betroffenen sind die neuen Regeln hingegen eine Zumutung.“ Doch es geht nicht nur ums Geld. Das neue Gesetz regelt als „Artikelgesetz“ viele Paragraphen in 24 Gesetzen und Verordnungen neu. Rechtsanwalt Hubertus Schmitte erläutert wichtige Änderungen.


Höhere Entschädigungen – für Erdkabel zu gering


Erstmals regelt ein Gesetz, welche Entschädigungen für Landinanspruchnahme die Netzbetreiber auf die Verbraucher per Netzentgelt umlegen dürfen. Damit gibt es jetzt zwar eine Höchstvorgabe für die Zahlungen, ein Rechtsanspruch für die Landeigentümer entsteht nicht. Dazu kommt: Die neuen Sätze gelten nur für die Höchstspannungsleitungen nach Bundesbedarfsplangesetz und EnLAG (Energieleitungsausbaugesetz). Für andere Leitungen bleibt es bei einer Einmalzahlung in Höhe von rund 20% des Bodenwertes im Schutzstreifen.


Hinsichtlich des Systems ist die neue Entschädigung keine Revolution. Weiterhin erhalten Landwirte eine einmalige Zahlung als Prozentsatz vom Verkehrswert für die Dienstbarkeit auf dem Schutzstreifen der Leitung.


Für Freileitungen gibt es nun 25% des Verkehrswertes der in Anspruch genommenen Fläche statt zuvor 20%, für Erdkabel 35% statt zuvor 30%. Dazu kommt ein Beschleunigungszuschlag. Dieser beträgt wiederum 75% der Dienstbarkeitsentschädigung, mindestens jedoch 0,5 €/m2 und höchstens 2 €/m2. Den Zuschlag erhält der Eigentümer, wenn er spätestens 8 Wochen nach erstmaligem Zugang der schriftlichen Angebotsunterlagen durch den Netzbetreiber die Dienstbarkeitsbewilligung notariell beglaubigen lässt.


Für alle Landeigentümer gibt es einmalig 500 € als Aufwandsentschädigung, bei Freileitungen zusätzliche Entschädigungen für den Maststandort.


Wer die neuen Prozentsätze durchrechnet, stellt fest, dass es für Erdkabel jetzt pro laufendem Meter Leitung nur ein Bruchteil der Entschädigung für eine Freileitung gibt (siehe Übersicht 1). Ursache sind die Schutzstreifenbreiten von 40 bis 70 m für Freileitungen und 15 bis 25 m für Erdkabel. Ins Gewicht fällt auch der Beschleunigungszuschlag, der sich auf die Dienstbarkeitsentschädigung bezieht. Die Benachteiligung des Erdkabels ist für Rechtsanwalt Schmitte nicht nachvollziehbar: „Schließlich gehen von Erdkabeln deutlich größere Belastungen aus als von Freileitungen.“


Nachentschädigung möglich


Positiv ist: Die neuen Regeln gelten auch nachträglich für bestehende Leitungen! Landeigentümer, die bereits von einer Trasse betroffen sind, können daher Nachentschädigungen fordern. Voraussetzung ist allerdings, dass der Vertrag eine „Öffnungsklausel“ enthält, wie z.B. in vielen Rahmenverträgen der Bauernverbände. Dass es sich dabei um beträchtliche Summen handeln kann, zeigt Übersicht 2. ▶


WAS ERHALTEN PÄCHTER?


Pächter haben nicht viel von den neuen Regelungen, abgesehen von den leicht erhöhten 500 € Aufwandsentschädigung. Wichtig sind für sie weiter die Flurschadenentschädigungen. Rechtsanwalt Schmitte empfiehlt, keinesfalls eine abschließende Entschädigungszahlung zu unterschreiben, denn vor allem die Erdkabelschäden sind noch nicht einzuschätzen.


Hinsichtlich der Maststandorte sollten Pächter wissen: Der Eigentümer erhält einen Betrag, der dauerhaft angelegt („kapitalisiert“) den Ertragsausfall, den Umfahrungs- und den Pflegeaufwand abgelten soll. Die Höhe hängt wesentlich ab vom Rohertrag der Fläche, den der Pächter erwirtschaftet. Für die Restlaufzeit des Pachtvertrages steht ein Teil des Betrages also dem Pächter zu. Versuchen Sie, mit dem Verpächter eine Regelung zu finden, die den Nachteil für Sie ausgleicht.


Weniger NaturschutzFläche


Weniger Flächendruck nützt allen Landwirten. Deshalb wertet Rechtsanwalt Schmitte positiv, dass der Bund jetzt für Bundesvorhaben wie den Trassenbau eine eigene Bundeskompensationsverordnung schaffen kann. Damit könnte z.B. bei Erdkabeln ein Naturschutzausgleich ganz entfallen. Federführend ist das Bundesumweltministerium (BMU), der Bundesrat muss nicht zustimmen. Was die neue Verordnung bringt, ist aber noch nicht klar. Enttäuschend findet Schmitte, dass die Landwirte auf die Bundeskompensationsverordnung noch warten müssen: „Anders als die übrigen Regeln treten die Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz nämlich erst zum 1.12.2019 in Kraft, womit das BMU den Entwurf erst Ende Februar 2020 vorlegen muss,“ so der Anwalt.


Bundesnetzagentur für Bodenschutz zuständig


Wer sich als Landwirt für mehr Bodenschutz während der Arbeiten einsetzen will, hat jetzt durchaus bessere Karten in der Hand. Denn das neue Gesetz verpflichtet die Bundesnetzagentur direkt, für geeignete Überwachungsmaßnahmen zu sorgen (§ 43i EnWG). Sie können damit den Druck auf Übertragungsnetzbetreiber deutlich erhöhen, den Bau unter bodenschützenden Aspekten auszuführen. Übrigens: Nach § 44 EnWG ist es den Netzbetreibern erlaubt, bereits im Vorfeld der Planung und Bauausführung Untersuchungen auf Ihren Flächen durchzuführen. Sie müssen Bodenuntersuchung vorab also dulden – und sollten es auch: Denn letztendlich kommen die Ergebnisse Ihnen zugute.


Chance vertan


Dass es weiterhin keine wiederkehrenden Vergütungen für die Stromtrassen gibt, ärgert viele Landwirte. Schließlich bestanden keine verfassungsrechtlichen Bedenken, sondern die Politik wollte das System Einmalzahlung erhalten. Ein wunder Punkt ist auch die vergleichsweise geringe Entschädigung für Erdkabel. Hier sei Widerstand der Landwirte vorprogrammiert, meint Dr. Holger Hennies, Vizepräsident des niedersächsischen Landvolks und Kartoffelanbauer östlich von Hannover. Ihn treibt dazu die Sorge um die Böden um. Um diese zu minimieren fordert er u.a., neue Trassen durch Trassenbündelung möglichst entlang bestehender Straßen, Eisenbahnlinien etc. zu verlegen, anstatt wie derzeit oft quer durch die Felder. „Wenn die Kabel auf 30 m Breite durch eine Fläche führen, ist doch nicht nur die Nutzbarkeit auf dem Schutzstreifen eingeschränkt“, so seine Argumentation. „Versetzte Abreife oder verminderte Tragfähigkeit auf den verfüllten quer verlaufenden Gräben können eine Fläche für manche Früchte insgesamt unbrauchbar machen.“ Dass die Netzbetreiber die Landwirte unterschreiben lassen, dass „alles zu unterlassen ist, was das Kabel potenziell gefährden könnte“, ist für Hennies der reinste Blankoscheck. Denn was eine „Gefahr“ darstelle, sei nicht genau definiert. Auch fehle eine Umkehr der Beweislast, so Dr. Hennies: „Treten Schäden auf, muss ich als Landwirt dem Netzunternehmen nachweisen, dass diese auf die Leitung zurückzuführen sind!“ Womit zu befürchten sei, dass die Landwirte letztendlich auf den Schäden sitzen bleiben.


Jetzt verhandeln!


Angesichts der Konstruktion des Gesetzes müssen Landwirte nun verhandeln. Erster Punkt ist dabei, die gesetzlich möglichen Höchstgrenzen bei der Entschädigung vertraglich zu sichern. Insbesondere für Erdkabel wären zusätzliche Entschädigungen wünschenswert, um die Kluft zur Freileitungsentschädigung zumindest ansatzweise zu schließen. Denkbare Ansatzpunkte in Verhandlungen, um Ihre Interessen zu wahren, sind u.a.:


  • Zusätzliche Entschädigung des Arbeitsstreifens (ca. 40 m) beim Erdkabelbau festschreiben.
  • Haftung für Schäden begrenzen und mehr Bodenschutz vereinbaren.
  • Konkrete Schäden im Betrieb festhalten, etwa durch ein Bautagebuch, Vorab-Bodenproben, Fotos.
  • Keinesfalls abschließende Ausgleiche für Nutzungsschäden oder Befristungen von Schadenersatzansprüchen unterschreiben.


Rechtlichen Beistand suchen


Um auf der sicheren Seite zu sein, brauchen Landwirte aber rechtlichen Beistand. Die Rahmenverträge der Bauernverbände sind hier auch künftig unverzichtbar. Betroffene Landwirte sollten sich zur Vertragsverhandlung auf jeden Fall zusammenschließen.


Über die Verträge hinaus sollten Sie alle Möglichkeiten nutzen, um sich einzubringen. Informationen, wie die Trassenplanung abläuft und welche rechtlichen Möglichkeiten Sie haben, finden Sie bei top agrar Heft+ im Internet.


Zu bedenken ist allerdings: Wer den Beschleunigungszuschlag sichern möchte, obwohl er später auch rechtlich gegen die Leitung vorgeht, sollte das im Gestattungsvertrag mit dem Netzbetreiber schriftlich festhalten. Und: Wer sich ganz quer stellt, wird voraussichtlich enteignet. Denn die Stromversorgung gilt als öffentliche Aufgabe, die Enteignung ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Aufgrund der besonderen Rechte dürfen die Netzbetreiber im Notfall sogar schon bauen, bevor der Enteignungsbeschluss da ist.


gesa.harms@topagrar.com

Die Redaktion empfiehlt

top + top informiert ins Frühjahr

3 Monate top agrar Digital + gratis Wintermützen-Set + Gewinnchance für 19,80 €

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.