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Wettrüsten gegen den Wolf

Lesezeit: 9 Minuten

Mittlerweile gibt es über 1000 Wölfe in Deutschland. Obwohl Tierhalter immer höhere Zäune errichten, reißen die Räuber mehr Schafe, Rinder und Ponys.


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Mahnfeuer, Demos, Bundestagsdebatten: Der Wolf ist bundesweit ein Reizthema. Weidetierhalter sind angesichts von Rissen trotz vorschriftsmäßiger Schutzzäune ohnmächtig. Was hat die Lage so verschärft?


  • In Deutschland leben heute mit rund 1000 Tieren mehr Wölfe als in Frankreich oder Schweden.
  • Während der Wolf in diesen Ländern bejagt wird und eine Obergrenze von 500 Tieren besteht, ist er bei uns immer noch unantastbar. Daher wächst der Bestand rasant um 30% pro Jahr.
  • Die meisten Wölfe gibt es in Brandenburg und Sachsen (s. Grafik S. 40).
  • Schaf- und Gatterwildhalter sind zwar immer noch die Hauptleidenden. Aber es gibt immer mehr Risse von Rindern, Ponys und Jagdhunden.
  • In einigen Regionen überwinden Wölfe gezielt 1,20 m hohe Schutzzäune mit Flatterband und ignorieren Herdenschutzhunde oder Esel.
  • Dazu gibt es Berichte über Wolfshybriden, also Kreuzungen zwischen Hund und Wolf, bei denen es nicht nur zu einer unerwünschten Mischung der Gene kommt, sondern auch zur gefährlichen Kombination von Zutrauen zum Menschen und intelligentem Jagdverhalten.
  • Zudem wird der genetische Nachweis schwierig, wenn diese Hybriden Nutztiere reißen. Nach der jetzigen Entschädigungspraxis würden Tierhalter leer ausgehen, wenn als Verursacher ein „Hund“ nachgewiesen würde.


Thema im Bundestag


Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf (DBBW) geben aktuell 73 Wolfsrudel für Deutschland an. Allerdings bezieht sich die Zahl auf das Monitoringjahr 2017/2018, das am 30.4.2018 endete. Zählt man die aktuellen Zahlen aus den Bundesländern zusammen, gibt es schon über 80 Rudel. Dazu kommen mindestens 26 Paare und mehrere standorttreue Einzelwölfe (siehe S. 40).


Das genaueste und aktuellste Wolfsmonitoring gibt es derzeit in Niedersachsen. Die Landesjägerschaft ist seit 2011 mit der Erhebung beauftragt. „Innerhalb von acht Jahren ist bei uns die Zahl der Territorien von 0 auf 22 gestiegen“, verdeutlicht Wolfsbeauftragter Raoul Reding. Aufgrund der Bevölkerungsdichte und der intensiven Weidetierhaltung gilt das Land damit als eine der am stärksten betroffenen Regionen in Deutschland.


1500 Risse an Nutztieren


Anders, als Wolfsbefürworter früher behauptet haben, lebt das Raubtier nicht im Verborgenen. Nach Aussagen des Kreislandvolks im Heidekreis, in dem es allein sieben der 20 Wolfsrudel in Niedersachsen gibt, sehen Jäger, Landwirte und Spaziergänger inzwischen fast täglich Wölfe. Sie nähern sich Menschen und dringen sogar in Ställe ein. Das „Rodewalder Rudel“, das sich an der Grenze zwischen den Landkreisen Nienburg und dem Heidekreis angesiedelt hat, ist regelmäßig in den Medien. Mindestens ein Wolf daraus hat sich auf große Nutztiere spezialisiert und reißt Rinder und Ponys. Sogar ein Alpaka steht auf der Opferliste, obwohl die Tierart zusammen mit Lamas oder Eseln bislang zum Herdenschutz empfohlen wurde. Nach wochenlangen Diskussionen hatte ihn das Umweltministerium Niedersachsen Ende Januar zum Abschuss freigegeben.


Nach Zahlen der DBBW gab es im Jahr 2015 rund 700 Risse, im Jahr 2016 waren es 1100. Der Deutsche Bauernverband geht von 1500 Rissen im Jahr 2017 aus. Aktuellere Daten für Deutschland liegen noch nicht vor. Zudem steigt die Dunkelziffer, wie Wolfsbeauftragter Reding erläutert: „Denn nicht jeder Tierhalter macht sich die Mühe, Nutztierrisse zu melden, da damit sehr viel Bürokratie verbunden ist.“


Mit Abstand am häufigsten unter den Nutztieren fallen dem Wolf Schafe zum Opfer, gefolgt von Rindern (vor allem Kälber) und Gatterwild. Angriffe auf Nutztiere gibt es vor allem im Herbst und Winter. Wegen der Wurfzeit ab Mai nimmt die Zahl der Risse ab, da die Wölfe weniger umherstreifen und sie den Nachwuchs von anderen Wildtieren leichter erbeuten können.


Worüber sich Tierhalter auch sorgen: Wölfe könnten Erreger der Afrikanischen Schweinepest verbreiten, wenn sie befallene Wildschweine fressen.


Verhängnisvoller Blutrausch


Der Nabu Niedersachsen verweist hierbei auf den Landesjagdbericht 2017/18. Demnach hätte die Analyse von 504 Wolfskotproben gezeigt, dass nur 0,4% ihrer Nahrung Nutztiere gewesen seien. Wie viele Beispiele aber zeigen, geraten die Raubtiere auf einer Koppel schnell in einen „Blutrausch“. Es werden deutlich mehr Tiere getötet, als später gefressen. Der Zaun wird zur tödlichen Falle für die Weidetiere. Plakativ dafür ist der Fall aus Bad Wildbad (Schwarzwald): Ein aus der Lüneburger Heide eingewanderter Wolf tötete im Mai 2018 in einer Nacht 44 Schafe. Zwölf weitere mussten später notgetötet werden oder ertranken in einem Fluß.


Ins Visier der Wölfe geraten zudem immer häufiger Jagdhunde. Ende Januar hat ein Jäger in der Nähe von Berlin einen Wolf in Notwehr getötet, der einen Jagdhund lebensgefährlich verletzt hatte. Rufe und Schüsse in die Luft hatten den Angreifer nicht vertreiben können, sodass der Jäger zum Äußersten greifen musste. Noch ist unklar, ob er mit einer Strafe zu rechnen hat.


Hohe Kosten für den Zaunbau


Tierhalter dagegen haben derzeit nur zwei Chancen, um sich gegen den Wolf zu schützen: Zäune und Tiere zum Schutz wie spezielle Hunde oder Esel. „Die meisten Übergriffe von Wölfen auf Nutztiere gibt es i.d.R. dort, wo Wölfe sich in neuen Territorien etablieren und sich die Schaf- und Ziegenhalter noch nicht auf ihre Anwesenheit eingestellt haben“, heißt es einem DBBW-Bericht von Dezember 2017.


Doch Herdenschutzmaßnahmen sind teuer. „Sie stehen nicht in Relation zu den Erlösen der Weidetierhalter, explizit der Schaf- und Ziegenhaltung sowie der Hobbyhaltung von seltenen Nutztierrassen“, heißt es in der „Stader Resolution“ der agrarpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktionen in den Bundesländern.


Das hat auch die Europäische Kommission erkannt und am 8.11.2018 entschieden, dass Herdenschutzmaßnahmen zur Vermeidung von Übergriffen durch Wölfe auf Weidetiere zu 100% durch die einzelnen Mitgliedstaaten finanziert werden können, ohne dass dies als unzulässige Beihilfe gilt. Bislang konnten sie nur 80% der Kosten erstatten. Neben direkten Schäden durch einen Riss können Tierhalter auch z.B. Tierarztkosten erstattet bekommen.


2016 gaben die Länder für Präventions- und Ausgleichsmaßnahmen 1,1 Mio. € aus, zeigt die DBBW-Statistik. Das Gros davon zahlten Sachsen (ca. 320000 €), Niedersachsen (ca. 300000 €) und Brandenburg (ca. 200000 €). Neuere Zahlen liegen noch nicht vor.


Schutz kostet Millionen


Aber das ist nur ein Bruchteil der Kosten, die bei der weiteren Ausbreitung des Wolfs anfallen würden. Denn allein in Bayern würde der Herdenschutz 320 Mio. € kosten (siehe Info auf S. 40). Und es gibt weitere Probleme:


  • Nicht jeder Betroffene wird entschädigt, sondern nur Betriebe in den politisch definierten Wolfsgebieten.
  • Die Tierhalter bleiben immer noch auf den Folgekosten sitzen: die untere Stromlitze eines Zauns oder der verbleibende Grünstreifen zwischen Hecken, Wällen und den Zäunen müssten mehrmals im Jahr gemäht werden, damit der Strom ausreichend fließt.
  • Zudem zahlt der Staat nur die Erstausrüstung. Ist der Zaun verschlissen und muss erneuert werden, muss der Tierhalter selbst investieren.
  • Schafhalter werden nicht entschädigt, wenn Tiere nach einer Wolfsattacke verlammen oder gar nicht mehr tragend werden.
  • Ferner gibt es noch ungeklärte rechtliche Fragen beim Einsatz von Herdenschutzhunden bezüglich der Tierschutz-Hundeverordnung.


Immer höhere Zäune


Ein wolfsabwehrender Grundschutz ist schließlich auch keine Garantie gegen Attacken: Die „Goldenstedter Fähe“ in der Nähe von Vechta hat mehrfach Wolfsschutzzäune übersprungen. „Sie hat gelernt, dass die nach Standard errichteten Zäune – 1,50 m hoch und stromführend – ihr nichts anhaben, wenn sie darüber springt. In der Luft wirkt der Strom nämlich nicht, weil sie dort nicht geerdet ist“, erklärte die CDU-Bundestagsabgeordnete Silvia Breher aus Cloppenburg-Vechta in einer Bundestagsdebatte.


Genauso würde die Fähe über 2 m hohe Zäune klettern. Ähnliches berichten Tierhalter vom Rodewalder Rudel oder aus Pinneberg (Schleswig-Holstein), wo Wölfe Elektrozäune mit 8500 V Spannung überwunden haben. Für Aufruhr sorgte auch, dass ein Wolf im Januar 2019 aus dem hessischen Wildpark Knüll ausgebrochen ist. Da sich Wölfe aus Niedersachsen bundesweit ausbreiten wie Gentests beweisen, und sie Erlerntes an die Welpen weitergeben, verbreitet sich ihr „Wissen“ zum Überwinden von Zäunen schnell.


Die Praxiserfahrungen führen zu immer neuen Empfehlungen: Bislang galt ein Knotengeflecht mit 90 cm Höhe als „wolfssicher“. Inzwischen rät das Wolfsbüro im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) den Mindestschutz von mindestens 90 Zentimetern, mit sogenannten „Flatterbändern“ auf 120 oder noch besser auf 140 Zentimeter zu erhöhen. Festzäune gelten in der „Richtlinie Wolf“ ab einer Höhe von 120 Zentimetern und mit einem Untergrabeschutz als wolfsabweisend. Diese sollten zusätzlich gegen Überklettern gesichert werden. „Die Tierhalter können den Schutz nicht ständig weiter aufrüsten“, lehnt Jörn Ehlers, Landvolkvizepräsident und Vorsitzender im Kreis Rotenburg/Verden, diesen Wettlauf gegen die Zeit ab.


„Zaunbau allein reicht nicht!“


„Ein Haufen schlaue Leute verdient inzwischen viel Geld mit Management und Monitoring, Gutachten und Entschädigung, Beratung und Herdenschutz, nur für uns Bauern wird es von Jahr zu Jahr schlimmer“, beklagt der Wolfsbeauftragte des Bauernbundes in Brandenburg, Frank Michelchen nach einem Vorfall in Lenzen (Brandenburg) am Elbdeich: Wölfe hatten zwei Schafe gerissen, obwohl die 300-köpfige Herde durch einen vorschriftsmäßigen, 90 cm hohen Zaun und drei Pyrenäenberghunde geschützt war. „Ein großflächiger Zaunbau gegen den Wolf kann nicht funktionieren, das wäre der absolut falsche Weg“, ergänzt der umweltpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Niedersachsen, Martin Bäumer.


Dazu kommt: Immer mehr Zäune schaden auch anderen Wildtierarten, die ausgesperrt werden. Zudem können die Gatterwildhalter die geforderten Abstände mit stromführenden Drähten nicht einhalten bzw. keinen Untergrabeschutz mit Knotengeflecht verlegen. Dafür müssten Bäume und Büsche gerodet werden, die aber als Auflage von den Umweltämtern gefordert werden.


Die bisherigen Erfahrungen machen deutlich: Die rasante Ausbreitung des Wolfs lassen den Ruf nach einer Aufnahme ins Jagdrecht lauter werden. Die rechtlichen Möglichkeiten dazu und den Stand der Diskussionen beleuchten wir in der kommenden Ausgabe von top agrar.


Auf Seite 40 finden Sie zudem Infos zu den Kosten für den Zaunbau in Bayern sowie eine Grafik zum Wolfsbestand. ▶


hinrich.neumann@topagrar.com

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