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Wie geht es mit den Direktzahlungen weiter?

Lesezeit: 11 Minuten

Der eine will sie langfristig abschaffen, der andere hält sie für unverzichtbar. Bernhard Krüsken und Prof. Dr. Harald Grethe streiten mit Blick auf die Reform der EU-Agrarpolitik über die Zukunft der Direktzahlungen.


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Was halten Sie von den Vorschlägen des Agrarkommissars?


Grethe: Vordergründig sind sie enttäuschend. Es ist aber noch vieles offen. Man kann etwas Gutes daraus machen, man kann sie aber auch zur gewaltigen bürokratischen Nullnummer aufblasen.


Krüsken: Enttäuschend sind die Vorschläge nicht, aber sie müssen deutlich nachgebessert werden.


Welche Erwartungen hatten Sie?


Grethe: Keine großen. Schon im letzten Herbst hat sich Agrarkommissar Hogan nachdrücklich für die Fortsetzung der wenig zielgerichteten Direktzahlungen ausgesprochen. Dazu passte der Finanzvorschlag von Haushaltskommissar Oettinger, der die 2. Säule im Verhältnis zu den Direktzahlungen der 1. Säule weit überproportional kürzen will. Da war klar: Das wird keine ambitionierte Reform.


Hat Sie das überrascht, Herr Krüsken?


Krüsken: Nein. Ich halte die Beibehaltung der Säulenstruktur und mehr Subsidiarität zwar auch für richtig. Mir geht aber gegen den Strich, dass Brüssel den Mitgliedstaaten nicht nur Ausgestaltung und Verwaltung, sondern auch die Konzeption der Agrarpolitik fast allein überlassen will.


Sie finden das gerade gut, Herr Grethe.


Grethe: Ja. Es gibt regional unterschiedliche Probleme und auch unterschiedliche Präferenzen der Bevölkerung, zum Beispiel bezogen auf den Umwelt- und Tierschutz. Deshalb kann man nicht alles auf EU-Ebene regeln.


Krüsken: Subsidiarität und Flexibilität sind v.a. bei Verwaltung und technischer Umsetzung richtig. Aber wir dürfen doch nicht bei der Grundausrichtung der Politik sagen: Macht, was ihr wollt. Nehmen Sie die gekoppelten Direktzahlungen für Zuckerrüben. Die führen zu groben Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten. Deshalb brauchen wir weiterhin starke gemeinsame Leitplanken.


Grethe: Da sind wir uns einig. Gekoppelte Direktzahlungen, die nicht an Gemeinwohlleistungen gebunden sind, sind großer Unfug. Sie sollten abgeschafft werden.


Wie kann man mehr Leine geben, ohne den Wettbewerb zu verzerren?


Grethe: Indem man ambitionierte Ziele formuliert, deren Erreichung strikt kontrolliert, die Nicht-Erreichung sanktioniert und Wettbewerbsverzerrungen nicht genehmigt.


Krüsken: Das bedeutet aber noch mehr Monitoring und Kontrollen. Das wäre das Gegenteil von Vereinfachung. Wir brauchen verbindliche Ziele und Maßnahmenkataloge für die EU-Staaten.


Die mahnen Sie auch an, Herr Grethe.


Grethe: Zielorientierte Agrarpolitik geht nicht ohne Monitoring. Aktuell wissen wir nur, wie viel Hektar Blühstreifen wir haben. Wir wissen aber kaum, wie sich die regionale Biodiversität entwickelt. Das müssen wir langfristig hinbekommen und zwar mit einem vertretbaren Verwaltungsaufwand.


Krüsken: Bisher ist das leider noch nicht einmal in Ansätzen gelungen. Die Maßnahmen der 2. Säule sind schon heute erheblich aufwendiger als die Direktzahlungen mit Greening.


Wie wichtig sind die Direktzahlungen noch für die Einkommen der Landwirte?


Krüsken: Sehr wichtig. Es stimmt auch nicht, Herr Grethe, dass das Geld bedingungslos an die Landwirte ausgezahlt wird. Dafür gibt es Cross Compliance- und Greening-Auflagen. Das System will die Kommission sogar noch erweitern. Die schwankenden Preise und die höheren Auflagen in der EU rechtfertigen weiterhin eine Einkommensabsicherung. Diese GAP-Ziele dürfen nicht unter den Tisch fallen.


Grethe: Landwirte haben kein größeres Unternehmerrisiko als andere Wirtschaftsbereiche. Pauschale Flächenzahlungen lassen sich darüber nicht rechtfertigen, zumal die Einkommen landwirtschaftlicher Haushalte nicht grundsätzlich niedriger sind als im Rest der Volkswirtschaft. Außerdem wird ein Großteil der Direktzahlungen auf die Bodenpreise überwälzt.


Das BMEL-Testbetriebsnetz weist allerdings eine erhebliche Einkommenslücke zulasten der Landwirte aus.


Grethe: Die Zahlen des Testbetriebsnetzes beziehen sich nur auf landwirtschaftliche Einkommen. Viele landwirtschaftliche Haushalte haben auch außerlandwirtschaftliche Einkommen. Solange Sie diese nicht als Ganzes einbeziehen, klassifizieren Sie auch einen Chefarzt mit einem 10 ha Nebenerwerbsbetrieb als arm und subventionieren ihn mit 3000 € Direktzahlungen im Jahr.


Krüsken: Der Chefarztvergleich ist unseriös, Herr Grethe. Das ist kein typischer Nebenerwerb. Das Testbetriebsnetz bildet die Struktur unserer Betriebe ziemlich gut ab. Sie reduzieren die Agrarpolitik zur reinen Einkommenspolitik. Das ist falsch. Die EU-Agrarpolitik ist multifunktional und fördert die ländlichen Räume als Ganzes. Wir haben uns von der Eindimensionalität der GAP schon vor 20 Jahren gelöst. Da erwarte ich von Ihnen als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates mehr Differenzierung.


Grethe: Der Beirat sieht die Multifunktionalität ja gerade als Begründung für die Agrarpolitik. Trotzdem werden noch immer 70% der Mittel für pauschale Stützung verwendet.


Warum werden die Haushaltseinkommen der Landwirte nicht erfasst?


Grethe: Das fordert der EU-Rechnungshof schon lange. Aber diejenigen, die sagen, Landwirte seien grundsätzlich arm, haben daran kein Interesse.


Krüsken: So kommen wir nicht weiter. Wir behaupten doch gar nicht, dass Landwirte per se arm sind.


Grethe: Dann verstehe ich nicht, warum Sie weiterhin pauschal 300 €/ha Direktzahlungen fordern. Lassen Sie uns das Geld für die Gemeinwohlleistungen der Landwirte ausgeben.


Was sind für Sie honorierungsfähige Gemeinwohlleistungen, Herr Grethe?


Grethe: Bei den Umweltleistungen ist das z. B. der Gewässer- und Emissionsschutz sowie die Förderung der Biodiversität. Hier erreichen wir die gesetzlichen Ziele nicht. Auch Tierwohl gehört zu den Gemeinwohlleistungen, die der Markt zu wenig honoriert.


Krüsken: Ihre Aufzählung ist nicht vollständig! Zu den Leistungen der Landwirte gehören auch die Versorgungssicherheit, der Erhalt qualitativ vielfältiger Kulturlandschaften und der Beitrag, den wir zur Ökonomie der Ländlichen Räume leisten. Außerdem gelten für die Bauern in der EU höhere Standards, obwohl wir global offene Märkte haben.


Ein Gutachten für den DBV beziffert die auflagenbezogenen Nachteile für die deutschen Landwirte bei rund 300 €/ha.


Grethe: Die Zahlen sind nicht belastbar, weil die Studie erhebliche methodische Mängel hat. Die Argumentation ist falsch. Wir zahlen auch nicht dafür, dass sich die Leute an die Verkehrsregeln halten. Wir müssen gesellschaftlich aushandeln, welche Verpflichtungen ohne Kompensation vertretbar sind und wo es gute Gründe für einen finanziellen Ausgleich gibt.


Krüsken: Das Beispiel mit den Verkehrsregeln ist unzulässig. Wir haben keinen geschlossenen Markt, bei dem für alle dieselben Regeln gelten. Wir haben auch Akteure auf dem Markt, die sich nicht an die europäischen Produktionsstandards halten müssen. Das ist hochgradig wettbewerbsrelevant.


Grethe: Das gilt zwar nicht für alle Standards. Aber grundsätzlich sind wir hier einer Meinung, Herr Krüsken. Wenn wir nur ordnungsrechtlich alle Ansprüche massiv hochschrauben, drängen wir die Produktion ins Ausland, insbesondere bei der Tierhaltung. Daraus kann man aber keine pauschalen Direktzahlungen ableiten. Die Kostennachteile sind sehr unterschiedlich pro Betrieb und pro Region und auch die Belastbarkeit der Betriebe ist sehr unterschiedlich. Wir müssen die großen Ackerbaubetriebe in der Hildesheimer Börde nicht mit 300 €/ha subventionieren, damit sie Weizen produzieren. Wir müssen die Zahlungen dort einsetzen, wo sie am dringendsten gebraucht werden, etwa für die Verbesserung des Tierwohls. Ich halte es für einen strategischen Fehler, dass der DBV seine Energie in die Verteidigung einer Politik von gestern investiert, statt sichtbar zum notwendigen Umbau der Agrarpoltik beizutragen. Deshalb werden sie im gesellschaftlichen Diskurs von vielen als sehr defensiv und wenig selbstkritisch wahrgenommen.


Krüsken: Sie nehmen uns so wahr. Das ist schon etwas anderes als die gesellschaftliche Wahrnehmung. Wir haben mehrere Ziele in der GAP, die man über verschiedene Instrumente umsetzen muss. Deshalb ist das Säulenmodell weiterhin richtig – Einkommensstützung über die 1. Säule und Gemeinwohlleistungen über die 2. Säule.


Gehört dazu auch die Förderung bestimmter Agrarstrukturen?


Grethe: Kleine landwirtschaftliche Betriebe sind in Bezug auf Tier- und Umweltschutz nicht per se besser als große und umgekehrt. Vielfältige wirtschaftliche Strukturen in den ländlichen Räumen sind aber wünschenswert. Bisher ist uns nur wenig Sinnvolles eingefallen, über welche Kriterien wir solche Strukturen erreichen können. Klar ist nur: Der Begriff Bäuerlichkeit ist nicht hilfreich. Je nach Definition sind alle drin oder alle draußen. Die Größeren können aber genauso viel für die ländlichen Räume tun wie die Kleineren.


Krüsken: Da sind wir ausnahmsweise einer Meinung.


Die Kommission will die Direktzahlungen aber trotzdem bei 100.000 €/Betrieb und Jahr deckeln. Ist das zielführend?


Grethe: Nein. Wir haben diese Diskussion nur deshalb, weil es für die Direktzahlungen keine überzeugenden Begründungen gibt. Wenn wir für mehr Biodiversität, mehr Landschaftsschutz und mehr Tierwohl zahlen würden, bekämen diejenigen, die viel für das Tierwohl und die Umwelt tun, mehr Geld. Das wäre leistungsgerecht.


Findet die Gesellschaft nicht kleinere Betriebe grundsätzlich sexy?


Grethe: Da bin ich mir nicht sicher. Ich denke, dass bei einer überzeugenden Begründung bezüglich der Leistungen die allermeisten bereit wären, auch Großbetriebe zu honorieren.


Krüsken: Wir lehnen Kappung und Degression grundsätzlich ab, weil wir die Mehrfamilienbetriebe im Osten und die kleineren Strukturen im Süden im Blick haben. Deshalb sind wir für die Stärkung der ersten Hektare.


Warum?


Krüsken: Es gibt mit zunehmender Größe Kosteneffekte, die wir mit einer stärkeren Förderung der ersten Hektare abbilden können, ohne das Prinzip der Flächenprämie auszuhebeln. Das ist unser nationaler Konsens und ein Stück gelebte bäuerliche Solidarität.


Hogan will 2% der Direktzahlungen für Junglandwirte reservieren. Ist das richtig?


Grethe: Ich halte es für Quatsch, das EU-weit umzusetzen. Das ist wieder einer der Versuche, Direktzahlungen zu legitimieren. Die Probleme sind regional sehr unterschiedlich. An vielen Standorten in Europa können wir froh sein, wenn nicht jeder landwirtschaftliche Betrieb weitermacht, weil dann die anderen Junglandwirte die Flächen übernehmen können.


Krüsken: Da widerspreche ich. Jeder Junglandwirt ist ein Start-up. In anderen Wirtschaftsbereichen werden auch Existenzgründer und Start-ups gefördert. Wie die Junglandwirte gefördert werden, sollen die Mitgliedstaaten entscheiden. Es ist aber richtig, ein bestimmtes Finanzvolumen für die Junglandwirte zu reservieren.


Was erwarten Sie von Frau Klöckner?


Grethe: Wir raten der Bundesregierung zu einer wirklich zielorientierten EU-Agrarpolitik. Wir müssen dringend raus aus der reinen Einkommensstützung und dafür die gemeinwohlorientierte Förderung verstärken. Der Bund könnte sich dafür einsetzen, im EU-Haushalt statt der 2. die 1. Säule stärker zu kürzen und einen Großteil der Direktzahlungen für die sog. Öko-Regelungen einzusetzen (Anm. d. Red.: s. Seite 16). National sollte Deutschland seinen heute schon vorhandenen Spielraum viel stärker als bisher nutzen, zum Beispiel 15% der Mittel für die Direktzahlungen in die 2. Säule umschichten.


Krüsken: Ich wünsche mir, dass Frau Klöckner für die versprochene Entbürokratisierung und gegen die Renationalisierung der GAP kämpft. Gegen eine verpflichtende Kappung und Degression der Direktzahlungen hat sie sich bereits ausgesprochen. Wichtig ist auch, dass wir Ende dieses Jahres wissen, wie viel Geld wir in der nächsten Finanzperiode zur Verfügung haben.


Wie sieht die EU-Agrarpolitik nach 2020 am Ende aus? Was glauben Sie?


Grethe: Es wird im Großen und Ganzen ein „Weiter so“ mit neuem Baumschmuck geben. Das wäre langfristig fatal für die Landwirtschaft. Deshalb wünsche ich mir, dass wir zu einer engagierten Reform kommen. Dafür ist das Spiel im Grunde noch offen.


Krüsken: Der Tanker EU-Agrarpolitik ändert die Richtung, dreht sich aber nicht um 180 Grad. Das ist auch richtig, denn die Landwirte brauchen langfristige Verlässlichkeit.


Krüsken: Der Tanker EU-Agrarpolitik ändert die Richtung, dreht sich aber nicht um 180 Grad. Das ist auch richtig, denn die Landwirte brauchen langfristige Verlässlichkeit.


Das Interview führten Dr. Ludger Schulze Pals und Stefanie Awater-Esper.

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