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Wie viel Bio der Markt verkraftet

Lesezeit: 9 Minuten

Manche Bio-Märkte sind bereits gesättigt und Brüssel verunsichert die Branche mit Reform-Plänen. Dennoch suchen die Verbände händeringend neue Acker- und Gemüsebauer.


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Leider schon voll – das bekommen derzeit Milchviehhalter von vielen Molkereien zu hören, wenn Sie auf Bio umstellen wollen. Zu viele Milchkühe befinden sich derzeit in der sechs bis 24 Monate dauernden Umstellung oder haben sie gerade hinter sich. Die meisten Molkereien wollen erst mal abwarten, wie der Markt auf so viel Menge reagiert.


Was für die Milch gilt, ist für viele andere Bio-Produkte aber noch lange nicht in Sicht. In den meisten Bereichen kann sich Deutschland nicht zu 100% selbst versorgen (siehe Übersicht).


Nach welchen Betriebstypen die Bio-Verbände aktiv suchen, unterscheidet sich regional:


  • Druschfrüchte: Die drei größten in Deutschland aktiven Bio-Verbände – Bioland, Naturland und Demeter – suchen deutschlandweit Ackerbauer. Sie brauchen Futterlieferanten für die vielen Viehhalter, die in den letzten Jahren umgestellt haben. Sonst müssen sie wieder vermehrt Futter aus dem Ausland importieren. Das wäre den Verbänden ein Dorn im Auge. Aber auch deutsches Qualitätsgetreide für den Konsum ist gefragt. Demeter sucht verstärkt Marktfruchtbetriebe, vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und NRW. Der Verband schreibt eigentlich jedem Betrieb einen Viehbesatz von mindestens 0,2 Großvieheinheiten pro ha vor. Diesen können Pflanzenbauer aber auch über eine Futter-Mist-Kooperation erreichen. Der kooperierende Viehhalter muss zwar Bio-Bauer sein, aber nicht zwingend das Demeter-Label führen.


Gülle gegen Phosphormangel:

Futter-Mist-Kooperationen sind im Ökolandbau ohnehin für alle Marktfruchtbauer ratsam. Sie sind langfristig für die meisten Betriebe das einzige Mittel, um einem Phosphor-Mangel der Böden vorzubeugen. In Norddeutschland helfen sie auch gegen das Problem der schleppenden Stickstoff-Mineralisation im Frühjahr, die durch die niedrigeren Temperaturen und noch ausbleibenden Niederschläge bedingt ist. Wirtschaftsdünger ist da die einzige Möglichkeit, ausreichend pflanzenverfügbaren Stickstoff in den Boden zu bekommen.


  • Leguminosen und Ölsaaten: Naturland sucht deutschlandweit Anbauer von Erbsen, Bohnen und Soja, vor allem als Eiweiß-Futterkomponente. Bioland sucht Erbsen, Bohnen und Lupinen sowie Soja-Anbauer. Zudem würde Bioland gerne über mehr Raps, Hanf und Leindotter verfügen.
  • Obst und Gemüse: Demeter braucht mehr Gemüse-Lieferanten in Hessen und Nordbayern. Bei Bioland braucht es vor allem Äpfel, Zwiebeln und Tomaten in Südwest- und Westdeutschland, teils auch im Norden. Bei Obst hat Bioland generell noch Bedarf nach frischer sowie nach verarbeiteter Ware.
  • Zuckerrüben: Bioland sucht Anbauer für Regionalprogramme in Südbayern.
  • Mastschweine: Von rund 125000 Bio-Schweinen, die in Deutschland jedes Jahr geschlachtet werden, stammen ca. 80000 von Naturland-Betrieben. Da in den letzten Jahren bereits mehrere Schweinehalter neu bei Naturland einstiegen, will man hier etwas auf die Bremse drücken. Wer Schlachtschweine unter EU-Biosiegel vermarktet, profitiert derzeit von der Nachfrage mehrerer Lebensmittel-Discounter. Wie viele Neu-Umsteller dieser Markt verkraftet, dazu gibt es bislang jedoch keine Prognosen. Bioland sucht in Südwest- und Westdeutschland noch neue Mäster und Ferkelerzeuger. Hier bieten große Ketten des Lebensmitteleinzelhandels den Bauern langfristige Lieferverträge mit festen Preisen. Auch Demeter würde gerne mehr Schweinefleisch unter seinem Label vermarkten.
  • Rindfleisch: Generell wird die deutsche Nachfrage nach Bio-Rindfleisch gut durch Altkühe gedeckt. Ein Einstieg in die Bio-Bullenmast dürfte sich nur regional lohnen. Einzig Bioland meldet momentan etwas Rindfleisch-Mangel, weil die Milchviehhalter ihre Kühe derzeit tendenziell länger melken.
  • Geflügel: Naturland sucht Geflügelmäster vor allem in Südwest-Bayern und Südost-Baden-Württemberg. Aber auch in Niedersachsen, NRW und Sachsen-Anhalt gebe es noch freie Verarbeitungskapazitäten. Genug Nachfrage gibt es ohnehin. Auch Bioland sucht noch Mäster, rät Landwirten aber, sich bei einem Bioland-Berater nach freien Verarbeitungskapazitäten in ihrer Region zu erkundigen. Zudem sucht Bioland deutschlandweit Legehennenhalter. In Norddeutschland mangelt es jedoch häufig an Bio-Packstellen.


Alle Verbände empfehlen Umstellungs-Interessierten einstimmig, zunächst das Marktpotenzial ihrer Produkte mit den Verbandsberatern abzusprechen. Denn im Ökolandbau sind Landwirte noch stärker auf regionale Absatzwege angewiesen. Insbesondere in der Veredelung sollten Landwirte vor einer Umstellung abklären, ob die regionalen Abnehmer langfristige Verträge anbieten. Sonst ist die hohe Investition in die Umstellung zu riskant. Grundsätzlich will die gesamte Branche aber mehr deutsche Bio-Produkte anbieten und braucht dafür dringend mehr Bauern. Denn der hohe Import-Anteil wird für den deutschen Ökolandbau zunehmend zum Problem.


Regional schlägt Bio:

Die deutschen Verbraucher legen mittlerweile mehr Wert auf die regionale Herkunft ihrer Lebensmittel als auf das Bio-Siegel. Das hat Prof. Dr. Ulrich Hamm, Fachgebietsleiter für Agrar- und Lebensmittelmarketing an der Universität Kassel, in einer Verbraucher-Studie herausgefunden: „Es gibt verhältnismäßig mehr Verbraucher, die bereit sind, für regionale Produkte deutliche Aufpreise zu bezahlen.“ Bei der Zahlungsbereitschaft seien die Unterschiede zwischen regionalen Produkten und Produkten aus Deutschland zudem sehr viel geringer, als wenn es um den Vergleich deutscher mit ausländischer Ware – selbst aus einem Nachbarland – geht, stellt Hamm fest.


Möglicherweise geht es den Verbrauchern also weniger um die Umweltbelastung durch weite Transporte und dafür mehr um ihr Vertrauen in das zuverlässige, deutsche Kontrollsystem. Für die Bio-Branche wäre das fatal, weil sie immer mehr auf Importe angewiesen ist.


Während der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln zwischen 2012 und 2015 um 24% auf nun 8,62 Milliarden € zulegte, wuchs die deutsche Öko-Anbau-fläche nur um rund 1,5% auf ca. 1,05 Mio. ha. So nehmen die Importe zwangsläufig zu. Das widerspricht nicht nur den Verbraucher-Wünschen, sondern steigert auch das Risiko von Skandalen.


Denn in der Branche ist bekannt, dass die Öko-Kontrollstellen sowie deren Kontrollbehörden in anderen europäischen Ländern nicht immer auf dem gleichen Niveau arbeiten wie die deutschen und teils gar korrupt sind. Probleme gab es in den letzten Jahren vor allem mit Getreide-Importen aus Osteuropa, insbesondere Rumänien, sowie mit Obst und Gemüse aus Italien.


Ein Zustand, der auch in Brüssel bekannt ist. Der Europäische Rechnungshof legte schon 2013 Mängel im Kon-trollsystem offen und mahnte eine Überprüfung an, um „das Vertrauen der Verbraucher nicht zu untergraben“.


Die EU-Kommission reagierte ein Jahr später mit einem scharfen Entwurf für eine Reform der EU-Ökoverordnung. Schnell wurde bei den Bio-Verbänden die Sorge laut, dass die Reform-Pläne der Branche mehr schaden als nützen könnten. Auch dem EU-Agrarministerrat sowie dem EU-Parlament gingen die Kommissions-Pläne zu weit. Deswegen müssen die drei Institutionen im Trilog nun eine gangbare Lösung aushandeln. Folgende Punkte werden heiß diskutiert:


  • Eigene Pflanzenschutz-Grenzwerte: Schluss mit der Idee, nur die Bauern für Verstöße verantwortlich zu machen, sagte die Kommission. Betrug kann schließlich auch in Lebensmittelverarbeitung und -verkauf stattfinden. Die Kommission schlug daher vor, eigene Grenzwerte für Pflanzenschutz-Rückstände in Bio-Lebensmitteln einzuführen. Auf dieser Basis ließen sich auch die Betriebe im nachgelagerten Bereich sanktionieren. Das mögliche – inoffizielle – Kalkül: So könnte man z.B. aus Drittländern importierte Ware hier erneut überprüfen, anstatt nur auf die Bio-Zertifikate aus Übersee zu vertrauen. Bislang gelten für Rückstände die gleichen Werte wie auch für konventionelle Lebensmittel nach dem Motto: Unbedenklich bleibt unbedenklich.


Die Bio-Verbände liefen gegen die Idee Sturm und überzeugten Rat und Parlament von ihrer Sichtweise: Ob ein Produkt „Bio“ ist oder nicht sei davon abhängig, auf welche Art und Weise es hergestellt wurde. Das Produkt selbst zu überprüfen, widerspreche diesem Ansatz. Außerdem wäre die Zusatz-Kon-trolle auf allen Ebenen der Wertschöpfung so teuer, dass Bio-Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig seien. Auch das Parlament steht der Idee der bio-spezifischen Grenzwerte bislang kritisch gegenüber.


Es schlägt aber vor, stattdessen bei Rückstandsfunden oder anderen Auffälligkeiten Bio-Bauern und -Unternehmen Vorsorgemaßnahmen aufzuerlegen. Dann könnten die Bauern z.B. verpflichtet sein, ihre konventionellen Nachbarn zu einer sachgerechten Anwendung von Pflanzenschutzmitteln anzuhalten und zudem Abstände zu den Nachbarn einzuhalten.


Für den Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), zu dem auch die deutschen Bio-Verbände gehören, muss dieser Ansatz nicht automatisch schlecht sein. BÖLW-Geschäftsführer Peter Röhrig meint: „Ob der Ansatz nützlich oder schädlich sein wird, hängt von seiner Ausgestaltung ab“.


  • Selbst-Ermächtigung: Mit der Reform will sich die Kommission auch das Recht einräumen, über bestimmte Dinge künftig einfach selbst zu entscheiden, vorbei am mühseligen europäischen Gesetzgebungsverfahren. Allen voran will sie das gesamte Kontrollwesen weitgehend unter ihre Kontrolle bringen und z.B. die Liste zulässiger Betriebsmittel im Alleingang verändern dürfen. Die Bio-Verbände halten das für undemokratisch.
  • 100% Bio-Futter und -Saatgut: Auch diese Forderungen der Kommission sind schwer umsetzbar. Bis zu 5% des Bio-Futters dürfen bislang konventioneller Herkunft sein. Dabei handelt es sich meistens um Eiweißfutter. Weil der Bio-Branche derzeit vor allem Futterlieferanten fehlen, dürfte es für Viehhalter eher schwieriger als einfacher werden, das Eiweißfutter bald aus heimischem Ökolandbau zu beziehen. Gleiches gilt beim Saatgut: Öko-Saatgut ist für viele Kulturarten einfach nicht verfügbar. Zudem fürchtet die Branche, sich mit einer solchen Vorschrift vom züchterischen Fortschritt abzukoppeln. Immerhin: Parlament und Rat haben sich in diesen Punkten auf die Seite der Verbände gestellt.
  • Neue EU-Ökoagentur: In Brüssel herrscht Einigkeit darin, dass die Einhaltung der Bio-Vorschriften europaweit „harmonisiert“ werden muss und es dafür in Brüssel einen zentralen Ansprechpartner braucht, der dies koordiniert. Das Parlament hatte hierfür die Gründung einer neuen EU-Ökoagentur diskutiert, konnte sich aber nicht einmal selbst darauf einigen. Übrig ist derzeit anstelle der Agentur noch eine „Aufgabenliste“ für die Brüsseler Institutionen, in der unter anderem die „Koordination der Harmonisierung von Bio-Kontrollen“ genannt wird. Beschlossen ist – auch in diesem Punkt – noch nichts.


Hängepartie für Umsteller?

Bis sich Brüssel auf eine Reform einigt, ist es also noch ein weiter Weg. Wer seinen Betrieb auf Bio umstellt, riskiert daher, in einigen Jahren plötzlich neue, unerwartete Vorschriften erfüllen zu müssen. Sollten Landwirte daher warten, bis die Brüsseler Reform in trockenen Tüchern ist?


Bioland-Präsident Jan Plagge, der als Vizepräsident der EU-Gruppe des internationalen Bio-Verbandes IFOAM die Verhandlungen in Brüssel eng begleitet, findet das nicht. Die Mehrheiten in Rat und Parlament hätten sich klar für praxistaugliche Lösungen ausgesprochen. Plagges Fazit: „Die untauglichen Pläne der EU-Kommission werden sich nicht durchsetzen und sollten daher keinen Betrieb von einer gut geplanten Umstellung abhalten“. Claus Mayer

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