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„Wir brauchen eine Nutztierstrategie!“

Lesezeit: 5 Minuten

Politik, Verbraucher, Tierschützer und Bauern müssen gemeinsam eine Nutztierstrategie entwickeln, ist Prof. Dr. Folkhard Isermeyer überzeugt. Sonst bleibt die Tierhaltung in der Dauerkritik.


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Viele Jahre hieß es, die deutsche Nutztierhaltung müsse produktiver und effizienter werden. Jetzt ist sie es und steht dafür am Pranger. War der Weg falsch?


Isermeyer: Nein, denn die deutsche Tierproduktion steht heute wirtschaftlich besser da als die anderer EU-Staaten. Wir haben allerdings den massiven Wertewandel unserer Bevölkerung bezogen auf den Umgang mit Nutztieren falsch eingeschätzt.


Wie reagiert der Berufsstand darauf?


Isermeyer: Es gibt viele Landwirte, die Verbraucher einladen und ihnen die Praxis erklären. Die Erfahrungen damit sind durchaus ermutigend. In den Massenmedien kommt der Berufsstand nach meiner Wahrnehmung weniger gut rüber, weil er die aktuelle Entwicklung der Tierhaltung zu oft als gut und alternativlos darstellt.


Welche Antworten wären denn besser?


Isermeyer: Die Mehrheit der Städter meint: Wenn aufgrund meines Fleischhungers schon Tiere sterben müssen, soll es ihnen wenigstens zuvor gut gegangen sein. Das bewerten sie anhand historischer Bilder: Steht die Kuh auf der Weide? Wühlt das Schwein im Stroh? Diese Sichtweise kann man nicht einfach beiseite wischen und sagen: Ihr habt ja keine Ahnung, lasst das mal uns entscheiden. Nutztierhaltung ist auch eine ethische Frage. Da will und darf jeder mitreden. Deshalb rate ich dem Berufsstand, sich ergebnisoffen aufzustellen und zu sagen: Wir machen, was ihr wollt – vorausgesetzt, die Gesellschaft bezahlt es und gibt uns langfristige Planungssicherheit.


Billiges Fleisch und höchste Tierwohlstandards bleibt aber ein Widerspruch.


Isermeyer: Natürlich, aber so sind wir Menschen eben. Wenn es ans Bezahlen geht, duckt sich jeder gerne weg. Deshalb überlassen wir Steuererklärungen, Energiewende oder Entwicklungshilfe nicht einer freiwilligen Spende der Bürger, sondern regeln dies gemeinschaftlich. Entscheidend ist nicht, wie viel der Einzelne freiwillig bezahlt, sondern welches Belastungsniveau nach Mehrheitsmeinung richtig ist. Wenn wir morgen einen Volksentscheid darüber hätten, ob Fleisch weiterhin mit dem halben Mehrwertsteuersatz belegt werden soll oder ob man das Geld besser nutzen sollte, um gezielt Tierwohl zu unterstützen. Wie ginge der wohl aus? Ich vermute pro Tierwohl.


Nun verschärft die Politik das Ordnungsrecht. Und die Wirtschaft startet die Initiative Tierwohl. Wie bewerten Sie das?


Isermeyer: Unterschiedlich. Die fortlaufende Erhöhung der Auflagen für unsere Landwirtschaft sehe ich kritisch, denn bei offenen Märkten führt das früher oder später zur Abwanderung der Produktion. Die Tierwohl-Initiative ist ein starkes Symbol der gesamten Branche. Leider wird sie sich aber nur begrenzt ausweiten lassen, allein schon wegen des Kartellrechts. Die Förderprogramme der Länder könnten hier ergänzend einspringen, tun es aber nicht. Und dann gibt es noch diverse Label-Aktivitäten des Handels.


Das klingt nach Stückwerk.


Isermeyer: Stückwerk ist eine nette Umschreibung. Für einen Schweinehalter, der langfristig im Markt bleiben möchte, ist die derzeitige Lage total frustrierend. An welcher der vielen Initiativen, von denen jede einzelne nächstes Jahr schon wieder zu Ende sein kann, soll er sich denn bei seinen Investitionen orientieren? Kann er darauf hoffen, dass ihm zusätzlicher Aufwand auch in zehn Jahren noch vergütet wird? Ich sehe nicht, wer ihm darauf zurzeit eine verlässliche Antwort geben kann. Deshalb empfehle ich eine nationale Nutztierstrategie, die bei offenen Märkten funktioniert und verlässlich vorgibt, wie sich die Nutztierhaltung schrittweise den gesellschaftlichen Wünschen annähern wird.


Wie müssen wir uns das in offenen Märkten vorstellen?


Isermeyer: Man braucht Instrumente, die den Landwirten ihre Mehrkosten verlässlich ersetzen. Hier gibt es zwei Optionen: Entweder wird die Dienstleistung Tierwohl aus Steuermitteln bezahlt, oder man bringt den Lebensmittelhandel dazu, unerwünschte Produkte auszulisten. In diesem Fall würden die Verbraucher den Wandel bezahlen. Für beide Wege gibt es Vorschläge.


Wer hätte daran ein Interesse?


Isermeyer: Zugegeben, es mag Gruppen geben, die eine nationale Nutztierstrategie lieber verhindern möchten. Das können Parteien sein, die den Verlust eines Wahlkampfthemas fürchten, oder risikoscheue Unternehmen, die immer noch hoffen, dass sich das Thema irgendwann von selbst erledigt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass sich in der Mitte der Gesellschaft allmählich der Wunsch durchsetzt, den Dauerstreit zu beenden und die bisherige Entwicklung zu ändern.


Wer könnte den Prozess steuern und moderieren?


Isermeyer: Das ist eine schwierige Frage. Klar ist: Die Strategie müsste auf Bundesebene angesiedelt sein, zugleich aber die Länder, die Wirtschaft und auch die wichtigsten Tierschutz- und Umweltverbände einbeziehen. Es ist auch zwingend, dass sie überparteilich angelegt wird. Die Landwirte müssen sich darauf verlassen können, dass nach dem nächsten Regierungswechsel nicht wieder alles umgeworfen wird. Sonst werden sie kaum in kostspielige neue Haltungssysteme investieren. Wer bei so vielen Beteiligten eine klare und kraftvolle Strategie auf die Beine stellen will, braucht großes politisches Geschick.


Sehen Sie bei den Beteiligten und Betroffenen eine Bereitschaft, sich einem solchen Diskussionsprozess zu stellen?


Isermeyer: Nur teilweise. Nach meinem Eindruck richten sich die meisten Akteure eher auf eine Fortsetzung des Dauerkonflikts ein und beschränken sich darauf, Teillösungen für die jeweils drängendsten Fragen zu entwickeln.


Und wenn nichts passiert?


Isermeyer: Fortsetzung der Dauerkritik in den Medien, steigende Anforderungen des Handels, weitere Verschärfung der gesetzlichen Auflagen, wachsender Widerstand vor Ort – und das alles bei Weltmarktpreisen.-sp-

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