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„Wir machen es einfacher!“

Lesezeit: 9 Minuten

Phil Hogan will die Direktzahlungen nach 2020 beibehalten. Die EU-Förderung soll einfacher werden, kleinere Betriebe stärker unterstützen und mehr für den Klima- und Umweltschutz tun, verspricht der Agrarkommissar im top agrar-Interview.


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Ist die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2020 Ihr wichtigstes Projekt als EU-Kommissar?


Hogan: Eindeutig. Wir wollen aus den Erfahrungen der letzten beiden Reformen lernen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen für 2020 ziehen.


Was ist der Wesenskern der europäischen Landwirtschaft?


Hogan: Das sind meines Erachtens die bäuerlichen Familienbetriebe. Sie sind das Rückgrat der europäischen Landwirtschaft und der Nukleus für Wachstum und Beschäftigung im Ländlichen Raum. Deshalb müssen sie im Mittelpunkt der EU-Agrarpolitik stehen.


Braucht die GAP eine neue Architektur?


Hogan: Nein, die Zwei-Säulen-Struktur hat sich bewährt. Wenn wir die GAP alle sieben Jahre komplett umbauen, wird sie bei den Landwirten an Akzeptanz verlieren. Das habe ich bei meinen vielen Besuchen in den Mitgliedstaaten deutlich gespürt. Wir brauchen daher keine Revolution, sondern eine Evolution. Wir behalten die Architektur bei, wollen die Förderung aber einfacher und moderner machen.


Was sind die großen Herausforderungen im Agrarsektor?


Hogan: Inhaltlich muss die Landwirtschaft in Zukunft einen noch größeren Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten. Und wir werden darauf achten, dass die ländlichen Räume nicht von den Metropolregionen abgehängt werden. Sie dürfen nicht mit zweitklassigen Infrastrukturen abgespeist werden, so wie das zum Beispiel beim Breitbandausbau derzeit der Fall ist. Hier sind große ländliche Bereiche noch deutlich unterversorgt. Deshalb ist die Kommission schon aktiv geworden.


Bezüglich der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen wollen wir den Mitgliedstaaten – anders als bisher – nicht mehr im Detail vorschreiben, wie und was sie fördern sollen. Wir setzen auf einen ziel- und ergebnisorientierten Ansatz. Die Verantwortlichen vor Ort bekommen Spielräume, selbst zu entscheiden, wie sie die Ziele erreichen.


Es gibt aber weiter Direktzahlungen?


Hogan: Ja.


80% dieser Direktzahlungen gehen an 20% der landwirtschaftlichen Betriebe. Viele halten das für nicht gerecht. Wird das auch nach 2020 so bleiben?


Hogan: Die Direktzahlungen werden flächenbezogen ausgezahlt. Wenn 80% der Flächen von 20% der Betriebe bewirtschaftet werden, folgt die Verteilung des Geldes den bisherigen politischen Vorgaben. In Zukunft müssen wir kleine und mittlere Betriebe stärker unterstützen.


Wie wollen Sie das erreichen?


Hogan: Indem wir diesen Betrieben einen bestimmten Vorrang einräumen. Das kann über Zuschläge bei den Direktzahlungen für die ersten Hektare erfolgen oder über höhere Zahlungen für kleine Betriebe insgesamt. Diese Instrumente gibt es heute schon. So sind Kleinstbetriebe, die weniger als 1250 € erhalten, von Greening und Cross Compliance befreit. Darüber hinaus sind die Fördermodelle in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich, auch weil die Strukturen sehr unterschiedlich sind. Wir werden uns das genau anschauen und Vorschläge entwickeln, wie wir in Zukunft vorgehen können. Wir wollen, dass die kleinen und mittleren Betriebe einen höheren Anteil an den Zahlungen erhalten. Schon heute sind übrigens 50% der Direktzahlungsempfänger kleine und mittlere bäuerliche Familienbetriebe.


Wie viel Geld steht denn für die Jahre 2021 bis 2027 zur Verfügung?


Hogan: Das kann ich Ihnen nicht voraussagen. Klar ist, wir müssen den Brexit und die neuen Herausforderungen in der Sicherheits-, Migrations- und Verteidigungspolitik schultern. Nicht klar ist, ob die Mitgliedstaaten auch bereit sind, künftig zusätzliches „fresh money“ für den EU-Haushalt bereitzustellen. Mein Kollege Günther Oettinger (Anm. d. Red.: EU-Haushaltskommissar) will im Mai nächsten Jahres einen Entwurf für den Finanzrahmen in den Jahren 2021 bis 2027 vorlegen. Ich bin optimistisch, dass wir auch in Zukunft eine finanziell gut ausgestattete EU-Agrarpolitik haben werden.


Wenn das Geld nicht reicht, könnten Sie auch Direktzahlungen umschichten, indem sie bei größeren Betrieben kappen oder degressiv kürzen. Ist das eine Option?


Hogan: Diese Instrumente könnten die Mitgliedstaaten schon heute nutzen. Ob Kappung und Degression nach 2020 eine größere Rolle spielen werden, hängt davon ab, wie viel Geld künftig für den EU-Haushalt bereitsteht und wie viel im Agrarhaushalt ankommt.


Vor allem die mittel- und osteuropäischen Länder bekommen deutlich weniger Direktzahlungen pro Hektar als der EU-Durchschnitt. Streben Sie eine einheitliche “Flatrate“ für die gesamte EU an?


Hogan: Nein. Aber der politische Druck, zu einer stärkeren Angleichung der Direktzahlungen zu kommen, wird wieder zunehmen. Deshalb möchte ich das Problem progressiv angehen und eine Lösung finden, mit der alle leben können.


Einige Mitgliedstaaten zahlen gekoppelte Direktzahlungen, zum Beispiel für die Mutterkuhhaltung oder Zuckerrüben. Das kann zu Wettbewerbsverzerrungen führen, sagen Kritiker. Soll es solche Zahlungen auch nach 2020 noch geben?


Hogan: Es gibt Märkte, die von Zeit zu Zeit unter Druck kommen bzw. die den besonderen Schutz der Politik benötigen. Das haben die Krisen am Milch- und Schweinemarkt nachdrücklich gezeigt. Für solche Fälle benötigen wir auch in Zukunft Optionen.


Da sind wir beim Thema Risikomanagement. Klimawandel, volatile Märkte und veränderte Verbrauchererwartungen machen den Landwirten zu schaffen. Wie kann die EU-Agrarpolitik helfen?


Hogan: Da sind wir schon in der laufenden Förderperiode aktiv geworden. Wir haben die Grenzen gesenkt, wann die Kommission mit Stützungsmaßnahmen in die Märkte eingreifen darf. Wenn 20% der EU-Landwirte Einkommensverluste von mehr als 30% im Vergleich zum dreijährigen Durchschnitt haben, werden wir tätig. Darüber hinaus bietet die Omnibus-Verordnung, die wir gerade finalisieren, zusätzliche Hilfen für Versicherungslösungen. Das alles wollen wir nach 2020 weiter optimieren. Ziel ist es, tragfähige Versicherungssysteme zu fördern und wo dies nicht möglich ist, die Einkommen der Landwirte zu stabilisieren, wenn es notwendig ist.


Das heißt, wir brauchen keine neuen Risikomanagement-Instrumente?


Hogan: Wichtig ist vor allem ein abgestimmtes und schnell handlungsfähiges Risikomanagement zwischen der EU und den Mitgliedstaaten. Das haben die Wetterkapriolen mit Spätfrösten, Extremniederschlägen und Stürmen in diesem Jahr deutlich gezeigt. Wir sind für alle guten Vorschläge offen.


Mitgliedstaaten und Landwirte ächzen unter der Bürokratie der GAP. Die Kritik haben Sie aufgegriffen und wollen in Zukunft nicht mehr alles im Detail von Brüssel aus vorschreiben. Wie müssen wir uns das vorstellen?


Hogan: Wir haben gelernt, dass die „Eine Lösung für alle“-Strategie nicht angemessen ist. Wir müssen stärker auf lokale, regionale und nationale Besonderheiten Rücksicht nehmen und den Mitgliedstaaten mehr Spielräume eröffnen. Die EU wird aber weiterhin für den Haushalt und die mittelfristige Finanzplanung zuständig sein und darauf achten, dass die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen ergreifen, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen.


Was heißt das für die Umsetzung der GAP?


Hogan: Die Mitgliedstaaten legen der Kommission einen Strategieplan für die 1. und 2. Säule vor. Wir prüfen, ob dieser den gemeinsamen Zielen für die GAP entspricht und genehmigen ihn. Bei der Umsetzung der Ziele bekommen die Mitgliedstaaten dann mehr Freiheiten als heute – vor allem bei den Verwaltungs- und Kontrollvorgaben.


Können die Mitgliedstaaten aus den Maßnahmen der 1. und 2. Säule frei wählen?


Hogan: Es wird eine Mischung aus verpflichtenden und freiwilligen Maßnahmen geben. Vor allem in der 2. Säule ist vieles freiwillig. Aber auch in der 1. Säule bekommen die Mitgliedstaaten mehr Flexibilität, wenn sie dies wünschen. Wir werden hier v.a. darauf achten, dass unsere prioritären Umwelt- und Klimaziele erfüllt werden.


Was heißt das: Können die Landwirte in Zukunft mit solchen Maßnahmen auch Geld verdienen oder ist weiterhin nur ein Kostenausgleich möglich?


Hogan: Das diskutieren wir noch.


Ist Ihr neuer Förderansatz nicht eine Renationalisierung der EU-Agrarpolitik?


Hogan: Nein. Wir haben ja weiter gemeinsame Ziele. Wir nehmen nur mehr Rücksicht auf die Vielfalt in den Mitgliedstaaten. Und wir schrauben die überbordenden Kontrollen zurück. Wir achten weniger auf die Einhaltung von Vorschriften, überwachen dafür aber mehr die Fortschritte.


Wie streng werden Sie bei der Genehmigung der Strategiepläne sein?


Hogan: Da müssen wir streng sein, um sicherzustellen, dass die Gemeinsame Agrarpolitik erhalten bleibt. Wir werden darauf achten, dass wir die gesteckten Ziele auch wirklich erreichen. In der 2. Säule ist dieser Mechanismus bereits verwirklicht. Diesen werden wir nun auch auf die 1. Säule ausweiten.


Bürokratieabbau haben schon Ihre Vorgänger versprochen. Warum sollen die Bauern Ihren Ankündigungen glauben?


Hogan: Die Anhörungen zur GAP 2020 und die über 300000 Stellungnahmen im Rahmen des Konsultationsverfahrens haben mir eines gezeigt: Die GAP ist viel zu kompliziert. So können wir nicht weitermachen, sonst gefährden wir die Akzeptanz dieser Politik. Deshalb kämpfe ich für die Vereinfachung der Förderung.


Sachsens Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt hat einen „Reset“, einen Neustart für die 2. Säule der GAP gefordert. Ist Ihr Vorschlag ein Neuanfang?


Hogan: Thomas Schmidt hat sehr hilfreiche Vorschläge gemacht, die wir ernsthaft prüfen. Wir wollen das Antragsverfahren und die Umsetzung der Förderung vereinfachen – innerhalb der GAP und auch im Zusammenspiel mit anderen Förderbereichen.


Kommen dann auch die vielen Durchführungsvorschriften, Leitlinien und Auslegungshinweise auf den Prüfstand?


Hogan: Ja. Wir geben den Mitgliedstaaten mehr Verantwortung und erwarten im Gegenzug bei der Umsetzung eine entsprechende Fokussierung auf die vereinbarten Ziele. Ich hoffe, dass wird die Verwaltung der GAP entschlacken.


Kritiker sagen, die GAP sei mit zu vielen Zielen überfrachtet (z.B. Einkommenssicherung, Klima-, Umwelt- und Tierschutz, Arbeitsplätze im Ländlichen Raum) und deshalb so komplex. Stimmt das?


Hogan: Nein. Es gibt nicht zu viele Ziele. Es gibt zu viele Regeln.


Die Brexit-Verhandlungen laufen zäh. Zudem wird 2019 ein neues EU-Parlament gewählt und die Amtszeit der Kommission endet dann auch. Gefährdet das den Fahrplan für die GAP nach 2020?


Hogan: Im Mai 2018 will Günther Oettinger Vorschläge für den EU-Haushalt nach 2020 vorlegen. Wir bereiten uns darauf vor, im kommenden Juni einen konkreten Gesetzesvorschlag für die künftige GAP zu präsentieren. EU-Parlament und Ministerrat müssen dann sicherstellen, dass es rechtzeitig vor den Wahlen zum EU-Parlament zu einer Verabschiedung von Haushalt und GAP-Reform kommt. Dann können wir die notwendigen Vorbereitungen für einen planmäßigen Beginn der nächsten Förderperiode im 2021 treffen. 


Haben Sie einen Plan B?


Hogan: Wir brauchen keinen Plan B. Wir werden Plan A umsetzen.


Die Vereinfachung der GAP ist ein großes und langfristiges Ziel. Reizt Sie eine zweite Amtszeit als Agrarkommissar?


Hogan: Es ist eine Ehre, als Agrarkommissar im Juncker-Team Verantwortung zu tragen. Was die Zukunft bringt, hat auch der irische Premierminister zu entscheiden. Warten wir es ab.


Herzlichen Dank für das Gespräch!

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