Die Bauernproteste rund um den Jahreswechsel 2023/24 wirken in den Diskussionen über die Zukunft der Agrarwirtschaft nach. Beim diesjährigen Symposium der Edmund Rehwinkel-Stiftung am Dienstag (3.6.) stellten Prof. Rainer Langosch von der Hochschule Neubrandenburg und Prof. Matthias Kussin von der Hochschule Osnabrück ihre medientheoretische Analyse des öffentlichen Diskurses zur Agrarpolitik im Dezember 2023 bis Januar 2024 vor. Im Zentrum standen dabei natürlich die Bauernproteste, die sich nach Langoschs Worten wie ein Diesel-Selbstzünder entwickelten:
Der Diesel braucht keine Zündkerze. Wenn der Druck hoch genug ist, dann entfaltet der Kraft. Und das haben wir im Prinzip auch gesehen, Mitte Dezember 2023.
Öffentliche Wahrnehmung zunächst positiv
In ihrer Arbeit erläutern die Wissenschaftler, dass die ökonomischen Anliegen der Landwirtschaft im Zuge der Proteste zunächst überwiegend als legitim und verständlich in den Medien dargestellt wurden. Eine klare Gegenposition, etwa durch Umweltorganisationen oder die damalige Bundesregierung, sei kaum sichtbar geworden, was eine Polarisierung verhindert habe. Im Laufe der Zeit sei die politische Dimension jedoch durch einzelne teils konfrontative Protestformen jenseits der Verbandsaktivitäten in den Vordergrund gerückt. Die Verbände habe dies vor kommunikative Herausforderungen gestellt.
Nach Einschätzung des Generalsekretärs des Deutschen Bauernverbands (DBV), Bernhard Krüsken, der im Publikum an der Veranstaltung teilnahm, ist der mediale Umgang mit den Vorfällen in Biberach und Schlüttsiel als „inszenierte Gegenreaktion“ aufzufassen. Die Übergewichtung der Vorfälle sei von einigen Beteiligten billigend in Kauf genommen worden. Dass es sich in beiden Orten um inakzeptable Protestformen gehandelt habe, stehe dabei außer Frage.
In Schlüttsiel hatten Protestierende die Ankunft des damaligen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck mit einer Fähre am Hafen verhindert. In Biberach sahen sich die Grünen veranlasst, ihre traditionelle Veranstaltung zum Aschermittwoch aufgrund einer „aggressiven Stimmung“ bei Demonstrationen im Umfeld des Tagungsortes abzusagen.
Strategisches Framing
Kussin bestätigte Krüskens Einschätzung. Gerade nach den Vorfällen in Schlüttsiel sei auch von der damaligen Bundesregierung bewusst strategisches Framing betrieben worden. Die Vorfälle seien, so die Hypothese des Wissenschaftlers, aktiv als Projektionsfläche genutzt worden, da es etwa der Bundesregierung nicht gelungen sei, den Landwirten im Diskurs über ihre ökonomischen Interessen die Stirn zu bieten. Auch mit ökologischen Argumenten sei das Gegenhalten nicht erfolgreich gewesen. Kussin zufolge kann man zugespitzt sagen, dass Schlüttsiel kommunikationsstrategisch den Gegnern der Proteste genutzt habe, da es ihnen ermöglichte, den Diskurs auf ein anderes Spielfeld zu verschieben.
In ihrer Forschungsarbeit bezeichnen die Autoren die Zeit nach dem Vorfall in Schlüttsiel am 4. Januar 2024 als Phase der doppelten Konfrontation. Zwar sei die absolute Zahl legitimierender Aussagen zu den Bauernprotesten in den Medien gestiegen, ihr Anteil an der Gesamtzahl der Aussagen lag den Wissenschaftlern zufolge mit 10% jedoch deutlich unter dem Niveau früherer Phasen. Verbreiteter als zuvor waren hingegen Aussagen, die die Geschehnisse aus politischer Perspektive beziehungsweise aus rechtlicher Perspektive delegitimierten. Ihr Anteil betrug der Studie zufolge in der Phase der doppelten Konfrontation 35% beziehungsweise 33%.