Comeback der Stechuhr

Bundesarbeitsgericht: Arbeitszeiterfassung ist Pflicht

Paukenschlag aus Erfurt: Arbeitgeber müssen die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch erfassen. Wie das nun konkret umgesetzt werden soll, weiß niemand: Der Gesetzgeber schläft seit Jahren.

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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hat am Dienstag geurteilt, dass in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht. Damit bestätigt es das sogenannte Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Mai 2019. Demnach muss jedes EU-Land die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzurichten, mit dem die täglich geleistete Arbeitszeit der Beschäftigten gemessen werden kann.

Begründung: Nur so könnten die Rechte aus der EU-Arbeitszeitrichtlinie umgesetzt werden, also die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten.

Schon im Arbeitsschutzgesetz ist zu lesen, dass der Arbeitgeber verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann, so das BAG weiter. Demnach gibt es die Pflicht eigentlich schon bei uns. Der Gesetzgeber habe bisher nur nicht reagiert.

Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) wartet nun auf Begründung und will diese eingehend prüfen, berichtet das Handelsblatt und erinnert daran, dass schon im Koalitionsvertrag der Wunsch nach flexiblen Arbeitszeitmodellen (z.B. Vertrauensarbeitszeit) geäußert wurde.

Folgenreiche Entscheidung

Fachleute rechnen damit, dass das BAG-Grundsatzurteil (1ABR 22/21) weitreichende Auswirkungen auf die bisher in Wirtschaft und Verwaltung tausendfach praktizierten Vertrauensarbeitszeitmodelle bis hin zu mobiler Arbeit und Homeoffice haben kann, weil damit mehr Kontrolle nötig ist, so das Handelsblatt weiter.

Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz müssen bisher nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit.

Wie soll die Zeiterfassungspflicht konkret umgesetzt werden?

Der Bonner Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing nannte die Entscheidung der Bundesarbeitsrichter einen Paukenschlag. „Klar ist: Jeder Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, seine Arbeitszeiten aufzuzeichnen – bereits jetzt, ohne neue Gesetze“, sagte Thüsing dem Handelsblatt. Ob und inwieweit es eine Pflicht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gebe, tatsächlich aufzuzeichnen, sei eine andere Frage. Das würden erst die Entscheidungsgründe des Gerichts aufzeigen.

Arbeitsrechtsexperte Philipp Byers von der Kanzlei Watson Farley & Williams erklärte, für Unternehmen, Betriebsräte und auch die Mitarbeiter entstehe nun „eine mehr als unbefriedigende Situation“. Durch die Untätigkeit des deutschen Gesetzgebers nach dem EuGH-Urteil gebe es keine klaren gesetzlichen Regelungen.

Keiner wisse, wie diese Zeiterfassungspflicht nun konkret umgesetzt werden solle. „Das Ende der Vertrauensarbeitszeit als Arbeitszeitmodell ist aber aus meiner Sicht nicht gekommen“, sagte Byers. Der Arbeitgeber würden wohl kaum einer minutiösen Kontrollpflicht unterliegen.