Ungeachtet der aktuellen Krisen und ihrer vielfältigen Auswirkungen auf die Bauern und deren Betriebe führt laut dem Generaldirektor für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung der Europäischen Kommission, Wolfgang Burtscher, an der Transformation der Agrarwirtschaft kein Weg vorbei.
Bei der gemeinsamen Jahrestagung des Verbandes der Fleischwirtschaft (VDF) und des Bundesverbandes Deutscher Wurst- & Schinkenproduzenten (BVWS) stellte Burtscher am vergangenen Freitag in Berlin klar, dass der Klimawandel die größte Gefahr für die Landwirtschaft bleibe. Daher sei die nachhaltige Neuausrichtung des Sektors auch in der aktuellen Lage die richtige Strategie.
Auf kurzfristige Entwicklungen reagieren
Allerdings sieht der Generaldirektor selbst die Notwendigkeit, politisch auf kurzfristige Ereignisse zu reagieren, seien es der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, Gas- und Düngerknappheit oder die explodierenden Betriebskosten der Landwirte. Deshalb habe die EU-Kommission die Fruchtwechselregelung gelockert und die Stilllegungsverpflichtung verschoben, nicht zuletzt um Ernährungssicherheit zu gewährleisten, so Burtscher.
Ernährungssicherheit – nicht zu verwechseln mit Lebensmittelautonomie – bleibt ihm zufolge auch mit Green Deal und Farm to Fork weiterhin eine der wichtigsten Aufgaben der Landwirtschaft. Diese müsse „aber in Summe nachhaltiger“ werden, mit einem Mehr an Klima-, Umwelt- und Artenschutz. Gemeint seien eine ressourcensparende Agrarwirtschaft, „weniger rotes Fleisch“ und eine mehr pflanzenbasierte Ernährung.
Verkürzte Debatten vermeiden
Das werde Auswirkungen auf die Fleischerzeugung haben, räumte Burtscher ein. Dennoch rede niemand davon, aus der Tierproduktion auszusteigen. Zugleich muss nach seinen Worten eine verkürzte Debatte über den Nutzen und die Folgen von Tierhaltung vermieden werden. Die sei eben nicht nur Emittent von Treibhausgasen, sondern beispielsweise auch Lieferant von Wirtschaftsdünger.
Die Nachhaltigkeitsziele vor Augen hat Brüssel nach Burtschers Worten gleichwohl neben den laufenden Maßnahmenpaketen und ihrer Förderpolitik noch einiges mehr an gesetzgeberischen Maßnahmen „in der Pipeline“. Zweck sei stets mehr Nachhaltigkeit im Stall und auf dem Acker. Dies gelte ebenfalls für die Pestizidreduktionsverordnung, die „zugegebenermaßen auf große Kritik stößt“.
Brüssel will „nachhaltiges Lebensmittelsystem“
Besonders relevant für die Tierhaltung wird laut dem Generaldirektor der für Ende nächsten Jahres angekündigte Kommissionsvorschlag für ein „nachhaltiges Lebensmittelsystem“. Er rechnet jedoch selbst mit einigen Schwierigkeiten bei der Ausgestaltung der Parameter innerhalb der Lebensmittelkette. Burtscher verweist in diesem Zusammenhang aber auch die freie Wirtschaft, in der viele Unternehmen „in Abwesenheit gemeinsamer Regeln“ längst selbst Nachhaltigkeitsvorgaben für ihre Lieferanten definiert hätten.
Weitere solcher Regeln dürften nach Darstellung von Burtscher in den nächsten Jahren auch für Tiertransporte, Schlachtung sowie Haltungs- und Herkunftskennzeichnung zu erwarten sein. Er warnte die Mitgliedsstaaten in diesem Zusammenhang vor „Gastronationalismus“, bei dem nationale Labels als Wettbewerbsinstrument eingesetzt werden könnten.
Studien zu Auswirkungen des Green Deal mit Denkfehler?
Die Ergebnisse von Folgenabschätzungen, wonach die Auflagen im Zuge der Nachhaltigkeitsstrategien zu einem deutlichen Produktivitätsrückgang der europäischen Landwirtschaft von womöglich 30 % führen könnten, will der Generaldirektor in dieser Konsequenz nicht bestätigen.
Er wirft den Autoren derartiger Studien vor, verschiedene Parameter in ihren Überlegungen zu vernachlässigen, so mögliche Änderungen des Verbraucherverhaltens beim Fleischverzehr, die Verringerung der Lebensmittelverschwendung oder den Beitrag neuer Züchtungstechnologien. Sollten diese Entwicklungen in den richtigen Bahnen verlaufen, dann sei nicht mit den von den Studien prognostizieren Einbrüchen auszugehen, so Burtscher.
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Ungeachtet der aktuellen Krisen und ihrer vielfältigen Auswirkungen auf die Bauern und deren Betriebe führt laut dem Generaldirektor für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung der Europäischen Kommission, Wolfgang Burtscher, an der Transformation der Agrarwirtschaft kein Weg vorbei.
Bei der gemeinsamen Jahrestagung des Verbandes der Fleischwirtschaft (VDF) und des Bundesverbandes Deutscher Wurst- & Schinkenproduzenten (BVWS) stellte Burtscher am vergangenen Freitag in Berlin klar, dass der Klimawandel die größte Gefahr für die Landwirtschaft bleibe. Daher sei die nachhaltige Neuausrichtung des Sektors auch in der aktuellen Lage die richtige Strategie.
Auf kurzfristige Entwicklungen reagieren
Allerdings sieht der Generaldirektor selbst die Notwendigkeit, politisch auf kurzfristige Ereignisse zu reagieren, seien es der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, Gas- und Düngerknappheit oder die explodierenden Betriebskosten der Landwirte. Deshalb habe die EU-Kommission die Fruchtwechselregelung gelockert und die Stilllegungsverpflichtung verschoben, nicht zuletzt um Ernährungssicherheit zu gewährleisten, so Burtscher.
Ernährungssicherheit – nicht zu verwechseln mit Lebensmittelautonomie – bleibt ihm zufolge auch mit Green Deal und Farm to Fork weiterhin eine der wichtigsten Aufgaben der Landwirtschaft. Diese müsse „aber in Summe nachhaltiger“ werden, mit einem Mehr an Klima-, Umwelt- und Artenschutz. Gemeint seien eine ressourcensparende Agrarwirtschaft, „weniger rotes Fleisch“ und eine mehr pflanzenbasierte Ernährung.
Verkürzte Debatten vermeiden
Das werde Auswirkungen auf die Fleischerzeugung haben, räumte Burtscher ein. Dennoch rede niemand davon, aus der Tierproduktion auszusteigen. Zugleich muss nach seinen Worten eine verkürzte Debatte über den Nutzen und die Folgen von Tierhaltung vermieden werden. Die sei eben nicht nur Emittent von Treibhausgasen, sondern beispielsweise auch Lieferant von Wirtschaftsdünger.
Die Nachhaltigkeitsziele vor Augen hat Brüssel nach Burtschers Worten gleichwohl neben den laufenden Maßnahmenpaketen und ihrer Förderpolitik noch einiges mehr an gesetzgeberischen Maßnahmen „in der Pipeline“. Zweck sei stets mehr Nachhaltigkeit im Stall und auf dem Acker. Dies gelte ebenfalls für die Pestizidreduktionsverordnung, die „zugegebenermaßen auf große Kritik stößt“.
Brüssel will „nachhaltiges Lebensmittelsystem“
Besonders relevant für die Tierhaltung wird laut dem Generaldirektor der für Ende nächsten Jahres angekündigte Kommissionsvorschlag für ein „nachhaltiges Lebensmittelsystem“. Er rechnet jedoch selbst mit einigen Schwierigkeiten bei der Ausgestaltung der Parameter innerhalb der Lebensmittelkette. Burtscher verweist in diesem Zusammenhang aber auch die freie Wirtschaft, in der viele Unternehmen „in Abwesenheit gemeinsamer Regeln“ längst selbst Nachhaltigkeitsvorgaben für ihre Lieferanten definiert hätten.
Weitere solcher Regeln dürften nach Darstellung von Burtscher in den nächsten Jahren auch für Tiertransporte, Schlachtung sowie Haltungs- und Herkunftskennzeichnung zu erwarten sein. Er warnte die Mitgliedsstaaten in diesem Zusammenhang vor „Gastronationalismus“, bei dem nationale Labels als Wettbewerbsinstrument eingesetzt werden könnten.
Studien zu Auswirkungen des Green Deal mit Denkfehler?
Die Ergebnisse von Folgenabschätzungen, wonach die Auflagen im Zuge der Nachhaltigkeitsstrategien zu einem deutlichen Produktivitätsrückgang der europäischen Landwirtschaft von womöglich 30 % führen könnten, will der Generaldirektor in dieser Konsequenz nicht bestätigen.
Er wirft den Autoren derartiger Studien vor, verschiedene Parameter in ihren Überlegungen zu vernachlässigen, so mögliche Änderungen des Verbraucherverhaltens beim Fleischverzehr, die Verringerung der Lebensmittelverschwendung oder den Beitrag neuer Züchtungstechnologien. Sollten diese Entwicklungen in den richtigen Bahnen verlaufen, dann sei nicht mit den von den Studien prognostizieren Einbrüchen auszugehen, so Burtscher.