Der Poker um die Konditionen einer möglichen schwarz-roten Regierungskoalition ist beendet und damit ist auch die Arbeit der Politiker in der Fachgruppe Agrar/Umwelt getan. Im Exklusiv-Interview mit top agrar zieht der Chef-Verhandler der CDU/CSU, Steffen Bilger, Bilanz und erläutert, wo in den Sondierungsgesprächen für Union die rote Linien verliefen.
„Günther Felßner wäre er ein sehr guter Landwirtschaftsminister geworden“
top agrar: Herr Bilger, die Sondierungen und die nachfolgenden Verhandlungen gingen vergleichsweise rasch und glatt über die Bühne oder täuscht der Eindruck?
Steffen Bilger: Es waren sehr harte Verhandlungen mit den Sozialdemokraten. Mit Landwirtschaft und Umwelt hatten wir in unserer Arbeitsgruppe ein großes und kontroverses Themenfeld zu bearbeiten.
Aber am Ende zählt das Ergebnis und da bin ich zufrieden und auch dankbar, dass wir das mit der SPD so gut hinbekommen haben.
Steffen Bilger seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er war von 2018 bis 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und ist seit 2021 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. In dieser Funktion setzt er sich intensiv mit Agrarpolitik auseinander und kritisiert die Landwirtschaftspolitik der Ampelkoalition, insbesondere hinsichtlich Bürokratiebelastungen und finanzieller Einschränkungen für Landwirte. Bilger fordert seit langem eine Politik, die Ernährungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und ländliche Entwicklung gleichermaßen unterstützt.
Günther Felßner hat in seiner damaligen Rolle als Minister-Kandidat der CSU ebenfalls in der Gruppe mitgearbeitet, musste dann aber zurückstecken. Hätten Sie ihn gern als Agrarminister gesehen?
Bilger: Günther Felßner hat sich mit viel Praxisverstand eingebracht und er hat den Verhandlungen damit gutgetan. So, wie ich ihn kennengelernt habe, wäre er ein sehr guter Landwirtschaftsminister geworden, gerade was seine ruhige, ausgleichende Art angeht.
Ich respektiere seine Entscheidung, sich als Kandidat zurückzuziehen nach dem, was auf seinem Hof und mit seiner Familie passiert ist. Der Vorfall und die Kampagne gegen ihn haben ihn persönlich sehr belastet, was ich absolut nachvollziehen kann.
Genauso wichtig wie das, was in einem Vertrag steht, ist manchmal das, was nicht darin auftaucht. Was konnte im Sinne der Landwirtschaft abgewendet werden?
Bilger: Neue Auflagen für den Tierschutz im Nutztierbereich, pauschale Reduktionsziele beim Pflanzenschutz oder Abgaben auf deren Einsatz finden Sie im Vertrag jedenfalls nicht, genauso wenig wie ein neues Bundeswaldgesetz, um nur ein paar Punkte zu nennen.
Im Koalitionsvertrag setzen wir ganz andere Schwerpunkte als die Vorgängerregierung.
Im Koalitionsvertrag setzen wir ganz andere Schwerpunkte als die Vorgängerregierung. Etwa, indem wir Ernährungssicherung und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirte in den Fokus nehmen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch den Text.
Und in den einzelnen Punkten im Landwirtschaftsteil wird ganz klar, das auch im Agrarsektor unter Schwarz-Rot ein Politikwechsel stattfindet.
Mit der Wiedereinführung der Agrardieselrückerstattung setzt die Union ein Wahlversprechen um. Wie groß war der Widerstand von Seiten der SPD, die den Agrardiesel ja gerade erst abgeschafft hatte?
Bilger: Die Union hatte bereits vor der Wahl klargemacht, dass die Agrardieselrückerstattung ein Muss ist. Diskutiert wurde während der Koalitionsverhandlungen natürlich trotzdem darüber, aber für uns galt die Zusage aus der Sondierung und dann wurde auch nicht mehr dran gerüttelt.
Wie wird der Agrardiesel gegenfinanziert?
Bilger: Wir haben die Kosten im Papier unserer Arbeitsgruppe ganz transparent aufgeführt, die sind ja auch kein Geheimnis. Nun ist es Sache des künftigen Bundesfinanzministers, das umzusetzen. Nur zur Klarheit: Es gibt hier auch keinen Finanzierungsvorbehalt. Die Rückerstattung kommt auf jeden Fall zurück.
Die Befreiung alternativer Kraftstoffe von der Energiesteuer ist ebenfalls geplant und würde aktuell 33 Cent/l ausmachen. Reicht das, um den Agrarsektor von fossilem Diesel auf regenerativ zu switchen?
Bilger: Mir sagen viele Landwirte, dass sie sofort bereit wären, in Alternativen zum fossilen Diesel einzusteigen. Die müssen dann aber auch realistisch sein - der Verweis auf Elektrotraktoren hilft da nicht weiter. Alternative Kraftstoffe sind im Moment der bessere Weg, deshalb macht es Sinn, sie zu unterstützen.
Die CDU/CSU konnte noch etwas für die Land- und Gartenbauer herausholen: Sie sollen ab 2027 von der CO2-Bepreisung des Emissionshandelssystems ausgenommen werden. Wie darf man sich das vorstellen? Gibt es dann auf dem Agrardiesel-Antrag eine weitere Rubrik?
Bilger: Da stellen sich bei der technischen Umsetzung sicherlich noch ein paar Fragen. Aber die Botschaft ist klar: Es gibt hier keine weitere Belastung durch höhere CO2-Preise, sondern sogar eine deutliche Entlastung im Vergleich zum Status quo. Wenn die jetzt für alle – auch die Landwirtschaft – greifende nationale CO2-Bepreisung auf sämtliche Kraft- und Brennstoffe ab 2027 europäisch erfolgt, wird der Sektor Landwirtschaft ausgenommen.
Die EU ermöglicht ja den Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob es die Landwirtschaft an der CO2-Bepreisung beteiligt oder nicht. Auch zum Beispiel für den Unterglas-Gartenbau ist das eine sehr gute Botschaft, denn ein aufwachsender CO2-Preis ist für viele Betriebe ein ganz erheblicher Kostentreiber Das stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe weiter.
Eine langjährige Forderung des landwirtschaftlichen Berufsstands soll nun endlich kommen: Die Risikoausgleichsrücklage. Wie schnell können die Betriebe damit rechnen und wie könnte sie ausgestaltet werden?
Bilger: Da muss ich Sie und die Landwirte noch um etwas Geduld bitten. Die Risikoausgleichsrücklage ist einer der Punkte, die im Koalitionsvertrag im Gegensatz zum Agrardiesel einem Finanzierungsvorbehalt unterliegen. Deshalb müssen wir hier die Regierungsbildung und die Vorbereitung des Bundeshaushalts abwarten, bevor wir konkreter werden können.
15 € Mindestlohn: "Das ist der Punkt, der mich wirklich schmerzt"
Bauern- und Raiffeisenverband tragen sich schwer mit der Aussicht auf 15 € Mindestlohn. Gibt es noch eine Chance auf eine Ausnahmeregelung?
Bilger: Das ist der Punkt, der mich wirklich schmerzt, denn ich weiß um die Situation der Betriebe insbesondere im Obst- und Gartenbau. Sie und auch die Weinbauern würden vor existenzielle Probleme gestellt, sollte der Mindestlohn auf fünfzehn Euro steigen. Wir haben um eine Ausnahmeregelung für die Landwirtschaft oder wenigstens für Saisonarbeitskräfte allgemein gekämpft. In unserer Arbeitsgruppe kamen wir aber zu keinem Ergebnis und in der großen Runde beharrte die SPD auf der Formulierung aus dem Sondierungspapier.
Allerdings muss ich auch betonen, dass es im Koalitionspapier keine politische Festlegung auf einen Mindestlohn von fünfzehn Euro gibt. Es ist weiter Aufgabe der Mindestlohnkommission, die ökonomisch tragfähige Höhe des Mindestlohns festzulegen.
Zur Grünen Gentechnik steht im Vertrag recht allgemein: „Die Biotechnologie wird als Schlüsselindustrie gefördert und ihre Anwendungen werden regulatorisch erleichtert, auch mit Blick auf die neuen genomischen Techniken“. Heißt das, Crispr/Cas wird auf dem deutschen Markt zugelassen?
Bilger: Die europäische Politik gibt den Rahmen vor und da tut sich gerade sehr viel. Im Koalitionsvertrag steht zudem das Bekenntnis, solche Technologien in den von der EU gesetzten Grenzen auch in Deutschland zu nutzen.
Ich kann nur dazu raten, dass Deutschland in der wissenschaftlichen Entwicklung vorne mit dabei ist – auch und gerade bei Technologien wie Cripr/Cas. Aktuell reden wir über die langanhaltende Trockenheit und die Folgen für die Landwirtschaft. Wenn es Werkzeuge für den Umgang damit gibt, sollte man sie auch nutzen.
Die im Vertrag angepeilte Verbesserung der Zulassungssituation von Pflanzenschutzmitteln klingt in den Ohren der Landwirte sicher gut. Die Erfahrung zeigt aber, dass Behörden selten zurückbauen und reduzieren. Wie soll das gelingen?
Bilger: Wir sind uns mit den Sozialdemokraten einig, dass die jetzigen Verfahrenswege so nicht bestehen bleiben können. Wenn wir die Regierungsarbeit aufnehmen, werden wir uns sofort in diesem Punkt an die Arbeit machen. Und da will ich deutlich werden: Was beim Umweltbundesamt in puncto Pflanzenschutz und Zulassung nicht funktioniert, muss angepackt und geändert werden.
Was beim Umweltbundesamt in puncto Pflanzenschutz und Zulassung nicht funktioniert, muss angepackt und geändert werden.
Schneller und schlanker soll die Bürokratie auch in allen anderen agrar-relevanten Bereichen werden. Gibt es da konkrete Pläne und Meilensteine?
Bilger: Im Umwelt- und Landwirtschaftsbereich gibt es sehr viel, was man verbessern könnte. Das haben wir im Koalitionsvertrag aufgeführt, von der Vereinheitlichung der Agraranträge bis zur Vermeidung der doppelten Meldungen und Aufzeichnungspflichten. Auch die knapp 200 Vorschläge der Länder zum Bürokratieabbau werden wir mit den Ländern gemeinsam ernsthaft besprechen und umsetzen. Unsere Vorgänger haben hier einiges schleifen lassen. Mit dem Digitalisierungsministerium haben wir demnächst auch ein Ressort, das Staatsmodernisierung und Entbürokratisierung vorantreiben wird.
Bund und Länder sind in der vergangenen Legislatur an der Abschaffung der Stoffstrombilanzverordnung gescheitert. Nun soll ein neuer Anlauf gemacht werden. Wie lautet das Patentrezept für eine bürokratiearme, EU-konforme Regelung?
Bilger: Mit dem neuen EU-Agrarkommissar Hansen haben wir jetzt ganz andere Möglichkeiten in der Zusammenarbeit mit der EU. Ich bin sicher, dass es in Brüssel ein neues und besseres Verständnis für die deutsche Landwirtschaft gibt. Das lässt die Chancen auf pragmatische Lösungen steigen.
Die Passage zum Tierwohlumbau klingt gut: Erleichterte Genehmigungen und 20 Jahre Bestandsgarantie. Aber der Pessimismus in der Veredlung ist groß. Wie könnte wieder Aufbruchstimmung in die deutsche Tierhaltung kommen?
Bilger: Eine große Belastung für die Tierhalter ist, dass die Politik die Vorgaben so oft ändert. Deswegen bin ich froh, dass wir nun 20 Jahre Planungssicherheit für Neu- und Umbauten festschreiben konnten.
Eine große Belastung für die Tierhalter ist, dass die Politik die Vorgaben so oft ändert.
Und wir haben ein klares Bekenntnis zur Tierhaltung in Deutschland im Koalitionsvertrag. Das soll den Landwirten insgesamt deutlich machen, dass die Regeln, die wir treffen, nicht nur eine Legislaturperiode gelten, sondern weit drüber hinaus.
Die Finanzierung ist natürlich genauso wichtig und ich bin sicher, dass die jährlich 1,5 Mrd. € an Haushaltsmitteln oder gerne auch aus dem Infrastrukturpaket, die es für den Umbau der Tierhaltung braucht, etwas bewirken werden. Wir haben auch klargestellt, dass alle anderen belastenden Regeln, sei es im Baugesetzbuch, im Bundes-Immissionsschutzgesetz, in TA-Lärm oder TA-Luft, alle auf den Prüfstand kommen, um echte Freiräume für die Tierhalter durch weniger Bürokratie zu schaffen. Sie sollen wieder Mut zu fassen, in Deutschland zu investieren und hier zu unserer Ernährungssicherung beizutragen.
Der Wolf soll nach dem Willen der Koalitionäre ins Jagdrecht. Könnten Sie sich auch mit Bestandsobergrenzen anfreunden?
Bilger: Zunächst bin ich erleichtert, dass die SPD sich auf die Bejagung des Wolfs eingelassen hat. Darüber hinaus werden wir tun, was das EU-Recht und das dann geänderte nationale Recht zulassen, um die Weide- und Nutztierhaltung wieder sicher zu machen. Ich hätte mir noch ein bisschen mehr erhofft. Schaut man sich aber die Debatten zum Wolf aus den vergangenen Jahren an, sind wir dank harter Verhandlungen jetzt ein ganzes Stück weiter.
Die Bildzeitung hat Ihren Parteifreund Thorsten Frei gebeten, den Koalitionsvertrag zu benoten. Er hat ein „Zwei“ erteilt. Welche Zensur vergeben Sie?
Bilger: Zum Koalitionsvertrag insgesamt muss ich sagen, dass er besser geworden ist, als ich es erwartet hätte. Da lagen am Anfang Welten zwischen den Verhandlern. Unter dem Gesichtspunkt würde ich eine „Zwei minus“ sagen.
Im Teil zu Landwirtschaft und Umwelt findet sich sehr viel Union wieder. Da bin ich noch zufriedener und meine: Da kann man eine „Zwei plus“ vergeben.
Vielen Dank für das Gespräch!