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Das Rechnungsdebakel der NLG

Die Niedersächsische Landgesellschaft (NLG) fordert von Landwirten für Planungsarbeiten Hunderttausende von Euros nach – rund drei Jahre nachdem diese ihre Abschlussrechnungen beglichen haben.

Lesezeit: 10 Minuten

Impulsgeber für Niedersachsen. Mit diesem Werbeslogan wirbt die Niedersächsische Landgesellschaft (NLG) auf ihrer Homepage. Impulse der ganz eigenen Art hat sie bei einem Dutzend Landwirten ausgelöst: Unverständnis, Wut und Verzweiflung.

Anfang September nimmt Andreas Lindenberg zur top agrar-Redaktion Kontakt auf. Der Bauingenieur ist ebenfalls von dem Streit mit der NLG betroffen und macht sich für die Landwirte stark. Was er am Telefon erzählt, klingt abenteuerlich. So abenteuerlich, dass man es kaum glauben kann. Das weiß auch Lindenberg und untermauert seine Version der Geschichte mit fünf Urteilen, die er und die Landwirte vor Gericht erstritten haben.

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Wenige Tage später liegen Kopien der Richtersprüche in unserem Postfach. Rund 55 Seiten. Sie lesen sich wie eine Abrechnung der Gerichte mit der Landgesellschaft.

Wie jedes Drama, nimmt auch dieses erst langsam Fahrt auf. Zwischen den Anfängen und den Gerichtsurteilen liegen Jahre. Ende 2009 überarbeitet der Gesetzgeber das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Der Bau von Biogasanlagen wird lukrativ. Auch die südniedersächsischen Landwirte wollen daran verdienen. Wie viele ihrer Kollegen gründen sie drei Gesellschaften, um in die Biogasproduktion einzusteigen.

Mit dem Bau der Anlagen beauftragen die Südniedersachsen verschiedene Biogasfirmen als Generalunternehmer. Wie in der Branche üblich, übernehmen diese nicht die kompletten Arbeiten. Stattdessen benötigen die Landwirte einen weiteren Planer, der sich um die Siloplatten, die Lkw-Waage, um die Genehmigungen oder beispielsweise das Wärmekonzept kümmert. Dazu holen sie sich verschiedene Angebote von Ingenieuren und Architekten ein – unter anderem auch von der NLG. Deren Festpreisangebote fallen zwar nicht durch niedrige Preise auf.

Den Zuschlag bekommt das Unternehmen in allen drei Fällen dennoch, da es bei den Landwirten Vertrauen erweckt. Schließlich befindet sich die Landgesellschaft zu 52% in der Hand des Landes Niedersachsen. Die übrigen Anteile halten verschiedene Kommunen und Städte. Außerdem verfügt die NLG über reichlich Erfahrung. Bauingenieur Lindenberg war selbst einmal bei der halbstaatlichen Behörde angestellt. Er schätzt, dass sein Ex-Arbeitgeber Hunderte solcher Aufträge pro Jahr angenommen und abgearbeitet hat.

Die sechsfache Summe

„Wir waren hochzufrieden mit der Zusammenarbeit“, erinnert sich Frank Krösche. Er ist einer der Gesellschafter der Biogas Eschershausen und bewirtschaftet einen 200ha-Betrieb im gleichnamigen Ort. Ähnlich erging es auch den anderen Gesellschaften, weshalb alle nach der Bauabnahme ihre Rechnungen beglichen, auf denen gut lesbar „Schlussrechnung“ stand.

Auch die NLG war allem Anschein nach zufrieden. In ihrem Geschäftsbericht für das Jahr 2011 führt sie die Projekte sogar als Referenz für eine erfolgreiche Geschäftspolitik an. Rund drei Jahre später unterliegt man in der Konzernzentrale offensichtlich einem Sinneswandel und konfrontiert die Landwirte mit neuen Rechnungen. Rund 400.000 bis 760.000 € sollen die einzelnen Gesellschaften nachzahlen – teilweise das rund Sechsfache der ursprünglichen Rechnungssummen. Fälligkeit: sofort. Wenig später erlässt die NLG auch noch Zinsbescheide gegen die Betroffenen. Zinssatz: 9%-Punkte über dem jeweils gültigen Basiszinssatz. Bis zu 190.000 € brummt sie den Landwirten in einem Fall zusätzlich auf.

„Das ist dreist. Nach Jahren eine neue Rechnung verschicken. Aus unserer Sicht zu Unrecht und dann noch Zinsen für das angeblich ausstehende Geld verlangen“, ärgert sich Landwirt Barthold von Gadenstedt, der an der Bioenergie Ambergau Anteile hält. Der Landwirt betreibt einen 250 ha-Marktfruchtbetrieb in Bockenem.

Nach dem Motto „aller schlechten Dinge sind drei“ eröffnet die NLG gegen die drei Gesellschaften nach dem Versand der Nachforderungen und Zinsbescheide ein gerichtliches Mahnverfahren, um das Geld einzutreiben. Die üblichen Zahlungserinnerungen, die einem gerichtlichen Verfahren normalerweise vorauseilen, hatte sich die NLG gespart. Rein rechtlich ist sie dazu nicht verpflichtet. Denn anders als bei Geschäften mit Privatkunden, können Geschäftsleute ohne Umwege das gerichtliche Mahnverfahren einleiten. „Ob das allerdings zum guten Umgang mit Kunden gehört, sei dahingestellt“, kommentiert von Gadenstedt das Verhalten der NLG.

Zweifelhaftes Gutachten

Anfang Oktober lädt Rechtsanwalt Michael Kneip aus Hannover top agrar extra zu sich in seine Kanzlei ein. Er vertritt einige der betroffenen Landwirte vor Gericht. Der Fall ist kompliziert, erklärungsbedürftig und auch für einen gestandenen Juristen „kaum nachvollziehbar“. In einem Altbau mit hohen Decken und hinter dicken Mauern erklärt er uns fast eine Stunde lang die Rechtslage. Immer wieder Kopfschütteln. Es fallen komplizierte Begriffe. Einer besonders oft: HOAI. Hinter den vier Buchstaben verbirgt sich die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure. Und genau auf dieses umstrittene Werk beruft sich die NLG. Man habe sich aus Versehen nicht an die Vorgaben der Verordnung gehalten und vergessen, einige Leistungen abzurechnen, so die NLG sinngemäß. Um das zu beweisen, hat sie eigens einen Gutachter engagiert, der auf Hunderten von Seiten auflistet, warum aus seiner Sicht die ursprünglichen Rechnungen zu niedrig ausgefallen sind.

„Auch wenn es absurd klingt, grundsätzlich können Ingenieure bzw. Architekten bis zu drei Jahre nach der ersten Abrechnung noch Geld nachfordern“, erklärt Kneip. Das ginge aber nur, wenn es dafür nachvollziehbare Gründe gebe und die Nachforderung angemessen sei. Was angemessen ist, hat der Gesetzgeber nicht definiert. Kneip schätzt, dass es bei einer Nachforderung von mehr als 20% triftige Gründe geben muss, um diese durchsetzen zu können. Im Nachhinein die sechsfache Summe einzufordern, sei hingegen mehr als fragwürdig. Die Rechnungen beglichen die Betroffenen daher erst einmal nicht und ließen es auf eine Klage ankommen. Die kam wie erwartet. Die NLG zerrte alle drei Gesellschaften vor Gericht – und verlor sowohl in erster als auch in zweiter Instanz.

Zwar haben verschiedene Gerichte über den Fall geurteilt. Die Urteilsbegründungen ähneln sich trotzdem:

  1. Die NLG verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Schließlich habe sie mit den Landwirten Pauschalpreise vereinbart. Zudem stand auf den Rechnungen „Schlussrechnung“. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum die NLG erst Jahre später ein Gutachten erstellen lasse und die Gesellschaften erneut zur Kasse bitten wolle.



  2. Die Gutachten enthielten handwerkliche Fehler. „Seine Stellungnahme hat der Gutachter am Schreibtisch erstellt. Er war nie vor Ort, hat uns nie befragt“, berichtet Sven Heinen, Geschäftsführer der Bockenemer Bioenergie. Teilweise hat der Gutachter sogar Leistungen doppelt abgerechnet, einige hatten die Landwirte nie mit der NLG vereinbart und wurden auch nicht von der NLG erbracht. „In unserem Gutachten hat der Gutachter eine Misthalle abgerechnet, die nie gebaut wurde“, fügt Henner Wolze hinzu, der Anteile an der Bockenemer Bioenergie hält (Schweinemast, 120 ha).



  3. Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI verstoßen gegen europäisches Wettbewerbsrecht. Das hat die EU zwar 2010 bereits in einer Richtline festgelegt. Weil Deutschland aber zunächst an den alten Regeln der HOAI festhielt, gab es Streit zwischen Berlin und Brüssel vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dort urteilten die Richter im Juli dieses Jahres: Die Mindest- und Höchstsätze sind ungültig.

Juristisches Nachspiel

Gute Gründe, die Sache ad acta zu legen. Während die Landwirte der Biogas Eschershausen aufatmen können, müssen ihre Kollegen der Bioenergie Ambergau und der Bockenemer Bioenergie allerdings weiter bangen. Denn in beiden Fällen hat die NLG Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt. Grund: Zwar sind die Mindestsätze in der HOAI unzulässig. Die Richter am EuGH ließen aber offen, ob sie das auch bereits in der Vergangenheit waren, also zum Zeitpunkt, als die Biogasanlagen gebaut wurden.

Rechtsanwalt Kneip sieht dennoch Licht am Ende des Tunnels. Denn selbst wenn der BGH zuungunsten der Landwirte entscheidet, bleiben der Verstoß gegen Treu und Glauben und die Fehler in den Gutachten. „Ich gehe davon aus, dass wir gewinnen“, so Kneip.

Das beruhigt die betroffenen Landwirte. „Wir hatten zwischenzeitlich Existenzängste“, berichtet Wilhelm Herke von der Bioenergie Ambergau, der in einer GbR einen 350 ha großen Marktfruchtbetrieb in Bockenem betreibt. Nicht nur die Nachforderungen haben bei den Landwirten Sorgenfalten hervorgerufen. Hinzu kommen die Kosten für die Rechtsanwälte, Gerichte und der Zeitaufwand. Die Verfahrenskosten belaufen sich mittlerweile auf rund 500000 €. Wenn der BGH die Revision zulässt, dann dürfte es noch deutlich mehr werden.

Die Frage nach dem Warum

Angesichts solcher Summen und der geringen Chancen, vor dem BGH zu gewinnen, drängt sich die Frage nach dem „Warum“ auf. Um es vorweg zu nehmen: Es gibt Spekulationen, keine Belege. Laut Lindenberg ist es in der Branche ein offenes Geheimnis, dass einige Architekten und Ingenieure mit Dumpingangeboten Kunden locken und anschließend horrende Nachforderungen stellen. Im Architektur- oder Ingenieursstudium würden Professoren dieses Modell allerdings als Negativ-Beispiel lehren. Erlauben könnten sich das nur Büros, die aus dem Geschäft aussteigen. Denn langfristig sei der Ruf ruiniert. „Ein nachhaltiges Geschäftskonzept sieht anders aus“, so Lindenberg.

Er schließt aber auch nicht aus, dass die NLG gegen ihn zu Felde zieht und das auf dem Rücken der „unbeteiligten“ Landwirte. Lindenberg selbst war bis etwa Mitte 2016 als Leiter der Hochbauabteilung für die NLG tätig. Dann gab es Streit. Die NLG warf ihm vor, er habe für die Bioenergie Ambergau ein viel zu niedriges Angebot eingereicht. Das sei in doppelter Hinsicht pikant, weil er selbst an der Gesellschaft beteiligt ist. Außerdem habe er die Vorgaben der HOAI nicht eingehalten, obwohl die Verträge von der Geschäftsführung oder dem Aufsichtsrat abgesegnet wurden.

Lindenberg stellte sich sogar einer Innenrevision. Die bescheinigte ihm einwandfreie Arbeit und wies in ihrem Bericht darauf hin, dass die Konditionen branchenüblich seien und teilweise sogar über dem Durchschnitt lagen. Trotzdem musste er seinen Hut nehmen. Lindenberg ließ sich das nicht gefallen, klagte und bekam sowohl vor dem Arbeitsgericht Hannover als auch im Revisionsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Recht.

„Die NLG versucht mir etwas anzuhängen, vertraut dabei offensichtlich auf externe, fachfremde Gutachter und hat sich mittlerweile verrannt“, vermutet Lindenberg. Die NLG habe außerdem ähnliche Verträge zuhauf mit anderen Gesellschaften abgeschlossen. „Warum klagt das Unternehmen nicht gegen andere Kunden oder folgt jetzt die große Klagewelle“, fragt sich Lindenberg.

Über den Motiven der NLG schwebt somit nach wie vor ein großes Fragezeichen. Was die Landwirte sich angesichts solcher Ungereimtheiten auch fragen: Kann sich eine halbstaatliche Behörde so etwas erlauben?

Ministerin mittendrin

Auch die Richter verweisen immer wieder auf die Gesellschafterstruktur der NLG, die auf Außenstehende besonders vertrauenswürdig wirke. Das Oberlandesgericht Celle erwähnt sogar den Briefkopf auf den Rechnungen der NLG. Dort wirbt diese mit ihren Vorsitzenden des Aufsichtsrates. Den Posten haben seit Jahren die jeweils amtierenden Landwirtschaftsminister in Niedersachsen inne.

Von 2010 bis 2013 war das Gerd Lindemann, es folgte ihm von 2013 bis 2017 Christian Meyer und seit 2017 wird Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) namentlich in den Rechnungen aufgeführt. In dem Gremium sind neben ihr zudem der Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, der Vizepräsident des Landvolkes sowie die NordLB und die Landwirtschaftliche Rentenbank vertreten. Sie alle sind über die Vorgänge informiert worden. Das geht aus einer Stellungnahme der NLG hervor.

Das ärgert Kneip: „Eigentlich dürfte genügend Sachverstand im Aufsichtsrat vorhanden sein, um zu wissen, dass die vereinbarten Konditionen marktüblich waren und dass die NLG mit ihren Nachforderungen weit über den branchenüblichen Sätzen liegt.“

Jedes Drama erstreckt sich über mehrere Akte. Und für die Landwirte und Lindenberg steht der Schlussakt noch aus. Doch egal, wie er aussehen mag, auf eines freuen sich die Landwirte jetzt schon: Den Ärger hinter sich zu lassen.

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Das sagt die NLG

Die NLG als auch deren Aufsichtsratsvorsitzende, Ministerin Barbara Otte-Kinast, wollten sich auf Nachfrage der Redaktion nicht äußern. Es handle sich um ein laufendes Verfahren, zu dem man derzeit keine Stellungnahme beziehe.

Die NLG verweist aber auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Herman Grupe der FDP (Landtagsdrucksache 18/3964). Dieser konfrontierte das Landwirtschaftsministerium in Hannover Mitte Mai mit den Vorwürfen (vor dem Urteil des EuGH). In ihrer Antwort begründet das Ministerium die Nachforderungen mit dem Verstoß gegen die Mindestsätze der HOAI. Man habe die Klagen außerdem mit dem Aufsichtsrat abgestimmt. Weitere Verfahren gegen andere Kunden der NLG gebe es derzeit nicht.

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