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Warum Friedrich Merz dem Deutschen Bauerntag fernbleibt

„Mehr Politikwechsel wagen“ fordert der DBV auf seinem diesjährigen Bauerntag. Union und SPD wollen zeigen, was sie bisher zu bieten haben und kommen - nur Friedrich Merz kann nicht.

Lesezeit: 4 Minuten

Eine Einschätzung von Rainer Münch, Agrarjournalist beim Pressedienstes Agra Europe in Berlin:

Selbst der für seine politische Weit- und Einsicht geachtete Deutsche Bauernverband (DBV) hatte das vermutlich nicht vorhergesehen, als er vor Längerem den diesjährigen Bauerntag in Berlin geplant hat.

Der findet genau 122 Tage nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar und 50 Tage nach dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung statt. Das bedeutet, die 100 Tage Schonfrist, die neu Regierenden in der Regel selbst von ganz harten Kritikerin eingeräumt wird, ist erst zur Hälfte vorbei.

Angesichts der schnelllebigen Zeiten muss das aber ausnahmsweise reichen: Das berufsständische Treffen ivom 25. bis 26. Juni bietet eine hervorragende Gelegenheit für eine erste Bilanz, gemäß dem Bauerntagsmotto „Mehr Politikwechsel wagen“.

Merz kommt nicht

Gern hätte man aus erster Hand gehört, was man sich denn so vorstellt in der schwarz-roten Bundesregierung, wie es weitergehen soll mit der Agrarwirtschaft. Die Tatsache, dass Bundeskanzler Friedrich Merz anders als frühere Regierungschefs wie Angela Merkel und Gerhard Schröder dem ersten Bauerntag nach Amtsübernahme fernbleiben wird, ist nach allem, was wir wissen, weniger ein Ausdruck geringer Wertschätzung als ein Hinweis, dass es in diesen Zeiten noch Wichtigeres geben könnte als Agrarpolitik: Merz nimmt am zeitgleich stattfindenden NATO-Gipfel in Den Haag teil.

Trotzdem hohe Prominenzdichte

Es gibt untrügliche Hinweise, dass die neue Bundesregierung und die sie tragenden Parteien dem Bauerntag auch ohne Kanzlerpräsenz mit einigem Respekt entgegensehen. Darauf deutet das erwartete politische Personal: Mit den beiden Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und SPD, Jens Spahn und Matthias Miersch, will man zeigen, bei Schwarz-Rot ist Landwirtschaft parlamentarisch Chefsache.

Mit Agrarminister Alois Rainer und seinem Umweltkollegen Carsten Schneider treten zwei Ressortchefs vor die Delegierten, die kraft Amtes agrarpolitisch unterschiedliche Brillen auf haben und offenbar zeigen wollen, dass sie nicht alles doppelt sehen.

Zugegeben, Vizekanzler Lars Klingbeil hätte dem Bauerntag auch gut zu Gesicht gestanden. Aber erstens sind Bauerntage für SPD-Spitzenpolitiker nur selten Heimspiele, außer sie sind selbst Landwirt, heißen Woidke und kommen aus der Lausitz. Und zweitens würde es wahrscheinlich jedem Finanzminister derzeit schwerfallen, positive Botschaften zu überbringen. Umso größer ist der Druck, der auf den anderen Koalitionsvertretern lastet. Die Anzeichen mehren sich, dass die politische Prominenz nicht mit leeren Händen vor die teilweise von weither angereisten Bauern und Bäuerinnen treten will.

Vom Reden ins Machen kommen

Mit der Fristverlängerung für die Umsetzung des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes und der Verschiebung von zwei neuen Öko-Regelungen haben zwei Agrargesetzesvorhaben die Nase in der schwarz-roten Agenda vorn, wenn es für die neue Koalition darum geht, „vom Reden ins Machen zu kommen“.

Zwar gibt es hier wie da objektive Gründe und einzuhaltende Fristen, die ein zügiges Handeln erfordern. Aber auch das will erst einmal auf den Weg gebracht werden von zwei Parteien, die zwar schon öfters miteinander regiert, aber in Landwirtschaftsdingen traditionell nicht viel gemeinsam haben.

Weniger Bürokratie und weg mit der Stoffstrombilanz

Unbedingt etwas vorweisen will man in Sachen Bürokratieabbau. Als Menetekel für überbordenden und lähmenden Verwaltungsaufwand gilt spätestens seit den Bauernprotesten im vergangenen Jahr die Stoffstrombilanz. Deren ersatzlose Streichung haben CDU und CDU zugesagt, und das soll bis zum Bauerntag eingelöst werden, unbedingt.

Die dazu vorgelegte Ministerverordnung ist mit heißer Nadel gestrickt, steht juristisch auf wackligen Beinen und löst nicht das Problem, der EU-Kommission überzeugende Düngeregelungen zu präsentieren. Wenn aber selbst das SPD geführte Umweltressort zustimmt, scheint es der Koalition ernst zu sein.

Wichtiges Signal: Agrardieselrückerstattung

Verkünden wollen Union und SPD auch die von höchster Koalitionsstelle frühzeitig zugesagte vollständige Wiedereinführung der Agrardieselrückerstattung. Man erinnert sich, die Agrardieselstreichung war der viel zitierte Tropfen, der das berühmte Fass zum Überlaufen und die Bauern auf die Straße gebracht hat.

Wer in der nun im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung vorgesehenen Korrektur der Entscheidung von damals Symbolpolitik sieht, mag Recht haben. Manchmal braucht es allerdings Symbole, um verloren gegangenes Vertrauen in Politik zurückzugewinnen. Nur reichen werden die nicht.

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