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"Der Sieg, der eine Niederlage ist": Hendricks will das Agrarministerium

Zum Rückzug der umstrittenen Bauernregel-Kampagne schrieb uns Armin Huttenlocher einen Gastkommentar. In diesem weist der Politik- und PR-Berater auf das eigentliche strategische Hauptziel der ganzen Kampagne hin, die Abschaffung des Bundeslandwirtschaftsministeriums und die Eingliederung des Agrarbereichs in das BMUB.

Lesezeit: 7 Minuten

Zum Rückzug der umstrittenen Bauernregel-Kampagne schrieb uns Armin Huttenlocher einen Gastkommentar. In diesem weist der ehemalige Journalist und heutige Politik- und PR-Berater auf das eigentliche strategische Hauptziel der ganzen Kampagne hin, die Abschaffung des Bundeslandwirtschaftsministeriums und die Eingliederung des Agrarbereichs in das Bundesumweltministerium.


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Die "argumentative Leere" der Protestschreiben von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt und von der gesamten Agrarbranche habe der SPD die Durchsetzung dieses Vorhabens in den kommenden Koalitionsverhandlungen leicht gemacht, ist Huttenlocher überzeugt. Es hätte für die Verbände der Agrarwirtschaft seit langem keinen besseren Zeitpunkt gegeben, "sachliche Belege für die enormen Leistungen deutscher Landwirte zum Erhalt von Umwelt und Natur" zu liefern und dafür die entsprechende Aufmerksamkeit zu erzielen.  Einmal mehr hätten die Vertreter der Landwirtschaft eine Chance zur Positionierung verspielt.  

 

Lesen Sie den Kommentar von Armin Huttenlocher in voller Länge.


„Das Triumphgeheul muss groß gewesen sein. Wenig hat es beim Bauernverband und im Bundeslandwirtschaftsministerium in letzter Zeit zu feiern gegeben. Jetzt aber hatte man endlich mal wieder gezeigt, wer Herr in der deutschen Landwirtschaft ist und wo die die Richtung vorgegeben wird.


Kapitulationserklärung erster Klasse


Sieben Tage, nachdem sie die Kampagne „Neue Bauernregeln“ vorgestellt hatte, musste sich Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) der Flut an Protesten beugen und ihre Sprecher kleinlaut verkünden lassen, man werde ab sofort auf Plakate und Anzeigen verzichten, „stattdessen den direkten Dialog mit der Öffentlichkeit suchen“. Eine Kapitulationserklärung erster Klasse.

Nun also: Gespräche statt Schüttelreime. Stellt sich die Frage, ob ein Ministerium, dessen Kommunikationsabteilung einen derart peinlichen Rohrkrepierer für sage und schreibe 1.4 Mio Euro entwickeln ließ, noch über ausreichend Bodenhaftung und Realitätssinn verfügt, um ein vernünftiges Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern zu führen, die aufrichtig interessiert sind, aber nicht zu jener Klientel gehören, der sich über Sparwitz-Reime amüsiert, an Landwirtschaft aber so wenig interessiert ist, wie der Pfau am Huhn.


Die Sieger bald schon als Unterlegene?


Und die noch spannendere Frage ist: Was ist hier eigentlich geschehen – abgesehen von Steuergeld-Verschwendung in einer Dimension, für die man die Ministerin und ihren Kommunikationschef persönlich haftbar machen sollte? Die Antwort darauf müsste das Triumphgeheul verstummen lassen. Aber die Häme in den ersten Kommentaren nach Hendricks‘ Rückzug macht wenig Hoffnung auf etwas Erkenntnis zwischen aller Ekstase. Dabei dürfte sich bald schon zeigen, dass die vermeintlichen Sieger deutlich geschwächter aus diesem kurzen, heftigen Schlagabtausch hervorgegangen sind, als die momentan Unterlegenen im BMUB.


Die Ministerin der Widersprüche


Es stimmt wohl, dass auch die amtierende Bundesumweltministerin von Landwirtschaft wenig mehr versteht als ein Analphabet vom ABC. Gleichwohl kann ihr niemand unterstellen, sie hätte sich nicht bemüht. Immer wieder hat sie öffentlich ihren „Respekt“ vor den deutschen Landwirten bekundet und dabei zweierlei stets hervorgehoben: Dass sie sehr wohl sehe, wie viel die Landwirtschaft in Deutschland beitrage zum Schutz von Umwelt und Natur. Und, dass landwirtschaftliche Großbetriebe keineswegs im Widerspruch stünden zu einer umweltverträglichen Landwirtschaft.


Warum aber dann diese Kampagne? Weshalb so plumpe und pauschale Kritik? Kritik, die im Übrigen auch von unseren europäischen Nachbarn und landwirtschaftlichen Wettbewerbern mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden ist: Seht, wie die deutschen Bauern von ihrer eigenen Regierung verraten und an den Pranger gestellt werden.


Was wollte die Ministerin wirklich?


Erste Möglichkeit, wenn man dem einen Teil der Informanten aus ihrem eigenen Haus glauben will: Die Bundesumweltministerin war es selbst, die eine Kampagne gefordert hatte, „die ein für alle Mal deutlich macht, dass Landwirtschaft nicht mehr ohne ein erheblich größeres Umwelt-Engagement gedacht und gemacht werden kann“. Dafür soll ihr auch „jeder noch so provokative Antritt“ recht gewesen sein.


Zweite Möglichkeit, wenn man dem anderen und ihr näher stehenden Teil der Informanten aus ihrem Umfeld glauben will: Die Bundesumweltministerin war alles andere als überzeugt von der jetzt gestoppten Kampagne. Sie vertrat und verteidigte vielmehr, was ohne Ihr Zutun, aber auch ohne ihre ministerielle Aufsicht, von ihren Kommunikationsstrategen entwickelt und ihr erst vorgestellt wurde, als alles schon fertig und aus dem Ruder gelaufen war. Sie selbst, so verbreiten Getreue jetzt, wollte ausdrücklich eine „Dialog-Kampagne“ haben. Für diese Variante könnte sprechen, wie schnell die Ministerin die Reißleine zog und intern ihre Verärgerung über die „unausgewogene Gesamtstrategie der Kampagne“ geäußert haben soll. Auch deshalb soll sie so ausführlich und inhaltlich substantiiert auf den donnernden, aber keineswegs argumentierenden Brief des Bundeslandwirtschaftsministers reagiert haben. Das wäre dann nicht nur persönliches Signal, sondern bereits die Distanzierung zur Kampagne gewesen. Wer Frau Hendricks kennt, wird das nicht ausschließen können.


Der Zorn des Ministers Schmidt: Leere Drohungen?


Man könnte nun sagen: Was soll’s -  die Sache ging schief. Vielleicht aber doch nicht. Vielleicht ist die aberwitzige Sache doch deutlich interessanter - und ernst dazu. Die Kampagne war so, wie sie angelegt war, schlichtweg dumm. Die Medien reagierten, wie Krähen eben reagieren, wenn ihnen in dürrer Zeit ein Korn hingeworfen wird. Und der Zorn des Landwirtschaftsministers? Der ballte sich zu einer Forderung, die indes verpuffte, weil sie ohne ein einziges Argument daherkam und auch ohne ohne Mut und Möglichkeit zu klaren Sanktionen blieb. So sehr man auch triumphierte im BMEL: Es wird doch niemand glauben, dass dieser nichtssagende Brief von Landwirtschaftsminister Schmidt auch nur einen winzigen Impuls zum Rückzug seiner Kabinettskollegin gab.


Die Reaktion der Verbände: Hilflose Phrasen?


Und die Reaktion der reagierenden Verbände und Organisationen zeugte einmal mehr von einem geradezu Besorgnis erregenden Mangel an Selbstbewusstsein – in Sprache, Form und Inhalt: Phrasen, nichts als Phrasen. Wobei recht aufschlussreich ist, wer nach einer Woche Sturm im Wasserglas noch immer schweigen wollte oder kein Statement zustande gebracht hat. So hat nicht eine einzige unter den landwirtschaftlichen Genossenschaften selbst die Flagge gehisst und der Umweltministerin den Marsch geblasen. Stattdessen glühten die Drähte in Richtung Berlin. Die Stunde der Verbände schlug. Die wiederum schoben entweder den Generalsekretär vor und den Präsidenten hinter den Baum oder nahmen erst noch ein Weichspüler-Bad, bevor sie deutlich, aber nicht zu heftig und stets mit freundlichem Gruß der Frau Ministerin schrieben.


Der Angriff, der ein Übergriff war


Haben sie alle nicht verstanden, was das strategische Hauptziel hinter der ganzen Kampagne war – und bleibt? Dass dieser Angriff in Wahrheit ein Übergriff war? Schon bei den letzten Koalitionsverhandlungen, 2013, gab es von Seiten der SPD erhebliche – und um ein Haar erfolgreiche – Bestrebungen, das Landwirtschaftsministerium abzuschaffen und in das Umweltministerium zu integrieren.


Wer den Brief von Ministerin Hendricks aufmerksam liest und dann die argumentative Leere und Phrasenhaftigkeit in beinahe allen Protestschreiben dagegen hält (einschließlich der „Reim-Dich-oder-ich-fress-Dich“-Gegenkampagne des Deutschen Bauernverbands), der kann erkennen, wie leicht der SPD die Durchsetzung ihres Vorhabens in den kommenden Koalitionsverhandlungen fallen dürfte - unabhängig vom Wahlergebnis.


Chance gehabt. Chance verspielt


Keine Branche verkauft sich so schlecht, wie die deutsche Landwirtschaft. Das wird die Niederlage des BMUB schlussendlich doch noch in einen Sieg verwandeln: Die Kampagne hat trotz ihrer kurzen Laufzeit, erstens, für hinreichend Aufmerksamkeit gesorgt und, zweitens, grandios belegt, dass in der zugespitzten Debatte von den Hauptvertretern der deutschen Landwirtschaft momentan weder Fakten noch Argumente zu erwarten sind.


Einen grandioseren Zeitpunkt, einen besseren Anlass und mehr öffentliche Aufmerksamkeit, um sachliche Belege für die enormen Leistungen deutscher Landwirte zum Erhalt und Schutz von Umwelt und Natur hat es seit langem nicht mehr gegeben. Millionen von Wählerinnen und Wählern entnahmen den sehr konkreten Beispielen im Brief der Umweltministerin, dass das Landwirtschaftsministerium und die Verbände der Agrarwirtschaft nichts Anderes täten, als den Fortschritt zu blockieren. – Und wie reagieren das Landwirtschaftsministerium und die Verbände darauf? Gar nicht. Mit keiner einzigen Silbe gehen sie auf die Vorwürfe ein. Stattdessen fangen sie selbst das Schüttelreimen an.


Einmal mehr haben die Vertreter der Landwirtschaft eine Chance zur Positionierung verspielt. Mögen sie jetzt noch triumphieren – das Erwachen im Herbst wird böse sein."


Zur Person: Armin Huttenlocher arbeitete in den achtziger und in den neunziger Jahren als Investigativjournalist. Von 1998 bis 2000 war er als Parteiloser Sprecher der SPD-Fraktion der Hamburgischen Bürgerschaft. Seit 2001 lebt Huttenlocher in Berlin. Heute leitet er als Geschäftsführer das Berliner Büro der international tätigen PR-Agentur Res Public Affairs.Corporate Affairs.

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