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Borchert, ZKL, Versorgungsängste

Diskutiert: Transformation der Landwirtschaft und keiner geht hin?

Die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Agrar- und Lebensmittelmärkte dürfen in der deutschen Landwirtschaft nicht zu einem reflexartigen Rückfall in alte Produktionsstrukturen führen.

Lesezeit: 10 Minuten

Relativiert der Angriffskrieg in der Ukraine und die damit notwendige Versorgungssicherung die Umsetzung des nachhaltigkeitsorientierten Umbaus des Agrar- und Ernährungswirtschaft? Ist Transformation nur eine Beschäftigung für Friedenszeiten? Was passiert mit den Höfen, wenn der große Wurf, den Borchert- und Zukunftskommission vorschlagen nicht gelingt? Wie können wir in unserer Gesellschaft nachhaltige Produktions- und Konsumstrukturen etablieren und welche Schritte braucht es dazu?

Darüber diskutierten am 9. März 2022 Gäste der Universität Göttingen auf Einladung des Forschungsverbundes Transformationsforschung agrar Niedersachsen (trafo:agrar). Zum Video...

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Wichtiger Konsens auf dem gesamten Podium zur Frage nach der Bedeutung des Krieges für den Transformationsprozess war, dass ein reflexartiger Rückfall in alte Produktionsstrukturen nicht das Mittel der Wahl sein könne, berichtet trafo:agrar in einer Zusammenfassung der Veranstaltung. Der nachhaltigkeitsorientierte Umbau der Agrar- und Ernährungswirtschaft müsse neben der Sicherung der Lebensmittelversorgung parallel und ganzheitlich berücksichtigt werden, um auch perspektivisch die Grundvoraussetzungen wie funktionsfähige Ökosysteme oder genügend Wasser für eine Lebensmittelproduktion noch verfügbar zu haben.

Jochen Dettmer von Neuland und BUND mahnte, dass sich die Ereignisse in der Ukraine nicht zu einem Roll-Back des Transformationsprozesses der Landwirtschaft eignen würden. Vielmehr zeige sich die Anfälligkeit der Freihandelsideologie und der internationalen Arbeitsteilung durch die Kriegshandlungen. „Der Green Deal, die Farm-to-Fork-Strategie und die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft zeigen gerade Wege auf, wie die Landwirtschaft widerstandsfähiger werden kann, um die zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Das Vermarktungssystem wird dabei eine entscheidende Rolle spielen", so Dettmer. Er fordert klare Kennzeichnungssysteme, die zu einer höheren Wertschöpfung und Wertschätzung führen. Dazu müssten Förder- und Beratungsstrukturen passen, sowie ein echter Bürokratieabbau.

Strohschneider rechtfertigt ZKL-Empfehlungen

Niedersachsens Agrar-Staatssekretärin Dr. Sabine Johannsen hob in ihrem Vortrag die Rolle der Wissenschaft beim Umbau der Landwirtschaft hervor. Diese identifiziere in besonderer Weise die Zielkonflikte zwischen Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft, biete Lösungsmöglichkeiten an und zeige Handlungsempfehlungen auf, zitiert trafo:agrar weiter.

Im Anschluss stellte der Vorsitzende der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), Prof. Dr. Peter Strohschneider, die Ergebnisse seiner Arbeit vor. Er warnte davor, mit kurzfristig wirksamen Beiträgen zur Lösung des im Moment drängenden Problems beizutragen. Vielmehr müsse man das hierdurch ausgelöste Momentum für einen übergeordneten, nachhaltigen Prozess nutzen.

So habe die ZKL als sachkundiges Forum des fairen Interessenausgleichs mit ihrem Abschlussbericht ein Signal des Aufbruchs an die Politik gesendet: Ökologisch und sozial verantwortliche Landwirtschaft könne durchaus betriebswirtschaftlich attraktiv und volkswirtschaftlich vorteilhaft sein. „Immer billiger“ sei angesichts der vielfältigen Wechselwirkungen der Landwirtschaft mit Klima, Umwelt, Biodiversität und Tierwohl längst „zu teuer“. Nicht oder zu langsam zu handeln, würde dagegen unbezahlbar werden. „Dessen sind sich nach wie vor alle Kommissionsmitglieder bewusst. Es eint sie die Hoffnung und auch die Erwartung, dass ihre gemeinsamen Empfehlungen deutlichen Widerhall im politischen Raum finden werden. Herr Bundesminister Özdemir hat bereits sehr kurzfristig nach seiner Amtsübernahme das Gespräch mit der ZKL aufgenommen, um an deren Arbeit anzuknüpfen.“

Falsch wäre es, in die alten Reflexe zurückzufallen

Zum Krieg in der Ukraine äußerte sich Strohschneider wie folgt: „Dieser imperialistische Angriffskrieg zeigt, dass das Recht auf Nahrung globalgesellschaftlich verwirklicht werden muss. Dabei gehören ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit systematisch zusammen. Wie, das zeigt der Abschlussbericht der ZKL. Ganz falsch wäre es aber, jetzt in die alten Reflexe zurückzufallen und mit dem Schlagwort ‚Ernährungssicherheit‘ wieder ökonomische Belange gegen ökologische auszuspielen. Und übrigens verlangt auch die Empathie mit dem Opfern des Krieges, dass man dessen schreckliche Folgen nicht als allererstes für sich selbst instrumentalisiert.

Gelingensbedingungen der ZKL

In der Diskussion zur Implementierung der ZKL Ergebnisse in Niedersachsen wurde herausgestellt, dass jede Region aufgefordert ist, ihr eigenes Modell zu entwickeln. Allein der Vergleich zwischen Bayern und Niedersachsen zeige deutlich, dass Kultur, Kulturraum und regionale Charakteristika berücksichtigt werden müssten, um erfolgreiche, nachhaltige Strukturen zu schaffen. Diese sollten sich auch an den verfügbaren Ressourcen und Kompetenzen orientieren. Bei der Implementierung sei ferner neben angepasster Bildung und Orientierung für nachhaltiges Handeln in Alltag und Beruf für alle Altersstufen, eine gleichrangige Berücksichtigung von Perspektiven aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Verwaltung erforderlich.

Der Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK), Gerhard Schwetje, sagte: „Die Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme und damit die Umsetzung der Empfehlungen der ZKL sind eine gesamtgesellschaftliche Zielsetzung. Für Niedersachsen haben wir damit die Aufgabe, unseren Weg des Agrar-Umwelt-Dialogs, wie er etwa im Naturschutzbündnis ‚Der Niedersächsische Weg‘ zum Ausdruck kommt, weiterzuführen, um für unsere landschaftlichen und agrarstrukturellen Gegebenheiten die geeigneten Maßnahmen zu identifizieren und mit dem entsprechenden politischen Instrumentarium umsetzen zu können.“

Um den Transformationsprozess systemisch zu unterstützen, ist nach Überzeugung des Kammerpräsidenten nicht nur ein erweitertes Bildungs- und Beratungsangebot notwendig, sondern weiterhin auch ein zielgerichtetes, leistungsfähiges Versuchswesen, aus dem die LWK Empfehlungen für die Praxis und die Politik ableiten kann.

Raus aus lange besetzten Konfliktpositionen

Prof. Dr. Bernhard Brümmer, Agrarwissenschaftler an der Universität Göttingen, lobte, mit einer breiten Beteiligung vieler gesellschaftlicher Gruppen sei es gelungen, aus teils schon viel zu lange besetzten Konfliktpositionen heraus und hin zu einer dialogorientierten Herangehensweise zu kommen. Die Ergebnisse dürften nun allerdings nicht als Abschluss des Prozesses betrachtet werden.

Die Zukunftskommission schlägt Maßnahmen vor, deren Wirkung über die öffentlichen Haushalte und damit die Steuerzahler hinausgehen. Daher sollte der Blick nicht nur auf die Budgetwirkungen, sondern auch auf die gesellschaftlichen Kosten und den gesellschaftlichen Nutzen gerichtet werden, so Brümmer.

Als Professor für Landwirtschaftliche Marktlehre am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung sprach Brümmer ebenfalls eine mangelnde Einbettung der Vorschläge in den europäischen und den internationalen Kontext an, die auch schon in den Vorschlägen der Borchert-Kommission zu verzeichnen gewesen sei.

„Auf der Ebene der EU ergeben sich die entscheidenden rechtlichen Vorgaben: Subventionsrecht, Wettbewerbsrecht und der Schutz des freien Güterverkehrs können sich als ganz entscheidende Faktoren für die teilweise aus den Vorschlägen herauszulesende massive Subventionierung der deutschen Landwirtschaft entpuppen. Auf der internationalen Ebene muss man konstatieren, dass die Entwicklung in Europa mit Green Deal, F2F und Biodiversitätsstrategie auf der einen Seite und die Ablehnung von neuer Gentechnik und international als sicher anerkannten Produktionsmethoden auf der anderen Seite auf relativ wenig Verständnis stößt. Damit dürfte das Produktionspotential in der EU mittelfristig gemindert werden – eine eher bedrohliche Entwicklung, die in einer Zeit, in der die ‚Kornkammer Europas‘ unter russischem Artilleriefeuer zusammengeschossen wird, international zunehmend weniger verstanden werden“, so Brümmer.

Diversifizierung muss Bauern sich für Bauern lohnen

Prof. Dr. Nana Zubek von der Hochschule Osnabrück führte aus, dass für eine erfolgreiche Implementierung der ZKL-Leitlinien ökonomische Instrumente die Attraktivität der Diversifizierung landwirtschaftlicher Betriebe zielgerichtet steigern und langfristige Perspektiven geben sollten, sodass gegebenes Interesse von Landwirten auch in entsprechenden Betriebsausrichtungsentscheidungen münden könne.

„Vor allem die hohe Motivation junger/zukünftiger Hofnachfolger, sich mit vielseitigen, neuen Betriebskonzepten und Geschäftsmodellen zu beschäftigen und diese in Erwägung zu ziehen, sollte mit ökonomischen Anreizen untermauert, aber auch über vielseitige Beratungs- und Weiterbildungsangebote sowie Möglichkeiten des Erfahrungs- und Wissensaustausches flankiert werden. Dann können nicht nur Ziele wie die Steigerung von Biodiversität, Tierwohl, Direkt- und Regionalvermarktung erreicht und nachhaltigere Produktions- und Konsumstrukturen etabliert, sondern auch Antriebskräfte für die Entwicklung ländlicher Regionen in Niedersachsen entfacht werden“, so Zubek.

Borchert: Rechtskonformes Finanzierungsmodell und einfacheres Baurecht notwendig

Sven Guericke, Vorstandsvorsitzender des Agrar- und Ernährungsforums Oldenburger Münsterland, konzentrierte sich in seinem Beitrag insbesondere auf den bereits von Borchert geforderten Umbau der Nutztierhaltung und statuierte: „Die neue Bundesregierung muss sich klar zum Umbau der Tierhaltung bekennen und sich schnellstmöglich auf ein verbindliches und rechtskonformes Finanzierungsmodell einigen sowie die längst überfälligen Anpassungen im Bau- und Umweltrecht vornehmen.“

„Der Ukraine-Krieg hat nun aber auch andere wichtige Themen in den Vordergrund gebracht. Der Krieg offenbart u.a. auch die Verletzlichkeit der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette in Europa mit massiven Auswirkungen auch auf Deutschland. Es muss oberste Prämisse der Politik sein, neben der Sicherung der Energieversorgung auch die Versorgungssicherheit mit Agrarprodukten und Lebensmitteln in Deutschland nachhaltig zu gewährleisten und zu sichern. Dabei muss die Sicherung unter Umständen auch Vorrang vor der Umsetzung gesellschaftlich gewünschter Veränderungen in der Agrar-und Ernährungswirtschaft haben.“

Nicole Kemper von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover ergänzte dazu: „Um die landwirtschaftliche Nutztierhaltung tierfreundlich, umweltgerecht, klimaschonend und verbraucherorientiert umzugestalten, sind klare politische Rahmenbedingungen für den Um- und Ausbau von Ställen nötig sowie das eindeutige Bekenntnis, höhere Tierwohlstandards auch entsprechend zu bezahlen. Für Zielkonflikte, beispielsweise zwischen Tierwohl, Emissions- und Seuchenschutz bei Haltungssystemen mit Auslauf, müssen und können konstruktive Lösungsmöglichkeiten gefunden werden.“

Landwirte können zur Trendumkehr beim Artenschwund beitragen

Prof. Dr. Catrin Westphal von der Georg-August-Universität Göttingen führte aus, dass Biodiversität eine zentrale Rolle spielen müsse, um die aktuellen Biodiversitätsverluste aufzuhalten und den negativen Trend umzukehren. „Die Landwirtschaft prägt und gestaltet unsere Agrarlandschaften und kann so auf einer großen Fläche dazu beitragen, Landschaften neu und biodiversitätsfreundlich zu gestalten, so dass die Biodiversität und damit verbundene Ökosystemfunktionen gefördert werden."

Dies kann ihrer Meinung nach auf unterschiedlichen Ebenen geschehen. Erweiterte Fruchtfolgen, Agroforstsysteme oder ökologischer Landbau könnten auf der Feld- und Betriebsebene zum Schutz und zur Förderung der Biodiversität beitragen. Allerdings seien diese lokalen Maßnahmen nur begrenzt wirksam, wenn Pflanzen- und Tierarten in der Landschaft keine geeigneten Lebensräume finden. Aus diesem Grund hält Westphal neben der Diversifizierung der Anbauflächen vor allem regionale Maßnahmen auf der Landschaftsebene für nötig. Studien zeigten, dass z.B. eine hohe Vielfalt an Lebensräumen, zahlreiche naturnahe Landschaftselemente sowie reduzierte Schlaggrößen und vernetzende Landschaftselemente positive Auswirkungen auf die Biodiversität und landwirtschaftlich relevante Ökosystemleistungen wie biologische Schädlingskontrolle oder Bestäubung haben.

Wesentliche Voraussetzungen für die Diversifizierung der Agrarlandschaften sind kooperative und regionale Programme, die von verschiedenen Akteur*innen unterstützt und implementiert werden, um eine Implementierung auf der Landschaftsebene zu erreichen. Zudem muss auch ein finanzieller Ausgleich und Planungssicherheit für Landwirt*innen sichergestellt werden, um die Biodiversität der Agrarlandschaften langfristig zu erhalten.“, so Westphal.

IPCC-Bericht sagt Wasserknappheit voraus

Prof. Dr. Claudia Pahl-Wostl von der Universität Osnabrück sprach eine notwendige Priorisierung von Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels im globalen Kontext zur Vermeidung von weiteren Krisen und Kriegen an: „Der neue IPCC-Bericht zu Folgen des Klimawandels zeigt höchst beunruhigende Szenarien auf. Weltweit muss man mit mehr und länger anhaltenden Dürren rechnen. Auch in Deutschland könnte Wassermangel die Produktivität der Landwirtschaft erheblich reduzieren. In normalen Zeiten hätten diese Nachrichten die Titelseiten der Zeitungen gefüllt. Angesichts des Kriegs in der Ukraine wurden sie kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommen."

Zunehmende Wasserknappheit stellt ihrer Meinung nach jedoch ein enormes Konfliktpotential dar. Um diesem entgegen zu wirken müsse die Wiederherstellung eines natürlichen Wasserhaushalts ein wesentliches Ziel eines integrierten Landschaftsmanagements und Entscheidungen über Landnutzungen werden. Dies betreffe ganz wesentlich auch die Landwirtschaft. Eine Transformation in den Bewirtschaftungsmethoden hält Pahl-Wostl für notwendig, um angesichts knapper werdender Wasserressourcen die Produktivität aufrecht zu erhalten und eine Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Hierfür würden auch neue Formen der Kooperation über Sektorengrenzen hinweg und flexible Planungs- und Entscheidungsprozesse benötigt, eine Herausforderung für die aktuellen Verwaltungsstrukturen.

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