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Abschied Aeikens: „Der Vertrag ist jetzt erfüllt“

Zum Jahreswechsel verlässt Staatssekretär Dr. Hermann Onko Aeikens das BMEL. Wir sprachen mit ihm über seinen Abgang in bewegten Zeiten, seine Rolle als Reizfigur und Ansätze beim Insektenschutz.

Lesezeit: 10 Minuten

Erst der Ärger über die Düngeverordnung, dann die Demos anlässlich des Agrarpaketes. Hätten Sie sich einen anderen Abgang gewünscht?

Aeikens:Demonstrationen sind das gute Recht der Landwirte, und angesichts der Informationsübermittlung habe ich dafür Verständnis. Es ist nicht das erste Mal, dass Landwirte in Deutschland demonstrieren. Wir haben es jetzt aber mit Protesten zu tun, die anders organisiert sind als bisher. Durch die neuen Medien wirken andere Informationsketten auf die Meinungsbildung. In dieser Situation ist wichtig, dass intensiv und sauber kommuniziert wird, was wissenschaftlich richtig ist. Leider unterscheidet sich das häufig von dem, was ich im Netz lese und was Politik beabsichtigt.

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Was ist in der Kommunikation ihrer Politik schiefgelaufen, wenn die Landwirte so dagegen Sturm laufen?

Aeikens: Wir kommunizieren laufend und verbessern unsere Kommunikation. Aber wir sind einer Informationskonkurrenz ausgesetzt. Am Beispiel Düngeverordnung muss ich sagen, dass wir nach der ganzen Geschichte von der Verabschiedung der Nitratrichtlinie im Jahr 1991 bis zur verlorenen EuGH-Klage von 2018 heute vor der Wahl stehen: Entweder arbeiten wir nach, oder wir zahlen gegebenenfalls über 800 000 €/Tag an die EU, die uns dann noch vorgibt, wie wir die Nitratrichtlinie umzusetzen haben.

Strafzahlungen wären sicher auch nicht imagefördernd für die Landwirtschaft. Das ist nun mal die Faktenlage. Es gibt kein wissenschaftliches Gutachten, das die Landwirtschaft von einer erheblichen Mitverantwortung bezüglich der Nitratproblematik freispricht. Es liegt auch nicht primär an kaputten Rohren. Die jetzige Situation des Unmuts in der Landwirtschaft hat leider auch etwas damit zu tun, wie Informationspolitik betrieben wird – auch von Verantwortungsträgern.

Was meinen Sie damit?

Aeikens: Da wird gefragt: Ist Landwirtschaft in Deutschland noch gewollt? Ich kenne auf der Berliner Bühne niemanden, der sagt, Landwirtschaft sei nicht gewollt. Diese Frage führt in die Irre und weckt Zukunftsängste, die nicht angezeigt sind. Brachiale Formulierungen wie, „Offenbarungseid des BMEL gegenüber BMU“, „kalte Enteignung von Milliarden“ haben keine sachliche Grundlage.

Haben sich Ihr Ministerium und der Berufsstand in den vergangenen zwei Jahren voneinander entfernt?

Aeikens: Wir legen Wert darauf, mit berufsständischen Vertretungen professionell zusammenzuarbeiten. Manchmal fehlt aber das Verständnis und der Respekt für den Gegenüber, auf beiden Seiten. Es bedarf der Lobbytätigkeit, aber es gibt Grenzen, die eine Regierung wahren muss.

Wenn behauptet wird, ein Insektenschutzprogramm führe zu 30 Mrd. € Vermögensverlust der deutschen Landwirtschaft, dann muss es gestattet sein, das auszuräumen, bevor es sich in den Köpfen festsetzt. Wir müssen auf der Basis von Fakten zusammenarbeiten. Wenn ich den Eindruck habe, diese Basis wird verlassen, dann muss ich dagegen halten.

In der öffentlichen Kritik wurde Ihrem Haus oft vorgeworfen, es sei zu nahe an der Agrarlobby. Die Bauern gehen dagegen wegen der Regelungsflut auf die Straße. Was stimmt denn nun?

Aeikens: Wenn Sie von beiden Seiten eine Backpfeife bekommen, ist der Kopf immer noch gerade. Sollen wir damit aufhören, mit der EU einen Kompromiss zur Düngeverordnung zu finden? Sollen wir aufhören, für mehr Insektenschutz zu arbeiten? Beides wäre fatal, auch für den Berufsstand. Das Insektenschutzprogramm ist ordnungspolitisch in einer völlig anderen Dimension als es draußen dargestellt wird. Wir haben eine Betroffenheit von 0,6 bis 0,7 Mio. ha. Wenn alle Bundesländer noch ihre Vogelschutzgebiete unter die Auflagen stellen, dann sind wir bei 1,3 Mio. ha. Man muss die Kirche da auch mal im Dorf lassen.

Wie kriegen Sie die Bauern jetzt wieder von der Straße?

Aeikens: Wir werden weiter ruhig und sachlich aufklären. Ministerin Klöckner wird nächstes Jahr eine Reihe von Veranstaltungen durchführen, um die Landwirtschaft und Gesellschaft wieder stärker zusammenzuführen. Wenn alle sich mit den Fakten beschäftigen, dann haben wir eine Chance, Kompromisse zu finden. Die Bauern müssen sich fragen lassen, was sind die Alternativen? Sie sollten mit dazu beitragen, den Imageschaden beim Gewässerschutz und beim Insektenschutz zu reparieren. Wir wollen gemeinsam mit der Landwirtschaft einen Weg finden, das Spannungsverhältnis zu lösen.

Was bieten Sie den Landwirten an?

Aeikens: Wir lassen die Landwirte nicht alleine. Sondern wir versuchen, ihnen bei der Bewältigung der neuen Aufgaben zu helfen. Wir stellen zur Unterstützung der Betriebe im Düngebereich in den nächsten Jahren circa 250 Mio. € zur Verfügung. Beim Insektenschutz sind über 80 Mio. € jährlich vorgesehen.

Beim Insektenschutz halte ich übrigens sehr viel vom niederländischen Modell, wo sich vor Ort die Landwirte mit den Umweltvertretern zusammensetzen und ganz gezielt überlegen, was sie für den Schutz von bestimmten Tier- und Pflanzenarten tun können und das dann auch gemeinsam umsetzen, unterstützt durch Förderprogramme. Dies Modell bietet die Chance, weniger mit Geboten und Verboten zu arbeiten.

Wir prüfen, ob wir nicht stärker auf ein solches System zugehen sollten. Bisher haben die Landwirte mit Agrarumweltprogrammen viel geleistet, aber den Artenschwund haben wir mit freiwilligen Maßnahmen bisher nicht in den Griff bekommen. Wir kommen deshalb an der Schlussfolgerung nicht vorbei, dass wir so, wie wir Agrarumweltmaßnahmen betreiben, das Ziel nicht erreichen werden.

Viele Landwirte sorgen sich, dass mit dem Insektenschutzpaket die Fördertatbestände und Anreizprogramme für mehr Biodiversität wegfallen und sie auf den Kosten ohne Ausgleich sitzen bleiben. Ist die Sorge begründet?

Aeikens: Naturschutzpolitik ist immer ein Mix aus Ordnungs- und Anreizpolitik. Ich will den Verhandlungen nicht vorgreifen, aber wir werden um Zielvorgaben und gesetzliche Regelungen nicht herumkommen, da Freiwilligkeit allein offensichtlich nicht ausreicht. Aber die Akzentuierung ist das Thema. Die Bewirtschaftung muss, trotz aller Regeln, sichergestellt bleiben. Naturschutz ohne die Landwirtschaft funktioniert nicht. Wenn es zu Einschränkungen kommt, muss der Landwirt auch etwas dafür erhalten. Genau dafür haben wir die 80 Mio. € beim Insektenschutzprogramm in den Haushalt eingestellt.

Erwarten Sie, dass die Groko das Insektenschutzpaket noch in dieser Legislaturperiode abschließen wird?

Aeikens: Es ist Bestandteil der Koalitionsvereinbarungen von 2017. Und Koalitionen sollten immer bemüht sein, auch bis zum Ende der Legislaturperiode umzusetzen, was sie sich vorgenommen haben. Wir werden einen Runden Tisch Landwirtschaft haben, um dort die speziellen Agrarfragen beim Insektenschutzprogramm zu lösen.

Wie beurteilen Sie die Aussichten Ihres freiwilligen Tierwohlkennzeichens? Handel, Bauern und Tierschützer wollen das so nicht und plädieren für die verpflichtende Haltungskennzeichnung. Haben Sie sich verrannt?

Aeikens: Eine verpflichtende Haltungskennzeichnung bekommen wir in absehbarer Zeit rechtlich nicht hin. Deshalb machen es die Dänen und Niederländer ja auch freiwillig. Wir haben das alles intensiv geprüft. Der vernünftige Weg ist deshalb, wenn es nicht verpflichtend geht, es freiwillig zu machen. Damit sollten wir anfangen, um das zu ermöglichen, was Landwirte immer fordern: Mehr Erlöse für gute Produkte.

Das BMEL hatte ja als Ziel ausgegeben, in der zweiten Jahreshälfte 2020 stünden die ersten Produkte mit dem Tierwohlkennzeichen in den Läden. Ist das Ziel in der jetzigen Situation noch zu halten, wo das Gesetz dafür noch nicht mal durch den Bundestag ist?

Aeikens: Das hängt vom Verlauf der parlamentarischen Beratungen ab. Wenn wir Verzögerungen bei der Beratung im Bundestag haben, werden wir in Zeitverzug kommen.

Sie erwarten aber schon noch, dass es 2021 klappt?

Aeikens: Ich setze darauf, dass dieses Projekt auch den Bundestag passiert. Die Bundesregierung hat geliefert. Es ist eine Maßnahme für mehr Tierwohl, die auch den Landwirten helfen soll, also eine klare Win-win-Situation. 

Warum ist es so schwierig, sich für den Bau von Tierwohlställen mit dem BMU auf eine TA Luft zu einigen? Offenställe will doch auch die Umweltseite. Wo sind da die Hindernisse?

Aeikens: Wir haben einen Konsens mit dem für Baufragen zuständigen Innenministerium, dass wir für die Umbauvorhaben, die das Tierwohl erhöhen, vereinfachte Genehmigungsverfahren im Baurecht realisieren wollen. Es gibt die Zusage für eine derartige rechtliche Änderung. Beim Immissionsschutzrecht sind wir jetzt kurz vor den abschließenden Beratungen. Wir wissen sehr wohl, dass wir das zusammen denken und zusammen handeln müssen. Das ist auch dem BMU bekannt.

Ein Umbau der Tierhaltung wird viel Geld kosten. Wie stehen die Aussichten für frisches Geld? Und woher könnte es stammen?

Aeikens: Wir müssen differenzieren, welche Art von Hilfen gemeint sind, ob Investitionsbeihilfen oder direkte Prämien oder beides. Bei allem stellt sich die Frage der politischen Durchsetzbarkeit und der Finanzierung. Diese Regierung hat vereinbart, dass es keine Steuererhöhungen geben wird. Die Grundphilosophie ist, dass es über Markterlöse laufen sollte. Die Diskussionen dazu werden zurzeit geführt.

Warum wird eigentlich derzeit so gut wie gar nicht über die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik diskutiert?

Aeikens: Wir sind in permanenten Gesprächen dazu – sowohl in Brüssel, als auch in Deutschland. Es hat aber durch die Europawahl im Mai und die jetzt erfolgte Neuzusammensetzung der Kommission sicher einen Abbruch in der Intensität der Diskussion gegeben. Aber der Faden wird jetzt wieder aufgenommen. Noch gibt es aber, gerade was die Umweltziele anbelangt, erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten.

Stehen sich die Bauernverbände mit ihrem Beharren auf den pauschalen Direktzahlungen selbst dabei im Weg, mehr Geld für die von ihnen erbrachten Leistungen beim Umwelt- und Klimaschutz zu bekommen?

Aeikens: Das, was wir jetzt beim Insekten- und Klimaschutz machen, speist sich ja mehr aus nationalen Kassen. Wir haben mit 6,7 Mrd. € für 2020 einen Rekordhaushalt für das Ministerium. Wir stehen damit fiskalisch für eine höhere Unterstützung der Landwirtschaft und den ländlichen Raum.

Was die GAP anbelangt, haben wir mit der ersten Säule ein einkommenspolitisches Instrument, das den Betrieben erstmal ein Fundament verleiht. In einer Zeit, in der wir klimatische Veränderungen haben und darüber diskutieren, ob der Staat zur Risikovorsorge stärker in Vorleistung tritt, leistet der Staat mit der ersten Säule auch ein Stück weit Risikovorsorge. Das gibt den Betrieben schon Sicherheit. Wenn Sie anfangen, dies ganz in Frage zu stellen, dann kann das für die Stabilität der Betriebe ein Problem werden.

Das BMEL fordert seit geraumer Zeit, für die Umweltleistungen (Eco-Schemes) in der ersten Säule einen Mindestanteil der Finanzmittel festzulegen. Warum legt sich das BMEL dann nicht auf einen Prozentsatz für die Eco-Schemes in der ersten Säule fest?

Aeikens: Wir würden uns damit leichter tun, wenn wir wüssten, wie viel wir zur Verfügung haben. Das wird in der Endphase der Verhandlungen zu beantworten sein. Solange wir nicht wissen, über welche Gesamtsummen wir sprechen, ist es schwierig, Dinge im Vorhinein zu verteilen. Damit würden wir zudem unsere Verhandlungsposition verkomplizieren.

Noch einmal zurück zu unserer Eingangsfrage. Denn diese haben Sie nicht beantwortet. Sie sind Agrarwissenschaftler, blicken auf eine lange Karriere in der Landes- und Bundespolitik zurück. Hätten Sie sich einen anderen Abgang gewünscht?

Aeikens: Mein Ruhestandseintritt war zwischen Frau Klöckner und mir terminlich definiert worden, als Frau Klöckner das Ministeramt übernahm. Der Vertrag ist nun erfüllt. Das habe ich mir in der persönlichen Lebensplanung so vorgenommen. Wenn man 68 ist, dann darf man das wohl auch.

Ich habe dem Staat immer gerne gedient und mich für die Landwirtschaft engagiert. Es ist für mich als Bauernsohn aus Ostfriesland ein sehr interessantes Berufsleben gewesen. Dafür bin ich dankbar. Da ich meine Arbeit gerne tue, ist es ein Übergang in den Ruhestand, dem ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegensehe.

Nagt die Konfrontation mit den Bauern, jetzt zum Schluss so gar nicht an Ihnen?

Aeikens: Es schmerzt mich, wenn Landwirte durch Fehlinformationen und durch Kampagnen auf einen Weg gebracht werden, auf den sie sich nicht begeben brauchen. Wir müssen der Landwirtschaft einiges zumuten. Es ist aber wichtig, gerade der jungen Generation klar zu machen, dass der landwirtschaftliche Beruf eine gute Perspektive hat. Wir brauchen unsere Landwirte für ihre primäre Aufgabe, unsere Ernährung sicherzustellen. Da macht die deutsche Landwirtschaft einen guten Job.

Ich finde es bedauerlich, wenn junge Menschen aus der momentanen Diskussion heraus die Schlussfolgerung treffen, dass sie keine Landwirte mehr werden wollen, obwohl sie zukunftsfähige Betriebe übernehmen könnten.

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