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Ex-Agrarminister Schmidt und Künast bewerten Landwirtschaft 2021

Christian Schmidt und Renate Künast plädieren für eine Bindung der Tierzahlen an die Fläche. Schmidt erklärt, warum er das Kastenstandurteil herauszögerte und Künast wünscht sich eine Tierschutzabgabe

Lesezeit: 7 Minuten

Die früheren Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) und Renate Künast (Grüne) haben sich im Spiegel-Interview gemeinsam über die Zukunft der Landwirtschaft unterhalten. Hier die interessantesten Aussagen.

Renate Künast

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Renate Künast ist der Ansicht, dass die Landwirtschaft sich dringend verändern muss. Die Branche stehe an einer Wegscheide. Nach drei Dürrejahren stünden viele Betriebe vor dem Aus. Künast verweist auf den Klimawandel und sich ändernde gesellschaftliche Erwartungen. Gleichzeitig müsse man Interesse an nachhaltigen guten Produkten haben. Die Landwirtschaft jedenfalls müsse wieder wie früher selbstverständlich Teil der Natur werden.

Bisher gebe es noch das Denken in großen Betrieben, das sich mit Freihandel und der Agrarindustrie und der chemischen Industrie verbunden hat. Dieses System entfalte unglaubliche Beharrungskräfte. „Wir haben faktisch ein Marktversagen. Er wird nie für Nachhaltigkeit sorgen. Derzeit überfordern Klimaschutz, Schutz der Biodiversität und Tierschutz die kleineren Bauern oft, und die großen Betriebe und Investoren zerstören nicht nur die Strukturen des ländlichen Raums, für sie sind auch große Flächen lohnend, was der Umwelt eher schadet. Die Kleinen können sich nicht mal mehr Land kaufen oder pachten“, sagte Künast im Interview.

Jahrzehntelang habe man über das Prinzip »wachse oder weiche« alles konzentriert. Um die Betriebe herum sei eine agrarindustrielle Struktur geschaffen worden. Ein paar Unternehmen kontrollieren ihrer Meinung nach Chemie, heute auch Technik und Daten, was den Bauern nur wenig Handlungsspielraum lasse. Molkereien, Fleischkonzerne und Lebensmittelindustrien würden den Preisdruck nach unten weitergeben. Ebenso in der Kritik sei der Lebensmitteleinzelhandel. „Wir haben in jeder Stufe Strukturen geschaffen, die neuen Probleme schaffen.“

Künast fordert ehrliche Preise, etwa durch Tierschutzabgaben. Sie würde die öffentliche Auftragsvergabe umstellen, damit sich Strukturen neu ausrichten und gewisse Absurditäten unterbleiben. Als Beispiel nannte sie Möhren aus Brandenburg für Berliner Kantinen, die aber zum Waschen und Schälen erst nach Magdeburg gefahren werden.

Die Grünen-Politikerin wünscht sich eine europäische Umstellung auf eine Gemeinwohlprämie. Bauern bekämen dabei für Umwelt- und Gemeinwohlleistungen Punkte und könnten sich danach verlässlich ausrichten. Internationale Handelsabkommen, die die europäischen Standards unterwandern, lehnt sie ab. Bei TTIP etwa störe sich außerdem die extra Streitschlichtung.

Auch der Bürger müsse umdenken: „Wir haben uns jahrzehntelang daran gewöhnt, ganzjährig jede Sorte Obst, Gemüse und Blumen zu haben, während zum Beispiel der Tschadsee trockenfällt. Es wird der entscheidende Prozess sein, zu erkennen, dass ein gutes Leben auch anders aussehen kann.“ Außerdem gebe es zu viele Tiere im Land, Künast fordert eine Reduktion der Tierzahlen. Anders werde man die Belastung für Böden und Wasser und auch den Klimawandel nicht in den Griff bekommen.

„Die Tierhaltung muss flächengebunden sein. Es braucht auch für die gewerblichen Betriebe eine Koppelung der Viehbestände an das Land, maximal 1,4 bis 2 Großvieheinheiten pro Hektar.“ Man könnte dann nur noch so viele Tiere halten, wie man Land hat und wie man auch die Gülle auf dem eigenen Land loswird. Es wird für die viehdichten Gebiete nicht mehr möglich sein, Gülle ins Nachbarland zu fahren, um sie dort zu entsorgen, so die gebürtige Recklinghäuserin.

Christian Schmidt

Auch Christian Schmidt stellt fest, dass wir heute in einer fordernden Gesellschaft leben, die verstehen sollte, dass sie nicht auf der Landwirtschaft alle Erwartungen abladen kann, ohne sich selbst einzubringen. Anders als Künast sieht er nicht so schwarz und erwartet auch kein Scheitern der Landwirtschaft. Gleichwohl müsse sich etwas ändern.

Schmidt hält es für richtig, dass die EU zu Anfang des Jahrtausends die Entkoppelung der Agrarförderung von den Produktionsmengen eingeleitet hat. Deutschland habe das als einziges Land komplett umgesetzt. Er erwarte das endlich auch von den anderen EU-Ländern. Auf die Anmerkung des Spiegels, dass seitdem die Betriebe mit der größten Fläche das meiste Geld bekommen, gesteht der frühere Agrarminister ein, dass in der Folge manches versäumt wurde. „Noch immer belohnen wir Kapitalgesellschaften mit Geld, die Flächen besitzen, aber nichts für die ländlichen Regionen leisten. Wenn man alles nur dem Markt überlässt, dann laufen wir Gefahr, dass wir irgendwann nur noch Großbetriebe haben. Gerade die bäuerlichen Betriebe sorgen für soziale Strukturen auf dem Land, aber die Wertschöpfungskette ist nicht an ihnen ausgerichtet. Der Markt muss Leitplanken bekommen“, so Schmidt.

Zum Thema Marktmacht der vier großen Supermarkt-Ketten, die etwa vier Fünftel aller Lebensmittel verkaufen, fordert der Politiker, dass man die Wertschöpfungsketten insgesamt bis zum Verbraucher betrachten und unfaire Handelspraktiken verbieten müsse. Landwirtschaft funktioniere in Generationen, es sei ein mühsamer, nachhaltiger Prozess, den man nur mit den Beteiligten gestalten kann. „Wir müssen den Landwirten dazu auch emotional signalisieren, dass sie zur Gesellschaft gehören, dass sie keine Störer sind, die bekämpft werden. In dem Bild, das da oft gezeichnet wird, sehe ich schon einen deutlichen Unterschied zwischen Grünen und uns.“

Viele Verbraucher haben laut Schmidt immer noch ein eher idyllisches Bild von Landwirtschaft, gerade in den Städten. Landwirtschaft habe aber den Kernauftrag, Lebensmittel zu produzieren. Daher sei ein Verständnis für landwirtschaftliche Prozesse notwendig.

Große Bedeutung misst der Mittelfranke der Digitalisierung zu. Sie werde über die Zukunft der kleinen Betriebe entscheiden. Wenn man wegen Präzisionstechnik weniger Dünger ausbringen muss, ist das seiner Überzeugung nach auch ein Beitrag zum Klimaschutz. Es müssten aber die Daten bei denen bleiben, die sie erzeugen, und dürfen nicht von IT-Giganten monopolisiert werden.

Auf die Agrarprämien angesprochen hobt Schmidt hervor, dass Direktzahlungen das ausgleichen, was die erhöhten Umweltstandards kosten und was der Markt nicht vergütet. Mit diesem Grundsatz würden Bauern für das, was die Gesellschaft mit guten Argumenten von ihnen verlangt, auch anständig bezahlt. Eine Gemeinwohlprämie bringt laut Schmidt nichts, wenn es die nur national gibt. „Nur teilen schon in Europa längst nicht alle unsere deutschen Ansichten. Der noch größere Brocken ist der internationale Wettbewerb, der wichtig ist, aber gemeinsame Regeln braucht“, sagte er. Die EU könne und dürfe keinen offenen Wettbewerb mit Produkten zulassen, die z.B. mit Tropenwaldzerstörung produziert werden. So etwas müsse man in Handelsabkommen wie Mercosur berücksichtigen.

Auf das Thema Tierhaltung angesprochen ist Schmidt überzeugt, dass die Bestände wohl ihr Maximum überschritten haben. „Wir haben eine Düngeverordnung umgesetzt, an der viele Landwirte trotz gutem Willen fast verzweifeln. Ich vermute, dass dies zu niedrigeren Zahlen führen wird. Dann gibt es noch die Borchert-Kommission.“ Hierdurch würden die Bestände sinken. Er würde es ebenfalls begrüßen, wenn der Gülletourismus aufhört. Eine Bindung der Tierbestände an die Fläche hält auch er wie Renate Künast für sinnvoll, man dürfe nur nicht vergessen, dass noch immer die wesentliche Wertschöpfung in der Landwirtschaft in der Tierhaltung stattfindet, nicht im Ackerbau. „Deshalb macht der Ökolandbau etwa 10 % der Flächen aus, aber nur 4 % der Gewinne, weil Tierhaltung am wenigsten ökologisiert ist bisher.“

Schmidt warnt davor, aus der Tierhaltung auszusteigen. Sonst wandere sie ab, das Fleisch werde weiter produziert, nur zu niedrigeren Standards. „Diese Sorge ist berechtigt und war auch der Grund, warum wir das Verbot des Kastenstands so lange nicht umgesetzt haben. Deshalb muss das europäisch angegangen werden, nicht mit nationaler Abstockung“, gesteht der Politiker ein.

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