Im Vorfeld von Politik trifft Praxis in Brüssel haben wir mit den teilnehmenden Politikerinnen und Politikern Interviews geführt. Das sagt der EU-Abgeordnete der FDP Jan-Christoph Oetjen zur Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik und dem Streit um die sogenannten Neuen Züchtungstechniken.
Herr Oetjen, setzt EU-Agrarkommissar Christophe Hansen mit der Vision für die Landwirtschaft und Ernährung in der EU die richtigen agrarpolitischen Prioritäten?
Oetjen: Der neue Agrarkommissar hat selbst eine Verbindung mit der Landwirtschaft, das merkt man deutlich in den Prioritäten, die er in seinem Bereich setzen möchte.
Allerdings sind viele der für die Agrarpolitik relevanten Themenstellungen nicht in seinem Zuständigkeitsbereich, sondern liegen beim Kommissar für Umwelt.
Viele der für die Agrarpolitik relevanten Themenstellungen liegen beim Kommissar für Umwelt."
Dort wird noch abzuwarten sein, ob sich eine neue vernünftige Linie in der Europäischen Kommission durchsetzt, welche die Realitäten und Herausforderungen unserer Landwirtschaft berücksichtigt.
Live aus Brüssel: Diskutieren SIE mit!
Am 09. April 2025 diskutieren wir mit den führenden EU-Agrarpolitikerinnen und -politikern die Zukunft der Landwirtschaftspolitik in Europa. Doch nicht nur mit den Politikern sondern vor allem: mit Ihnen.
Bei der ersten Ausgabe von "Politik trifft Praxis" in Brüssel bringen wir Landwirtinnen und Landwirte aus Deutschland, Österreich und Belgien in der Hauptstadt Europas zusammen. Gemeinsam mit Politikern aus dem Europaparlament gehen sie der Frage nach: Pflanzenschutz und GAP: Was plant Brüssel?
Die Debatte verspricht, lebhaft zu werden, immerhin stehen in diesem Jahr die Verhandlungen über den EU-Haushalt für die kommenden Jahre an. Der bestimmt maßgeblich darüber, wie kraftvoll die Gemeinsame Agrarpolitik ab 2028 werden kann.
Welche konkreten Vorschläge sollte er als erstes angehen?
Oetjen: Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass die Digitalisierungsstrategie und das Vereinfachungspaket schnellstmöglich vorgelegt und praxisnah umgesetzt werden. Insbesondere die Digitalisierung ist eine gute Möglichkeit, um Prozesse zu vereinfachen.
Zusätzlich kann durch die Digitalisierung im Betrieb der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sowie Düngemitteln reduziert werden und die Landwirtschaft insgesamt ökologischer gestaltet werden. Das sollte aber nicht nur mit Regeln hinterlegt werden, sondern auch mit entsprechenden Förderinstrumenten.
Noch für dieses Jahr hat der EU-Agrarkommissar angekündigt, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) weiter zu vereinfachen. Sehen Sie Potentiale zur weiteren Vereinfachung der GAP?
Oetjen: Nach den ersten Beschlüssen zur Vereinfachung der Gemeinsamen Agrarpolitik vor der Wahl, wie der Abschaffung der verpflichtenden Flächenstilllegungen, was ich für einen richtigen Schritt halte, ist es aus meiner Sicht notwendig, bei den Regeln zum landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand weitere Flexibilisierung durchzusetzen. Beispielsweise bei GLÖZ-7 sollten die Regeln zum Fruchtwechsel deutlich vereinfacht werden.
Auch in GLÖZ-1 könnte die Fünf-Jahresregelung zum Entstehung von Dauergrünland ersetzt werden. Es gibt aber auch in den anderen GLÖZ-Regeln Punkte, die angefasst werden können. Die Frage ist allerdings immer, ob bei der Europäischen Kommission dafür eine Bereitschaft vorhanden ist. Bei dem Europäischen Parlament und vor allem uns Freien Demokraten ist sie da.
Um den EU-Agrarhaushalt zeichnet sich ein harter Verteilungskampf ab. Sehen Sie Chancen auf ein stabiles Agrarbudget?
Oetjen: Die Debatte um den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU ist in vollem Gange und die große Frage ist, wie dieser Mehrjährige Finanzrahmen im Licht der veränderten geopolitischen Lage aussehen wird. Es müssen neue Schwerpunkt im Bereich Verteidigung und Wettbewerb gesetzt werden. Allerdings fehlen dafür wichtige finanzielle Mittel.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob wir uns die heutige Kohäsionspolitik und die zweite Säule der Agrarpolitik noch in diesem Maße leisten können, wenn nicht sichergestellt ist, dass die Mittel nicht zielgerichtet für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft eingesetzt werden. Insofern wird es auch Veränderungen in der Agrarpolitik und im Agrarhaushalt geben, deren Ausmaß heute allerdings schwer abzuschätzen ist.
Laut der EU-Agrarvision will die EU-Kommission das Zulassungsverfahren für biologische Pflanzenschutzmittel beschleunigen. Kann das die sinkende Zahl chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel kompensieren?
Oetjen: Biologische Pflanzenschutzmittel sind eine gute Ergänzung für die landwirtschaftliche Produktion und können sicherlich auch zu einer Reduktion des Einsatzes chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel beitragen.
Die Landwirtschaft ist insgesamt auf einem guten Reduktionspfad, was den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln angeht. Ich persönlich bin skeptisch, was ein Verbot einzelner Wirkstoffgruppen in einzelnen Gebietskulissen angeht.
Der Vorschlag zur EU-Pflanzenschutzverordnung SUR ist zu Recht gescheitert."
Zu Recht ist der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Pflanzenschutzmittelverordnung (SUR) im letzten Mandat gescheitert. Klar ist: Wir brauchen eine qualitative Betrachtung und keine Betrachtung auf Grund von Gebietskulissen.
Für die sogenannten „Neuen genomischen Techniken“ zeichnet sich auch unter den Mitgliedstaaten ein Kompromiss ab. Die FDP hat sich stets für die Liberalisierung des Gentechnikrechts zugunsten der NGTs eingesetzt. Wo sehen Sie Fallstricke in den Trilogverhandlungen mit den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission?
Oetjen: Die Verhandlungen zur Zulassung der neuen Züchtungsmethoden sind auf einem guten Weg und wir Freie Demokraten begrüßen dieses innovative Instrument der Pflanzenzüchtung. Wichtig ist hier, dass die Neuen Züchtungsmethoden nicht mit der klassischen Gentechnik in einen Topf geworfen werden, denn das Endprodukt der NGT-1-Züchtungen ist eines, welches auch mit klassischen Züchtungen erreicht werden könnte. Nur können wir mit NGT-1 schnellere Züchtungserfolge erzielt werden.
Wie bewerten Sie die Vorschläge der EU-Kommission zur Gemeinsamem Marktordnung?
Oetjen: Für mich bleiben bei den Vorschlägen viele Fragen unbeantwortet und einige der Vorschläge sind ein zweischneidiges Schwert. Insbesondere die Frage des Artikels 148 ist nicht einfach zu beantworten. Persönlich würde ich zurzeit diesen Verschlägen eher ablehnend gegenüberstehen. Die Abschaffung des Genossenschaftsprivilegs ist ein Schritt in die falsche Richtung. Insgesamt sind solche Markteingriffe aus meiner Sicht immer kritisch zu hinterfragen.
Können verpflichtende Lieferverträgen für Milch, Getreide und viele weitere Agrarprodukte Landwirte in der Lieferkette stärken?
Oetjen: Ich bin der Überzeugung, dass die beste Stärkung von Landwirten in der Lieferkette ein Zusammenschluss zu Erzeugergemeinschaften und eine Stärkung von Genossenschaften ist. Markteingriffe hingegen sorgen nicht für eine Stärkung der Position der Bäuerinnen und Bauern.
Natürlich muss eine Konzentration auf der Handelsseite auch kritisch hinterfragt werden. Aus wettbewerbs- und kartellrechtlicher Sicht ist es immer schlecht, wenn der Vertrieb der Agrarprodukte auf weniger Handelspartner beschränkt ist. Dies führt unweigerlich zu unproportionaler Marktmacht.
Welche Maßnahmen halten Sie für notwendig, um faire Preise und Marktbedingungen für Landwirte zu gewährleisten?
Oetjen: Ich bin davon überzeugt, dass unsere landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland, wenn sie mit den gleichen Rahmenbedingungen arbeiten wie Landwirte in anderen Ländern, über das Know-how, die Technik und die natürlichen Rahmenbedingungen verfügen, um die besten Chancen am Markt zu haben.
Unser Ziel ist es, dass Landwirte mit ihrer Arbeit ihr Geld am Markt verdienen können. Daher setzen wir uns dafür ein, dass Regelungen europaweit einheitlich umgesetzt werden.
Wir setzen uns dafür ein, dass es kein nationales Goldplating [besonders strenge Auslegung des EU-Rechts durch einzelne Mitgliedstaaten, Anm.] gibt, was über EU Standards herausgeht und dass in Ländern, mit denen wir am Weltmarkt kooperieren, ähnliche Standards eingehalten werden müssen, wie bei uns in Europa. Wenn diese Rahmenbedingungen gegeben sind, mache ich mir wenig Sorgen um die heimische Landwirtschaft.