Für viele Landwirte brach Ende 2021 eine Zeitenwende an: Wer im Jahr 2021 einen Nettoumsatz von mehr als 600.000 € erzielte, darf seit Anfang des Jahres nicht mehr pauschalieren. Was für viel Unmut bei den Betroffenen sorgt, ist nicht nur der zusätzliche bürokratische Aufwand. Die Finanzämter weigern sich bislang auch, den Landwirten für einige Ausgaben im Jahr 2021 die Vorsteuer zu erstatten.
Tausend-Euro-Grenze wird zur Hürde
Eigentlich ist das Gesetz eindeutig: Wer der Regelbesteuerung unterliegt, muss zwar die Umsatzsteuer aus seinen Verkäufen an das Finanzamt abgeben. Dafür erstattet ihm der Fiskus aber auch die Umsatzsteuer, die er für Einkäufe ausgegeben hat. Wer hingegen als Pauschalierer z.B. im Dezember 2021 Ferkel gekauft hat, die Mastschweine als Regelbesteuer im Februar 2022 verkauft, bekommt bislang die Vorsteuer nicht zurück. Die Vorsteuererstattung ist in solchen Fällen nur möglich, wenn diese je Wirtschaftsgut oder Dienstleistung 1.000 € beträgt. Für Landwirte, die Maschinen gekauft oder Ställe gebaut haben, ist die Hürde relativ einfach zu nehmen. Für Tierhalter wird sie hingegen zu einem Problem. Denn als einzelnes Wirtschaftsgut gilt ein Ferkel oder eine Kuh – und für diese werden beim Kauf oder bei der Herstellung weit weniger als 1.000 € Vorsteuer fällig. Sie erhalten die Vorsteuer daher bislang nicht zurück – obschon dies zu einer Mehrbelastung führt, die nach dem Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer widerspricht.
Zudem passt die Herangehensweise der Finanzverwaltung nicht zu Urteilen des Europäisches Gerichtshofes (EuGH) sowie des Bundesfinanzhofes (BFH). Dort stehen die Richter auf dem Standpunkt: Für den Vorsteuerabzug ist die beim Kauf beabsichtigte Verwendung entscheidend und nicht der Zeitpunkt des Verkaufes (EuGH, Az.: C-396/98; BFH: Az.: V R 77/96 Az.: V R 39/00).
Zeitpunkt nicht entscheidend
Jetzt könnte aber ein Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichtes helfen. Im konkreten Fall zog ein Milchviehhalter seine weibliche Nachzucht selbst auf. Mit dem Jahreswechsel 2021/2022 musste er in die Regelbesteuerung wechseln, weil er mit seinen Umsätzen die 600.000-Euro-Grenze deutlich überschritt. Im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldungen für 2021 machte er die Vorsteuerbeträge für die Aufzucht der weiblichen Nachzucht geltend, die aber erst im Jahr 2022 zur Milcherzeugung beitragen konnten. Das Finanzamt wollte ihm die Vorsteuerkorrektur nicht gewähren, weil er zum Zeitpunkt des Einkaufes pauschalierte. Es kam zum Streit, der vor Gericht landete und zu Ungunsten der Finanzverwaltung ausging (Urteil vom 5.5.2022; Az.: 11 K 196/21).
Die Richter ließen die zeitpunktbezogenen Argumentation der Finanzverwaltung nicht gelten und bezogen sich auf eine „tätigkeitsbezogene Betrachtung“. Konkret: Immer wenn die Tätigkeit des Landwirtes zu einem regelbesteuernden Umsatz führt, hat er auch einen Anspruch auf Erstattung der dazugehörigen Vorsteuerbeträge. Zudem sei der Landwirt nicht freiwillig in die Regelbesteuerung gewechselt. Daher stehe ihm für seine Umsätze ab dem 1.1.2022 auch die Vorsteuer aus den dazugehörigen Vorleistungen zu.
Die Finanzverwaltung hat allerdings gegen dieses Urteil Revision vor dem BFH eingelegt. Bestätigen die obersten Finanzrichter die Argumentation ihrer niedersächsischen Kollegen(innen), hat das auch Folgen für alle, die künftig freiwillig in die Regelbesteuerung wechseln. Denn dann kommt es darauf an, wann Sie den Wechsel ihrer Finanzverwaltung mitteilen. Ab diesem Zeitpunkt haben Sie einen Anspruch auf eine direkte Erstattung der Vorsteuer für Ausgaben, die Ihren zukünftigen, regelbesteuerten Umsätzen zuzuordnen sind.
Beispiel: Sie melden dem Finanzamt am 1. Oktober, dass Sie ab dem 1. Januar freiwillig in die Regelbesteuerung wechseln. Im November kaufen Sie Ferkel, die Sie im Jahr darauf als Mastschweine verkaufen. Dann haben Sie Anspruch auf eine Vorsteuerkorrektur. Wenn Sie hingegen erst am 30. Dezember dem Finanzamt mitteilen, dass Sie am 1. Januar in die Regelbesteuerung wechseln, greift für Einkäufe vor dem 30. Dezember die Vorsteuerkorrektur mit der 1.000-Euro-Grenze.
Jetzt handeln!
Sollten Sie betroffen sein, sprechen Sie mit Ihrem Steuerberater. Zusammen mit ihm sollten Sie die Vorsteuer aus 2021 für Leistungen zurückfordern, die in 2022 der Regelbesteuerung unterliegen. Lehnt das Finanzamt das ab, legen Sie Einspruch ein und berufen Sie sich auf die Revision vor dem Bundesfinanzhof (BFH, Az.: XI R 14/22). Das Verfahren ruht dann solange, bis die Richter entschieden haben.
Unser Autor: Arne Suhr, wetreu Bremervörde Real Treuhand KG