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Interview

Greenpeace-Agrarsprecher Martin Hofstetter antwortet Bauer Willi

Martin Hofstetter Agrarexperte und Political Advisor bei Greenpeace Deutschland. Bauer Willi von www.bauerwilli.com hatte eine Reihe Fragen, die ihm Hofstetter beantwortet hat.

Lesezeit: 10 Minuten

Martin Hofstetter Agrarexperte und Political Advisor bei Greenpeace Deutschland. Bauer Willi von www.bauerwilli.com hatte eine Reihe Fragen, die ihm Hofstetter beantwortet hat:


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Bauer Willi: Herr Hofstetter, Greenpeace ist bei Bauern nicht gerade beliebt und das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Können Sie das verstehen?


Hofstetter: Natürlich werden wir nicht von allen Landwirten geliebt, aber von vielen respektiert. Wobei es da ja durchaus Unterschiede gibt. Meiner Erfahrung nach honorieren viele Landwirte, dass wir sehr aktiv gegen die Klimaerwärmung, z.B. gegen die Kohle-Industrie arbeiten und uns für den Ausbau erneuerbarer Energien einsetzten. Der Ausbau der Wind- und Solarenergie hat ja auch manchen Landwirten durchaus finanziell glücklich gemacht, da gibt es also gemeinsame Interessen.


Und auch bei unseren Landwirtschafts-Kampagnen gegen die Grüne Gentechnik, die Macht von Agrarkonzernen, die Patentierung von Ackerpflanzen habe ich viel Unterstützung aus der Landwirtschaft erfahren.


Auf der anderen Seite gibt es Themen wie den Einsatz von Pestiziden, Umbau der GAP oder auch Veränderungen bei der Tierhaltung, da  tun sich manche Landwirte mit unseren Forderungen deutlich schwerer. Vermutlich weil sie uns da als „Anspruchsgruppe“ sehen, durch die bei ihnen Mehraufwand und Kosten steigen oder Besitzstände angegriffen werden.


Nach außen müssen wir unsere Kampagnenthemen auch manchmal recht einfach runterbrechen um verstanden zu werden. Da hab ich als ehemaliger Wissenschaftler und Agraringenieur auch manchmal noch meine Probleme mit und verstehe wenn sich  Landwirte über die vereinfachte Darstellung ärgern.


Bauer Willi: Ob es der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist, die Greenpeace ja bewusst „Pestizide“ nennt, ob es „Massentierhaltung“ ist und die „Verseuchung des Grundwassers“, beklagt Greenpeace stets die unhaltbaren Zustände. Das ist ja wohl auch das Geschäftsmodell. Wenn es aber um Lösungen geht, wird es dünn in der Argumentation. Außer nur noch Bio zu kaufen, Vegetarier oder Veganer zu werden oder zumindest den Fleischkonsum zu halbieren, kommt da nicht viel. Skizieren Sie bitte die einzelnen Schritte, mit denen Sie einen Umbau der Landwirtschaft realisieren wollen ohne dass noch mehr Betriebe frustriert aufgeben.


Hofstetter:Dass Betriebe frustriert aufgeben bzw. es an Hofnachfolgern fehlt liegt ja vor allem an den mangelhaften wirtschaftlichen Perspektiven. Der Beruf des Landwirts ist trotz der Arbeitsbelastung ja immer noch extrem attraktiv, und auch die soziale Anerkennung aus der Bevölkerung insgesamt recht hoch. Aber die Anforderungen steigen, die Verbraucher werden heute zu sehr günstigen Preisen satt, es gibt ein riesiges Lebensmittelangebot und Lebensmittel können zumindest theoretisch auch vollständig aus dem Ausland kommen. Da muß man schon gut erklären, warum sie trotzdem heimische Produkte bevorzugen sollten. Wir sind in kaum einem Agrarmarkt Kostenführer, also muß es letztendlich über die Qualität der Erzeugung und der Produkte gehen.


Unserer Vorstellung ist daher: dort wo es ökologische Defizite gibt müssen sie benannt und offensiv abgestellt werden. Ich finde es schwer erträglich, dass zum Beispiel vier Jahre über eine neue Düngeverordnung gestritten wird obwohl von Anfang an völlig klar war, dass da vieles deutlich verbessert werden musste. Das ist vertane Zeit, ähnlich erlebe ich es bei Tierschutzthemen, bei der notwendigen Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes, bei Ammoniak und Klimagasen. Da könnten wir schon viel weiter sein.


Natürlich müssen wir auch immer auf die hiesige Wettbewerbssituation innerhalb der EU achten.  Für die Umwelt ist ja nichts gewonnen, wenn es nur zu Verlagerungseffekten raus aus Deutschland in Nachbarstaaten kommt. Dagegen hilft eine Zusammenarbeit mit den Nachbarländern aber auch eine bessere Produktkennzeichnung auf Herkunft und Tierhaltung.


Bei der Grünen Gentechnik ist es doch heute ein Standortvorteil, dass  sich die deutsche Landwirtschaft geschlossen entschieden hat, keine GVO Pflanzen anzubauen. Lebensmittel mit GVO müssen gekennzeichnet werden, der Handel hat sie ausgelistet weil er sie nicht verkaufen kann, zum Vorteil der heimischen Landwirtschaft. Der Verzicht auf antibiotische Leistungsförderer und auf Wachstumshormone bei der Milch- und Fleischerzeugung ist ein ähnliches Beispiel. Wird alles bei uns nicht mehr eingesetzt und ist heute auch ein wichtiges Vermarktungsargument.


Es geht doch heute nicht mehr darum hier eine Produktionsschlacht mit Maximalerträgen durchzuführen, sondern wir brauche eine  hohe ökologische Effizienz in der Produktion, beim Ackerbau wie in der Tierhaltung. Beim Pflanzenbau müssen wir Kompromisse mit dem Naturschutz wegen der Artenvielfalt machen, in der Tierhaltung brauchen wir sinnvolle Kompromisse zwischen guter Leistung und Tierwohl.


Auch mir ist klar, dass dies nicht kostenneutral ist. Aber einerseits haben wir ja immer noch – 25 Jahre nach Einführung von Ausgleichszahlungen – heute erhebliche Finanzmittel aus Brüssel für die Landwirtschaft, die wir geschickt einsetzen könnten. Und auf der anderen Seite wird der europäische Agrarmarkt ja noch über Zölle und Einfuhrkontingente geschützt, so dass wir Gestaltungsspielraum haben. Mir schwebt ein neuer Gesellschaftsvertrag zwischen Landwirtschaft und Verbraucher/Steuerzahlern vor: eine Landwirtschaft, die den gesellschaftlichen Anforderungen   – also hochwertigen Lebensmitteln, gesunde Umwelt, gute Tierhaltung – entgegenkommt, dafür aber auch besser entlohnt wird als es der Weltmarkt bietet.


Bauer Willi: Verbände, Agrarindustrie und Agrarpolitik sind ja Ihrer Meinung nach ja die Treiber dieser Entwicklung. Doch wie ist es mit dem Lebensmitteleinzelhandel, der nur auf seine Marge schielt, ansonsten aber die Verantwortung auf den „mündigen Verbraucher“ schiebt, von dem Richard David Precht neulich sagte, dass dies nur ein Fake wäre? Und der einerseits immer neue Forderungen gegenüber dem Erzeuger stellt, sich aber bei der Bezahlung einen „schlanken Fuß“ macht. Warum lässt Greenpeace dem Lebensmitteleinzelhandel alles durchgehen? Oder bestehen da etwa finanzielle Abhängigkeiten?


Hofstetter:Wir lassen dem LEH nichts durchgehen. Es gibt das geflügelte Wort: „der Verbraucher ist König, der Einkäufer des LEH ist Kaiser“. Schon darum arbeiten wir uns am Lebensmittelhandel ab, da dieser die Macht hat, Dinge in der Landwirtschaft zu verändern. Wir haben Gentechnik- und Pestizidkampagnen sehr erfolgreich gegen den LEH durchgeführt. Momentan arbeiten wir uns an den Discountern mit ihren Billigstfleischangeboten ab. Da würde ich mir manchmal mehr Unterstützung auch aus der Landwirtschaft wünschen.


Problem ist, dass der LEH sich freiwillig nicht auf stabile Lieferbeziehungen festlegen will, die Erzeuger gerne austauschbar hält um seine Marktmacht besser ausspielen zu können. Es ist daher richtig und dringend notwendig, dass sich die Landwirte besser organisieren. Und auch, dass das Kartellamt genauer hinschaut bei Zusammenschlüssen. Das Hauptproblem aber bleibt: dort wo austauschbare Ware am Markt im Überfluss vorhanden ist (siehe Schweinefleisch, Milch, etc.) ist die  Position der Landwirte beschissen. Da muß man sich dann vielleicht auch mal von der Idee verabschieden, dass  eine Ausdehnung der Produktion und der Weltmarkt die richtige Strategie ist.


Ich verstehe nicht, wieso von Seiten des Bauernverbandes gegen Mengenregulierungen gewettert wird. Das Geld wird doch hier verdient im EU Markt mit 450 Millionen zahlkräftigen Verbrauchern und nicht in China.

Zurück zu ihrer Frage:  der mündige Verbraucher ist doch weitgehend eine Fiktion.

  1. Erhält der Verbraucher am Point of Sale kaum Informationen durch den LEH, wenn es um Unterschiede in der Produktion gibt.
  2. Ist ein Großteil der Verbraucher extrem auf Preisangebote fixiert. Das ist auch eine Leistung des LEH, der ja mit Lockangeboten und Geiz ist Geil Werbung macht. Da schaltet dann das Hirn des mündigen Bürgers aus und er wird zum Ramschkäufer. Ich habe mitten in der Milchkrise erlebt, wie Milchbauern bei Aldi H-Milch im 10er Pack gekauft haben. Völlig Hirnlos. So scheinen wir Menschen zu ticken und der LEH weiß das natürlich ganz genau.
Bauer Willi: Ihre Idee, einen EU-Außenschutz dahingehend aufzubauen, dass nur noch Importe zugelassen werden, die den europäischen Normen bei Lohn- und Sozialstandards, bei Tier- und Umweltschutz entsprechen, ansonsten an den Grenzen abgewiesen werden, finde ich eine gute Idee. Das dürfte die Importe von Soja und Palmöl deutlich reduzieren. Aber auch bei Kaffee, Kakao und Bananen, um nur mal einige Produkte zu nennen, dürfte es Engpässe geben. Und wie wollen Sie eine solche Idee umsetzen? Fordern ist ja immer einfach.


Hofstetter:Richtig, das wird auch nicht einfach. Wie gesagt gibt es aber auch heute schon einen EU Außenschutz über Zölle. Aber auch BSE- Milch, Hormonfleisch, Obst mit erhöhten Pflanzenschutzmittelrückständen, etc. darf in die EU nicht eingeführt werden, weil wir höhere Standards als andere haben. Beim Biosprit gibt es konkrete Nachhaltigkeitsanforderungen, die eingehalten werden müssen, damit die Rohstoffe hier auf die Beimischungsquote  angerechnet werden dürfen. Außerdem schaffen wir zunehmend über die heimische Kennzeichnungen auch Druck auf den Handel schlecht produzierte Produkte auszulisten (z.B. Käfigeier). Es gibt also verschiedene Möglichkeiten.


Voraussetzung ist dabei immer, dass die heimische Erzeugung auch wirklich besser ist als dass, was uns da am Weltmarkt angeboten wird. Wenn Rindfleisch aus Argentinien vom Weiderind stammt, bei uns aber aus Intensivmast, also Maissilage, Kraftfutter, Vollspaltenboden etc. dann fehlten mir da auch die Argumente die hiesige Erzeugung zu verteidigen. Deswegen ist es wichtig, dass sich die Landwirtschaft bei uns bewegt und besser wird. Stillstand ist Rückschritt.


Bauer Willi: Wenn man Ihre Forderungen konsequent weiterdenkt, würden Lebensmittel deutlich teurer. Das erkennt man ja allein schon an den teureren Bio-Produkten, die zudem noch deutlich höher subventioniert werden. Von der Logik her müssten dann die Hartz IV-Sätze erhöht werden. Niedriglohnempfänger müssten einen noch höheren Anteil ihres Einkommens ausgeben und auch die Verpflegung in Kindergärten, Schulen und Altenheimen würde teurer. Befürchten Sie keinen Aufstand der „kleinen Leute“? Ihr Klientel ist ja wohl eher im gehobenen Bürgertum zu finden.


Hofstetter:Also, wir beklagen uns doch eigentlich immer, dass die Verbraucher nur noch so wenig für Lebensmittel ausgeben. Im Moment sind es wohl im Durchschnitt nur 12 % des verfügbaren Einkommens . Richtig ist, dass derzeit ärmere Haushalte einen höheren Anteil ihres Geldes  für Lebensmittel ausgeben als Reiche.  Aber wenn die Erzeugungspreise wegen höherer Umwelt/Tierschutzanforderungen meinetwegen 30% höher würden als heute, dann werden ja nicht automatisch auch Lebensmittel 30% teurer. Denn die Verarbeitungs- und Vermarktungskosten verändern sich ja nicht  Die Agrarrohstoffe machen nur einen Teil des Lebensmittelpreises aus, im Schnitt sind es etwa 25%. https://www.thuenen.de/de/ma/projekte/analyse-der-agrar-und-ernaehrungswirtschaft/immer-weniger-cent-von-einem-euro/


Die Lebensmittelmehrkosten für Verbraucher lägen also eher 10 % und nicht 30% höher. Ich bin kein Sozialpolitiker. Aber ich würde es für richtig halten, wenn in Kindergärten und Schulen und in Altenheimen gesundes Essen stärker bezuschusst würde vom Staat. Dann gäbe es auch keine Nachteile für ärmere, sondern die Vermögenden würden die Mehrkosten überproportional tragen


Bauer Willi: Letzte Frage: wann haben Sie zum letzten Mal mit Herrn Rukwied (DBV) gesprochen? Gibt es Kontakte zwischen DBV und Greenpeace?


Hofstetter: Es gibt Kontakte zwischen dem DBV und Greenpeace. Allerdings waren die schon mal deutlich besser. Unter Sonnleitner hat man sich regelmäßig getroffen, unter Rukwied herrscht mit der Verbandsspitze Funkstille. Auf der Länderebene und mit Kreisverbänden geht das deutlich besser. Beispielsweise besucht uns jedes Jahr eine große Gruppe junger Landwirte des Landvolkes in unserer Hamburger Zentrale. Da läuft der Kontakt ungezwungen und es wird Klartext gesprochen von beiden Seiten.


Bei Rukwied hab ich den Eindruck, dass er den Abstand zu den NGOs kultiviert um den Bauern zu sagen: das da sind die bösen Anspruchsgruppen, die wollen euch fertig machen und darum müssen wir uns eng zusammenschließen. Dass diese Strategie auf Dauer völlig nach hinten los geht liegt auf der Hand. Mir tut das in der Seele weh. Wir brauchen konstruktive Gespräche und eine offensive Auseinandersetzung um die besten Wege für die Zukunft, und nicht dieses mittelalterliche „Wagenburgdenken“.

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